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Jüttner: Beseitungskosten der Atomenergie gerecht verteilen

In Anbetracht der Entscheidung über die Genehmigung des umstrittenen Atommüll-Endlagers Schacht Konrad in Salzgitter hat der niedersächsische SPD-Fraktionschef Wolfgang Jüttner eine gerechte Lastenverteilung zwischen den Bundesländern bei der Atommüllentsorgung gefordert. Der frühere Landesumweltminister sagte, es sei nicht akzeptabel, dass auch andere Bundesländer von den Vorteilen der Kernenergie profitierten, Niedersachsen aber bisher die Hauptlast habe tragen müssen.

    Heuer: Annähernd drei Jahrzehnte dauert jetzt schon der erbitterte Streit über Schacht Konrad in Niedersachsen. Seit gestern wird er vor Gericht ausgetragen. Mit einem Urteil ist frühestens heute Nachmittag zu rechnen. Und darum geht es: Das ehemalige Eisenerzbergwerk könnte Deutschlands Endlager für schwach- und mittelradioaktiven Atommüll werden. Rund eine Milliarde Euro hat die Energiewirtschaft schon in das Projekt investiert. Vor vier Jahren wurde die Genehmigung für Schacht Konrad erteilt. Und jetzt wird es kompliziert. Denn an dieser Genehmigung waren drei Männer beteiligt, die vehement gegen ein Endlager Konrad sind - der damalige Grüne Bundesumweltminister, Jürgen Trittin, der damalige Niedersächsische Ministerpräsident, Sigmar Gabriel, inzwischen Trittins Nachfolger in Berlin, und Wolfgang Jüttner, 2002 Umweltminister in Hannover und dort inzwischen SPD-Fraktionschef. Guten Morgen, Herr Jüttner.

    Jüttner: Schönen guten Morgen.

    Heuer: Wer hat Sie eigentlich gezwungen, im Mai 2002 die Genehmigung für Schacht Konrad zu erteilen, Herr Jüttner?

    Jüttner: Es gab einen Antragsteller, das Bundesamt für Strahlenschutz, einen Antrag, - ich war Chef der Behörde, die über diesen Antrag zu entscheiden hatte - und es gab eine Bundesaufsicht, die die Antragslage und den Genehmigungssachverhalt eingegrenzt hat durch eine Weisung. Ich hatte bestimmte Dinge nicht zu prüfen, das ist mir unterbunden worden. Und in diesem Rahmen waren sämtliche Voraussetzungen erfüllt, um eine Genehmigung zu erteilen. Und da wir als Behörde rechtskonform uns verhalten, habe ich diese Genehmigung erteilen lassen.

    Heuer: Im Klartext, Jürgen Trittin hat sie gezwungen?

    Jüttner: Die Bundesbehörde ist Aufsicht, Herr Trittin, hat die Weisungen - und da wird es noch spannender - seiner Vorgängerin, Angela Merkel, die bis 1998 Umweltministerin in Bonn war, nicht zurückgenommen, denn die hatte angeordnet, dass das Niedersächsische Umweltministerium die Planrechfertigung nicht zu prüfen hatte. Die galt als hergestellt.

    Heuer: Das wird jetzt sehr kompliziert. Schauen wir in die Zukunft, Herr Jüttner. Hoffen Sie denn jetzt, dass die Kläger vor dem Oberlandesgericht Lüneburg gewinnen und damit die von Ihnen ja erteilte Genehmigung wieder in Frage gestellt wird?

    Jüttner: Nein, zu dieser Frage meiner persönlichen Empfindsamkeit möchte ich mich nicht äußern. Hier wird das Land Niedersachsen verklagt. Unstrittig ist für mich, dass wir aussteigen wollen aus der Atomenergie. Unstrittig ist aber auch, dass wir etwas brauchen, wo wir den angefallen Müll sicher ablagern. Es geht ja hier übrigens um schwach- und mittelwärmeentwickelnden Müll, der vorrangig nicht aus Atomkraftwerken kommt, sondern aus Forschungslabors und anderen Dingen. Die politische Verantwortung besteht, das ist überhaupt gar keine Frage.

    Heuer: Verstehe ich Sie richtig, dass Sie gar nicht mehr gegen Schacht Konrad sind als Endlager für diesen schwach- und mittelradioaktiven Müll?

    Jüttner: Ja, ich muss darauf hinweisen, dass 1998 in der Regierungserklärung von Gerhard Schröder festgelegt worden ist, dass ein neues Entsorgungskonzept entwickelt werden soll für Deutschland mit einem Endlager. Und für ein Endlager, was auch den Atommüll aus den Kernkraftwerken berücksichtigt, kommt Schacht Konrad definitiv nicht infrage. Das ist unstrittig. Und vor dem Hintergrund, auch das Geplänkel 2002 und vorher, weil es ja auch um haftungsrechtliche Fragen ging, der Bund hat darauf bestanden, ein Verfahren zu Ende zu bringen, von dem er 2002 selber davon ausging, dass er davon keinen Gebrauch machen will. Verstehen Sie? Das ist eine hoch komplizierte Geschichte. Wir sollten jetzt die rechtlichen Auseinandersetzungen abwarten, zum Abschluss bringen. Es haben ja alle Beteiligten augenscheinlich vor, auch die nächste Ebene zu erreichen, das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Ich hoffe, dass das zügig geht, damit das Verfahren dann mal zum Abschluss geführt wird. Und damit hat es sich.

    Heuer: Herr Jüttner, das sind ja zwei Dinge, die sie angesprochen haben. Das eine ist die Suche nach einem Endlager, da möchte ich gleich noch einmal drauf zurückkommen. Und das andere sind die haftungsrechtlichen Fragen. Das heißt auf Deutsch gesagt, es geht um viel Geld. Denn die Energiewirtschaft droht ja mit Schadensersatzforderungen, wenn Schacht Konrad nicht in Betrieb genommen wird. Wer soll das bezahlen?

    Jüttner: Das möchte niemand bezahlen, und deshalb möchte sich niemand in eine rechtlich schwierige Situation bringen. Und das ist sicher auch der Hintergrund, dass wir damals die Genehmigung erteilt haben. Bei der Weisungslage hatten wir gar keine andere Möglichkeit. Dass wir politisch Einwände hatten, ist überhaupt gar keine Frage, denn Sie müssen Folgendes sehen. Niedersachsen hat in den letzten Jahren sämtliche Folgelasten der Nutzung der Atomenergie auf das Auge gedrückt bekommen. Und da gilt seit Beginn der neunziger Jahre der Satz des damaligen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder nach einer gerechten Lastenverteilung. Es ist nicht akzeptabel, dass einige Bundesländer sehrwohl die Vorteile der Kernenergie für sich genutzt haben, aber an den Beseitigungsfolgen unbeteiligt geblieben sind. Und das war die politische Debatte, die ebenfalls mit dazu gehört, um das ganze einigermaßen zu verstehen.

    Heuer: Aber Herr Jüttner, wie wollen Sie denn diesen Widerspruch lösen? Einerseits stehen da die Schadensersatzforderungen im Raum. Sie sagen selber, kein Mensch möchte das bezahlen. Andererseits haben Sie politische Einwände. Das ist ja der Kleinkrieg, den wir seit Jahren erleben, das muss doch mal ein Ende haben.

    Jüttner: Das wird auch ein Ende haben, weil dem damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Umweltminister Sigmar Gabriel ins Stammbuch geschrieben ist, dass er in den nächsten Wochen ein Energiekonzept auf den Tisch legen muss, was auch die Frage der sicheren Endlagerung umfasst. Er weiß das und wird das verantwortlich auch wahrnehmen. Es liegt nicht an mir, ihm dort irgendwelche öffentlichen Ratschläge zu geben.

    Heuer: Dieses Endlager, dieses zentrale Endlager, das Sigmar Gabriel und auch Ihnen vorschwebt, das könnte ja in Gorleben sein - ebenfalls in Niedersachsen. Wäre der Standort für Sie in Ordnung?

    Jüttner: Es hat keinen Zweck, das politisch zu diskutieren, sondern jeder Standort müsste der bestmögliche in Deutschland sein. Und diese Untersuchungen sind nicht abgeschlossen. Und Niedersachsen hat immer darauf bestanden, dass nicht eine politische Vorentscheidung zu Gunsten von Gorleben getroffen wird, ohne dass Alternativuntersuchungen in Angriff genommen werden. Das ist die politische Forderung, die wir haben, die ist mit dem Moratorium erst einmal bereit gestellt. Jetzt ist es Sache des Bundes, über ein Bundesgesetz dieses Verfahren auch auf den Weg zu bringen. Da ist in den letzten Jahren nicht schnell genug gearbeitet worden, überhaupt gar keine Frage. Und dann wird entschieden, welches der bestmögliche Standort in Deutschland ist. Dass Niedersachsen nicht per se ausscheidet, das wissen wir auch. Aber dass politisch vorab entschieden wird, dass es auf jeden Fall Gorleben sein muss, dass ist für uns nicht akzeptabel.

    Heuer: Auch Gorleben wird aber seit Jahren erkundet. Auch in diese Erkundung ist viel Geld der Energiewirtschaft geflossen. Fürchten Sie da nicht dann auch Schadenersatzforderungen der Energieversorger?

    Jüttner: Nein, das sehe ich nicht. Ich glaube, die entscheidende Frage ist, ob das, was 1998 politisch verabredet worden ist, dass wir nur ein Endlager brauchen, Stand hält, oder ob die wissenschaftlichen Einwände, dass wir klug beraten sind, an zwei Standorten festzuhalten, sich durchsetzt. Das ist eine Sache, die gegenwärtig gutachterlich bearbeitet wird. Sigmar Gabriel wird die Konsequenzen darauf zu ziehen haben. Und dann entscheidet sich auch, suchen wir einen Endlagerstandort in Deutschland - da ist Gorleben sicher einer derjenigen, der in der engeren Wahl ist - oder bleibt es bei zwei Standorten. Dann stellt sich die Frage nach Schacht Konrad natürlich dringlicher, als das sonst der Fall wäre.

    Heuer: Wenn andere Endlager erkundet werden sollen, auch für hochradioaktiven Müll, als Gorleben, da kämen - sagen Experten immer wieder - vielleicht Standorte in Bayern oder Baden-Württemberg in Frage. Dann würde das sehr viel Zeit kosten. Andererseits muss die Bundesregierung bis 2030 ein Endlager eingerichtet haben, dann soll dieses Endlager betriebsbereit sein. Reicht die Zeit aus?

    Jüttner: Die Zeit bis 2030 - das Datum ist sicher korrekt gewählt - reicht aus, wenn jetzt keine Zeit verstrichen wird mit der beginnenden Alternativuntersuchung.

    Heuer: Es bleibt aber dabei, dass Sie einen Standort in Deutschland alle miteinander suchen? Es gab ja auch einmal die Idee von Jürgen Trittin, man könne das vielleicht auch im europäischen Ausland suchen, für den gesamten europäischen Atommüll.

    Jüttner: Davon halte ich nichts. Ich glaube, hier sind wir in der nationalen Verantwortung, in Deutschland auch einen geeigneten Standort zu suchen.

    Heuer: Wolfgang Jüttner, der SPD-Fraktionsvorsitzende in Niedersachen. Herr Jüttner, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Jüttner: Bitte schön.

    Heuer: Und das Gerichtsurteil in Sachen Schacht Konrad, erfahren wir gerade, das wird es nächste Woche geben.