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Jüttner: Eine Modernisierungsstrategie in sozialer Verantwortung

Der niedersächsische SPD-Fraktionschef Wolfgang Jüttner ist überzeugt, dass einige der Beschlüsse des Hamburger Parteitags in die Politik der Koalition einfließen. Im Mittelpunkt sozialdemokratischer Politik stünden Fragen von Gerechtigkeit. Diese müsste man glaubwürdig nach außen tragen, betonte Jüttner.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Heinlein: Angela Merkel ist zurück in der Innenpolitik. Nach ihrer mehrtägigen Indienreise und kaum 24 Stunden nach ihrem Blitzbesuch in Afghanistan lud die Kanzlerin zum großen Koalitionsgipfel in Berlin. In ihrer Abwesenheit hat sich viel angestaut in der Koalition: Mindestlohn, Arbeitslosengeld, Bahnprivatisierung und Pendlerpauschale. Die Liste der Streitthemen ist lang und der Ton zwischen Union und SPD fast schon unter der Gürtellinie. Entsprechend gering waren die Erwartungen im Vorfeld des Treffens.

    Am Telefon ist nun der SPD-Fraktionsvorsitzende in Hannover Wolfgang Jüttner. Er ist Spitzenkandidat der Sozialdemokraten für die niedersächsische Landtagswahl Anfang 2008. Guten Morgen Herr Jüttner!

    Jüttner: Guten Morgen Herr Heinlein.

    Heinlein: Wird auf dem Hühnerhof weiter gegackert, um es mit Franz Müntefering zu sagen? Was ist Ihr Eindruck nach dem gestrigen Abend?

    Jüttner: Es war nichts anderes zu erwarten. Es war als erste Lesung von mehreren komplizierten Themen konzipiert und da war nicht mit konkreten Ergebnissen zu rechnen.

    Heinlein: Warum nicht?

    Jüttner: Durch die Beschlüsse der SPD sind einige Positionierungen neu vorgenommen worden. Die CDU tut sich schwer und dass sie sofort einschwenkt, war in der Tat nicht zu erwarten. Hier geht es ja auch um zweierlei Dinge: zum einen wie eine Koalition sich weiter entwickelt, die sich für vier Jahre verabredet hat, zum zweiten wie eine Partei neben dem Grundsatzprogramm ihr eigenes Profil auch für die Alltagspolitik entwickelt. Jetzt wird es darum gehen, Teile davon koalitionsfähig, kompromissfähig zu machen, und andere Teile werden wenn man so will aufbewahrt für die Wahlkampfauseinandersetzung 2009.

    Heinlein: Ist der Wahlkampf der Punkt, warum die SPD jetzt offenbar entschlossen ist, auf fast allen Reformbaustellen sich quer zum Partner in der Großen Koalition zu stellen?

    Jüttner: Das sehe ich anders. Wir treiben Reformen voran, aber augenscheinlich verbinden wir mit dem Reformbegriff mitunter etwas anderes als Frau Merkel sich das vorstellt. Reformen haben die Funktion, für die Menschen die Alltagssituation zu verbessern. Das ist es, was wir im Auge haben, wenn Kurt Beck sagt "näher an den Menschen sein". Da haben wir in Hamburg einiges verabredet und es muss möglich sein, dass neben einer Großen Koalition die Partner ihr Profil weiter schärfen. Alles andere wäre ja selbstmörderisch.

    Heinlein: Aber für Wolfgang Schäuble befindet sich Ihre Partei derzeit in einer Mischung aus Wahlkampf und Endzeitstimmung. Ist denn dieser Eindruck ganz falsch?

    Jüttner: Der ist absolut falsch. Die SPD war erkennbar in Hamburg guter Dinge, weil wir unser sozialpolitisches Profil geschärft haben nicht nur in der Grundsatzprogrammdiskussion, sondern auch in den Schritten für die nächsten Monate.

    Heinlein: Sie sagen, Ihre Partei ist guter Dinge. Warum verschärft denn Ihre Partei, warum verschärfen die Sozialdemokraten den Ton derart vor internen Gesprächen mit dem Koalitionspartner?

    Jüttner: Ich weiß nicht, was Sie mit dieser Verschärfung meinen. Wenn es darum geht, deutlich zu machen, wofür die SPD steht, dann ist das einfach eine Selbstverständlichkeit. Wir haben in der Tat das Problem, dass wir in der öffentlichen Kommunikation in den letzten Monaten eher als zurückhaltend aufgefasst worden sind. Deshalb kam es genau darauf an, deutlich zu machen, was im Mittelpunkt sozialdemokratischer Politik steht. Da ging es nicht nur um Fragen von Gerechtigkeit, sondern das auch dann mit Glaubwürdigkeit nach außen zu tragen. Natürlich haben uns solche Themen wie Neuregelung bei der gesetzlichen Rente, auch Dinge, die wir im Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld entschieden haben, unter Problemdruck gesetzt und hier sich deutlich zu artikulieren, deutlich zu machen, was Arbeitnehmerpolitik für uns bedeutet, das war das Anliegen in Hamburg. dass dies die CDU nicht nur freut, das kann ich nachvollziehen, aber das ist nicht die Messlatte für uns.

    Heinlein: Sie wollen die Zurückhaltung aufgeben, sich deutlicher profilieren als linke Volkspartei. Ist das das Ziel der SPD in den kommenden Wochen und Monaten?

    Jüttner: Das muss das Ziel der SPD sein. Nur dann ist sie mehrheitsfähig. Wir haben im Januar in Niedersachsen Landtagswahl und drängen auch seit Monaten darauf, dieses Profil zu schärfen. Von daher bin ich als Spitzenkandidat hier in Niedersachsen sehr zufrieden mit den Ergebnissen aus Hamburg.

    Heinlein: Ist es einfacher für Sie, jetzt nach dem Hamburger Parteitag in Niedersachsen Wahlkampf zu machen?

    Jüttner: Ich glaube schon. Die niedersächsische SPD ist beim Thema Gerechtigkeit immer in der Offensive gewesen und wir sind häufiger gefragt worden, wie sich das mit dem verträgt, was in Berlin auch an Zugeständnissen, an Kompromissen gemacht worden ist. Von daher ist die Identität der Programmatik der Bundespartei mit der niedersächsischen SPD jetzt deutlich, vor allem deutlicher erkennbar.

    Heinlein: Also verstehe ich Sie richtig? Die SPD ist nach links gerückt nach Hamburg und Sie fühlen sich ganz wohl dort, fern von der Mitte?

    Jüttner: Nach links gerückt, ich kann mit dieser Gesäßgeographie überhaupt nichts anfangen, muss ich sagen. Sie hat ihr Profil geschärft, indem deutlich wird wir sind eine Partei, die den gesellschaftlichen Wandel bearbeitet, die ihn auch nicht aufhält, die ihn aber so ausgestaltet, dass dabei möglichst niemand auf der Strecke bleibt. Das heißt in sozialer Verantwortung eine Modernisierungsstrategie. Ich glaube das ist das richtige Konzept, um in dieser Gesellschaft nicht nur Mehrheiten zu gewährleisten, sondern den sozialen Zusammenhalt in Deutschland auch auf Dauer zu garantieren.

    Heinlein: Ist denn das Zurückdrehen der Agenda-Reform tatsächlich das richtige Mittel, um beim Wähler zu punkten?

    Jüttner: Ich sehe nicht, dass wir hier etwas zurückdrehen, sondern ich sehe, dass wir nach fünf Jahren ein Reformprojekt, was übrigens die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland auch maßgeblich mit vorangebracht hat, dahingehend überprüfen, ob ihre einzelnen Komponenten so noch stimmig sind, oder ob es nicht einen Nachjustierungsbedarf gibt. Der ist vorhanden. An diesen Stellen wird jetzt gearbeitet und von daher ist das kein zurück, sondern eine kluge und sinnvolle Weiterentwicklung von Sozialreformen, von Arbeitsmarktpolitik.

    Heinlein: Kann denn in diesem Zusammenhang, Herr Jüttner, die SPD beim Arbeitslosengeld oder beim Mindestlohn Kompromisse machen, ohne das neu gewonnene Vertrauen wie Sie sagen beim Wähler zu riskieren?

    Jüttner: Das wird man genau abwägen müssen. Wir sind ja keine fundamentalistische Partei, sondern eine, die den politischen Alltag auch gestalten will. Aber es gibt sicher Grenzen, wo die Kompromisse eher als Rohrkrepierer landen, und deshalb werden wir schon genau darauf achten, dass wir dort nicht überfordert werden, sondern dass das Profil erkennbar bleibt.

    Heinlein: Stichwort Rohrkrepierer, wie Sie sagen. Einziges greifbares Ergebnis des gestrigen Treffens ist ja die wahrscheinliche Beibehaltung der gekürzten Pendlerpauschale. Die SPD wollte mehr nach dem Hamburger Parteitag. Eine Niederlage für Ihre Partei?

    Jüttner: Nein. Es hat ja die Verständigung gegeben, jetzt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten. Mein Eindruck nach den gerichtlichen Entscheidungen, die ergangen sind, ist, dass die Pendlerpauschale so wie sie jetzt im Gesetzblatt steht, keine Zukunft hat.

    Heinlein: Nun sieht es aber so aus, als ob die SPD parteiintern große Töne spuckt, in der Koalition dann aber klein beigibt.

    Jüttner: Große Töne spucken nenne ich das nicht, sondern das eigene Profil schärfen. dass in einer Großen Koalition Ergebnisse von Parteitagen nicht eins zu eins umzusetzen sind, war zu erwarten. Das kann auch niemand unterstellen, dass die CDU einschwenkt auf das, was die SPD macht. Es wird ja häufig diskutiert, die Parteien in Deutschland seien gar nicht mehr unterscheidbar. Ich sehe das anders. Sie sind sehr unterscheidbar. Das bringt aber dann schon das Problem mit sich, dass in der Konstellation einer Großen Koalition die Kompromissbereitschaft abgefragt wird, und das wird sich am nächsten Montag zeigen, was da geht. Und das was nicht geht, bleibt für die Wahlkampfauseinandersetzungen 2009.

    Heinlein: Und für die kommende Woche können wir uns auf weitere Kompromisse gefasst machen?

    Jüttner: Ich gehe davon aus, dass das eine oder andere sehr wohl in dieser Koalition bewegt werden kann, aber das wird schon ein Stück entfernt sein von dem, was die Bundes-SPD auf dem Hamburger Parteitag beschlossen hat.

    Heinlein: Der SPD-Spitzenkandidat in Niedersachsen Wolfgang Jüttner. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Hannover.

    Jüttner: Bitte schön!