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Jugendarbeit in Frankreich
Kitt für eine brüchige Gesellschaft

Vor allem junge Migranten tun sich schwer, in Frankreich einen Job und einen Plan für ihr Leben zu finden. Vereine und Initiativen versuchen, sie zu integrieren und ihnen Perspektiven aufzuzeigen. Mit einfachsten Mitteln und ungebremstem Engagement kämpfen sie gegen die Zwei-Klassen-Gesellschaft.

Von Suzanne Krause | 02.04.2015
    Im Erdgeschoss eines hohen Plattenbaus hat sich der Verein "Voix d'elles – Rebelles" eingemietet: Fünf Zimmer, das Mobiliar stammt vom Sperrmüll, Fotos zieren die Wände des Vereins. Dessen Gründerin Sarah Oussekine rauscht herein, mitten in ein Beratungsgespräch: auf einem niedrigen Sofa fläzt eine junge Kurdin. Die 16-Jährige ist wegen rassistischer Sprüche aus der Schule geflogen, lebt nun im Heim und lässt im Beratungsgespräch ihrem Hass auf Türken vollen Lauf. Bis Sarah Oussekine einschreitet.
    "Weißt Du, wenn jemand so rassistisch gegen andere wettert, dann heißt das zumeist, dass er mit sich selbst nicht im Reinen ist."
    Während sich die Vereinschefin um das junge Mädchen kümmert, hantiert ihre Mitarbeiterin in der Küche nebenan. Rebellische Teenager, Jugendliche aus zerrütteten Familien, empfängt Mylouse Bojolly-Saint-Julien regelmäßig. Und auch Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt wurden.
    "Sie entstammen Kulturkreisen, in denen das Thema Sexualität tabu ist. Ich hingegen schenke den Frauen mein Ohr. Und helfe ihnen auch bei Behördengängen, bei der Jobsuche. Ebenso organisieren wir kulturelle Ausflüge für Mütter und Kinder. Uns geht es darum, den Frauen ihre eigenen Qualitäten bewusst zu machen. Ihr Selbstwertgefühl zu stärken."
    Sarah Oussekine zieht Fotoalben hervor, Erinnerungen. Den Verein hat sie vor 20 Jahren gegründet, um der alltäglichen Diskriminierung von Einwanderern etwas entgegen zu setzen. Oussekines Eltern stammen aus Nordafrika, sie selbst wuchs in Frankreich auf. Als sie einen französischen Pass beantragte, riet man ihr, den arabischen Vornamen zu ändern. Damals hieß sie noch Nassera.
    "Wir sind Einwanderer aus den früheren Kolonien – die Ungerechtigkeit uns gegenüber dauert nun schon 150 Jahre an. Auch wenn unsere Vorfahren im Ersten und im Zweiten Weltkrieg für Frankreich kämpften – respektiert werden wir bis heute nicht."
    1986 wurde Malik Oussekine, Sarahs Bruder, in Paris von Polizisten zu Tode geprügelt, der Vorfall erschütterte ganz Frankreich und brachte die damalige sozialistische Regierung ins Wanken. Auf eine echte Wiedergutmachung wartet die Familie bis heute. Und, trotz Jahrzehnte langer Vorstadtpolitik, ist es dem französischen Staat keineswegs gelungen, die Bewohner von Trabantensiedlungen zu integrieren. Im Gegenteil.
    "Wir beobachten immer mehr Jugendliche, die sich völlig verloren fühlen und damit zur leichten Beute von Fundamentalisten werden – aus dem islamistischen oder auch evangelistischen Umfeld. Diese Gruppen profitieren von der desolaten Lebenssituation der Jugendlichen und versprechen ihnen eine neue Familie, eine identitätsstiftende Religion."
    Die Aktivistin deutet auf Fotos von einem Einsatz in Madagaskar, wo jugendliche Freiwillige aus Saint-Denis eine Schule renovierten. All die, die an solchen Aktivitäten des winzigen Vereins teilnahmen, haben heute einen Job, eine Wohnung, ein normales Leben, sagt Oussekine stolz.
    Dass die Regierung das Laizitäts-Prinzip stärken will, davon ist bei ihr noch nichts angekommen.
    "Das ist doch alles nur leeres Gerede. Ich war auch nicht bei der Großkundgebung nach den Attentaten. Mögen die Teilnehmer dort auch einen Hauch von neuer Hoffnung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt erschnuppert haben - ich glaube nur noch an Taten."