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Jugendroman
"Liebe in ihren verschiedenen Facetten"

Drei Jugendromane hat der Autor Nils Mohl mittlerweile veröffentlicht, und sie handeln von Liebe, Glaube und Hoffnung. "Wenn man schon über das Erwachsenwerden schreibt, dann kann man auch groß ansetzen", sagte er im Deutschlandfunk.

Nils Mohl im Gespräch mit Ute Wegmann | 14.02.2015
    Der Kinderbuchautor Nils Mohl
    Der Kinderbuchautor Nils Mohl (picture alliance / dpa / Ingo Wagner)
    Ute Wegmann: Er studierte in Kiel, Tübingen und Berlin Literatur und Kulturmanagement in Weimar, er arbeitete als Texter in einer Werbeagentur und als Dozent an der Universität Hamburg, jetzt ist er freier Schriftsteller: Nils Mohl. Drei Bücher mit Kurzgeschichten sind erschienen bevor der erste Teil einer Trilogie bei Rowohlt herausgegeben wurde. Mit "Es war einmal Indianerland" gewann er 2012 den Deutschen Jugendliteraturpreis und sogleich das Kranichsteiner Stipendium.
    Ein Jugendroman, angesiedelt in einem realistischen Milieu, das der gebürtige Hamburger, Jahrgang 1971 aus Kindheit und Jugend kennt.
    Finger weg vom Jugendroman war eigentlich Ihre Devise damals, Nils Mohl. Sie hatten Angst, von den Kollegen der Belletristik nicht mehr ernst genommen zu werden. Die Trilogie ist beendet, der dritte Roman "Mogel" gerade erschienen, im Februar auf den Besten 7, der Bestenliste des Deutschlandfunk. Wie ist jetzt das Leben als Jugendbuchautor?
    Nils Mohl: Das große Geheimnis ist, das man sagt, man schreibt keine Jugendliteratur, dann wird man von denen, die sich mit Jugendliteratur beschäftigen, wenigstens gemocht.
    Wegmann: Nur von denen oder auch von den anderen?
    Mohl: Bei den anderen ist es immer noch schwierig, da gibt es deutliche Berührungsängste. Andererseits ist es natürlich so, wenn man weiß, dass jemand Jugendliteratur schreibt, dann kann man leicht darüber hinweggehen. So in der Art wie: Muss mich nicht interessieren.
    Wegmann: Was unterscheidet für Sie den Jugendroman von der Prosa der Kollegen?
    Mohl: Für mich ist das kein großer Unterschied. Ich schreib ja Romane, der Verlag macht dann Jugendbücher daraus. Und ich arbeite an diesen Romanen genauso ernsthaft, wie ich an anderen arbeiten würde. Behaupte ich jetzt mal.
    Wegmann: Gibt es Jugendbuchautoren, die Sie jetzt für sich entdeckt haben?
    Mohl: Feldrecherche betrieben
    Mohl: Ich hab auf jeden Fall Feldrecherche betrieben. Und was wirklich toll ist, dass ich Sachen entdeckt habe, die ich sonst nicht gelesen hätte. Das ist jetzt für Leute, die sich mit Jugendliteratur beschäftigen nichts Außergewöhnliches. Tamara Bach ist toll. Wolfgang Herrndorf hat tolle Jugendromane geschrieben. Es werden aber auch ganz viele Romane veröffentlicht, die sich mit dem gleichen Thema, dem Thema des Erwachsenwerdens beschäftigen, die nicht unbedingt in Jugenbuchprogrammen erscheinen und die ganz toll sind. Und man hat dann ein Auge für das Thema und es ist schon interessant, in wie vielen Facetten das behandelt wird. Auch außerhalb der Szene sozusagen.
    Wegmann: Jetzt haben Sie Wolfgang Herrndorf genannt. Herrndorf war ja auch kein erklärter Jugendbuchautor. Er ist ja auch mehr oder weniger vereinnahmt worden von der Jugendliteratur, da er jugendliche Protagonisten hatte. Erschienen ist er im Erwachsenenprogramm bei Rowohlt.
    Die Trilogie, die Sie geschrieben haben, spielt in einem sozialen Brennpunkt zwischen Hochhäusern, mit einer Gang und verschiedenen Einzelcharakteren. Einige Figuren tauchen in allen drei Teilen auf. Verbindendes Element ist der Handlungsort, im Mittelpunkt stehen ein oder zwei Erzählerfiguren.
    Formal haben Sie vor allem den ersten Teil "Es war einmal Indianerland" stark auseinander genommen. Nach dem Muster eines medialen Laufwerks, auf dem man nach Belieben spulen kann, jeden beliebigen Track auswählen kann, springen Sie vor und zurück zwischen Kapiteln und Szenen. Und in der Zeit, die insgesamt cirka zwei Wochen umfasst. Das heißt, es werden Dinge angedeutet, die erst später ausgeführt oder erklärt werden. Zeitungsartikel werden eingefügt. Das Tempo ist schnell, knappe Sätze, viele Dialogpassagen. Dieses Puzzle muss man sich als Leser regelrecht erarbeiten, zumal der Ich-Erzähler auch noch mit einem Alter Ego im Dialog steht. Eine Herausforderung. Worin bestand der Reiz, eine solch kompliziert komplexe Verschachtelung zu bauen?
    Mohl: Ich finde, dass es beim Lesen wie im richtigen Leben ist. Ob man jetzt Sport treibt oder wie auch immer, je mehr Arbeit man investieren muss, um so größer ist die Belohnung am Ende. Das gilt für mich beim Schreiben, aber ich hoffe auch für die Leser. Die Gefahr besteht natürlich, dass man nach den ersten Seiten keine Lust mehr hat, weiterzulesen, aber das Risiko geht man als Autor ein. Und am Ende wird man schon belohnt, wenn man diese Arbeit macht und mit dem Autor mitgeht und das Gefühl hat, das muss so sein. Und bei "Indianerland" war es so, dass ein Jugendlicher ein Leben, das auseinandergefallen ist wie ein Puzzle, wieder zusammenzusetzen versucht. Ich habe mich nicht hingesetzt und habe gedacht, ich schreib jetzt mal was, was schwer zu lesen ist, sondern wie kann man die Geschichte erzählen, die ich erzählen wollte.
    Wegmann: Sie haben es schon angedeutet: Es geht in "Indianerland" um einen 17-Jährigen, der in pubertärer Unsicherheit sich von zwei Mädchen angezogen fühlt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Dabei reizt ihn die eine in doppelter Hinsicht, während ihm die andere deutlich ihre Zuneigung zeigt. Dazu kommt, dass sein Vater gerade seine Stiefmutter im Affekt umgebracht hat und auf der Flucht ist. Eine Tat, zu der der Erzähler eine starke emotionale Distanz hält. Somit ist der Roman eine Auseinandersetzung mit der Liebe und ihrer Unerklärbarkeit, mit der Selbstfindung und mit der Frage, wie viel man von den Eltern geerbt hat. Was war das zentrale Motiv?
    Mohl: Liebe in ihren verschiedenen Facetten
    Mohl: Schon die Liebe in ihren verschiedenen Facetten. Was mir aufgefallen ist, was mich als Jugendlicher stark mitgenommen hat, oder was Erkenntnisse waren, die im Rückblick stark gewirkt haben: Dass es einen starken Unterschied gibt, ob man für jemanden schwärmt oder sich für jemanden öffnet. Das kann man im Roman jetzt viel schöner darstellen, als ich das stotternd am Mikrofon tue. Also die Frage, was ist der Unterschied zwischen Schwärmerei und wirklicher Zuneigung. Das war einer der Leitgedanken. Darüber hinaus gibt es ganz viele Abstufungen, was dieses Miteinander von Menschen von Erwachsenwerden ausmacht. Gerade beim Thema Liebe. Da gehört natürlich die Liebe zu den Eltern ganz stark dazu, weil die nämlich ausmacht, welche Möglichkeiten man hat, anderen entgegen zu treten.
    Wegmann: Kommen wir zum zweiten Teil der Trilogie: Der Roman "Stadtrandritter" beginnt mit drei Trailern, die die Protagonisten fokussieren, auch hier ein Mann zwischen zwei Frauen, auch hier eine Tote. Außerdem Making-Of-Szenen, Bonusmaterial, vor- und zurückspringende Kapitel, insgesamt liest sich der zweite Teil chronologischer, ist weniger verschachtelt, hat das einen Grund?
    Mohl: Es ging wieder um die Geschichte an sich. Es geht um das Thema Glaube. Ich dachte, wenn man schon über das Erwachsenwerden schreibt, dann kann man auch groß ansetzen: Liebe-Glaube-Hoffnung war die Idee. Und beim Thema Glauben ging es nicht so sehr darum, das religiös aufzufächern. Glauben kann ja genau unterschiedliche Formen annehmen. Mir ging es um die Frage, was zum Thema Glauben alles dazu gehört. Und das ist ja letztlich auch eine sehr literarische Frage. Denn der Vertrag zwischen Leser und Autor geht auch über den Glauben. In diesem Fall wollte ich dann eine Geschichte erzählen, die das auch nachvollziehbar macht für den Leser. Es geht schon damit los, dass sehr unklar ist, wer erzählt. Es gibt zwei Hauptfiguren, Merle und Silvester, die etwa gleich alt sind. Und man kann den Roman so lesen, dass die eine Figur sich überlegt, wie es im Kopf des anderen zugeht und umgekehrt. Und es bleibt bis zum Schluss unklar, wer in wessen Kopf hineinschlüpft, da hat jeder Leser die Freiheit, auch zu glauben, was er gerne möchte. Das war eine entscheidenende Sache. Und weil die ganzen Ereignisse auf eine Katastrophe zusteuern, von der man auch nicht weiß, wer der Auslöser ist, musste ziemlich weit ausgeholt werden, dachte ich, so das am Ende 700 Seiten entstanden sind. Und da ist die Möglichkeit von Verschachtelung schon deutlich schwieriger als auf einem deutlich kleineren Raum, wo man ohne Papier und Bleistift noch hinterherkommt.
    Wegmann: Der Roman spielt mit Elementen der Ritterzeit, mit den Elementen des Ritterepos. Er gliedert sich in Aventiuren, Abenteuer, die der Held bestehen muss - kennt man aus dem Artusroman, die Bewährungsproben. Das Mädchen heißt Merle von Aue (Hartmann von Aue), Parzival und die höfische Gesellschaft klingen an. Warum die Bezüge zum mittelalterlichen Ritterambiente?
    Mohl: Wahrscheinlich wollte ich, dass mein Germanistikstudium sich mal auszahlt. Dazu gehörte auch mittelalterliche Literatur. Damals erschien mir das sehr weit weg von der Lebenswirklichkeit. Aber beim Schreiben dieses Romans dachte ich, es gibt tasächlich doch viele Dinge, die bis heute noch Thema sein können. Und ich habe versucht, das für die Germanisten unter uns hineinzuarbeiten. Genau das hat ungeheuer Spaß gebracht, darüber nachzudenken und es einzuarbeiten in den Roman.
    Wegmann: In dem Roman geht es auch um Trauer und an dieses Thema koppeln sich Fragen nach dem Sinn des Lebens, der Frage nach dem gerechten Gott, nach dem Warum, nach dem Halt in einer Gemeinschaft. Was bedeuten Ihnen Religion und Kirche?
    Mohl: Auseinandersetzung mit dem Glauben
    Mohl: Das ist die Gretchenfrage. Es ist mir beim Schreiben aufgefallen, dass diese Frage deutlich aktueller wird, je älter man wird. Nicht dass man denkt, man bräuchte dringend einen Gott, zu dem man sprechen könnte oder von dem man Antworten erhofft. Aber es wird einem klar, dass die Erziehung, die man genossen hat, einen weiter trägt und weiter beschäftigt als man denkt. In meinem Fall, ich bin in Hamburg groß geworden, in einem Umfeld, in dem Religion keine große Rolle gespielt hat. Nichtsdestotrotz bin ich getauft, bin zum Konfirmantenunterricht gegangen und ich habe als Jugendgruppenleiter in einer Kirchengemeinde gearbeitet. Das waren damals eher praktische Gründe. Wenn man Jugendgruppenleiter war, dann ist man auf Ausfahrten gegangen und hatte die Möglichkeiten, von zu Hause weg zu sein übers Wochenende. Das waren auch alles sehr feucht-fröhliche Veranstaltungen, die während des Jungseins ihre Funktion hatten. Dass der Glaube, die Religion, dennoch seine Spuren hinterlässt, das merkt man erst im Laufe seines Lebens. Und die Frage, woran können wir glauben, ist eine, die einen das ganze Erwachsenenleben weiter beschäftigt. Und man muss sich entscheiden. Und die Protestanten entscheiden sich gerne für Arbeit als Sinn des Lebens. Das sind Sachen, die spielen im Roman keine große Rolle auf der Oberfläche, aber um die Figuren zu verstehen, zu verstehen, wo das herkommt, war es wahnsinnig interessant, darüber noch mal nachzudenken.
    Wegmann: In den beiden ersten Teilen geht es um das, was den Eintritt ins Erwachsendasein ausmacht. Diese Phase der Selbstsuche und Selbstfindung geht einher mit Angst, Neugierde und Ablehnung.
    In "Indianerland" will der Erzähler nicht so werden wie die Erwachsenen, die funktionieren, oder wie sein Vater, der sein Leben nicht in den Griff kriegt. Er will sein Leben anders leben. In "Stadtrandritter" heißt es, dass die erste Konfrontation mit dem Tod als junger Mensch der definitive Schritt ins Erwachsenenleben ist. Wie war Ihr erster Schritt in die Erwachsenenwelt, Nils Mohl?
    Mohl: Mein erster Tod. Ich erinnere mich, ich muss 16 Jahre gewesen sein, da ist mein Großvater gestorben. Und dann tauchen Fragen auf: Was wird jetzt aus dem Großvater? Und es ist klar, dass die kindlichen Erklärungsmuster nicht mehr greifen. Aber was bleibt trotzdem, das hat mich stark beschäftigt. Und die Frage, ob jemand lebendig bleibt, wenn er in der Erinnerung von jemandem lebt, das fand ich sehr beruhigend. Zur gleichen Zeit entwickelte sich die Idee des Geschichtenerzählens, die Idee Schriftsteller zu werden. Ich glaube schon, dass das eine Menge miteinander zu tun hat, dieser Moment, in dem klar wird, dass alles irgendwann endet. Das klingt fürchterlich, wenn man das so vor sich hinspricht, weil es so eine Selbstverständlichkeit ist und der Schock für alle immer gleich ist und seinen Schrecken etwas verliert, wenn man es so gerade heraussagt. Aber ich glaube, das begleitet einen auch ein Leben lang weiter. Das erste Mal zu spüren, dass es passiert, war schon erschreckend. Und das war mit 16 Jahren bei mir das erste Mal der Fall.
    Wegmann: "Mogel" heißt der dritte Teil.
    Mohl: Der Titel ist sozusagen dazwischengemogelt. Es ist der zweieinhalbste Teil. Der dritte folgt erst noch, das werden dann die Astronauten.
    Wegmann: Was ist wahr, was ist Fassade, was ist Lüge – darum geht es in "Mogel". Der Erzähler Miguel, 15 Jahre alt, ist mit den Eltern aus der Hochhaussiedlung ins Reihenhaus gezogen, die Kumpels kommen zum ersten mal zu Besuch. Miguel kämpft in dieser Nacht um die Anerkennung in der Freundesgruppe. Als die Jungs merken, dass sie den ganzen Abend alkoholfreies Bier getrunken haben, strafen sie Miguel: Er muss den Rest der Nacht in Mädchenkleidern herumlaufen. Zuerst an der Tankstelle Bier holen, dann weiter in die Disco. Dass er sich ausgerechnet als Mädchen - als Mogelpackung - mit der attraktiven Candy anfreundet, die ihn um Hilfe bittet, weil ihr Ex sie mit Nacktfotos erpresst, bringt am Ende der Nacht noch mal Brisanz und Gefahr. Dass es nicht nur um das alkoholfreie Bier geht, sondern Miguel vielmehr getestet wird, ob man noch auf ihn zählen kann, das haben Sie in den Dialogen wunderbar und sensibel herausgearbeitet.
    Auch hier eine nicht-chronologische Dramaturgie. Sie haben vier oder fünf Szenen aus dem Kontext gelöst und nach vorne gezogen. Hat sich das nachher ergeben oder war das so geplant?
    Mohl: Bewusste Entscheidung für die Struktur
    Mohl: Also, als ich wusste, dass die Geschichte darauf hinausläuft, dass ein Junge als Mädchen verkleidet herumlaufen muss, habe ich überlegt, wo ich damit anfangen kann. Ich wollte einerseits, dass man von Anfang an glaubt, dass das möglich ist, andererseits habe ich befürchtet, dass man im Klappentext schon einen Teil der Geschichte zwangsläufig verrät , das heißt, wenn man vorne angefangen hätte, hätte man einen Moment warten müssen bis zu dieser Szene, wo die Verwandlung stattfindet. Das fand ich ein wenig unredlich und auch gefährlich, weil man denkt: Aha, das ist der Gag. Und das ist es eben nicht. Das muss einfach funktionieren und deswegen hatte ich Spaß, mit der Situation einzusteigen, ob der Junge als Mädchen bei gleißendem Tankstellenlicht funktioniert oder nicht.
    Wegmann: Das hören wir uns jetzt an. Es liest Nils Mohl den Anfang seines neuen Romans "Mogel".
    LESUNG
    Wegmann: Nils Mohl las aus seinem Roman "Mogel". Nun haben Sie es selber vorhin gesagt: Die Trilogie war durch drei Oberbegriffe gekennzeichnet: Liebe-Glaube-Hoffnung. Indianern, Rittern, Astronauten. Wenn Sie nun sagen, "Mogel" ist der zweieinhalbe Teil, dann muss ich mich nicht wundern, dass ich keine Astronauten gefunden habe. Ich habe auch ein bisschen nach der Hoffnung gesucht.
    Aber man kann dennoch etwas finden, dass kennzeichnend ist für die drei Romane: Alle drei männlichen Protagonisten, dass sie aus der Distanz einen neuen Blick auf die eigene Welt entwickeln, der ihnen verhilft, sich und das Leben besser einzuschätzen und sich weiterzuentwickeln. In "Mogel" ist das ganz offensichtlicher durch die Verkleidung und den Rollenwechsel der Blick eines Jungen in die Mädchenwelt.
    Kann man das als übergeordnetes Motiv betrachten: Das Ich entdeckt sich, in dem es sich in einen neuen Bezug zu seiner Umwelt setzt?
    Mohl: Ich glaube schon, dass es zum Erwachsenwerden gehört, dass man eine Grammatik entwickelt, die vom kindlichen Ich-Ich-Ich weggeht. Dafür ist es entscheidend, dass man eine Distanz zu sich bekommt. In der Liebe ist es ganz offensichtlich, dass das Du interessant wird, beim Glauben das Wir. Was die Hoffnung angeht, ist es so, dass man eine Vorstellung entwickelt, wer man gerne einmal sein möchte, egal ob es sich erfüllt oder nicht, dass man zum ersten Mal einen Blick auf sich wirft, in die Zukunft. Ich glaube alle diese drei Dinge finden in Romanen ums Erwachsenenwerden in stärkerer oder geringerer Ausprägung immer statt. In "Mogel" ist es ganz entscheidend, den Wechsel vom Er zum Sie einmal durchzuspielen, um eine Vorstellung zu entwickeln, welches Er man mal sein möchte.
    Wegmann: Man kann ja nicht sagen, dass sie einen Jugendslang gewählt haben. Aber das Tempo, die Verknappung, die schnellen Szenenwechsel wie schnelle Schnitte beim Film entsprechen dem jungen Leser. War der Ton schnell gefunden?
    Mohl: Ton ergab sich aus der Figur
    Mohl: Das gehört zu meinem Job dazu, das bringt natürlich auch riesigen Spaß. Die Herausforderung liegt darin, in fortgeschrittenem Alter, als Kerl, dem die Haare langsam ausfallen, trotzdem glaubwürdig über Petit Fours reden zu können und gleichzeitig den Figuren, die erst 15 Jahre alt sind, gerecht zu werden. Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Ich selber bin beim Lesen nicht der Geduldigste, ich mag ein gewisses Tempo gerne. Das entspricht meiner schriftstellerischen Mentalität. Und den Ton dann zu finden, ich kann das gar nicht genau erklären, das ist das, was am meisten Spaß bringt und was sich am Natürlichsten ergibt aus der Figur heraus.
    Wegmann: Es gibt eine kurze Passage in "Einbahnstraße" bei Walter Benjamin:
    "Achtung Stufen!
    Arbeit an einer guten Prosa hat drei Stufen: Eine musikalische, auf der sie komponiert, eine architektonische, auf der sie gebaut, endlich eine textile, auf der sie gewoben wird."
    Wie arbeitet Nils Mohl?
    Mohl: Ich kenne diese Stelle leider gar nicht, aber ich finde sie großartig. Ich glaube auch an das dreimal Drei des Erzählens. Die drei Ebenen setzen sich dann in der Figur, im Raum und in der Zeit fort, dass sich daraus ein Gebilde gibt, was genau das Teppichmuster hat.
    Wegmann: Nun findet man in zwei Ihrer Romane eine Playlist mit Songs. Und welche Rolle spielt die Musik bei der Komposition, der Architektur oder dem textilen Weben?
    Mohl: Da "Indianerland" viel dem Film verdankt und leider in der Literatur Musik nicht nutzbar ist wie im Film, habe ich mir erlaubt, den Soundtrack abzubilden. Der funktioniert für mich auf verschiedene Art und Weise. Man kann die Musik beim Lesen hören, ich selber mache das nicht, ich höre auch keine Musik beim Schreiben. Aber vor dem Schreiben und nach dem Schreiben schon. Tatsächlich sind es manchmal Textfetzen, Stimmungen oder Geschichten zu den Songs, die mich auf Ideen bringen. Wie wir das alle kennen, dass Musik den Soundtrack zu unserem Leben bildet. Andererseits finde ich es auch immer schön, als Leser, das ist jetzt eine sehr große Hoffnung, dass man über das Lesen hinaus, wenn man Lust hat, noch über den Roman nachzudenken, dass man das über die Musik machen kann, die ich dort vorgeschlagen habe.
    Wegmann: Unsere Sendung geht zu Ende. Herzlichen Dank, dass Sie ins Studio nach Köln gekommen sind. Der Schriftsteller Nils Mohl war heute Gast im Büchermarkt. Wir sprachen über seine Romane:
    • Es war einmal Indianerland
    • Stadtrandritter
    • Mogel
    Alle erschienen im Rowohlt Verlag. Alle für junge und ältere Leser ab 14 Jahre.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.