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Jugendsprache
"Hey, wen interessiert's? Wayne? Ganz toll!"

"Pupertier" ist ein generationsübergreifendes, erfolgreiches Buch von Jan Weiler. Das Pubertier ist die vierzehn-, später fünfzehnjährige Tochter des Erzählers. Jugendliche mögen das Buch, weil sie es lustig finden, die Erwachsenen mögen es, weil sie in der selben Situation sind, wie der Erzähler, sagte Jan Weiler im DLF.

Jan Weiler im Gespräch mit Sandra Hoffmann | 07.11.2014
    Jan Weiler, deutscher Journalist und Buchautor.
    Jan Weiler, deutscher Journalist und Buchautor. (picture-alliance / Erwin Elsner)
    Sandra Hoffmann: Ihr Buch ist eins der erfolgreichsten in diesem Frühjahr. Was meinen Sie, zieht die Menschen an Büchern, wie Ihrem "Pubertier", so sehr an?
    Jan Weiler: Das sind die vielfältigen Möglichkeiten der Identifikation mit den Figuren, die da auftreten. Die Jugendlichen mögen das Buch, weil sie es lustig finden, die Erwachsenen mögen es, weil sie in der selben Situation sind, wie der Erzähler, und die Eltern der Erwachsenen, also die Großelterngeneration mag es auch, um sich halt über die jetzt Erwachsenen ein bisschen lustig machen zu können.
    Hoffmann: Das Pubertier ist die vierzehn-, später fünfzehnjährige Tochter des Erzählers, dem sogenannten Versuchsleiter, die beobachtet wird bei all ihren Verrichtungen. Er nennt das Versuchsanordnung. Manchmal muss man sehr lachen beim Lesen, wie geht das, komisch schreiben?
    Wenn Leute lachen, bleiben ernstere Aspekte besser hängen
    Weiler: Ach das ist, glaube ich, eine stilistische, fast schon formale Entscheidung, wie möchte man die Dinge erzählen. Man kann das auch in Form von Ratgeberliteratur machen, oder ganz tragisch und so, und mein Weg ist eben der, das humoristisch zu erzählen, das ist bei den meisten Sachen so, die ich mache so, und ich halt's für den richtigen Weg, weil man dann Inhalte sehr, sehr gut transportieren kann so. Wenn die Leute das mögen, und sie lachen und sie amüsieren sich, dann bleiben vielleicht die etwas ernsteren Aspekte, die da immer mitschwingen besser hängen.
    Hoffmann: Humoristisch erzählen, sagen Sie so einfach, wie geht das?
    Weiler: Das geht so, dass man versucht, Dinge die jeder schon erlebt hat, so zu erzählen, dass es den Leuten vorkommt, als würden sie etwas Neues hören. Also: So hat das noch keiner erzählt, das ist immer ein bisschen der Versuch. Alles kennen dieselben Situationen und man versucht es eben dann so zu erzählen, dass die Leute sich dar aufgehoben fühlen, aber trotzdem das Gefühl haben, sie würden noch eine neue Pointe, einen neuen Dreh, einen neuen Aspekt in der ganzen Geschichte sehen.
    Das ist ein journalistisches Gebot
    Hoffmann: Kann man über alles schreiben, wenn man es kann, oder kann man nur über das schreiben, was man gut kennt?
    Weiler: Nee, man muss über alles schreiben können, wenn man es kann. Das ist, finde ich, eine Verpflichtung. Das ist fast etwas Berufsmoralisches, dass man sein Talent auch dafür benutzen sollte, auch Dinge auszudrücken, die man nicht kennt, oder die man sich erst erarbeiten muss, oder in man erst rein finden muss, alles andere ist Kitsch, glaube ich. Also man muss sich da schon anstrengen, und sich da reinfühlen, wenn man schon nicht Naturwissenschaft kann, dann muss man eben trotzdem versuchen, sich da reinzubohren, wenn man drüber schreiben muss. Ist übrigens ein journalistisches Gebot. Also man darf sich da nicht drücken, man muss auch über Dinge schreiben können, die einem entweder nicht liegen, oder von denen man vielleicht auch gar nichts versteht.
    Hoffmann: Der Alltag einer Familie als Schatzkästlein für Romane, Kolumnen: Man fragt sich, gibt es da eine Grenze beim Erzählen von privaten Dingen?
    Weiler: Ja, die gibt es. Und zwar die Grenze ist das Persönlichkeitsrecht dieser Figuren, die es ja in Wirklichkeit gibt. Also ich hab zwei Kinder, ich hab eine Frau, ich hab einen italienischen Großvater, aber die sind alle anders als die Figuren in den Büchern und man muss das ganz stark respektieren. Es gibt ja in der Literatur einige Beispiel, wo das Autoren nicht gemacht haben, diese Persönlichkeitsrecht zu respektieren, und das gibt nur Kummer und Tränen, und dieses Recht gibt es nicht ohne Grund. Das heißt, es gibt Kümmernisse, Niederlagen, tiefe Emotionen der wirklich vorhandenen Menschen in meiner Familie, die ich niemals schildern würde, die niemanden was angehen, und die ich selber auch nicht lesen will von mir selber, sondern ich baue alles, was ich da so habe, aus ganz vielen Figuren zusammen, und schreibe das dann einer Person zu, das ist ein ganz einfaches literarisches Prinzip, und damit müssen dann die echte Figuren umgehen können. Meine Tochter kann mit dieser Kunstfigur, Carla, wunderbar umgehen, die sagt immer, die ist nicht wie ich, ich bin mit der total einverstanden, ich gebe den Input, ich erzähle meinem Vater was, damit er das da gebrauchen kann, aber das bin nicht ich. Und diese Grenze wird von mir immer respektiert.
    Nicht immer nur der Kolumnenerzähler sein
    Hoffmann: Sie sind Romanautor und Kolumnenschreiber fürs Radio und für die WELT: Wie unterscheiden sich denn diese beiden Erzähler?
    Weiler: Also der Erzähler in den Kolumnen ist ein mir sehr vertrauter Geschichtenschreiber, der im Prinzip seine Umwelt und sein Leben danach auswertet, was er für diese Kolumne gebrauchen kann. Und die Kolumne ist ja auch nichts anderes, als eine Weiterführung von "Maria ihm schmeckt's nicht" und "Antonio im Wunderland", das sind dieselben handelnden Personen. Also seit über zehn Jahren erzähle ich von dieser halb fiktiven und halb irgendwie zusammengebauten Familie. Das ist der eine Erzähler, das ist aber ein ganz anderer Erzähler als der Romanautor. In "Drachensaat" und in dem Roman, den ich jetzt grade mache, gibt's eine ganz andere Erzählhaltung, da gibt's ganz andere Themen, da gibt's ganz andere Figuren, da gibt's ganz andere Problemstellungen, und das macht großen, großen Spaß, nicht immer dieser Kolumnenerzähler zu sein, sondern sich eben mal ganz anderen Sachen widmen zu können. Ich bin sehr froh, dass ich das machen darf.
    Hoffmann: Reflektiert man sein Alltagsleben mehr und besser, wenn man sich selbst und seine Umfeld, sagen wir mal, obduziert oder dauerobduziert?
    Weiler: Wahrscheinlich ja, man kommt auf jeden Fall manchmal so zu Einsichten. Also ich muss mich wirklich sehr, sehr intensiv mit der Pubertät der Kinder auseinandersetzen, aus beruflichen Gründen, und das öffnet Türen zur eigenen vergangenen Pubertät. Also man versteht da also doch besser, was da gerade passiert, und ich denke da wirklich viel darüber nach, versuche das ins Verhältnis zu setzen zu meinem eigenen Leben und weil ich das eben beruflich mache, und nicht nur in meiner Freizeit, verbringe ich damit eben mehr Zeit als andere Eltern.
    Hoffmann: Man erlernt mit Ihnen zusammen die Sprache der Pubertiere, beim Lesen. Ist diese Sprache, wenn man sie benutzt, eine eigene Sprache geworden, oder ist das nur Nachahmung?
    Weiler: Ja, wenn ich es mache, ist es nur Nachahmung. Es steht mir auch gar nicht zu. Das war in meiner Jugend aber auch schon so: Jugendsprache ist Jugendsprache, und Jugendsprache ist enorm kreativ und vielfältig, ich finde das großartig. Und ich sammle das halt, und gebe es zwar wieder, aber immer in dem Wissen, dass es mir nicht zusteht, und meine Tochter verdreht sofort die Augen, wenn ich es benutze, aber manche Sachen gefallen mir so wahnsinnig gut, sie sagt zum Beispiel häufig "wayne," wie der englische Vorname Wayne - also: w, a y, n, e -. Wenn ich irgendetwas sage, dann sagt sie "wayne".
    Hoffmann: Und was bedeutet das?
    Weiler: Das bedeutet auf Deutsch: Wen interessiert das? Früher hat sie gesagt: Erzähl es meiner Hand. Heute sagt sie „wayne". Und das finde ich großartig. Ich finde das eine wahnsinnig schöne kreative Verknappung dieses jugendlichen Ablehnens: Hey, wen interessiert's? Wayne? Ganz toll
    Jan Weiler: "Das Pubertier" (Rowohlt)