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Julia Ebner
"Wut. Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen"

Die Extremismusexpertin Julia Ebner führt in ihrem aktuellen Buch aus, wie sich die Radikalisierung von Islamisten und Rechtsextremen bedingt. Die Autorin sieht darin eine wachsende Gefahr für demokratische Gesellschaften.

Von Ralph Gerstenberg | 06.08.2018
    Hintergrundbild: Julia Ebner bei der Aufzeichnung der ZDF-Talkshow Markus Lanz in Hamburg, 27.03.2018.Vordergrund: Buchcover.
    Ein besorgniserregender Überblick über einen globalen Prozess der Radikalisierung (imago/Future Image & Theiss Verlag)
    "Wut" klingt gut, doch der Titel des Buches von Julia Ebner ist eigentlich eine Verkürzung. Denn genauso geht es darin um Angst, zum Beispiel vor Überfremdung, die gezielt geschürt wird, und um Hass - gegen alles, was nicht einem bestimmten Weltbild entspricht. Dieses Weltbild kann sowohl einer islamistischen als auch einer rechtsextremistischen Ideologie entspringen. Während die einen sich gegen eine "Islamisierung des Westens" in Stellung bringen, kämpfen die anderen gegen eine "Verwestlichung des Islam". Das führe zu einer "wechselseitigen Radikalisierung" - ein durchaus bekanntes Phänomen, mit dem sich bislang allerdings kaum jemand ernsthaft auseinandergesetzt habe, meint Julia Ebner.
    "Während Parallelen zwischen Propaganda und den Mobilisierungsstrategien von Rechtsextremisten und islamistischen Extremisten eingehend untersucht worden sind, wurde ihre Interaktion bislang kaum erforscht. Wissenschaftler und Expertenkommissionen stimmen darin überein, dass wir die wechselseitige Radikalisierung sowie ihre konkreten Erscheinungsformen und Bedingungen besser verstehen müssen, um praktische Schlussfolgerungen und politische Empfehlungen daraus ableiten zu können."
    Polarisierung durch gezielte Provokationen
    Und genau dazu will Julia Ebner mit ihrem Buch einen Beitrag leisten. Schließlich bildeten Rechtsextreme und Islamisten zwei Seiten derselben Medaille. Um beide Seiten zu ergründen, mischt sich die couragierte Autorin undercover unter britische Anti-Islam-Demonstranten und besucht eine Konferenz von Dschihad-Befürwortern, diskutiert on- und offline mit IS-Unterstützern und PEGIDA-Anhängern.
    "Es ist genau das eingetroffen, worauf Dschihadisten in ihren Privatchats spekulierten: eine zunehmend gespaltene Bevölkerung, die es ihnen leicht macht, die verschiedenen demokratisch legitimierten Akteure gegeneinander auszuspielen und den politischen Diskurs zu bestimmen. In meinen Gesprächen mit Extremisten in rechtsradikalen Foren erkannte ich, dass das Drehbuch der Rechtsextremen dem der Islamisten erstaunlich ähnlich ist. Beiden ging und geht es darum, durch kontrollierte Provokation und strategische Polarisierung das selbstzerstörerische Potenzial der Gesellschaft freizusetzen, sodass sie letztendlich freie Bahn haben, um ihr eigenes radikales Modell zu etablieren."
    Im "Zeitalter der Wut", in dem wir nach Ansicht von Julia Ebner derzeit leben, will die Autorin kein Öl ins Feuer schütten, sondern zeigen, dass Extremismus eines der gegenwärtigen Hauptprobleme ist, weil er "unseren Planeten zu einem immer gefährlicheren Ort" macht.
    Beschreibung statt Beurteilung
    Deshalb wolle sie Extremisten, die sie unter Aktivisten und Politikern ebenso wie unter Journalisten angetroffen hat, in ihrem Buch nur durch ihre Handlungen definieren, nicht durch ihren Charakter.
    "Tatsächlich waren einige Extremisten, mit denen ich sprach, sympathischer und freundlicher als der Durchschnittsbürger, dem ich vielleicht in der Londoner U-Bahn begegnete. Weil Extremismus stets mit der Entmenschlichung von Menschen anfängt, werde ich mein Möglichstes tun, um nicht in dieselbe Falle zu tappen, und stattdessen bestrebt sein, jede einzelne Person als menschliches Wesen mit guten und schlechten Eigenschaften darzustellen."
    Da ist zum Beispiel Andreas, der zum aktiven Pegidisten wurde, weil er das Gefühl hatte, dass ihn Lobbyisten und Politiker nach zwei Weltkriegen und 40 Jahren DDR wieder "für dumm verkaufen" würden, das Geld nur "in Ausländer und ausländische Infrastruktur" investierten, während es mit den "eigenen Leuten" den Bach runterginge. In einem kurzen Dialog mit Andreas zeigt Julia Ebner, wie extreme Ideologien greifen und so aus einem sächsischen Postangestellten einen Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes machen, der Parolen nachplappert und gegen die Lügenpresse wettert:
    "Wissen Sie, die einzigen Meldungen, denen ich heutzutage noch traue, sind die, die der DFB herausgibt. Alle anderen Nachrichten sind nur Interpretationen von Ereignissen. Ich weiß nicht, was ich noch glauben soll. Und genau das ist es, was die Leute in erster Linie auf die Straße treibt."
    Besorgniserregender Überblick zum Phänomen Radikalisierung
    Es gibt nicht viele Passagen in Julia Ebners Buch, die so treffsicher und knapp zeigen, wie sich extremistisches Denken manifestiert. Oft holt die Autorin ein wenig zu weit aus, erklärt, erläutert - erst eine "kurze Geschichte islamistischer Ideen", dann ein Kapitel zur "neuen rechtsextremen Welle". Dabei schreibt sie doch selbst in ihrem Abriss über die Geschichten und Mythen, die zum Narrativ extremistischer Ideologien werden:
    "'Gute Geschichten erzählen nicht, sie zeigen', lautet die erste Regel beim Schreiben."
    Auch wenn Julia Ebner diese Regel in ihrem Buch nicht immer beherzigt, bietet sie darin doch einen besorgniserregenden Überblick über einen globalen Prozess der Radikalisierung, in dem sich Feindbilder verfestigen und die Brutalität und menschenverachtende Haltung der einen Seite zur Rechtfertigung von Hass und Gewalt der anderen werden. Ein Teufelskreis, der nur durchbrochen werden könne, wenn die liberale Mitte gestärkt, Politiker die Wie-du-mir-so-ich-dir-Regeln nicht mitspielen und die Medien dem Schwarz-Weiß-Denken der Extremisten Geschichten entgegen stellen, die "nicht Gesellschaften in gegnerische Lager spalten". Es sind die guten alten Werte der Aufklärung und des Humanismus, die Julia Ebner am Ende beschwört: Dialog statt Konfrontation, Solidarität statt Hass. Es ist das tausendmal Gesagte, das laut Brecht, immer wieder gesagt werden müsse, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde.
    Julia Ebner: "Wut. Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen",
    Theiss Verlag, 290 Seiten, 19,95 Euro.