Die Erklärungen der Untersuchungskommission des internationalen Verbandes im Kampf gegen das flächendeckende Doping in Russland waren unverblümt und eindeutig. Leichtathleten des Landes bleiben bis auf Weiteres gesperrt. Was bedeutet: Die Teilnahme bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro ist ihnen verwehrt. Abgesehen von wenigen Ausnahmen, wie der Norweger Rune Andersen, der Chef der Taskforce, auf der Pressekonferenz vor einer Woche in Wien sagte.
Jeder Athlet, der einen außergewöhnlichen Beitrag zum Kampf gegen Doping im Sport geleistet hat, sei als Ausnahmefall zu betrachten. Er nannte einen Namen ausdrücklich: Der Fall von Julia Stepanowa solle auf jeden Fall wohlwollend bewertet werden, sagte Andersen und fügte hinzu: Das habe der IAAF-Vorstand einstimmig so beschlossen.
"Ich freue mich erst, wenn ich die Dokumente habe"
Theoretisch klang das nach einer klaren Sache. Doch anders als so mancher, der die Pressekonferenz in Wien verfolgt hatte, reagierte die Hauptbetroffene Julia Stepanowa nicht so wie das mancher erwartet hatte. Die 800-Meter-Läuferin, die das staatlich geförderte Dopingsystem in Russland im Rahmen einer ARD-Dokumentation enthüllt hatte, war skeptisch. Und das sagte sie auch der ARD-Sportschau am selben Tag in einem Interview:
"Das heißt nur ‘vielleicht’, nicht ‘garantiert’. Ich werde mich erst freuen, wenn ich die entsprechenden Dokumente habe. Noch bin ich gesperrt und kann nicht starten.”
Der Vorbehalt war begründet. Auch wenn jemand wie Beckie Scott, die Vorsitzende der Athletenkommission der Welt-Anti-Dopingagentur WADA unterstrich:
"Wahrscheinlich hat niemand in der gesamten Sportgeschichte einen solchen Beitrag zur Dopingbekämpfung und für einen sauberen Sport geleistet wie sie. Sie ist ein spezieller Fall und sollte auch so behandelt werden.”
In Russland gilt Stepanowa noch als Verräterin
Offensichtlich nicht speziell genug für den deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach. Der fand nur wenige Tage später durchaus einen Weg, um einerseits die IAAF ins Leere laufen zu lassen. Und um gleichzeitig die Whistleblowerin zu einer persona non grata zu erklären. Alle russischen Leichtathleten, die von der IAAF für Rio zugelassen werden – also auch Julia Stepanowa – sollen nach Bachs Willen in Rio unter russischer Fahne antreten.
Mit einer Besonderheit: Wer das sein darf, das soll tatsächlich niemand anderer als das russische NOK entscheiden. Und natürlich denkt man in Moskau derzeit nicht im Traum daran, Julia Stepanowa zuzulassen. Sie gilt in ihrer Heimat noch immer als Verräterin.
"Der Zirkus im russischen Sport geht weiter"
Kein Problem für Bach, nach außen hin ein Dopinggegner, aber erklärtermaßen auch ein Freund von Wladimir Putin, und jemand, der bereit scheint, auf dem geopolitischen Schachbrett des Sports notfalls die taktische Variante "Bauernopfer” einzusetzen. Alexander Schukow, Präsident des russischen NOK, sah sich bereits von Bach ermutigt. Stepanowa eine Starterlaubnis zu geben, sei eine "extreme Ungerechtigkeit und Beleidigung” für – man muss sich kurz festhalten - alle sauberen russischen Athleten.
Eine aktuelle Reaktion zu dieser Entwicklung war von den Stepanows nicht zu bekommen. "Öffentlich wollen wir in dieser Woche lieber gar nichts sagen”, schrieb Ehemann Witali dem Deutschlandfunk in einer kurzen Mitteilung und bat um Verständnis für die Zurückhaltung.
Zum weiteren Tauziehen können die beiden ohnehin nicht viel beitragen. Zumal Witali Stepanow das Grundproblem schon vor einer Woche deutlich herausgearbeitet hatte:
"Der Zirkus im russischen Sport geht weiter. Dieselben korrupten Offiziellen im Sportministerium, die das Dopingprogramm organisiert haben, behaupten nun, sie kümmern sich darum, den Sport zu säubern. So funktioniert das aus meiner Sicht nicht. Sie müssten ihre Fehler zugeben und bestraft werden.”
WADA würde Sanktionen mittragen
Tatsächlich gehen Kenner der Verhältnisse inzwischen davon aus, dass der von der WADA in Auftrag gegebene Untersuchungsbericht über die Verhältnisse im Dopinglabor der Winterspiele 2014 in Sotchi zu einer ähnlichen Schlussfolgerung kommen wird. Der Report des kanadischen Jura-Professors Richard McLaren wird am 15. Juli, zwei Wochen vor Beginn der Spiele von Rio präsentiert.
Selbst der für seine Spagat-Aktionen bekannte WADA-Präsident Craig Reedie ist inzwischen bereit, zu demonstrieren, dass es um ein Großreinemachen geht und würde weiterreichende Sanktionen wohl mittragen. Das deutete der Engländer in dieser Woche bei einem WADA Symposium in London an. Es wäre eine gute Gelegenheit, um ein anderes Thema zu forcieren: Die WADA braucht mehr Geld für ihre Arbeit. Doch gleichzeitig gibt es Gegenwind in den USA. Dort wollen Politiker wissen, was man im internationalen Anti-Dopingkampf eigentlich mit dem Millionen-Anteil macht, der aus dem amerikanischen Steuerhaushalt kommt.