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Jung, Europäer, arbeitlos

In Italien ist die Zahl der Arbeitslosen im vergangenen Jahr deutlich gefallen. Doch viele Menschen arbeiten mit einem Zeitarbeitsvertrag, bei dem die Arbeitgeber kaum oder keine Sozialabgaben bezahlen. Das soll sich nun mit der neuen Mitte-Links-Regierung unter Romano Prodi ändern. Ein Problem dabei ist die weit verbreitete Schwarzarbeit, Kontrollen gibt es nur selten, die Arbeitssuche ist Geduldssache. Und hat man dann endlich einen Job, wartet man auf Geld und einen Vertrag, so wie Stefania Letta. Unsere Kollegin Alexandra Barone hat Stefania für ein paar Tage begleitet.

16.10.2006
    Es ist Montag 9 Uhr, Stefania Letta geht zum Arbeitsamt. Eine reine Formsache, denn weder bekommt sie Arbeitslosengeld, noch verspricht sie sich Hilfe bei der Suche nach einem neuen Job. Stefania ist seit fünf Jahren arbeitslos, zur Zeit jobbt sie als Kellnerin in einer Kneipe, doch leben kann sie davon kaum. Der Sachbearbeiter des Arbeitsamtes unterstreicht:

    " Das Arbeitsamt sucht keine Arbeit für euch, es vermittelt keine Arbeit. Um Arbeit zu finden, musst du selber suchen oder aber du gehst zu einen der vielen Zeitarbeitsfirmen. Sie finden Arbeit für dich."

    Dabei mangelt es den italienischen Arbeitsämtern weder an Geld noch an Personal. Sie sind in den Augen der Italiener einfach nur überflüssig, seitdem die Regierung die Job-Vermittlung den Zeitarbeitsfirmen anvertraut hat. Diese Firmen sind das Zauberwort in Italien. Doch Stefania schüttelt nur mit dem Kopf. Sie hat dort bereits vor Jahren ihren Lebenslauf abgegeben - bislang ohne sichtbaren Erfolg. Bestätigt wird sie von dem Sachbearbeiter des Arbeitsamts:

    " Es ist schwierig, bei den Zeitarbeitsfirmen eine Arbeit zu finden. Denn deren Kunden fragen normalerweise immer nach den gleichen Personen. Wenn du da also erst einmal hineingekommen bist, dann bleibst du auch drin. Und du findest immer wieder Arbeit."

    Alle anderen müssen leider draußen bleiben. Der Besuch beim Arbeitsamt ist nicht gerade aufbauend. Bei einem Kaffee erzählt Stefania von ihren jetzigen Job in der Kneipe "Baraonda" in Rom:

    " Am Anfang wurde ich pro Tag bezahlt. Bei sechs Stunden Arbeit, und das oft nachts, gab es 25 Euro bar auf die Hand. Wenn ich krank war, gab es nichts. Mittlerweile verdiene ich 800 Euro pro Monat und theoretisch werden Ferien und Krankheit bezahlt. Aber das habe ich noch nicht ausprobiert."

    Ohne Vertrag keine Sozialabgaben, und keine Rente. Einzig die Krankenversicherung ist noch das geringste Problem, da jeder, der in Italien einen Wohnsitz hat sich bei der gesetzlichen Krankenkasse ASL einschreiben kann, Kostenpunkt: 0. Man bekommt einen Familienarzt zugewiesen, der Besuch ist jeweils kostenlos. Für eine Behandlung beim Spezialisten gibt es hingegen keine Zuzahlung. Stefania muss eigentlich dringend zum Zahnarzt. Da sie das Geld dafür nicht hat, sucht sie nach anderen Strategien:

    " Ich möchte einen Vertrag über mindestens sechs Monate. Dann kann mir mein Arbeitgeber im Dezember kündigen. Erst dann hätte ich Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Voraussetzung dafür ist, dass du generell insgesamt zwei Jahre lang Sozialabgaben eingezahlt hast. Den Antrag dafür kann ich im März abgeben. Danach bekomme ich dann einen Scheck: jeweils 30 Prozent von jedem Arbeitstag. Davon kann ich dann den Zahnarzt bezahlen."

    Ganz so schlimm sieht es bei Vittoria Sgroia (Name von der Red. geändert) nicht aus. Sie ist Journalistin und arbeitet beim öffentlich-rechtlichen Fernsehsender RAI. Dort hat sie einen so genannten "contratto a progetto". Einen Vertrag, der an ein Projekt gebunden ist, bei dem aber der Arbeitnehmer die unausgesprochene Pflicht hat, zu den regelmäßigen Bürozeiten zu erscheinen. Der Arbeitgeber hingegen spart die Sozialabgaben für den Arbeitnehmer.

    " Ich habe bis Mai gearbeitet, mit einem Zeitarbeitsvertrag. Dann habe ich bis August eine Sommervertretung übernommen. Zur Zeit bin ich arbeitslos, aber ich warte auf einen Vertrag."
    Vittoria braucht nicht zum Arbeitsamt zu gehen, sie ist in die offiziellen Listen der Journalisten eingeschrieben, so zu sagen ein Arbeitsamt nur für Journalisten. Doch auch für sie ist die Lage nicht gerade rosig. Allein schon in der RAI arbeiten über die Hälfte mit kurzen Arbeitsverträgen. Doch das soll sich nun ändern: Nach Verhandlungen mit der Regierung hat sich die RAI bereit erklärt, einige dieser Zeitarbeitsverträge in unbefristete Verträge zu ändern. Vittoria hat allerdings noch nichts von diesen Veränderungen gespürt:

    " Jedes Mal, wenn ein Vertrag endet, bekomme ich die Rente so zu sagen mit dem Endgehalt überwiesen. Da wir nicht gerade viel verdienen, ist das kein großer Betrag. Es gibt keinen allgemeinen staatlichen Rentenfond, in den ich einzahle. Kollegen von mir haben jetzt eine Extra-Versicherung abgeschlossen, das werde ich jetzt wohl auch tun. Aber mich interessiert in diesem Moment weniger die Rente. Ich denke an jetzt: ich möchte einen richtigen Vertrag, der mir endlich Sicherheit gibt Die Rente ist eine Utopie!"