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Jung, türkisch, arbeitslos?

Nach einer Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen sieht es bei der beruflichen Integration von Migrantenkindern nicht ganz so schlimm aus, wie es manche Medien kolportieren - Probleme gibt es dennoch.

Von Dorothea Jung | 20.05.2010
    Fast jedes dritte Kind in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Aber höchstens acht Prozent der Studierenden an den technischen Hochschulen der Bundesrepublik stammen aus Einwandererfamilien. Das ist nach Meinung von Professor Gerhard Müller für die Ingenieurswissenschaften eine Herausforderung.

    "Wenn wir das Potenzial der Migrantinnen und Migranten nicht erreichen, die Talente nicht identifizieren und nicht in unseren Prozess der industriellen Wertschöpfung einbinden, dass wir aufgrund des demografischen Wandels und auch aufgrund des großen Anteiles von Migrantinnen und Migranten Probleme haben werden, unseren technologischen Fortschritt weiterhin zu sichern."

    Der Professor für Baumechanik an der TU München ist Vorsitzender des Vereins 4Ing und befasst sich in dieser Funktion normalerweise mit aktuellen hochschulpolitischen Themen wie dem Bologna-Prozess. Wer junge Menschen aus Einwandererfamilien zum Ingenieursstudium führen will, muss seiner Meinung nach allerdings langfristiger denken. Als ersten Schritt hat 4Ing eine Studie in Auftrag gegeben. Sie untersucht folgende Frage: Welche Maßnahmen sind nötig, um unter Migrantenkindern technische Talente zu entdecken und zu fördern? Verfasserin der Untersuchung ist die Professorin für Genderstudies in Science and Engineering an der TU München, Susanne Ihsen. Ihr Fazit: früh anfangen und dranbleiben.

    "Die Soziologin sagt 'anhand der Bildungskette'. Und anhand dieser Bildungskette müssen verschiedene Maßnahmen stattfinden. Der wesentliche Punkt ist, in der sogenannten frühkindlichen Bildung - also alles vor sechs Jahre - einen wesentlicheren Fokus auf eine geregelte Sprachentwicklung zu legen."

    Für die Ingenieurswissenschaftler bedeuten die Ergebnisse Folgendes: Lobby-Arbeit zu betreiben für eine intensive Sprachförderung im Kindergarten und für mehr Technik-Fächer an Schulen. Zum anderen fordern sie eine technikspezifische Schulung von Lehrern. Die Pädagogen sollen gerade die non-verbalen technischen Fähigkeiten von Schülern und Schülerinnen besser erfassen und fördern können. Wir Hochschullehrer werden sie dabei aktiv unterstützen, verspricht Gerhard Müller.

    "Dass wir zum Beispiel über Besuch in Schulen, über Mentorenprogramme und dergleichen Unterstützung leisten, was in unseren Kräften steht. Aber unser Hauptappell ist, dass man sich bei uns gesellschaftlich Formate überlegt, dieses nicht-ausgeschöpfte Potenzial zu fördern."

    Es ist davon auszugehen, dass dieses Programm bei Migranten gut ankommen wird. Schon jetzt sehen Ingenieurs-Studierende der TU Berlin gelassen in ihre berufliche Zukunft. Zum Beispiel May Lan und Tschen Kai, deren Eltern aus Vietnam eingewandert sind. Oder Akin und Ferhad, deren Familien aus der Türkei stammen.

    "Ich bin schon zuversichtlich, dass ich später 'nen Job bekomme, dass auch die Chancen gleichberechtigt sind, genauso wie die Chancen von meinen deutschen Kommilitonen.

    Ich denke, dass wir eigentlich alle gleichgestellt sind.

    Ich glaub nicht, dass das so einen großen Unterschied machen wird, wenn ich mich später mal irgendwo bewerben möchte. Aber die Studien sagen was Anderes.
    Wenn ich gut abschneide, dann wird es, glaube ich, kein Vor- oder Nachteil sein, dass mein Migrationshintergrund eine Rolle spielen wird.

    Wenn sich was ergibt, dann flieg ich vielleicht in die Türkei; wenn nicht, dann bleib ich hier."

    Nach einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, werden Hochschulabsolventen mit ausländisch klingenden Namen bei gleicher Qualifikation seltener zum Vorstellungsgespräch eingeladen als Bewerber mit Deutschem Namen. Doch die Ingenieurswissenschaftler des Vereins 4Ing sind sicher: Der drohende Ingenieursmangel wird in Zukunft verhindern, dass Hochschulabsolventen mit Migrationshintergrund diskriminiert werden und ins Ausland abwandern. Und die Wissenschaftler begrüßen ausdrücklich, dass sich die Bundesregierung für einen Eckpunkteplan zur Verbesserung der Anerkennung von Berufsabschlüssen aus dem Ausland entschieden hat.