Sandra Schulz: Und telefonisch verbunden bin ich nun mit Matthias Jung, dem Geschäftsführer der Forschungsgruppe Wahlen. Herr Jung, der Aufschwung komme an bei den Menschen, sagt die Kanzlerin, 90 Prozent der Menschen spürten davon nichts, sagt Gregor Gysi. Wer hat recht?
Matthias Jung: Na, die Menschen spüren schon, dass es zumindest mit der Wirtschaft aufwärts geht und auch, dass sich die Arbeitsmarktlage entspannt. Das kann man daran erkennen, dass die Wichtigkeit des Themas Arbeitslosigkeit in den Umfragen seit Monaten kontinuierlich zurückgeht.
Schulz: Kurt Beck hat jüngst, als es um die Diskussion um die Ausweitung des Arbeitslosengeldes I für Ältere ging, auch explizit taktisches Kalkül in die Diskussion gebracht der SPD mit Blick auf die Umfragewerte. Honorieren die Wähler das, oder wird solch ein Verhalten bestraft?
Jung: Es wird einfach als normales, politisches Geplänkel wahrgenommen und ist von daher relativ neutral. Also die Wähler werden mit Sicherheit durch so eine einzelne Maßnahme, die auch noch so sichtbar ist, in ihrer Meinung nicht so wesentlich beeinflusst. Sie haben eine grundsätzliche, launische Grundzufriedenheit mit der Arbeit der Bundesregierung. Also es ist kein überbordende Begeisterung, aber es ist auch so, dass die Bundesregierung bescheiden positive Beurteilungen eigentlich seit Monaten erfährt, und viel mehr kann man zurzeit angesichts einer wahrnehmbaren Distanz zur Politik und deren Leistungsfähigkeit eigentlich auch nicht erwarten.
Schulz: Eine bescheidende Zustimmung, sagen Sie. Wer der Koalitionspartner profitiert davon denn am meisten?
Jung: Na, die Union ist natürlich signifikant stärker als die SPD in allen Meinungsumfragen seit Monaten. Es hängt natürlich damit zusammen, dass zwar mit das mit der gleichen Augenhöhe theoretisch richtig ist, was die Zahl der Kabinettsmitglieder angeht, aber sie wird natürlich als Bundesregierung schon primär wahrgenommen als eine von einer CDU-Kanzlerin geführte Bundesregierung, und von daher profitiert die Union etwas stärker, wenn das Ansehen der Bundesregierung positiv ist, wenn es umschlägt, kann es natürlich dann auch stärker wiederum die Union im negativen Bereich treffen.
Schulz: Bundeskanzlerin Merkel hat grade in einem Interview mit dem "Stern" gesagt, dass die CDU bei den Wahlen 2009 mindestens 40 Prozent anstrebt. Ist das illusorisch, auch nach dem Ergebnis der letzten Bundestagswahlen?
Jung: Na ja, eine Union, die eine strukturelle Mehrheitsfähigkeit auch behalten will mit einem kleinerem Koalitionspartner und nicht zwingend auf eine Große Koalition angewiesen ist, wird immer eine 40 plus x anstreben müssen, das heißt ja nicht unbedingt, dass sie das als realistisches Wahlziel definiert damit. Aber das muss das Ziel sein, wie übrigens auch von der SPD eigentlich das Wahlziel im 40er Bereich sein muss, sonst bleibt anschließend ja auch nur die Große Koalition unter realistischen Bedingungen übrig oder eben Dreier-Bündnisse, die ja bisher zumindest noch nicht so getestet worden sind, ob sie denn dem politischen Alltag auch standhalten können.
Schulz: Anstreben ist das eine, Merkel kündigt allerdings an, so in diesem "Stern-Interview", jedenfalls auch diese 40 Prozent erreichen zu können. Ist das realistisch?
Jung: Ich glaube, wir haben in den letzten Jahren eigentlich gelernt, dass die Wähler wesentlich mobiler geworden sind. Und von daher kann man seriöserweise aus der Situation des Moments oder auch der Situation des letzten Jahres keineswegs in realistische Prognosen übergehen. Wir haben in den Wahlkämpfen 2002 und 2005 auf Bundesebene erlebt, wie stark sich innerhalb von paar Monaten Stimmungen verändern können, und entscheidend für das Wahlergebnis sind immer mehr die letzten Wochen, der Endspurt eines Wahlkampfes geworden.
Schulz: Blicken wir auf die Generaldebatte heute im Bundestag. Es ist ja jüngst schon Bilanz gezogen worden nach zwei Jahren Großer Koalition. Ist das, was jetzt in Berlin stattfindet, sind das schon die ersten Züge des Wahlkampfes?
Jung: Na, in Deutschland ist ja aufgrund der föderalen Struktur irgendwie immer Wahlkampf, und wir werden natürlich jetzt im Frühjahr nächsten Jahres sehr geballt zwei große Flächenländer, Niedersachsen und Hessen, erleben und anschließend noch mal Hamburg. Da ist natürlich eine gewisse Nervosität dann auf der politischen Bühne zwangsläufig angesagt. Aber ich glaube, die Koalition ist doch entscheidungsfähiger und besser als ihr Image. Wenn wir uns grade mal vergegenwärtigen, dass wir vor Kurzem überhaupt erst mal darüber diskutiert haben, dass eine Veränderung beim Arbeitslosengeld überhaupt stattfinden soll, und wie schnell es dann doch letztlich beschlossen war, und wir auch noch ein paar andere Themen jenseits derjenigen im Bereich Gesundheit und auch Pflege, wo natürlich aufgrund der unterschiedlichen Konzepte nichts geht, sind doch noch ein paar Themen angesagt, zum Beispiel Produktivlohn, bei der es ja durchaus so sein könnte, dass auch im ersten Quartal nächsten Jahres noch Entscheidungen zustande kommen, die jetzt nicht nur mit Stagnation und Blockade beschrieben werden können.
Schulz: Und wie sieht es bei dem Mindestlohn aus? Wer der Koalitionäre kann damit punkten?
Jung: Na ja, Mindestlohn ist immer ein Thema der SPD, das ist gar keine Frage. Es ist ein Thema, was eine sehr breite Unterstützung grundsätzlich erfährt, aber es wissen natürlich auch alle, dass das Wohl und Wehe der Zukunft der Bundesrepublik Deutschland nicht am Mindestlohn hängt, sowohl die politischen Akteure als auch das Publikum, und deshalb werden in der längerfristigen Perspektive Fragen der Arbeitsplatzsicherheit und der ökonomischen Zukunftsfähigkeit der Bundesrepublik dann doch letztlich wichtiger für eine Wahlentscheidung sein als ein solches Thema, was ja vor allen Dingen für Sozialdemokraten auch von großer symbolischer Bedeutung ist.
Schulz: Noch ein Zitat aus der Generaldebatte heute Morgen. Bundeskanzlerin Merkel sagt, "Sanieren, Reformieren, Investieren", das sei der richtige Dreiklang, mit dem wir voranschreiten werden. Ist das eine Ansage, mit der die Kanzlerin den Menschen Angst macht oder Mut?
Jung: Ach, ich glaube, es ist ja ein relativer Allgemeinplatz. Die Frage letztlich ist, in welchen Relationen die stattfindet. Ich glaube, in dieser Allgemeinheit hat eigentlich niemand etwas dagegen. Die Menschen bekommen Mut oder Angst durch konkrete politische Ankündigungen, die sie betreffen. Aus dieser Allgemeinheit wird keine Bedrohung oder keine Begeisterung für eine großen Teil der Bevölkerung resultieren.
Schulz: Einschätzungen von Matthias Jung, dem Geschäftsführer der Forschungsgruppe Wahlen. Vielen Dank Ihnen!
Matthias Jung: Na, die Menschen spüren schon, dass es zumindest mit der Wirtschaft aufwärts geht und auch, dass sich die Arbeitsmarktlage entspannt. Das kann man daran erkennen, dass die Wichtigkeit des Themas Arbeitslosigkeit in den Umfragen seit Monaten kontinuierlich zurückgeht.
Schulz: Kurt Beck hat jüngst, als es um die Diskussion um die Ausweitung des Arbeitslosengeldes I für Ältere ging, auch explizit taktisches Kalkül in die Diskussion gebracht der SPD mit Blick auf die Umfragewerte. Honorieren die Wähler das, oder wird solch ein Verhalten bestraft?
Jung: Es wird einfach als normales, politisches Geplänkel wahrgenommen und ist von daher relativ neutral. Also die Wähler werden mit Sicherheit durch so eine einzelne Maßnahme, die auch noch so sichtbar ist, in ihrer Meinung nicht so wesentlich beeinflusst. Sie haben eine grundsätzliche, launische Grundzufriedenheit mit der Arbeit der Bundesregierung. Also es ist kein überbordende Begeisterung, aber es ist auch so, dass die Bundesregierung bescheiden positive Beurteilungen eigentlich seit Monaten erfährt, und viel mehr kann man zurzeit angesichts einer wahrnehmbaren Distanz zur Politik und deren Leistungsfähigkeit eigentlich auch nicht erwarten.
Schulz: Eine bescheidende Zustimmung, sagen Sie. Wer der Koalitionspartner profitiert davon denn am meisten?
Jung: Na, die Union ist natürlich signifikant stärker als die SPD in allen Meinungsumfragen seit Monaten. Es hängt natürlich damit zusammen, dass zwar mit das mit der gleichen Augenhöhe theoretisch richtig ist, was die Zahl der Kabinettsmitglieder angeht, aber sie wird natürlich als Bundesregierung schon primär wahrgenommen als eine von einer CDU-Kanzlerin geführte Bundesregierung, und von daher profitiert die Union etwas stärker, wenn das Ansehen der Bundesregierung positiv ist, wenn es umschlägt, kann es natürlich dann auch stärker wiederum die Union im negativen Bereich treffen.
Schulz: Bundeskanzlerin Merkel hat grade in einem Interview mit dem "Stern" gesagt, dass die CDU bei den Wahlen 2009 mindestens 40 Prozent anstrebt. Ist das illusorisch, auch nach dem Ergebnis der letzten Bundestagswahlen?
Jung: Na ja, eine Union, die eine strukturelle Mehrheitsfähigkeit auch behalten will mit einem kleinerem Koalitionspartner und nicht zwingend auf eine Große Koalition angewiesen ist, wird immer eine 40 plus x anstreben müssen, das heißt ja nicht unbedingt, dass sie das als realistisches Wahlziel definiert damit. Aber das muss das Ziel sein, wie übrigens auch von der SPD eigentlich das Wahlziel im 40er Bereich sein muss, sonst bleibt anschließend ja auch nur die Große Koalition unter realistischen Bedingungen übrig oder eben Dreier-Bündnisse, die ja bisher zumindest noch nicht so getestet worden sind, ob sie denn dem politischen Alltag auch standhalten können.
Schulz: Anstreben ist das eine, Merkel kündigt allerdings an, so in diesem "Stern-Interview", jedenfalls auch diese 40 Prozent erreichen zu können. Ist das realistisch?
Jung: Ich glaube, wir haben in den letzten Jahren eigentlich gelernt, dass die Wähler wesentlich mobiler geworden sind. Und von daher kann man seriöserweise aus der Situation des Moments oder auch der Situation des letzten Jahres keineswegs in realistische Prognosen übergehen. Wir haben in den Wahlkämpfen 2002 und 2005 auf Bundesebene erlebt, wie stark sich innerhalb von paar Monaten Stimmungen verändern können, und entscheidend für das Wahlergebnis sind immer mehr die letzten Wochen, der Endspurt eines Wahlkampfes geworden.
Schulz: Blicken wir auf die Generaldebatte heute im Bundestag. Es ist ja jüngst schon Bilanz gezogen worden nach zwei Jahren Großer Koalition. Ist das, was jetzt in Berlin stattfindet, sind das schon die ersten Züge des Wahlkampfes?
Jung: Na, in Deutschland ist ja aufgrund der föderalen Struktur irgendwie immer Wahlkampf, und wir werden natürlich jetzt im Frühjahr nächsten Jahres sehr geballt zwei große Flächenländer, Niedersachsen und Hessen, erleben und anschließend noch mal Hamburg. Da ist natürlich eine gewisse Nervosität dann auf der politischen Bühne zwangsläufig angesagt. Aber ich glaube, die Koalition ist doch entscheidungsfähiger und besser als ihr Image. Wenn wir uns grade mal vergegenwärtigen, dass wir vor Kurzem überhaupt erst mal darüber diskutiert haben, dass eine Veränderung beim Arbeitslosengeld überhaupt stattfinden soll, und wie schnell es dann doch letztlich beschlossen war, und wir auch noch ein paar andere Themen jenseits derjenigen im Bereich Gesundheit und auch Pflege, wo natürlich aufgrund der unterschiedlichen Konzepte nichts geht, sind doch noch ein paar Themen angesagt, zum Beispiel Produktivlohn, bei der es ja durchaus so sein könnte, dass auch im ersten Quartal nächsten Jahres noch Entscheidungen zustande kommen, die jetzt nicht nur mit Stagnation und Blockade beschrieben werden können.
Schulz: Und wie sieht es bei dem Mindestlohn aus? Wer der Koalitionäre kann damit punkten?
Jung: Na ja, Mindestlohn ist immer ein Thema der SPD, das ist gar keine Frage. Es ist ein Thema, was eine sehr breite Unterstützung grundsätzlich erfährt, aber es wissen natürlich auch alle, dass das Wohl und Wehe der Zukunft der Bundesrepublik Deutschland nicht am Mindestlohn hängt, sowohl die politischen Akteure als auch das Publikum, und deshalb werden in der längerfristigen Perspektive Fragen der Arbeitsplatzsicherheit und der ökonomischen Zukunftsfähigkeit der Bundesrepublik dann doch letztlich wichtiger für eine Wahlentscheidung sein als ein solches Thema, was ja vor allen Dingen für Sozialdemokraten auch von großer symbolischer Bedeutung ist.
Schulz: Noch ein Zitat aus der Generaldebatte heute Morgen. Bundeskanzlerin Merkel sagt, "Sanieren, Reformieren, Investieren", das sei der richtige Dreiklang, mit dem wir voranschreiten werden. Ist das eine Ansage, mit der die Kanzlerin den Menschen Angst macht oder Mut?
Jung: Ach, ich glaube, es ist ja ein relativer Allgemeinplatz. Die Frage letztlich ist, in welchen Relationen die stattfindet. Ich glaube, in dieser Allgemeinheit hat eigentlich niemand etwas dagegen. Die Menschen bekommen Mut oder Angst durch konkrete politische Ankündigungen, die sie betreffen. Aus dieser Allgemeinheit wird keine Bedrohung oder keine Begeisterung für eine großen Teil der Bevölkerung resultieren.
Schulz: Einschätzungen von Matthias Jung, dem Geschäftsführer der Forschungsgruppe Wahlen. Vielen Dank Ihnen!