Geht es nach der Jugend, ist die AfD die beliebteste Partei in Brandenburg. Bei der U16-Wahl kam sie auf 29,73 Prozent. An der nicht repräsentativen Umfrage haben 4.736 Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren in 43 selbstorganisierten „Wahllokalen“ teilgenommen. Die gemeinnützige Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin "Walter May" (SPI) hat das Projekt koordiniert. Das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport in Brandenburg hat es finanziert und gefördert.
Auch in Sachsen und Thüringen hat die AfD bei den U16-Wahlen die meisten Stimmen geholt: in Sachsen 34,5 Prozent, in Thüringen 37,4 Prozent – mehr als bei den tatsächlichen Landtagswahlen. Auch dort hatte die AfD den größten Zuwachs bei der jüngsten Gruppe erhalten - bei den 18- bis 24-Jährigen. Das ergab eine Erhebung von Infratest dimap. In Sachsen wuchs die Zahl um elf auf 31 Prozent, in Thüringen um 15 auf 38 Prozent.
Und nicht nur in Ostdeutschland konnte die rechtspopulistische Partei bei der Jugend punkten: Laut Trendstudie "Jugend in Deutschland“, die im April 2024 erschien, war die AfD bei den 14- bis 29-Jährigen hierzulande insgesamt die beliebteste Partei. Zwar war die Methodik der Studie umstritten, doch andere Studien kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Woran liegt das? Und was folgt daraus?
Warum ist die AfD bei Jugendlichen erfolgreich?
Laut dem 17. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung (2024) gibt es Hinweise darauf, dass die AfD besonders in ländlichen Gebieten und bei jungen Menschen mit niedrigem Bildungsstand und niedrigem Einkommen erfolgreich ist. Dafür werden verschiedene Ursachen angeben:
- der Abbau sozialer Infrastruktur (u. a. Jugendangebote),
- eine allgemeine Enttäuschung gegenüber politischen Parteien,
- junge Menschen auf explizit ostdeutscher Identitätssuche,
- der Wegzug vieler Menschen und der ‚Frust der Übriggebliebenen‘ sowie die verbreitete Überzeugung von der ‚Freiheit zur rechten Meinung‘.
Wenn junge Wähler von der AfD politisch repräsentiert werden, sehen sie darin eine Anerkennung und Möglichkeit, die eigene Identität und die eigenen Werte zu verteidigen.
Auch jenseits rechtsextremer Gesinnung zeigten viele junge Menschen in Ostdeutschland in den vergangenen Jahren ein neues Interesse daran, sich mit ihrer Identität und der gesellschaftlichen Situation auseinanderzusetzen. Es habe sich ein neues Selbstbewusstsein entwickelt, stolz auf ihre Region und Geschichte zu sein. Die Jugendlichen wollten ihre eigene Identität und Kultur stärken und ihre Zukunft aktiv gestalten.
Allerdings stellt die Mitte-Studie (2023) auch fest: „Höhere Schulbildung und ökonomische Absicherung schützen nicht unmittelbar vor der Anfälligkeit für den Rechtsextremismus“. Antidemokratischen Einstellungen können sich in gesellschaftlichen Krisen oder durch eine mangelnde politische Repräsentation und Teilhabe verstärken.
AfD wirbt auf Social Media um Jugendliche
Hinzu kommt die gezielte Ansprache durch die AfD. In einer Zeit, in der Jugendliche nach Antworten sind, liefern die Populisten der AfD einfache Antworten auf Social Media. Die AfD ist auf TikTok mit Abstand die reichweitenstärkste Partei in Deutschland. Viele der Videos sprechen sehr offensiv junge Männer an, denn etwa zwei Drittel der AfD-Wähler machen Männer aus.
Was wünschen sich Kinder und Jugendliche von der Politik?
Für den Kinder- und Jugendbericht wurden vorhandene Studien ausgewertet und zudem 5.381 junge Menschen befragt. Eines der Ergebnisse: Die meisten jungen Menschen sind mit ihrer Lebenssituation zufrieden, allerdings hat ihr Vertrauen in die Zukunft abgenommen. Kinder und Jugendliche zeigen sich besorgt wegen Krisen wie Kriegen, dem Klimawandel, der globalen Fluchtmigration, den Nachwirkungen der Pandemie, wegen des Fachkräftemangels und des Drucks auf die Demokratie. Sie kritisieren das Bildungssystem als reformbedürftig und fordern, Bildung ganzheitlich zu betrachten und persönliche Entwicklung und gesellschaftliche Integration einzubeziehen.
Viele fühlen sich von der Politik häufig nicht ernst genommen, ihre Anliegen und Interessen würden ignoriert. Sie wünschen sich mehr Möglichkeiten, politische und gesellschaftliche Prozesse mitzugestalten, also effektive Teilhabe. „Entscheidend ist, dass junge Menschen nicht nur als Alibifunktion in Prozesse einbezogen werden, sondern dass ihre Stimmen gehört, respektiert und in Entscheidungsprozesse integriert werden", heißt es in dem Kinder- und Jugendbericht. Dazu könnten beispielsweise Kinder- und Jugendparlamente dienen.
Was fordern Experten und was tut die Politik?
Der Kinder- und Jugendbericht kommt zu dem Schluss, dass mehr Gerechtigkeit und Teilhabe ermöglicht werden soll. „Die Lebensbedingungen junger Menschen sind geprägt von ungleichen Chancen und sozialen Ungleichheiten", heißt es in der Studie. Die Gesellschaft verfüge zwar über ausreichende Ressourcen zur Schaffung gerechter Teilhabe, versäumt es aber, diese Ressourcen so zu verteilen, dass Chancengleichheit entstehen kann. Die Autoren fordern eine starke Kinder- und Jugendhilfe, die zu Vertrauen und gesellschaftlicher Zuversicht beiträgt.
Bundesjugendministerin Lisa Paus (Grüne) verkündete einen "Nationalen Aktionsplan" für verbindliche und wirksame Kinder- und Jugendbeteiligung. Außerdem möchte sie Kinderrechte im Grundgesetz verankern. Doch eine benötigte Zweidrittelmehrheit würde voraussichtlich am Widerstand der Union scheitern.
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