Samstag, 20. April 2024

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Jurist zum Fall Giffey
Rüge statt Doktortitelentzug: "Immerhin eine Sanktion"

Die an Franziska Giffey erteilte Rüge wegen der Fehler in ihrer Doktorarbeit sei "ein gemischtes Signal", sagte der Jurist Gerhard Dannemann im Dlf. Die Verfehlungen würden dadurch zwar sanktioniert - fraglich bleibe aber, ob unter dem politischen Druck andere Maßstäbe angewendet würden.

Gerhard Dannemann im Gespräch mit Stephanie Gebert | 31.10.2019
Ehemalige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, SPD
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey darf ihren Doktortitel behalten (picture alliance / NurPhoto / Emmanuele Contini)
Stephanie Gebert: Bundesfamilienministerin Franziska Giffey bleibt Doktorin der Politikwissenschaft. Die Freie Universität Berlin hat beschlossen, ihr den Titel nicht abzuerkennen, aber die SPD-Politikerin bekommt für die Mängel in ihrer Dissertation eine Rüge. Giffey hatte angekündigt, vom Ministeramt zurückzutreten, wenn sie denn den Doktortitel verliert. Die Überprüfung hat sie selbst angeregt, nachdem ihr vorgeworfen wurde, viele Passagen abgeschrieben zu haben. Einer, der die Fehler öffentlich gemacht hat, ist Gerhard Dannemann, Jurist und Professor an der Humboldt-Universität Berlin. Er ist außerdem Mitarbeiter bei der Internetplattform VroniPlag, die Doktorarbeiten nach Fehlern durchsucht. Schönen guten Tag!
Gerhard Dannemann: Guten Tag!
"Immerhin eine Sanktion"
Gebert: Sie haben schwerwiegende Mängel gefunden in der Arbeit von Ministerin Giffey. Was ist also von der Entscheidung der FU aus Ihrer Sicht zu halten, die die ja ebenfalls bestätigt?
Dannemann: Also ein paar Sachen kann man positiv rausstreichen. Man hat sich offensichtlich intensiv damit befasst, jede einzelne der monierten Stellen sich angeschaut in einem fünfköpfigen Gremium, hat beraten, beschlossen, hat immerhin eine Rüge erteilt – ein bisschen problematisch, weil es dafür keine Rechtsgrundlage gibt, aber immerhin eine Sanktion. Die elektronische Publikation der Doktorarbeit wird auch mit einem entsprechenden Hinweis versehen. Was mich ein bisschen ärgert, ist, dass man da sehr salopp mit ein paar Jahrzehnten Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte umgegangen ist und einige Dinge, die schon seit Langem klar waren, nicht mehr anwendet und einfach zwei Sätze aus einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zitiert, mit dem man sich da sehr viel Spielraum verschaffen will.
"Verquickung von Doktorgradentzug und Rücktritt vom Ministeramt nicht nötig"
Gebert: Wie schwerwiegend wäre denn diese jetzt ausgesprochene Rüge, wenn Frau Giffey im Wissenschaftsbetrieb wäre und nicht in der Politik?
Dannemann: Sie sprechen da einen sehr wichtigen Punkt an. Das ist auch ein Unterschied zum Fall Schavan, der von den Verfehlungen her wahrscheinlich so in einer ähnlichen Größenordnung liegt. Frau Schavan war Wissenschaftsministerin, und sie hat die ganze Zeit gesagt, und sagt übrigens noch heute, dass ihre Arbeit alle wissenschaftlichen Maßstäbe eingehalten hat, was evident unrichtig ist, und Frau Giffey ist Familienministerin. Ich halte also diese Verquickung von Doktorgradentzug und muss zurücktreten vom Ministeramt für politisch eigentlich nicht notwendig. Ich halte es für die Wissenschaft verfehlt. Wenn man diesen Druck nicht auf die FU aufgebaut hätte, wäre möglicherweise die Entscheidung auch anders ausgegangen.
"Eine uneinsichtige Person wäre im Wissenschaftsbetrieb nicht haltbar"
Gebert: Was wäre denn, wenn Frau Giffey im Wissenschaftsbetrieb wäre, und es gäbe jetzt diese Rüge, die eher selten ausgesprochen wird?
Dannemann: Diese Rüge wird deswegen selten ausgesprochen, weil man dafür eine gesetzliche Grundlage braucht. Das hat das Gericht im Fall Schavan festgestellt und gesagt, man kann gar keine Rüge aussprechen, wenn die Promotionsordnung oder eine andere rechtliche Grundlage das nicht vorsieht, und das ist im Fall Giffey nicht so, da gibt es keine solche Grundlage. Was würde passieren, wenn eine Universität sagt, das ist irgendwie ein minderschwerer Fall – ich denke, es kommt, wie es auch im Fall Schavan drauf angekommen wäre, wie steht man dazu als in Wissenschaft tätige Person, sieht man das ein und sagt, so darf man nicht wissenschaftlich arbeiten, oder behauptet man steif und fest, wie Frau Schavan, ich darf das alles, ich habe alles richtig gemacht. Eine Person, die da völlig uneinsichtig ist, wäre im Wissenschaftsbetrieb, auch im politischen Teil der Wissenschaft, nicht haltbar.
Gebert: Sie sagen, die Art der Fehler, die Sie entdeckt haben bei Frau Giffey, ist besonders gefährlich für den Wissenschaftsbetrieb. Erklären Sie noch mal, warum das so ist.
Dannemann: Wenn man stumpf einen Text abschreibt, den jemand anderes verfasst hat, dann eignet man sich eine fremde Leistung an, und das ist sehr unredlich, und es kann auch sogar strafbar sein. Aber noch gefährlicher für die Wissenschaft ist das blinde Abschreiben von Belegen und von Fußnoten, weil sich dann über eine Kette von blinden Zitaten hinweg etwas völlig anderes als richtig entpuppen soll oder darstellen sollen als das, was tatsächlich wissenschaftlich belegbar ist. Das heißt also, die Wissenschaft kann sich nicht mehr falsifizieren, sie gerät außer Kontrolle.
"Es ist ein gemischtes Signal"
Gebert: Und welches Signal geht jetzt aus von dieser Entscheidung der FU an den Wissenschaftsbetrieb?
Dannemann: Das ist ein gemischtes Signal. Also die FU hat jetzt diese Rüge ausgesprochen, damit sie nicht so dasteht als eine Wissenschaftsinstitution, die das so durchgehen lässt einfach, aber die Studenten an der Freien Universität, deren Semesterarbeiten und Seminararbeiten für weitaus geringere Verfehlungen durchfallen, werden sich schon fragen, ob sie da richtig behandelt worden sind oder ob man da vielleicht unter diesem politischen Druck völlig andere Maßstäbe anwendet als man für sie anwenden würde. Es ist ein gemischtes Signal, würde ich mal sagen. Es hat immerhin die Freie Universität gesagt, dass zumindest Teile davon wissenschaftlich so nicht vertretbar sind. Sie hätte das klarer sagen können. Sie hätte auch klarer sagen können, was genau, welche Teile daran nicht ordnungsgemäß waren. Das ist alles sehr vage, was das betrifft.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.