
"Wenn wir Fehler gemacht haben, dann müssen wir uns denen stellen. Aber wir haben in diesem Fall überhaupt nicht den Eindruck, sondern ich habe eher den Eindruck, dass diese Klage weit übers Ziel hinausschießt. Und das kommt häufiger vor."

"Bestimmte Kreise - Verantwortliche oder richtige Missetäter - bleiben dann unbehelligt von missliebiger Berichterstattung, sie müssen sich nicht mehr in der Öffentlichkeit rechtfertigen. Insofern ist es ein Verlust für die Meinungsbildung unserer Gesellschaft."
Bei dem Verfahren in Nürnberg geht es um einen Artikel, der den Kläger in ein schlechtes Licht rückt. Dieser soll demnach auf die Insolvenz seiner eigenen Firma spekuliert haben. Der Unternehmer weist das zurück - und kritisiert dabei auch die journalistische Darstellungsform, wie sein Anwalt Winfried Seibert betont:
"Es war keine Verdachtsberichterstattung. Wenn Sie sich den Bericht in der 'Süddeutschen Zeitung' angucken: Da sind knochentrocken Tatsachen behauptet worden."
Für den Kölner Medienrechtler ist das ein entscheidender Unterschied:
"Wenn sich für den Durchschnittsleser daraus ergibt: Jaja, wir wissen ja, das war so, und das ist ganz schlimm, was der da gemacht hat. Wenn das so ist, dann hat das Justiziariat oder haben die Journalisten einen Fehler gemacht. So einfach ist das."
"Dazu gehört unter anderem nur zu berichten, wenn eine hinreichend objektive Tatsachenbasis vorliegt, also genügend Anhaltspunkte für den Verdacht, über den man berichten will. Zum anderen, dass man nicht vorverurteilt, das Ganze formuliert und sagt, er war’s. Sondern auch sagt, welche Lasten es im Moment gibt. Und ganz wichtig: In dem Zeitpunkt auch die Stellungnahme einzuholen von der Person, die betroffen ist oder von ihrem Anwalt."
Gegen keines dieser Prinzipien sei bei der Entstehung des beklagten Artikels verstoßen worden, unterstreicht Gericke. Der "Süddeutsche"-Rechtsberater sieht in der 78-Millionen-Euro-Klage ein Beispiel für eine weitere negative Entwicklung:
"Wir stellen fest, es schwappt so eine Welle, vielleicht auch aus dem angloamerikanischen Raum herüber, in dem Betroffene nicht mehr so ganz das Maß einschätzen, von dem, was sie meinen, fordern zu können, aufgrund von einer negativen oder schlechten Berichterstattung."
Zudem stehe in Nürnberg nicht nur eine Zeitung vor Gericht. Auch die beiden Autoren, zwei festangestellte Redakteure, seien persönlich angeklagt.
"Wie will ich da als Familienvater ruhig zu Bett gehen, wenn ich weiß, es wird gerade eine Millionenklage gegen mich gefahren? Wie will die investigative, die Wirtschaftsberichterstattung, die sich auch darüber unterhält, in Zukunft gute und zuverlässige Berichte schreiben, wenn sie zu befürchten haben, auf einen zweistelligen Millionenbetrag verklagt zu werden?"
"Heute ist von Berichterstattung im weitesten Sinne fast jeder betroffen. Nicht nur Prominente. Jeder kann Opfer von Mobbing oder Vorführungen im Netz werden, wie wir wissen."
Schertz arbeitet seit bald 25 Jahren als Anwalt für Medienrecht und hat in der Zeit zahlreiche Prozesse geführt. Die Medienlandschaft habe sich stark verändert, sagt der 52-Jährige: Vor allem das Internet habe dazu geführt, dass Inhalte immer übertriebener dargestellt würden.
"In den Überschriften wird bewusst dramatisiert, um die Klickzahlen zu generieren. Ich sage immer: Früher hieß es Winter, heute heißt es Schneechaos."
Schuld sei auch der wirtschaftliche Druck auf Verlage und Sender. Journalisten bleibe deshalb zu wenig Zeit für gründliche Recherche und sachgerechte Berichterstattung. Themen würden "hochgejazzt", urteilt der Medienrechtler - und dagegen wehrten sich Betroffene inzwischen eben.
"Es hat sich herumgesprochen, dass es das Persönlichkeitsrecht gibt, sodass man gegen falsche Berichterstattung oder Berichterstattung, die die Intimsphäre verletzt, auch rechtliche Schritte einleiten kann. Und das hat sich in den Jahren auch potenziert, das muss man sagen. Also beide Seiten sind da aufgerüsteter als früher."

"Das presserechtliche Informationsschreiben ist ein Instrument unserer anwaltlichen Arbeit, wenn eine Schlagzeile in irgendeiner Zeitung steht, die unseres Erachtens rechtswidrig ist, gehen wir gegen diese Erstberichterstattung vor und informieren dann mit diesem sogenannten presserechtlichen Informationsschreiben die anderen Medien, dass wir gegen diesen Bericht vorgehen, weil er unseres Erachtens rechtswidrig ist."
Hintergrund ist häufig ein entsprechendes Urteil gegen Berichterstattung, die schon in der Welt ist. Manchmal informiert Schertz die Presse aber auch bereits, wenn noch gar nicht berichtet wurde. Beispielsweise schrieb er vor der Hochzeit des schwedischen Prinzen Carl Philip im Jahr 2015, "erfahrungsgemäß" sei "zu befürchten", dass den Redaktionen Bilder angeboten würden. Bei einer Veröffentlichung dieser "offenkundig rechtswidrigen" Fotos drohte eine Strafe von 100.000 Euro.
"Und, ganz offen, wir schaffen es doch eigentlich ganz regelmäßig im Wesentlichen, so eine Berichterstattung auch einzudämmen. Mal gelingt es nicht, aber es ist ein ganz gutes Mittel, wie man die Beschädigungen von Mandaten, einen Reputationsschaden verhindern kann."
Der Berliner Rechtsanwalt versteht seine Schreiben als Service für die Redaktionen. Ihm gehe es in seiner Arbeit darum, das Persönlichkeitsrecht zu verteidigen, also das Recht einer Person darauf, ihren Ruf und ihre Würde intakt zu halten. Kritiker sprechen von "Drohbriefen" und werfen Schertz "Einschüchterungsversuche" vor.

Bei einer Medientagung in der Schweiz hielt Höcker Anfang 2017 einen Vortrag unter der Überschrift "Wie man Journalisten mit Peitsche und Kavallerie in Schach hält". Anschließend sagte er in einem Interview mit dem Verband Schweizer Medien, er wolle Journalisten nicht manipulieren, aber:
"Beeinflussen, nennen wir es mal beeinflussen. Ich bemühe mich, präventiv, wenn ein Artikel im Entstehen befindlich ist, dafür zu sorgen, dass er entweder nicht kommt, wenn mein Mandant ihn nicht will, oder er nicht ganz so schlimm ausfällt. Das ist die Aufgabe des Medienrechtsanwalts. Das gelingt mal besser, mal weniger gut."
Weniger gut glückte der Versuch, ebenfalls 2017, der "Stiftung Warentest" die Nennung des Namens eines Unternehmers in ihrem Magazin "Finanztest" zu verbieten. Der Fall warf ein negatives Schlaglicht auf die Methode Höcker, denn: Das Verbrauchermagazin erhielt neben dem Warnschreiben auch eine E-Mail, wohl unabsichtlich. Daraus ging hervor, dass die Kanzlei die Berichterstattung eigentlich für zulässig hielt. In einem Gastbeitrag für das Onlinemagazin "Vocer" hielt Höcker einmal fest: Journalisten zu bedrohen sei in Ordnung, denn Redakteure müssten selbst entscheiden, wie sie mit dieser "Druckbelastung" umgehen.
"Juristen erzeugen natürlich ein gewisses Angstpotenzial. Wer hat schon gerne mit Juristen und dem Gericht zu tun? Also wird man erst einmal vorsichtig."
Sagt Karl-Nikolaus Peifer, Leiter des Lehrstuhls für Medienrecht an der Universität Köln. Medienrechtsanwälte argumentierten gern, es gebe kein begründetes Informationsinteresse der Öffentlichkeit an entsprechenden Berichten. In vielen Fällen müsse man das aber wohl bezweifeln – die Sache mit dem begründeten Interesse einer aufgeklärten demokratischen Öffentlichkeit ist eben sehr dehnbar. Außerdem sei die Medienfreiheit in Deutschland besonders stark durch die Verfassung geschützt.
"Und der Medienunternehmer, der Medienveranstalter, der hat die Befugnis, selbst zu entscheiden, was von einem Berichtsinteresse ist. Er hat nur das Risiko, dass die Gerichte nachher sagen: Du hast die Entscheidung falsch getroffen. Du hast eine falsche Prognose gestellt."
Und dann Redaktionen auch bestrafen, wie im Fall Jörg Kachelmann gegen den Springer-Verlag. Der Bundesgerichtshof bestätigte im April ein Urteil gegen das Medienhaus. Das Kölner Oberlandesgericht hatte Kachelmann rund 400.000 Schmerzensgeld zugesprochen. Die "Bild-Zeitung" habe in ihrer Berichterstattung über einen Prozess gegen den Wettermoderator mehrmals die Grenzen des Erlaubten überschritten und sein Persönlichkeitsrecht schwer verletzt, begründeten die Richter ihre Entscheidung.

"Heißt, ich muss im Umfeld von Gerichtsprozessen - vor Prozessen zur Vermeidung von Gerichtsprozessen - die Reputation meines Mandanten als Rechtsanwalt schützen. Und je stärker, je aggressiver ich das tue, umso mehr kann ich jedenfalls Sand in das Getriebe der Berichterstattung streuen. Das ist eine rationale Strategie. Und das ist auch eine Strategie, die das Recht ermöglicht."
Der juristische Druck auf Medien ist auch Thema bei der Jahreskonferenz des Verbandes Netzwerk Recherche. Auf einem Podium diskutieren Journalisten über ihre persönlichen Erfahrungen. Mit dabei ist Petra Reski. Die mehrfach preisgekrönte Journalistin und Schriftstellerin lebt seit fast 30 Jahren in Italien. Sie schreibt seitdem über die Mafia - und wurde deshalb schon mehrfach in Deutschland verurteilt.
"Natürlich werden auch in Italien Journalisten, die über die Mafia schreiben, verklagt. Aber: Die Wahrscheinlichkeit - wie in meinem Fall und wie bei guten Journalisten grundsätzlich eigentlich, wenn es sich um sogenannte qualifizierte Quellen handelt - gewinnt man die Prozesse fast immer. Also in Italien schon viel mehr als in Deutschland."
"Also so gesehen, ist die Strategie der Mafia ja voll aufgegangen. Es gibt kaum noch Redaktionen, die einen beauftragen, eine Geschichte über die Mafia in Deutschland zu machen. Oder wenn ich mal Vorschläge gemacht habe, dass die dann angenommen worden wären. Ich hab‘s dann auch immer weniger gemacht. Eigentlich gar nicht mehr."
Im vergangenen Jahr machte Reski eine Ausnahme. Für die Wochenzeitung "Der Freitag" schrieb sie darüber, wie schwierig es ist, in Deutschland über die Mafia zu berichten. Wieder wurde sie verklagt, wieder mit Erfolg. Reski hatte den Klarnamen eines Mannes genannt, der darin seine Persönlichkeitsrechte verletzt sah. Anschließend ging die Journalistin rechtlich gegen "Freitag"-Verleger Jakob Augstein vor. Der hatte Reski mangelnde Recherche vorgeworfen und sie nicht finanziell im Gerichtsverfahren unterstützt.
"Und das ist natürlich ein Signal, ein verheerendes Signal für alle anderen freien Journalisten. Wer kommt dann noch auf diese verrückte Idee, frei ein Thema wie die Mafia in Deutschland anzubieten, wenn er davon ausgehen kann, dass er dann am Ende im Zweifel alleine für seine Kosten einstehen muss."
Petra Reski will dennoch weiterhin über die Mafia schreiben - allerdings nur noch, wie zuletzt bereits, in Romanen, mit fiktiven Figuren, aber Themen aus der Wirklichkeit. Das Risiko ist zu groß, trotz seriöser Informations- und Quellenlage von Geschäftsmännern, die sich beste Anwälte leisten können, juristisch in die Knie gezwungen zu werden.

Einfacher als für freie Journalisten wie Reski ist die Situation für festangestellte Redakteure, wie die der Kölner Zeitungen "Stadt-Anzeiger" oder "Express". Beide gehören zur DuMont Mediengruppe, einem der größten und ältesten Medienhäuser Deutschlands. Doch auch hier sei bei Journalisten Vorsicht geboten, sagt Susanna Dahs, seit mehr als 20 Jahren Justiziarin im Haus.
"Das ist was, was für mich in der täglichen Arbeit mit den Journalisten sehr wichtig ist: Sie sind alle gebrieft, dass sie bei Anrufen oder Drohszenarien sich bitte an die Rechtsabteilung wenden sollen, und das machen sie so oder so von sich aus. Wir haben hier eine jahrelange Zusammenarbeit. Und dann kümmern wir uns darum."
Es gebe Fälle, in denen Einwände berechtigt seien. In anderen gehe es Anwälten aber eigentlich nur darum, zu taktieren. In einem aktuellen Fall wollten Redakteure des Hauses über den Fall zweier Bürgermeister berichten. Der eine hatte der Tochter des anderen eine Stelle verschafft, ohne das übliche Bewerbungsverfahren einzuhalten. Ein bundesweit bekannter Anwalt meldete sich im Namen beider Bürgermeister und verlangte, dass die Fristen für Stellungnahmen verlängert würden.
"Was natürlich in der tagesaktuellen Berichterstattung immer Auswirkungen hat. Wir müssen dann schauen, ob wir den Bericht schieben. Oder es muss ein Gespräch mit den Justiziaren stattfinden. Machen wir es trotzdem?"
"Die sind sehr versiert in dem Bereich, und gerade bei der Verdachtsberichterstattung versuchen sie, die Rechtsprechung immer weiter voranzutreiben, natürlich in ihrem Sinne. Man könnte das als Steckenpferd bezeichnen."
Winfried Seibert kann keine negativen Entwicklungen vor Gericht feststellen. In seiner mehr als 40-jährigen Laufbahn stand der Medienrechtsanwalt meist auf Seite der Medien, vertrat dort Wirtschaftsmagazine wie "Capital" oder die Satirezeitschrift "Titanic". Für ihn steht fest:
"Solange die Arbeit einwandfrei ist, kann man in dem Staat mit der Rechtsprechung, auf die wir uns eigentlich alle verlassen können, relativ sicher sein."
Aber auch der Medienrechtsanwalt findet: Zu viele Kollegen versuchten inzwischen zu sehr, die Grenzen des Rechts zu verschieben, um sich selbst zu profilieren.
"Da kann man nicht sagen, ich mache hier meine presserechtliche Lustpartie ohne Rücksicht auf Verluste, das geht nicht. Das Strafrecht ist weiß Gott wichtiger, als ob da um seinen Ruf in Anführungszeichen geschrieben wird. Gibt’s andere Mittel, da zu reparieren, wenn man wirklich einwandfreie Karten hat. Und meistens sind die Karten so ein bisschen grau."
"Aber, wie immer eigentlich schon, gilt das Gebot sauberer Recherche, die Gegenseite zu hören, nur zu berichten, was wir wirklich belegen können. Das machen wir weiterhin, ich weiß gar nicht, ob wir es mehr machen, wir machen es genauso. Aber wir dürfen uns nicht unter Druck setzen lassen, das ist der Punkt."