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K-Frage bei der SPD
Schulz muss aus dem Stand in die deutsche Politik springen

Die Umfragewerte für SPD-Chef Sigmar Gabriel waren schlecht, die Zustimmung in seiner eigenen Partei durchwachsen. An seiner Stelle soll nun der langjährige Parlamentspräsident Martin Schulz die Kanzlerkandidatur übernehmen. Er muss aus dem Stand in die laufenden Landtagswahlkämpfe springen.

Von Frank Capellan | 24.01.2017
    Martin Schulz und Sigmar Gabriel kommen lachend vor einer roten Wand mit SPD-Schriftzug
    Martin Schulz und Sigmar Gabriel im September beim SPD-Parteikonvent in Wolfsburg. (dpa / Julian Stratenschulte)
    "Leipzig, 17. April 1998, zur eigens komponierten Hymne "Ready to go!" – "Wir sind bereit!" – betritt der SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder die Leipziger Messehalle, um von den Delegierten des Parteitages offiziell nominiert zu werden."
    Es kann alles so schön sein! Heute noch kursiert diese Inthronisierung des am Ende erfolgreichen SPD-Kandidaten in den Lehrbüchern von PR-Strategen. Einzug der Gladiatoren mit Licht- und Lasershow - so präsentiert man einen, der mit aller Macht "da rein will", ins Kanzleramt. Mit Pomp und Pathos.
    "Wir begrüßen in unserer Mitte den zukünftigen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, den Ministerpräsidenten von Niedersachsen: Gerhard Schröder!"
    Reporter: "Winken bis zum Ende der Musik, stand auf dem Regiezettel für Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine. Doch Hauptdarsteller des Tages war der Niedersachse. Jubelparteitag und Krönungsmesse, war im Vorfeld gelästert worden."
    Geschichte! Geschichte, an die sich die Sozialdemokraten bis heute voller Wehmut erinnern. Gerhard Schröder, ein Kandidat mit Charisma, einer, der die Wechselstimmung nach 16 Jahren Helmut Kohl zu bedienen vermag. Ein Mann mit dem unbedingten Willen zur Macht, der fünf Monate nach der Leipziger Krönungsmesse tatsächlich Kanzler wird.
    "Das Programm war realistisch, war bezogen auf das, was wir neue Mitte genannt haben, frei von Träumereien, die Partei war ungewöhnlich geschlossen, und der Kandidat hat – glaube ich – nicht geschadet, oder?"
    Geschichte! Geschichte, die sich nicht wiederholt. An Selbstbewusstsein mangelt es zwar auch Schröders Ziehsohn Sigmar Gabriel nicht. Aber 19 Jahre später konnte der Noch-Vorsitzende einer Kaum-über-20-Prozent-Partei von solchen Momenten nur träumen. Trotz aller "Merkel-muss-weg"-Rufe im Land, trotz der insgesamt positiven sozialdemokratischen Bilanz nach vier weiteren Regierungsjahren unter Kanzlerin Angela Merkel: Von Wechselstimmung keine Spur! Mehrheiten, die einem Sozialdemokraten den Einzug ins Kanzleramt ermöglichen könnten, sind derzeit nicht zu erkennen. Und alle – auch die nicht veröffentlichten – Umfragen, die in der SPD-Parteizentrale vorlagen, sahen danach aus, als wenn ein Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidat daran nichts ändern könnte. Im Gegenteil: Eine Verkündung seiner Kandidatur, so war zu vermuten, würde die Umfragewerte weiter in den Keller ziehen.
    Am Dienstag schließlich lässt Gabriel die Bombe platzen: Er zieht zugunsten seines Freundes und Genossen Martin Schulz zurück. Zum einen macht er politische Gründe geltend. Er stehe für die Große Koalition: Wenn er jetzt antrete, würde er scheitern und mit ihm die SPD, das hat er am Nachmittag vor der Fraktion gesagt. Aber es ist zu vermuten, dass auch private Gründe bei seinem überraschenden Rückzug eine Rolle spielten. Gabriel wird bald zum dritten Mal Vater, lebt in Goslar mit seiner Frau Anke. Immer wieder hat er durchblicken lassen, wie wichtig ihm die Familie ist, dass es für ihn auch noch etwas anderes neben der Politik geben könnte.
    "Ich mein, ich habe eine kleine Tochter! Die sehe ich 20 Stunden in der Woche höchstens. Da fragst du dich: Ist es vielleicht besser, du gehst öfter mal nach Hause?!"
    Schulz ist einen steilen Weg gegangen
    Doch ganz schmeißt er nicht. Alles deutet darauf hin, dass Sigmar Gabriel bis zur Bundestagswahl das Amt des Außenministers übernehmen wird.* Und oft wird er dann auch nicht zu Hause sein, sicher ist aber: Wenn Schulz Kanzlerkandidat wird, übernimmt er auch den SPD-Vorsitz, das hatte dieser immer im kleinen Kreis zur Bedingung gemacht.
    Jetzt also Martin Schulz? Jahrgang 1955. Umfragewerte gut, Lebenslauf bemerkenswert: Vom gelernten Buchhändler, der Alkoholprobleme aus der Jugendzeit hinter sich gelassen hat, zum Bürgermeister von Würselen in Nordrhein-Westfalen. Vom Bürgermeister zum Abgeordneten im Europa-Parlament und vom Abgeordneten zum Parlamentspräsidenten. Martin Schulz ist einen steilen Weg gegangen, er ist überall und nirgends, gilt als Chefdiplomat, als Krisenmanager, als Strippenzieher, als guter Kerl. Seine Reden sind voller Pathos, er kann Säle mitreißen, wenn er von Europa spricht. Das gelingt nicht vielen. Die wachen Augen hinter der randlosen Brille sind sein Markenzeichen, dazu der Bart.
    Die einen rechnen Schulz hoch an, dass er dem Europaparlament Kontur und Einfluss verschafft hat. Die anderen sagen, es ging Schulz immer nur um Schulz. An Selbstbewusstsein mangelt es ihm gewiss nicht. Seine eigene Arbeit an der Spitze des Europäischen Parlaments ordnet er so ein:
    "Das Parlament ist heute sichtbarer, es ist hörbarer und es ist einflussreicher, als je zuvor".
    Ende November hatte Schulz angekündigt:
    "Ich werde nicht für eine weitere Amtszeit als Präsident des Europäischen Parlamentes kandidieren. Im kommenden Jahr werde ich den Platz eins der Landesliste meines Bundeslandes Nordrhein-Westfalen meiner Partei für den Bundestag einnehmen und dort zur Wahl antreten".
    Das war noch nicht das Ende der Geschichte, wie jetzt deutlich wird und wie es lange spekuliert wurde. Vom EU-Parlamentspräsidenten zum Herausforderer von Angela Merkel. Kann Schulz Kanzler? Jedenfalls versteht er etwas von Macht und Einfluss, eine Gabe, die ihn jetzt an die Spitze der Sozialdemokratischen Partei und in die Position des Spitzenkandidaten der SPD bringen soll. Es ist noch gar nicht bekannt, wie groß der Zuspruch für einen Martin Schulz als Parteichef und Kandidat in der Partei überhaupt sein könnte – schließlich ist die Frage nie offen gestellt worden. Gabriel aber ist es in den vergangenen Monaten immer schwerer gefallen, Unterstützung in eigenen Reihen zu bekommen. Die eher konservativen Sozialdemokraten, die sogenannten Seeheimer, ermunterten Gabriel auch öffentlich, die Kanzlerkandidatur zu übernehmen. Seeheimerin Petra Ernstberger:
    "Man muss Sigmar einfach live und in Farbe erleben, dann weiß man, wie sehr er Wahlkampf kann, wie er überzeugen kann, und dann wird man einfach Fan!"
    Doch Gabriel blieb in den eigenen Reihen umstritten. Sein letztes Ergebnis bei der Wiederwahl zum Parteivorsitzenden – 74 Prozent – wurde allgemein als Klatsche gewertet. Er deutete an, dass sich die Frage stellte, ob er weitermachen sollte.
    "Dann überlegst Du Dir natürlich auch: Sollst Du Dir den Quatsch antun, dann sollen es halt die Schlaumeier machen!"
    Schulz bringt Voraussetzungen für die Kanzler-Kandidatur mit
    Bis zuletzt hat er die Spannung erhalten. Martin Schulz kam erst ins Rennen, als es Gabriel überraschend gelang, Frank-Walter Steinmeier als Nachfolger für Bundespräsident Joachim Gauck durchzusetzen. Als langjähriger EU-Parlamentspräsident bringt Martin Schulz alle Voraussetzungen für die Kanzler-Kandidatur mit. Der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz, von Gabriel selbst im vergangenen Jahr als denkbarer Kandidat ins Gespräch gebracht, mochte sich in den vergangenen Monaten nicht mehr auf das dünne Eis der K-Frage begeben. Welch ein Coup: Nachdem nun wochenlang die komplette Hauptstadtpresse im Glauben gehalten wurde, Gabriel lasse sich die Kanzlerkandidatur nicht nehmen, schickt er nun doch Martin Schulz nach vorn. Vielleicht eine Möglichkeit, die Unglücksserie der Sozialdemokraten bei der Kandidatenaufstellung zu durchbrechen?
    2008 verlor die SPD über die Inthronisierung des populären Außenministers Steinmeier ihren damaligen Vorsitzenden Kurt Beck. Vier Jahre später dann präsentierten die Genossen eine scheinbar gut funktionierende Troika: Sigmar Gabriel als Parteivorsitzender neben Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück. Doch dann verpatzte Steinmeier die Ausrufung Steinbrücks als Kandidat: Gabriel muss gleichsam über Nacht die Nominierung bekannt geben. Von einer "Sturzgeburt" ist damals die Rede.
    "Ich finde, die SPD kann ziemlich stolz darauf sein, dass sie selbst entscheidet, wann sie was tut und sich nicht das von außen vorschreiben lässt!"
    Hier klang Gabriel schon ein bisschen patzig. Allerdings hatte er sich selbst in eine Zwickmühle gebracht. Schon früh hatte er mit der Idee eines Mitgliederentscheides über den Kanzlerkandidaten gespielt. Der bessere möge ins Rennen gehen, war die Ansage des Vizekanzlers. Damit wollte er zuallererst die eigenen Reihen disziplinieren: Entweder das Genörgel an meiner Person hat ein Ende, oder es wagt sich jemand aus der Deckung.
    "Derjenige, der die besten Chancen hat, sollte in der Regel antreten!"
    Ausgerechnet Martin Schulz griff schließlich als einziger das Wort des Vorsitzenden auf.
    "Und ob ich das bin oder Sigmar Gabriel oder irgendein anderer, das werden wir sehen!"
    Schulz hat Gabriel nie vergessen, dass er sich weigerte, ihn von der europäischen Bühne zu verdrängen. Gerhard Schröder hatte das ins Gespräch gebracht, als Gabriel 2003 vom Wähler aus dem Amt des Regierungschefs von Niedersachsen befördert worden war. "Das mach ich nicht mit!", hat Gabriel damals erklärt und Schulz darüber informiert.
    "Ja, das war schon ein Freundschaftsdienst!"
    Belastungsprobe für Freundschaft zwischen Schulz und Gabriel
    In den vergangenen Wochen allerdings wurde die Freundschaft auf eine schwere Belastungsprobe gestellt, und anders als öffentlich dargestellt, soll es auch zu Reibereien gekommen sein. Denn nach der Logik des Sigmar Gabriel hätte er den Weg für eine Mitgliederentscheidung über die Kanzlerkandidatur freimachen müssen, als für ihn beängstigende Meinungsumfragen veröffentlicht wurden. Im direkten Vergleich mit Angela Merkel würde der frühere EU-Parlamentspräsident weitaus besser abschneiden als ihr Vizekanzler. Doch ähnlich wie der Hamburger Olaf Scholz hatte auch Martin Schulz durchblicken lassen: Eine vermutlich aussichtslose Kanzlerkandidatur würden beide nur auf sich nehmen, wenn sie zugleich auch den Parteivorsitz erhielten. Für Sigmar Gabriel ging es also um alles oder nichts. Gerade erst hat er in einem längeren Deutschlandfunk-Gespräch betont, wie wichtig dieses Amt für ihn war:
    "Ich glaube einfach, dass ich der Sozialdemokratie ganz viel zu verdanken habe. Das geht los bei Willy Brandts erster Regierung, die mal ein anständiges Scheidungsrecht eingeführt hat, wo die Mütter auch mal Rechte bekamen, ich habe in meiner eigenen Familie erleben dürfen, wie es meiner Mutter erging davor und wie es ihr danach ging. Ich bin ein großer Profiteur sozialdemokratischer Bildungspolitik. Ich bin der Erste bei uns in der Familie, der überhaupt Abitur machen konnte, das ging nur durch die Reformpolitik der SPD. Und deswegen bin ich ausgesprochen stolz darauf, Vorsitzender dieser ältesten demokratischen Partei Europas zu sein!"
    Durch seinen Rückzug düpiert ist nun auch Hannelore Kraft, seine Stellvertreterin, Regierungschefin in Nordrhein-Westfalen. Sie hat seit Wochen darauf gedrängt, Gabriel endlich auszurufen – angeblich, um damit für ihren eigenen Wahlkampf in NRW Ruhe zu schaffen. Gabriels eigener Verband, der niedersächsische, hatte seine Qualitäten als Kanzlerkandidat dagegen infrage gestellt: Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil war für Martin Schulz.
    Martin Schulz muss jetzt aus dem Stand in die deutsche Politik – und in die laufenden Landtagswahlkämpfe springen. Im Saarland wird Ende März gewählt, im Mai folgt Schleswig-Holstein und schließlich Nordrhein-Westfalen, der wichtigste Test für den Kanzlerkandidaten vor der Bundestagswahl im September. Innere und soziale Sicherheit verbinden, das ist das Credo der Partei für den Bundestagswahlkampf. In einem Jahr wachsender Unsicherheit wollen die Sozialdemokraten verlässlicher Ansprechpartner für den Bürger sein.
    "Die SPD steht für die Werte Solidarität, Freiheit und Gerechtigkeit", meint Mathias Miersch, Sprecher des linken SPD-Flügels, der den Zusammenhalt der Gesellschaft in Zeiten von Rechtspopulismus und Terror beschwört.
    "Und diese drei Werte müssen in unserem Wahlprogramm ganz oben stehen. Dann ableitend kann man sehr genau Politikfelder definieren, nämlich die Außenpolitik, aber auch die Sozialpolitik, wie gestalten wir unsere sozialen Sicherungssystem. Was heißt für uns Staat? Starker Staat, der Sicherheit gibt, sowohl soziale Sicherheit wie innere Sicherheit. Das sind Blöcke, die ich mir ganz oben im Programm wünsche."
    Nun steht die Klausur der SPD an
    Nach der Nominierung des Kanzlerkandidaten wird die Partei am Sonntag und Montag im Rahmen ihrer Klausur über das Programm diskutieren. Seit fast einem Jahr bereiten Generalsekretärin Barley, Familienministerin Schwesig und Fraktionschef Oppermann die Kernpunkte vor. Dass dazu auch eine Steuerreform zählen muss, steht für Thomas Oppermann außer Frage:
    "Ich sehe ganz klar Spielraum für eine Steuersenkung für Familien. Wir müssen insbesondere Familien entlasten. Wir brauchen ein gerechteres Steuersystem und wollen den Menschen auch Geld zurückgeben. Aber: Nicht mit der Gießkanne, so wie das die Union vorschlägt, sondern sehr gezielt für kleine und mittlere Einkommen!"
    Sigmar Gabriel: "Es gibt eine Gruppe, für die sind wir da als Sozialdemokraten, und das sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Familien. Für die machen wir Politik, liebe Freundinnen und Freunde, und das muss für uns klar sein! Und wir machen nicht für die 15 Prozent Schreihälse in Deutschland Politik. Ich finde, wir wollen mal über die 85 Prozent, 90 Prozent reden, die jeden Tag arbeiten gehen, die ihren Kindern am Bett eine Geschichte vorlesen und die jeden Tag was dafür leisten, dass es dem Land gut geht. Das sind die Leute, über die wir reden wollen!"
    Die SPD wird voraussichtlich auch mit Martin Schulz als Kandidaten den Blick auf die sogenannte politische Mitte richten. Mehr Elterngeld, Ausbau der Betreuung in Kitas und Schulen gehören dazu, vor allem aber die von Ministerin Manuela Schwesig schon lange geplante Familienarbeitszeit. Mütter und Väter, die gemeinsam ihre Arbeitszeit reduzieren, sollen bis zu zwei Jahre lang ein Familiengeld in Höhe von 300 Euro monatlich erhalten. Solche Vorhaben allerdings werfen die Frage nach der Finanzierung auf. Die SPD will sich noch einmal an ein einkommensabhängiges Kindergeld heranwagen, das Ehegattensplitting steht wieder zur Disposition, von einem steuerlichen Kinderbonus ist die Rede, und von einer Entlastung bei den Sozialabgaben. Der Abgeordnete Mathias Miersch.
    "Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, bestimmte Steuerdiskussionen zu verbinden mit Mehreinnahmen, die ausschließlich in den Bereich der Bildungspolitik fließen, und damit würde ich auch verknüpfen, dass es, wenn es Steuererhöhungen für einige gibt, wie beispielsweise die Einführung der Vermögenssteuer, dass es auch eine Entlastungsdiskussion für andere Bevölkerungsteile gibt, gerade bei den Sozialausgaben, also Einnahmeseite zu verbinden mit der Ausgabeseite."
    Steuererhöhungen sind vielen Sozialdemokraten ein Tabu
    Also doch zurück zu einem Verteilungswettkampf? Nein, warnt die konservative Sozialdemokratin Petra Ernstberger. Sie erinnert sich noch schlecht an den letzten Wahlkampf, als Peer Steinbrück Forderungen nach einem höheren Spitzensteuersatz unters Wahlvolk bringen sollte – erfolglos. Steuererhöhungen sind vielen Sozialdemokraten ein Tabu in Jahren, da das Finanzministerium ohnehin steil wachsende Einnahmen verkündet.
    "Wir kommen mit Steuererhöhungen in einem Wahlkampf nicht durch. Das ist ein Verliererthema. Und wir haben jetzt mehr Einnahmen im Haushalt, diese müssen jetzt umgesetzt werden in Bildung und Infrastruktur, und wenn wir Schulen herrichten und wenn wir Straßen herrichten, dann ist das etwas, wovon sie direkt etwas haben, aber keine Steuererhöhungen!"
    Martin Schulz wird insgesamt eine etwas stärker verteilungspolitische Linie zugetraut, doch wird er nach Jahren auf der Brüsseler und Straßburger Bühne kaum mal eben neue finanzpolitische Akzente in Deutschland setzen. Was Schulz kann, ist: eine Grundhaltung zur offenen Gesellschaft mit Chancen für alle zu vermitteln. Was Gabriels großer Förderer Gerhard Schröder jüngst über Gabriels Charakter verlautete, lässt sich sicherlich aber auch über Schulz sagen:
    "In einer Zeit, in der sich unsere Republik und das vereinte Europa Populisten von rechts und links ausgesetzt sehen, brauchen wir als Gegengewicht Demokraten, die kämpferisch sind!"
    Was Schulz über den Vizekanzler Gabriel gesagt hat, darf man jetzt als Lehre begreifen, die er für sein eigenes Wirken im künftigen Amt gezogen haben wird.
    "Ich glaube, Sigmar Gabriel ist niemand, der seine Meinung ändert. Aber manchmal ist er sehr schnell in der Änderung der Strategie. Ein Problem ist: Man muss das sehr stark kommunizieren und auch die Leute, die um einen herum sind, dabei mitnehmen. Aber da arbeiten wir dran!"
    Welche Chancen Schulz gegen Merkel hat? Sie mögen besser sein als die Gabriels, aber aktuell sieht es nicht danach aus, als könnte er die Bundeskanzlerin wirklich schlagen. Die CDU-Vorsitzende scheint sich gerade wieder zu fangen, in unsicheren politischen Zeiten scheuen viele Wähler allzu viel Veränderung. Nach jüngsten Umfragen wäre ein rot-rot-grünes Bündnis weit von einer Mehrheit entfernt. Ob Schulz die SPD immerhin so weit in Richtung 30 Prozent schieben könnte, dass es mit jeweils um die zehn Prozent für Linke und Grüne reichen würde? Ungewiss. Mitte Mai, nach der so wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, der "Herzkammer der Sozialdemokratie", wird sich zeigen, wie viel Schubkraft Schulz den Sozialdemokraten gebracht hat. Sigmar Gabriel meinte eigentlich sich, als er in der Sendung "Beckmann" in der ARD in bemerkenswerter Offenheit erklärte:
    "Wenn man zehn Leute fragt, dann sagen fünf Leute "boah, super Typ!" ,und fünf Leute sagen: "Ein Riesenarschloch!" Und daran hat sich eigentlich in den letzten zehn Jahren nix geändert!"
    Ein Martin Schulz wird mehr als fünf von zehn Sozialdemokraten hinter sich brauchen, um für die SPD ein Ergebnis zu erzielen, von dem es heißt – "Das hätte der Gabriel nicht geschafft."
    * Anmerkung der Online-Redaktion: Die Sendung wurde am 24. Januar um 18:40 Uhr ausgestrahlt. Einige Informationen sind inzwischen überholt.