Archiv


Kabila setzt im Kongo auf die militärische Karte

Müller: Die kongolesische Regierung hat gestern den im vergangenen Jahr mit den Rebellen geschlossenen Friedensvertrag definitiv für ungültig erklärt. Präsident Kabila hatte am 10. Juli vergangenen Jahres mit Ruanda und Uganda, die die kongolesischen Rebellen unterstützen, ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen. Die größten Rebellenorganisationen unterzeichneten den Vertrag dann in den folgenden Wochen. Doch die Kämpfe dauern seitdem unvermindert an, und beide Seiten beschuldigen sich nun gegenseitig, das Abkommen zu verletzen. Zehntausende Menschen sind inzwischen auf der Flucht in die Nachbarländer. Das Land zerfällt in Chaos; der Kongo ist de facto unregierbar geworden. Wo ist die Stimme des Westens in dieser Auseinandersetzung? Dies wollen wir erörtern mit dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Gerd Weisskirchen. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen.

    Weisskirchen: Einen schönen guten Morgen Herr Müller.

    Müller: Herr Weisskirchen, zunächst die Frage: Gibt es eine deutsche Afrikapolitik?

    Weisskirchen: Die deutsche Afrikapolitik hat sich in die Bemühungen der internationalen Staatengemeinschaft eingeklinkt, um einen gemeinsamen Ansatz zu finden, damit die Region befriedet wird. Kabila setzt nun den Kongo allerdings auf die militärische Karte und unterläuft alle Bemühungen der internationalen Staatenwelt - zum Beispiel den Beschluss des UN-Sicherheitsrates vom 10. Februar diesen Jahres, dafür zu sorgen, dass mindestens von außen - soweit es möglich ist - etwas beigetragen wird, damit der Frieden dort stabilisiert werden kann. Kabila durchkreuzt dieses.

    Müller: Es gibt einen Ansatz, sagen Sie. Wie sieht der konkret aus?

    Weisskirchen: Der sieht so aus, dass eine über 5.000 starke Friedenstruppe eingesetzt werden soll. Die Implementierung ist natürlich nicht ganz einfach, aber sie ist auf dem Wege. Und Kabila will nun offensichtlich genau diese Anstrengungen durchkreuzen.

    Müller: Warum entsteht in der Öffentlichkeit - in der westlichen Öffentlichkeit zumindest - der Eindruck, dass diese Region sozusagen von Desinteresse ist für den Westen?

    Weisskirchen: Ja, nun: Von Desinteresse ist es nicht. Es gibt ja eine Reihe von Versuchen, die Bodenschätze in der Region dort auszubeuten. Das heißt, das Interesse ist hoch. Es gibt übrigens auch kriminelles Interesse, die Diamanten dort in der Region für sich zu nutzen, die Bodenschätze also auszubeuten. Aber auf der anderen Seite gibt es - und das ist durchaus richtig gesehen - nicht eine gemeinsame große Anstrengung der internationalen Staatenwelt, um diesem schwierigen Lande zu helfen.

    Müller: Welche Rolle spielt denn der Kongo, aber auch andere Konfliktherde - beispielsweise Sierra Leone, oder Äthiopien und Eritrea - im Deutschen Bundestag, in der Bundespolitik, in der Europäischen Union?

    Weisskirchen: Wir haben kurz vor der Sommerpause eine Afrika-Debatte geführt, in der all diese Themen, die sie jetzt ansprechen und heute früh erörtern, debattiert worden sind. Aber in der Tat: Es ist so, dass die deutsche Öffentlichkeit davon relativ wenig Notiz nimmt. Der Außenminister wird noch in diesem Herbst nach Afrika reisen, um damit auch zu unterstreichen, dass die Bundesrepublik Deutschland ernst nimmt, was dort vor sich geht. Der Bundeskanzler wird auf der Millenniumsveranstaltung bei den Vereinten Nationen dazu etwas sagen. Ich hoffe sehr, dass dieser Augenmerk dann doch nachher dazu führt, dass die internen Kräfte, die es im Kongo gibt - aber auch in allen anderen Krisenzonen in Zentralafrika -, dass diese internen Kräfte auch gestärkt werden, denn sie sind vorhanden. Es gibt gute und kluge Ansätze einer Zivilgesellschaft, und sie gehören - glaube ich - stärker unterstützt von uns.

    Müller: Gibt es, Herr Weisskirchen, politische diplomatische Kontakte mit den Akteuren in den Krisenregionen?

    Weisskirchen: Die gibt es. Allerdings jetzt - in diesem Moment -, wenn Kabila versucht, die militärische Karte erneut zu ziehen, dann muss eine ganz starke Erklärung der Vereinten Nationen - des Sicherheitsrates - ihm deutlich machen, dass, wenn er diesen Weg fortführt, er nicht nur selbst sein Land zerstört, sondern am Ende auch seine eigene Herrschaft.

    Müller: Es wird viel in Hintergrundberichten darüber erzählt bzw. auch detailliert erläutert, welche Rolle Amerikaner und die Franzosen in der Vergangenheit - gerade auch in im Kongo - gespielt haben, auch bei der Absetzung bzw. beim Sturz Mobutus. Kabila ist dann nachgefolgt. Sind diese beiden Länder immer noch die treibenden Kräfte, der Motor sozusagen, die bestimmen, wie die westliche Politik auszusehen hat?

    Weisskirchen: Nun, sie sind alle Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, und sie könnten - wenn sie es wollten - denn in der Tat dort auch eine gemeinsame konzertierte Aktion in Gang setzen. Das würden wir sehr wünschen, wenn es parallel gestärkt würde durch die innerafrikanischen Anstrengungen selbst - OAU -, oder aber auch durch die Europäische Union. Dann könnte durch einen solchen gemeinsamen Ansatz es gelingen, die zentralafrikanischen Regionen zu befrieden. Leider gibt es diesen gemeinsamen Ansatz bislang nur in der Sicherheitsrats-Resolution vom Februar diesen Jahres, allerdings nur sehr unvollkommen, weil die Implementierung jener Friedenstruppe noch auf sich warten lässt.

    Müller: Welche Interessen sehen Sie im Westen?

    Weisskirchen: Also, ich werde es mal so formulieren: Es gibt in der Tat unterschiedliche Akzente, die von Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrates verfolgt werden. Die USA ist deutlich stärker auf ihre Machtrolle konzentriert, die beiden anderen - England und Frankreich - sind in Gesamtafrika eigentlich eher orientiert an ihre eigene koloniale Rolle, obwohl auch England durchaus bereit ist, sich im Konzert der internationalen Staatenwelt - und auch Frankreich - neu einzuordnen. Aber es fehlt in der Tat ein kräftiger gemeinsamer Ansatz, der auch versuchen könnte, die Probleme dieser Länder auch wirklich in den Griff zu bekommen, die natürlich in erster Linie Verelendung bedeuten. Die ökonomischen und sozialen Konflikte in den Ländern wachsen derart an, dass sie kriegerisch nachher auch ausgebeutet werden können von unterschiedlichen Akteuren.

    Müller: Hat sich, Herr Weisskirchen, möglicher weise die Bundesregierung oder auch die Europäische Union in den letzten Jahrzehnten und Jahren zu sehr auf reine Entwicklungshilfepolitik konzentriert und die großpolitische Wetterlage sozusagen vernachlässigt?

    Weisskirchen: Ich würde es etwas anders formulieren. Die Bundesrepublik Deutschland könnte innerhalb der Europäischen Union eine stärkere konstruktive Rolle spielen und dann auch versuchen, die beiden anderen großen Mächte in Europa mit in diesen gemeinsamen Ansatz einzubeziehen - England und Frankreich. Das ist auf dem Wege. Wir versuchen auch auf der parlamentarischen Ebene, unsere Kollegen in London und in Paris gemeinsam stärker auf diesen Punkt hin zu orientieren. Allerdings - in der Tat -: Wir haben noch keinen gemeinsamen geschlossenen Ansatz gefunden.

    Müller: Ist die Option einer militärischen Intervention - beispielsweise mit Blick auf den Kongo, mit Blick auf Äthiopien/Eritrea - jemals ernsthaft diskutiert worden?

    Weisskirchen: Es ist diskutiert, aber verworfen worden. Das Problem besteht darin, dass diese Konflikte, die dort lodern, von einer ungeheuren inneren Brutalität und von einer unglaublichen Stärke sind, insbesondere durch die unterschiedlichen Akteure - nicht nur staatliche, sondern auch solche, die den Zerfallsprozess von Staaten vorantreiben. Das heißt, wir haben eine ungeheuer schwierige Konfliktsituation, bei der es sehr schwer ist, von außen dann durch militärische Intervention zu helfen oder die Probleme dort einigermaßen in den Griff zu bekommen. Dort, wo es versucht worden ist, kann es gelingen. Aber es kann auch die Gefahrenmomente eher noch verstärken. Die Unsicherheit überträgt sich auf die internationale Staatenwelt, und dann ist eben das, was wir jetzt gegenwärtig beobachten, leider wiederum festzustellen - nämlich dass wir keinen gemeinsamen geschlossenen Ansatz finden.

    Müller: Gibt es in der internationalen Staatenwelt so etwas wie ein 'Somalia-Trauma'?

    Weisskirchen: Das ist wohl richtig, denn als die USA damals versucht haben, von Beginn an Konflikte zu bewältigen, führte das zu diesem schrecklichen Ergebnis - allerdings dann auch in der Folge zu Fehleinschätzungen und auch selbst zu Fehlhandlungen, daraus aber folgend wiederum etwa eine Zurückhaltung, ein Zögern oder auch Treibenlassen jener Konflikte. Das, was bisher vom Sicherheitsrat der UNO in Gang gesetzt worden ist im Februar 2000, ist leider noch nicht implementiert worden.

    Müller: Ist Afrika wichtig?

    Weisskirchen: Ja. Afrika ist unser direkt benachbarter Kontinent, und die Menschen, die dort leben, dürfen nicht vergessen bleiben. Sie gehören mit in einen gemeinsamen regionalen Ansatz. Schauen Sie auf den Norden Afrikas, der in der Tat nun auch stärker mit Europa zusammenwächst - es gibt die Barcelona-Initiative der Europäischen Union. Allerdings die Subsahara - dies ist ein schwieriges Kapitel. Dort stellen wir allerdings auch durchaus erfreuliche Prozesse fest. Im südlichen Afrika oder auch im westlichen oder auch im östlichen Afrika gibt es durchaus integrationalistische - das heißt also zusammenarbeitende - Regionen. Die könnten von uns stärker unterstützt werden.

    Müller: Der SPD-Außenpolitiker Gert Weisskirchen war das. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Weisskirchen: Auf Wiederhören.