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"Kabinettsbeschluß zu Kosovo hat Gültigkeit - Grüne in Kosovo-Frage nicht zu spalten"

Heinemann: Mit Ultimaten der westlichen Welt hat Slobodan Milosevic gute Erfahrungen gemacht, denn Fristen bedeuteten für die jugoslawischen Präsidenten immer wieder "Ende offen". So war das bisher auch in Rambouillet: das unwiderrufliche Ultimatum wurde verlängert; bis heute um 15 Uhr ist wieder einmal endgültig Schluß. Bisher ist eine Einigung nicht in Sicht. Der Bundestag soll morgen über eine Ausweitung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo-Konflikt entscheiden. Für eine internationale Friedenstruppe sind etwa 5 500 Bundeswehrsoldaten vorgesehen. Das hat das Kabinett gestern Abend beschlossen. Für den Fall eines Scheiterns der Gespräche in Rambouillet will die NATO Luftangriffe fliegen. Die Union hat grundsätzlich zugestimmt. Am Telefon ist jetzt Gunda Röstel, die Sprecherin von Bündnis 90/die Grünen. Guten Morgen!

    Röstel: Guten Morgen!

    Heinemann: Frau Röstel, kann sich die rot/grüne Bundesregierung bei der Abstimmung auf die Grünen-Abgeordneten verlassen?

    Röstel: Nun, es hat gestern einen Kabinettsbeschluß der rot/grünen Bundesregierung gegeben, und ich gehe davon aus, daß zunächst natürlich einmal gilt, daß der Militärangriff seitens der Grünen ja schon eine Zustimmung seit dem vergangenen Herbst hat. Das hat weiterhin Gültigkeit. Es geht jetzt noch um einen Beschluß zur Implementierung von Friedenstruppen, die den Friedensprozeß dort in der Krisenregion überwachen und absichern sollen, daß es dazu mit uns auch eine Zustimmung geben kann.

    Heinemann: Wenn es nun nicht zu einer Einigung in Rambouillet kommt - bisher sieht es nicht danach aus -, sollte die NATO dann auch mit Hilfe der Bundesluftwaffe serbische Stellungen bombardieren?

    Röstel: Das sind Dinge, über die man dann reden muß, wenn es so weit ist. Im Moment wird verhandelt. Der Frieden ist eigentlich bei beiden Partnern greifbar nah. Ich hoffe sehr, daß sich die Verhandlungspartner, die hier mehr oder weniger an den Tisch gezwungen worden sind, dem internationalen Appell, hier zu einer friedlichen Lösung zu kommen, am heutigen Vormittag noch anschließen werden. Mit dem Ergebnis wird dann ab 15 Uhr umzugehen sein, und auch wir in der rot/grünen Regierung werden damit umgehen. Jetzt wird aber noch verhandelt.

    Heinemann: Wenn es nun nicht dazu käme, könnte das erneut die Grünen spalten?

    Röstel: Uns wird dort nichts spalten. Es ist eine sehr, sehr schwierige Situation und wir haben bereits vor Regierungsübernahme gezeigt, daß wir der sehr hohen Verantwortung hier nicht nur bewußt sind, sondern daß wir verantwortungsvoll auch damit umgehen. Das wird auch in diesem Fall der Fall sein. Wir werden mit dem Ergebnis verantwortungsvoll umgehen, keine Frage!

    Heinemann: Frau Röstel, Magdeburg ist noch nicht lange her. Damals haben die Grünen die Bundeswehr noch in Frage gestellt. Nun erhält die Truppe von den Grünen möglicherweise den Marschbefehl für die Friedenstruppe. Ist Gerhard Schröders Forderung in der Partei schon Wirklichkeit? Gibt es bei den Grünen mehr Fischer und weniger Trittin?

    Röstel: Erstens haben wir auch in Magdeburg die Bundeswehr nicht in Frage gestellt, sondern wir haben uns für eine Truppenreduzierung ausgesprochen, aber nicht dafür, die Bundeswehr aufzulösen. Das war eine völlig falsche Formulierung Ihrerseits. Und mit mehr Fischer und weniger Trittin? - Ich finde, daß Gerhard Schröder mit zweimal grünem Fischer genügend Fischer im Kabinett eigentlich hat. Insofern ist das nicht das Problem.

    Heinemann: Sie haben aber die NATO einmal in Frage gestellt? Das stimmt doch?

    Röstel: Es ging auch nicht um eine Auflösung der NATO, nein. Es ging darum, langfristig - und darüber haben wir in Magdeburg diskutiert - zu überlegen, wie ein europäisches Sicherheitssystem unter Einbindung natürlich auch osteuropäischer Staaten aussehen könnte.

    Heinemann: Wieviel Pazifismus kann sich eine Regierungspartei leisten?

    Röstel: Ich glaube, daß die pazifistischen Wurzeln unserer Partei nach wie vor sehr gut aufgehoben sind und daß es diese Positionen gibt. Darüber bin ich sehr froh. Sie geben eine ganze Menge an wichtigen Denkanstößen für unsere Partei. Und wenn wir es dann trotzdem schaffen, den schwierigen Spagat zur Realität und auch zum Handeln zu vollbringen, dann ist das ein hohes Maß an Herausforderung für unsere Partei auf der einen Seite, der sie aber eben mit der entsprechenden Verantwortung bisher auch sehr gut nachgekommen ist.

    Heinemann: Aber zwingt die Regierungsbeteiligung nicht doch zu ständigen Kompromissen?

    Röstel: Natürlich zwingt die Regierungsbeteiligung in vielen Bereichen zu Kompromissen. Das ist überhaupt keine Frage. Schließlich haben wir nicht die absolute grüne Mehrheit. Bis dahin fehlt noch ein ganzes Stück. Das heißt, eine Koalition ist immer eine Frage von Kompromissen. Die müssen aber auf beiden Seiten getragen sein. Ich denke, nur das kann ein Erfolgsrezept sein.

    Heinemann: Stichwort beide Seiten. Gestern saßen der Bundes- und der Vizekanzler und die Herren Lafontaine und Trittin zusammen. Heute werden sich in größerer Runde Vertreter der Koalition wieder einmal mit der Frage beschäftigen, wie sagen wir es, wenn wir etwas zu sagen haben, und wem sagen wir es. Die komplizierte Kommunikation über Bande, will sagen via Medien wird von vielen als nicht optimal empfunden, vor allem von den Grünen, denn im Kleinkrieg zwischen dem Bundeskanzler und seinem Umweltminister hat Gerhard Schröder ja entscheidende Punkte geholt mit dem geflügelten Wort "mehr Fischer, weniger Trittin". Er spricht von einem "Konzert unterschiedlicher Stimmen" in der Koalition. Weichen die Mißklänge jetzt künftiger Harmonie?

    Röstel: Es geht nicht um Harmonie, sondern wir sind als rot/grüne Regierung gewählt worden, und dies für vier Jahre, um den Problem- und Reformstau in unserem Lande aufzulösen, und da gibt es wirklich genügend zu tun. Daß es dabei Kommunikationsprobleme gegeben hat und wo möglich auch perspektivisch hin und wieder geben wird, das ist sicherlich behebenswert. Darüber muß man sehr sachlich, sehr nüchtern, aber auch sehr kritisch reden. Das werden wir heute Abend tun. Ich denke, da ist einiges besser zu machen. Ein zweiter Punkt, der mir schon auch ein wichtiges Anliegen ist, wäre sich wieklich einmal zu überlegen: Wir haben vier Jahre Zeit zu regieren und nicht nur 100 oder 150 Tage, in denen alle Probleme dieser Welt zu lösen sind. Ich denke, insofern ist auch Politik-Management in der rot/grünen Bundesregierung gefragt, wer wann welche Projekte nach vorne bringt, und diese auch als gemeinsame Projekte nach vorne zu bringen.

    Heinemann: War dies auch und gerade an die Adresse Ihres Parteifreundes Jürgen Trittin gerichtet?

    Röstel: Nein, das gilt für die gesamte Koalition. Ich bin nicht für eine Personalisierung, der war es, der war es. Das ist auch ein bißchen billig und bringt uns überhaupt nicht weiter und schafft auch von außen nicht das notwendige Vertrauen, was wir für die notwendigen Veränderungen ja brauchen werden.

    Heinemann: Matthias Berninger, Ihr Parteifreund, hat im "Spiegel" gesagt, er halte die Grünen für ein politisches Dienstleistungsunternehmen. Entspricht das Ihrem Grünen-Profil?

    Röstel: Es ist sicherlich ein Punkt, ganz klar. Wir produzieren Ideen, wir produzieren Problemlösungen und müssen sie nach außen hin verkaufen und hoffen darauf, daß sie uns die Bürgerinnen und Bürger abnehmen. Es ist dann natürlich ganz gut, wenn sich jemand dieses Dienstleistungsunternehmens bedient, und da hapert es in letzter Zeit bei den Grünen leider. Das hat die Hessen-Wahl in sehr dramatischer Form, vor allem mit großen Jungwähler-Verlusten, gezeigt. Hier werden wir einiges zu verändern haben, einiges kritisch zu beleuchten haben, wie wir in der Perspektive mit diesen Problemen umgehen und dort wieder mehr fußfassen.

    Heinemann: Stichwort verändern. Sie werden morgen im Bundestag nicht mit abstimmen, denn Sie haben ein Parteiamt und deshalb kein Mandat. Ist die Fusion von Amt und Mandat, also die Aufhebung der Trennung, ist das überfällig?

    Röstel: Die Strukturdebatte in unserer Partei hat ja im Dezember stattgefunden. Dort hat es einen deutlichen Schritt nach vorne gegeben. Es hat für den Parteirat, also das Gremium zwischen einer Bundesdelegiertenkonferenz, dem Länderrat und dem Bundesvorstand, also ein wichtiges Entscheidungsgremium auch, die teilweise Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat gegeben. Persönlich hätte ich mir dort sicher weitere Schritte vorstellen können, aber ich denke, jetzt haben wir erst einmal Strukturen, mit denen wir auch agieren müssen. Diese derzeitige Nabelschau der Grünen, daß Strukturveränderungen uns hier aus einigem Dilemma heraushelfen, das halte ich für nicht angebracht. Wenn man eine solche Diskussion führt, dauert das auch seine Zeit, um die Partei hier mitzunehmen.

    Heinemann: Strukturen sind das eine; ein anderes sind neue Themen. Ihr Parteifreund und Fraktionskollege Matthias Berninger schlägt vor, die Grünen sollten die Familienpolitik sozusagen in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht abholen und ins Zentrum ihrer Politik stellen. Ein richtiges Konzept für die Grünen?

    Röstel: Es gibt jetzt eine Menge Rezepte. Es gibt aber nicht ein Rezept, das die Probleme bei uns sofort beheben wird. Richtig daran ist aber in jedem Fall, daß wir mit den Themen, wo uns Originärkompetenz zugeordnet wird, also Umweltschutz etwa oder die grünen Wurzeln wie Friedensbewegung und so weiter, nicht mehr ausreichend zum tragen kommen, um auch den Problemen und Anforderungen der Gegenwart dort gerecht zu werden. Das heißt, wir müssen die Kompetenz, die wir in den letzten Jahren in den Fraktionen angehäuft haben, im Arbeitsmarktbereich, im Sozialbereich, im Wirtschaftsbereich, wirklich nach vorne bringen. Die müssen wir transportieren. Wir dürfen uns dabei nicht hinter den Ministerien in der rot/grünen Regierung verstecken. Wir müssen die Themen, die den Menschen auch unter den Nägeln brennen, Arbeitsplätze, Wirtschaft, aber natürlich auch Bildungsfragen für junge Menschen, stärker nach außen kommunizieren. Die Substanzerweiterung, die unsere Partei in den letzten Jahren errungen hat, müssen wir nach außen auch ganz stark kommunizieren und auch moderner kommunizieren, als wir das bisher getan haben.

    Heinemann: Schwerpunkt Familienpolitik?

    Röstel: Familienpolitik ist für mich ganz persönlich natürlich auch ein ganz wichtiger Schwerpunkt. Das ist überhaupt keine Frage. Gerade wir Grünen haben uns ja sehr stark dafür eingesetzt, daß es im Einkommenssteuerrecht Entlastungen vor allem für Familien geben soll, daß bei Familien mit Kindern, und zwar unabhängig von ihrem Stand, also verheiratet oder nicht verheiratet, insgesamt das Zusammenleben mit Kindern verbessert werden soll.

    Heinemann: Gunda Röstel, die Sprecherin von Bündnis 90/die Grünen. Schönen Dank für das Gespräch.