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Kabinettsumbildung in Großbritannien
Jünger, weiblicher, europakritischer

Mit seiner radikalen Regierungsumbildung versucht der britische Premier David Cameron einen Strategiewechsel, sagte Richard J. Evans, Historiker der Universität Cambridge im DLF. Cameron wolle damit Wähler von der EU-skeptischen Partei UKIP zurückgewinnen. Ob die Strategie aufgehen werde, sei aber noch völlig offen.

Richard J. Evans im Gespräch mit Gerd Breker |
    David Cameron zwischen den Flaggen Großbritanniens und der EU.
    Cameron will Wähler aus dem rechten Lager zurückgewinnen - und nicht nur die. (dpa/EPA/Julien Warnand)
    Dirk-Oliver Heckmann: Der britische Premier David Cameron, er ist seit den jüngsten Wahlen ordentlich in der Defensive, und er hat es gestern mit einem Befreiungsschlag versucht. Cameron nämlich baut sein Kabinett um, und zwar erheblich. Wichtigste Änderung: Der bisherige Verteidigungsminister Philip Hammond wird neuer Außenminister, und der gilt als Europaskeptiker. Mein Kollege Gerd Breker hat dazu gestern am späten Abend den britischen Historiker Richard Evans von der Universität Cambridge befragt. Seine erste Frage: Ist es reiner Zufall, dass die Regierungsumbildung in London mit der Wahl Jean-Claude Junckers zusammenfällt?
    Richard J. Evans: Ja, reiner Zufall. Ja, das hat eigentlich nichts mit der Umbildung der Regierung in Großbritannien zu tun. Das ist ein Zufall. Ehrlich gesagt wird die Wahl des Herrn Juncker in Großbritannien kaum wahrgenommen. Die Nachrichten sind voll von der Umbildung.
    Cameron will Wähler zurückgewinnen
    Gerd Breker: David Cameron hat jetzt eine neue Mannschaftsaufstellung. Ist damit auch eine neue Spielstrategie verbunden?
    Evans: Zum Teil ja schon. Zum Beispiel Michael Gove, der musste sein Amt als Erziehungsminister aufgeben, weil er die Lehrerschaft angefeindet hat, und Mister Cameron denkt, dass er ihre Stimmen bei den kommenden Wahlen, also im Mai 2015, gerne haben will. Gove hat so viele bestürzende Reformen eingeführt, dass das ganze Schulsystem in ein wahres Chaos geraten ist, und er hat seine Regierungskollegen angefeindet, vor allem Innenministerin Theresa May, so dass Goves Nachfolgerin Nicky Morgan weniger kontrovers sein dürfte. Mister Cameron hat relativ viele Frauen in die Regierung geholt, ins Kabinett, nämlich sechs Frauen, und damit will er die Stimmen der Frauen gewinnen. Die Konservativen kriegen relativ wenige Stimmen von den Frauen und er will das dann verbessern.
    Breker: Die neue Mannschaft ist jünger, weiblicher, haben Sie gerade gesagt, aber auch europakritischer. Ist das der Weg, um die Euroskeptiker von UKIP in die Schranken zu weisen?
    Evans: Ja, das stimmt. Zum Beispiel William Hague, einer der erfahrensten konservativen Politiker, ist als Außenminister zurückgetreten, obwohl er erst 53 Jahre alt ist. Er will mit den nächsten Unterhauswahlen im Mai 2015 aus dem Parlament ausscheiden, um sich seiner Nebenkarriere als historischer Biograph zu widmen. Er hat schon ein Buch über William Pitt den Jüngeren veröffentlicht, obwohl meiner Meinung nach Hague ein besserer Außenminister ist als Historiker. Sein Nachfolger ist der Verteidigungsminister Philip Hammond, der als harter Euroskeptiker gilt, und zwar vor einigen Monaten hat er für den Austritt Großbritanniens aus der EU plädiert, was Hague niemals getan hat, weil die EU sich mit den Forderungen der Regierung für eine gründliche Reform mit der Rückerstattung vieler Rechte an die Mitgliedsstaaten und insbesondere an Großbritannien nicht einverstanden erklärt.
    Und dann Dominic Grieve, ist als Generalstaatsanwalt - also Attorney General – in unserem Lande ein politisches Amt - bekannt geworden dadurch, dass er das Europäische Menschenrechtsgericht verteidigt, weil viele Konservative einen Austritt Großbritanniens aus dem europäischen Menschenrechtsabkommen befürworten. Euroskeptischer ist die Regierung schon und damit haben Sie Recht, dass Cameron damit Wähler von UKIP, von der United Kingdom Independence Party, von den ganz radikalen Euroskeptikern zurückgewinnen will.
    Der britische Außenminister William Hague spricht in Wien mit Journalisten.
    Der britische Außenminister William Hague ist überraschend zurückgetreten. (AFP / Jim Bourg)
    Rücktritt Hagues als große Überraschung
    Breker: Sie haben William Hague erwähnt. Er ist noch recht jung. Geht der freiwillig, oder wird der gegangen?
    Evans: Ich glaube, er geht freiwillig. Das war eine große Überraschung, als William Hague seine Absicht erklärt hatte, aus der Regierung und dann aus dem Parlament auszuscheiden. Freiwillig geht er schon. Das ist anders mit Michael Gove. Michael Gove wollte gerne, auch Dominic Grieve, beide wollten gerne bleiben.
    Breker: Die Opposition, die Labour Party, liegt ja bislang in den Umfragen noch vor den Konservativen. Ist das jetzt der Befreiungsschlag, der gelungen ist?
    Evans: Die Labour Party liegt ein ganz klein wenig vor den Konservativen, weil seit den Europawahlen hat die UKIP viele Stimmen bei den Meinungsumfragen eingebüßt, etwa die Hälfte. Das Problem für die Regierung ist natürlich, die meisten Stimmen für UKIP werden von konservativen Wählern kommen, also eine Zersplitterung der konservativen Wählerschaft. Das Problem für die Labour-Leute ist, dass Edward Milliband, der die Wahlkampagne leitet, der Leiter der Labour Party, eigentlich sich nicht hat profilieren können. Der hat eigentlich kein Charisma und wird nicht von der Wählerschaft besonders geschätzt oder gar als zukünftiger Premierminister angesehen.
    Haltung Camerons zum Referendum unklar
    Breker: Es soll ja ein Referendum geben über den Verbleib der Briten in der Europäischen Union. Wie wird Cameron selber sich da entscheiden? Wird er je nach Stimmung in der Bevölkerung für einen Austritt sein?
    Evans: Das ist ganz unklar. Im Moment liegen die Stimmen der Neinsager, also die Leute, die bei der EU bleiben wollen, deutlich vorne, obwohl nur knapp. Aber wenn Cameron die Wahlen gewinnt und wenn er dann die Reformen der EU, die er sucht, nicht bekommt und sich auf die Seite der Befürworter des Austritts stellt, wer weiß.
    Heckmann: Der britische Premier David Cameron baut sein Kabinett um – ein Gespräch war das mit dem britischen Historiker Richard Evans von der Universität Cambridge. Die Fragen stellte mein Kollege Gerd Breker.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.