Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Käßmann: Menschen müssen wieder Vertrauen zueinander gewinnen

Die Landesbischöfin in Hannover, Margot Käßmann, sieht die gesellschaftlichen Herausforderungen in einem solidarischen Zusammenleben. Menschen im Land müssten wieder Vertrauen zueinander gewinnen, erklärte Käßmann.

Moderation: Bettina Klein | 03.01.2006
    Bettina Klein: Ein politisch turbulentes Jahr liegt hinter uns. Das neue ist noch jung, viele Probleme sind die alten geblieben, vieles hat sich aber auch verändert, mehr als die meisten von uns geahnt hätten. Am Telefon ist die evangelische Landesbischöfin Margot Käßmann. Frau Käßmann, jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, heißt es. Gibt es für Sie einen Zauber zu Beginn dieses Jahres?

    Margot Käßmann: Also einen ganz besonderen Zauber nicht, aber die Hoffnung natürlich, dass in diesem Jahr sozusagen sich vieles zum Positiven verändert, die ist wie bei jedem Jahresanfang doch mit dabei.

    Klein: Was ist für Sie die wichtigste Aufgabe, der sich die Gesellschaft 2006 stellen muss?

    Käßmann: Also ich denke, wir müssen Vertrauen im Land auch zueinander wiedergewinnen. Ich hatte den Eindruck, letztes Jahr gab es wirklich so ein erodierendes Vertrauen in Betriebsleitung, selbst in Gewerkschaftsführung, in den Firmenchefs, in Politiker, selbst in Fußballschiedsrichter. Ich habe das Gefühl, dass Vertrauen überall enttäuscht wird, und ich denke, gerade diejenigen im Land, die Leitfiguren sind, müssen auch in der Vorbildfunktion dafür sorgen, dass Menschen wieder Vertrauen zueinander haben und dann auch Zutrauen in die Zukunft.

    Klein: Die neue Bundesregierung, gebildet erst kurz vor dem Jahresende, die Christlich-Demokratische Union Deutschlands stellt die Kanzlerin. Haben Sie in diesem Zusammenhang Hoffnungen mit dem Regierungswechsel verbunden?

    Käßmann: Also auf jeden Fall die Hoffnung, dass nicht so viele Kleinkriege auf Nebenschauplätzen stattfinden, sondern tatsächlich jetzt ein gemeinsamer Kraftakt da ist. Ich denke sicher, dass das Thema Arbeitslosigkeit, vor allen Dingen unter Jugendlichen, ein ganz großes Problem bleibt. Wie sollen sie einen Platz in dieser Gesellschaft finden, wenn sie keinen Arbeitsplatz haben, an dem sie auch Wertebewusstsein, Selbstbewusstsein gewinnen? Das andere ist für mich natürlich das große Thema Familie, also wie können wir Mut machen zu Kindern, weil ich glaube, eine Gesellschaft ohne Kinder, wird tatsächlich auch weniger kreativ, ja, weniger offen für Neues.

    Klein: Aber gerade weil Sie das Stichwort Vertrauen nennen, was kann da die Politik leisten, um es bei den Bürgern wiederzugewinnen? Wir haben ja diese schöne Kampagne "Du bist Deutschland". Ist das zum Beispiel ein Beitrag, der Sie überzeugt hat?

    Käßmann: Na, ja, also ich muss sagen, das ist auch vielleicht eine kleine Überforderung, aber was gewünscht war damit, diese Identifizierung mit diesem Land, also ich habe meinen Platz in diesem Land, das halte ich schon für den richtigen Ansatz, weil allzu viele den Eindruck haben, ich bin eigentlich überflüssig in diesem Land, mich braucht gar keiner mehr, und das kann für das Zusammenleben nur schwierig sein. Deshalb denke ich tatsächlich, es ist richtig, dass die Bundesregierung so viel von der Frage der Arbeitsplätze spricht. Gerade auch bei Geringqualifizierten muss es eine Möglichkeit geben, ihnen einen Platz, einen wichtigen Ort zu geben, an dem sie etwas wert sind, ich glaube, sonst bleibt die Menschenwürde auf der Strecke.

    Klein: Was kann die Kirche leisten in diesem Zusammenhang?

    Käßmann: Ja, ich denke, das eine ist natürlich, unsere Kirche muss Glauben vermitteln, und das heißt ja auch immer Vertrauen, Gottvertrauen vermitteln. Das andere ist, auch ein bisschen widerständig bleiben. Gegen diese ganze Kurzlebigkeit stellen wir Tradition und Kultur und gegen diese Gesellschaft der Egomanie doch weiterhin diese Solidarität der Starken mit den Schwachen. Es geht uns doch an, wie unser kranker Nachbar lebt, ob das Kind nebenan geschlagen wird, also dass diese Solidarität neu wächst, und mir ist auch wichtig in so einer Gesellschaft, die ganz auf Effektivität setzt, dass wir weiterhin sagen, die Würde jedes Menschen zählt, auch der sterbende alte Mann ist genauso viel wert wie der erfolgreiche Unternehmenschef.

    Klein: Wenn Sie das sagen, wie zufrieden sind Sie dann mit dem Erfolg, sage ich jetzt mal, ganz ökonomisch ausgedrückt, wie zufrieden sind Sie mit der Zahl der Kirchenbesucher in Ihren Gottesdiensten, vielleicht Weihnachten ausgenommen, wo der Zulauf traditionell besonders groß ist?

    Käßmann: Also zum einen muss ich ganz klar sagen, ich wünsche mir mehr, also ich wünsche mir, dass Menschen in der Kirche ihren Ort finden, wo sie Kraft schöpfen, wo sie Orientierung auch für sich suchen, wo sie Gemeinschaft miteinander leben, und dazu ist weiterhin der Gottesdienst ein ganz zentraler Ort. Darüber bin ich traurig, dass so viele Menschen sagen, den brauche ich nicht. Andrerseits sehe ich auch, wie viele sich auch neu darauf besinnen, dass Kirche in unserer Gesellschaft wichtig ist, weil sie für Werte einsteht, weil sie Orientierung gibt und eben auch Gottvertrauen, das ja auch dazu gehört. Und dass Weihnachten die Gottesdienste voll sind, manchmal ärgert mich, dass das so runtergeredet wird, bei jeder anderen Institution, wenn so viele Millionen Menschen zum selben Zeitpunkt kämen, würde das als Sensationsnachricht durchgehen, hier heißt es ja immer, ist ja nur an Weihnachten.

    Klein: Die Kirche verzeichnet wohl auch wieder mehr Eintritte, wenn wohl auch nur bei bestimmten Bevölkerungsgruppen. Es ist die Rede von gut ausgebildeten Frauen mittleren Alters. Halten Sie das schon für einen neuen Trend?

    Käßmann: Also wir können auf jeden Fall sagen, dass die Zahl der Kirchenaustritte sehr deutlich zurückgeht. Ich nehme an, wer austreten wollte, ist ausgetreten, aber dass wir tatsächlich so viele Eintritte zu verzeichnen haben, das finde ich ungeheuer erfreulich. Also Menschen, die beim ersten Gehalt ausgetreten sind und gesagt haben, huch, also so viel wollte ich dann doch nicht als Beitrag zahlen, wenn dann das erste Kind kommt oder der Vater beispielsweise krank wird, dass dann auf einmal die Sinnfragen in der Leistungsgesellschaft wieder auftreten, das erleben wir tatsächlich, das finde ich erfreulich, weil wir brauchen leistungsstarke Menschen in der Kirche. Auch wir sind ja eine Gemeinschaft von Starken und Schwachen.

    Klein: Erstmals ist eine Frau Regierungschefin. Das hat mindestens so viele Diskussionen ja ausgelöst wie seinerzeit der Fakt, als zum ersten Mal eine Frau Bischöfin wurde. Hat sich die Aufregung im einen wie im anderen Fall gelegt nach Ihrer Beobachtung?

    Käßmann: Also ich denke, das hat sich erstaunlich schnell gelegt, sowohl bei den Frauen im Bischofsamt, eigentlich wird das bei uns gar nicht mehr groß diskutiert, ein Mann oder eine Frau, möge es der oder die werden, die es im Moment am besten leisten kann. Und ich denke, bei Frau Merkel ist das ganz ähnlich. Nach knapp drei Monaten haben sich alle daran gewöhnt. Das Wort Bundeskanzlerin ist sogar zum Wort des Jahres gewählt worden. Sie hat einen anderen Stil als Männer, der wird dann auch weiter kritisiert werden, aber es ist ihr eigener Stil. Und ich denke, inzwischen sagen ganz viele Menschen, prima, und guck mal, sogar auf dem europäischen Parkett, also die Gewöhnung ging ganz schnell, denke ich.

    Klein: Ihr größter Wunsch für das Jahr 2006, Frau Käßmann?

    Käßmann: Ich wünsche mir vor allen Dingen, wenn wir jetzt über Deutschland hinweg gucken, dass wir es endlich schaffen, dass mehr Menschen tatsächlich in dieser Welt ernährt werden können und nicht hungern müssen.

    Klein: Vielen Dank für das Gespräch.