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Kästner-Frühwerk wiederbelebt

Erich Kästners Stück "Klaus im Schrank oder Das verkehrte Weihnachtsfest" entstand 1927. Lange war es in Vergessenheit geraten, nun ist es in einer Bühnenbearbeitung am Staatsschauspiel Dresden zu sehen. Ein klug-witziges Stück, meint Hartmut Krug.

Von Hartmut Krug | 04.11.2013
    Klaus und Kläre sind allein zu Haus. Wie immer. Der Vater, ein Bankdirektor, geht tagsüber zur Arbeit und danach in die Harmonie, und die Mutter lässt sich von einem feschen Verehrer zu Modenschau und Theater begleiten. Weder haben sich die Eltern noch etwas zu sagen, noch kümmern sie sich um ihre Kinder. Die leiden sehr unter der emotionalen Vernachlässigung, auch wenn es da einen kinderlosen Onkel gibt, der sich ein wenig um sie kümmert. Selbst aus der Tatsache, dass Klaus einen Brief seines Lehrers mit der Nachricht, dass er nicht versetzt werde, vom Vater unterschreiben lassen soll, zieht der Junge Hoffnung auf Aufmerksamkeit:

    "Klaus: Oh, das gibt Prügel! Das gibt Prügel. Mein armer Popo oh!" - "Kläre: Das gibt keine Prügel." - "Klaus: Das gibt welche." - "Kläre: Das gibt keine!" - "Klaus: Wollen wir wetten?" - "Kläre: Um was?" - "Klaus: Ums nächste Taschengeld?" - "Kläre: Gut." - "Klaus: Warum denkst du, krieg ich keine?" - "Kläre: Was?" - "Klaus: Prügel." - "Kläre: Ach so. Ganz einfach, weil Papa sich nicht drum kümmert. Er wird einfach seinen Namen drunter schreiben, ohne zu lesen. Wie immer. Und dann denkt er noch, du wärst von Egerland gelobt worden." - "Klaus: Kann schon sein. Aber weißt du - eigentlich möchte ich Prügel kriegen." - "Kläre: Was? Wegen dem Taschengeld?" - "Klaus: Ach Quatsch. Aber dann spürt man wenigstens, dass man Eltern hat."

    Erich Kästners Stück "Klaus im Schrank oder Das verkehrte Weihnachtsfest. Ein modernes Weihnachtsmärchen in sieben Bildern" entstand 1927. Da hatte der Dichter erst einige Artikel und Essays in Zeitungen veröffentlicht. So ist das ohne Auftrag entstandene Stück wohl Kästners erstes literarisches Werk. Zwar lobte es ein Theaterverlag als originell und heiter, doch bemängelte er zugleich, es sei ein bisschen zu modern für ein Weihnachtsstück. Und so rutschte das Stück in die Vergessenheit und tauchte erst über ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung in Kästners von der Berliner Akademie der Künste verwaltetem Nachlass wieder auf.

    Es ist ein schönes, sprachlich geschliffenes, so kluges wie komisches, so sensibles wie effektvolles Stück. Ein nie kindertümelndes Werk, sondern ein ernsthaft unterhaltendes Familienstück, als das es das "Staatsschauspiel Dresden zu Recht ankündigte.

    Wie auch später, so in "Pünktchen und Anton", sind es selbstbewusste und wahrnehmungssichere Kinder, die sich gegen ihre Vernachlässigung wehren und damit sich und ihre Eltern emanzipieren.

    Wenn die Fantasie der Kinder plötzlich Anweisungen aus dem Radio erhält, sich in den Schrank zu begeben und beim großen schwarzen Hund links abzubiegen, dann begeben sich die Geschwister natürlich in diese Gegenwelt. Wo der Hund um Schokolade bettelt (und dessen Darsteller herrliche, artistische Kunststücke macht), und wo der Kinderstar Jackie Coogan, der die Titelrolle in Charlie Chaplins "The Kid" spielte, schon mit Charlie Chaplin wartet. Denn der will mit ihnen einen Film drehen, was den Filmfan Klaus total begeistert. Soviel zur "Modernität" des Stückes.

    In mehreren Szenen, als Film und als Theaterspiel gezeigt, erfahren Eltern und Kinder nun sowohl etwas über sich als auch über die andere Generation. In Szenen mit hohem Humorpotenzial. Die Eltern müssen in Kinderkleidung mit riesigem Spielzeug spielen, sich in der Schule in zu enge Bänke zwängen oder sich beim Sport am Pferd blamieren, und die Kinder streiten sich in den Kleidern ihrer Eltern bei einer an einer Laterne endenden Autofahrt. So erfahren die Eltern im Spiel die Lebens- und Problemwelt ihrer Kinder, so wie die Kinder, die ihrer Eltern erfahren. In Dresden sind die Rollen wunderbar typgerecht besetzt: Wie hier die Rollen, die von unterschiedlicher Körperlichkeit und verschiedenem Bewusstsein charakterisiert sind, in Spiel und Dialog charakterisiert und zugleich komisch ausgestellt werden, das verleiht der effektsicheren und temporeichen Inszenierung von Susanne Lietzow eine schwebende Lockerheit. Die Regisseurin setzt nicht nur auf den Dialogwitz Kästners, sondern umspielt ihn mit Slapstick, viel Bewegung und turnerischer Artistik des Hundes. Wie zum Beispiel die Eltern vergeblich eine Matheaufgabe über unterschiedliche Flugzeiten im Flugspiel zu lösen suchen, ist einfach wunderbar.

    Nachdem Jackie Coogan als Richter in einer Eltern-Gerichts-Szene als Urteil verkündet hat, beide Eltern sollten die Kinder auf der Stelle und für immer verlassen und sich trennen, ist die Zeit in der Gegenwelt vorbei.

    Wie Kästner es schafft, beim abschließenden Weihnachtsabend ein Happy End zu konstruieren, das nie kitschig ist, sondern das das Suchen und Versuchen der Eltern zueinander und zu den Kindern als komisch-ernsthaft verhemmten Versöhnungsversuch ausmalt, ist herrlich anzuschauen. Die wissbegierige Kläre bekommt "Die Geschichte der Menschheit in 48 Bänden" und Klaus seine Filmkamera, deren Aufnahmen aus dem Filmalltag die Theaterinszenierung beschließen. Und für den Onkel haben die Kinder ein (vom einstigen Verehrer der Mutter gespieltes) baumlanges Fräulein Elfriede organisiert. Während die beiden sich als komisches Paar im Tanz finden, zieht der schwarze Hund wie ein Rentier den Weihnachtsschlitten herbei, ein geflügelter Charlie Chaplin schwebt hoch oben am riesigen Weihnachtsbaum, und die luftig-leichte Inszenierung endet unter lang andauernden Standing Ovations von Erwachsenen und Kindern.

    In Dresden wurde mit "Klaus im Schrank" ein verschollenes Kästner-Stück für die Bühne gewonnen. Ein klug-witziges Stück, in einer intelligent-effektsicheren Inszenierung.