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Kaffeehaus-Erlass
Tempel für das schwarze Gold

Mitte des 16. Jahrhunderts war in Europa von einem interessanten neuen Getränk die Rede. Es schmecke nicht nur gut, sondern mache auch wach, hieß es. Vor allem die Wiener zelebrierten das neue Getränk – und sie tun es bis heute, seit genau 330 Jahren.

Von Beatrix Novy | 17.01.2015
    Blick in ein Restaurant, auf einer Theke im Vordergrund steht ein Kaffee, ein Kellner läuft durchs Bild.
    Ein Milchkaffee wartet auf seinen Genießer. (imago/stock&people)
    Wien im Jahr 1685. Die große Türkenbelagerung ist 16 Monate zuvor glücklich zu Ende gegangen. Zwar ist der Krieg gegen die Osmanen noch lange nicht vorbei, aber er findet jetzt woanders statt. Wien kann sich auf Angenehmeres konzentrieren, zum Beispiel auf den Kaffeegenuss. Ein Armenier, der sich hier Johannes Diodato nennt, bekommt am 17. Januar 1685 das kaiserliche Privileg für seinen Kaffeeausschank und damit das Recht, "solches orientalisches Getränk auf 20 Jahr allein zu verkauffen, und sich dessen niemandt, er seye, wher er wolle, bey Straff der confiscatio und 5 Markh Geldtes anmassen sollte"
    Im Legenden-Nebel um das Wiener Kaffeehaus hat diese nicht besonders aufregende Geschichte einen Vorzug: Sie ist historisch belegt, und sie gibt der Entstehung der sagenhaften Institution ein Datum. Zwar wird immer noch gern vom braven Kurier Kolschitzky erzählt, der sich als Lohn für seine Dienste während der Belagerung von 1683 die seltsamen Bohnen ausbat, die die Türken säckeweise zurückgelassen hatten – doch diese Geschichte hat die historische Forschung längst in ihre komplizierteren Einzelteile zerpflückt. Der Historiker Karl Teply schrieb:
    "Im Osmanischen Reich kannte man den Kahve damals seit etwa eineinhalb Jahrhunderten. Trotz des Widerstands religiöser Eiferer, die ihn so verwerflich fanden wie Wein, war er um 1580 bereits bis Ofen vorgedrungen."
    Also bis ins nicht weit entfernte Budapest.
    "Es ist daher eine sehr belustigende Vorstellung, Wien, am Rand der osmanischen Welt gelegen und mit tausend Fäden in Krieg und Frieden mit ihr verbunden, habe sich erst von Kara Mustafa belagern lassen müssen, um den Kaffee kennenzulernen."
    Kaffee: zunächst von Arabien, später von den Plantagen der Kolonialmächte aus eroberte er die Welt. Und Diodatos Kaffeehaus war natürlich nicht das erste seiner Art. Auch ohne kaiserliche Genehmigung hatten sich Kaffee-Ausschankstätten seit Jahren ausgebreitet. Keineswegs nur in Wien; auch in Frankreich, den Niederlanden, England. In London florierten Ende des 17. Jahrhunderts mindestens 2000 Coffee Houses - Orte einer frühbürgerlichen Öffentlichkeit, die sich hier nüchternen Kopfes in Diskussion und freier Rede übte. In den Tavernen war es noch anders zugegangen.
    "Die fürchterliche Schenke ist entthront, in der noch vor einem halben Jahrhundert die Jugend sich zwischen Fässern und Dirnen wälzte."
    Kaffee als Schmiermittel der Gesellschaft
    Schrieb im 19. Jahrhundert der französische Historiker Jules Michelet und pries die Droge der Vernunft, den Kaffee "das nüchterne Getränk, mächtige Nahrung des Gehirns, die anders als die alkoholischen Getränke die Reinheit und die Helligkeit steigert."
    Und selbst Jürgen Habermas erklärte einmal, wie auch die Standesgrenzen aufweichten im diskursfördernden Milieu des Kaffeehauses
    "Das Kaffeehaus eröffnete nicht nur zwangloseren Zugang zu den maßgebenden Zirkeln, ..., es erfaßte vor allem die breiteren Schichten des Mittelstandes, sogar Handwerker und Krämer."
    Weil er sich von einem Bäcker hat ungesühnt beleidigen lassen, glaubt Arthur Schnitzlers "Leutnant Gustl", der fesch-oberflächliche Held der gleichnamigen Erzählung, sich ehrenhalber erschießen zu müssen.
    "Wenn ich morgen ins Kaffeehaus komm', sitzt er wieder dort wie alle Tag' und spielt seinen Tapper mit dem Herrn Schlesinger und mit dem Kunstblumenhändler ... Nein, nein, das geht ja nicht, das geht ja nicht."
    Als Mikrokosmos, in dem Öffentlichkeit und Privatheit sich durchdringen, hat das Wiener Kaffeehaus die außergewöhnlichste Karriere gemacht. Ohne Cafés wie das Griensteidl, Central oder Herrenhof wäre das Wiener Geistesleben des Fin de Siècle nicht denkbar, kaum eine historische Anekdote kommt ohne Erwähnung eines Kaffeehauses aus. Starbucks, Renditedruck, endlose Verwertung als touristisches Markenzeichen: Bisher hat das Wiener Kaffeehaus und das mit ihm verbundene Lebensgefühl alles überlebt, auch wenn viele geliebte Etablissements schließen mussten oder sich ungut veränderten. Übrigens hat sich das Café des Johannes Diodato auch nicht ewig gehalten.