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Kafka in den USA

"Als der 16jährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen Schiff in de Hafen von New York einfuhr, erblickte er die schon längst beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem plötzlich stärker gewordenen Sonnenlicht. Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings empor, und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte." - So von den Lüften der Freiheit landete Franz Kafkas Romanheld Roßmann in "Amerika". Mit dem Blick des Fremden sieht er eine Neue Welt. "God Save America" heißt das neue Stück der serbischen Autorin Biljana Srbljanovic, auch hier kommt ein Karl Roßmann vor, aber der Mann macht richtig Karriere. Das muss er auch, damit die Fallhöhe stimmt, wenn ihm die Kreditkarten gesperrt werden. Und auch Amerika ist anders geworden.

Von Hartmut Krug | 22.11.2004
    Der Mann lebt auf großem Fuß, aber irgendwie geht es ihm nicht gut. Er hockt im dunkeln, kapselt sich ab und hält nur noch indirekte Verbindung zur Außenwelt, über das Abhören seines Anrufbeantworters. Biljana Srbljanovic´ melancholisch-hilfloser Held ist ein Top Dog, der sich sozial sicher wähnte. Schließlich hatte er die Höhen der Einkommensklasse des amerikanischen Präsidenten erreicht. Doch nun ist er, ein Jahr nach dem 11.September, wegen der Rezession und eines kleinen Fehlers entlassen, und dem ökonomischen folgt mit schlimmer Selbstverständlichkeit auch der gesellschaftliche Absturz.

    "God save america", im Jahr 2003 in Belgrad uraufgeführt und vor wenigen Wochen in Köln mit wenig Erfolg erstmals auf deutsch inszeniert, ist der letzte Teil einer Trilogie der jungen, 1995 gleich mit ihrem ersten Stück "Belgrader Trilogie" berühmt gewordenen serbischen Autorin. Nach dem Fall einer Diktatur in "Der Sturz" und dem Siegeszug kapitalistischer Prinzipien in "Supermarkt" zeigt "God save america" die Desillusionierung im kapitalistischen Paradies Amerika. Karl Roßmann, Srbljanovic´ gleichnamiger Wiedergänger aus Franz Kafkas Roman "Amerika", lebt in Karin Beiers Inszenierung nicht wie von der Autorin vorgeschrieben in einem winzigen Appartement. Bühnenbildner Thomas Dreißigacker erreicht im Akademietheater klaustrophobische Wirkung auf beeindruckende Weise mit einem weiten Raum. Er hat Karls exklusives Appartement am New Yorker East River als einen im Hochglanzchic des Konsums glänzenden, unwirtlich und unwirklich edlen Plastik-Werbe- und Verkaufsraum gestaltet. Alltagsgegenstände stehen im Glassturz oder auf Verkaufsregalen neben Schaufensterpuppen mit Karls Gesicht, und hinter einem flauschig-weißen, raumfüllenden Podest flimmert auf einer Videowand abstraktes grafisches Bildmaterial. Die Szene wirkt gegenständlich und künstlich zugleich, wozu ein Heer von ständig sich umkleidenden und frisierenden, dabei aber wie geklont gleich aussehenden Models beiträgt. Sie fungieren als Bühnenarbeiterinnen, die beim fließenden Übergang von einer Szene zur anderen mit wenigen Utensilien aus der Werbewelt den Wohnraum zum Edel-Restaurant, zur Eingangshalle des Appartements, zum Feinkostladen oder zum U-Bahnsteig umbauen und stilisieren.

    Biljana Srbljanovic will viel, leider allzu viel mit ihrem Stück. Da sind realistische Szenen mit auch allegorisch gemeinten Figuren bevölkert und münden in einen transzendenten Schluss. Der Vormieter Karls ist augenscheinlich ein von seiner unentwegt anrufenden Mutter vermißtes Opfer des 11.September, und Karl geht schließlich einem dunkelhäutigen Phantom zum Selbstmord in den U-Bahnschacht nach. Er folgt einem dunkelhäutigen Kind, das er zuvor als einziger schon mehrfach gesehen zu haben meint. Ein enthemmt lasterhafter Freund und eine naiv gute Verkäuferin geben als Gegenpole dem auch als Krimi, meist aber als dialogwitziger Boulevard fungierenden Stück Elemente eines modernen morality play. Vor allem aber schwankt "God save america" zwischen entlarvender Kritik in flacher Kafka-Folge und bunter Soap. Es ist insgesamt durchaus kein sonderlich gutes Stück. Doch Regisseurin Karin Beier gelingt mit brillanten Darstellern eine sinnliche und intelligente Inszenierung. Sie vermag, indem sie den Dialogen rasante Stringenz und den Szenen boulevardeske Absurdität verleiht, die Unwirklichkeit des Geschehens realistisch zu überhöhen. Wobei sie gut daran tut, den Figuren ihre fehlende psychologische Begründung nicht nach zu liefern. Es ist eine Inszenierung, die, so paradox das klingen mag, ihre Wahrhaftigkeit aus der Künstlichkeit von Szene und Geschehen bezieht. Und aus der Souveränität, mit der dem Stück Komik und sogar Slapstick entlockt werden. Dabei versinnlicht sich das traurige wahre Leben nicht durch den Text, sondern durch das gestisch-mimische Potential wunderbarer Schauspieler: Michael Wittenborn spielt einen magenkrank verzweifelnden und staunenden, sich an der höflichen Unhöflichkeit von fordernden Domestiken abarbeitenden Karl, und Nicholas Ofzarek treibt die Figur des sich mit wildem Aktionismus betäubenden Freundes in eine wunderbare, auch körperliche Bewegtheit. Michael Gempart zeigt die virtuose Verkörperung eines form- und machtbewußten impertinenten Kellners in all seiner Gräßlichkeit, der Michael Masula als in kalkulierter Zurückhaltung dominanter Doorman nicht nachsteht. Und weil das Akademietheater die Frauenrollen eines koksenden russischen Models, einer machtbewußten Ehefrau und einer herzlich einfachen und guten Feinkostverkäuferin so wunderbar mit den drei brillanten Darstellerinnen Regina Fritsch, Christiane von Poelnitz und Alexandra Henkel zu besetzen vermag, gelingt es Regisseurin Karin Beier, mit einem mäßigen Stück beim Publikum fast unmäßige Begeisterung hervor zu rufen.