Archiv


Kahrs: Keine Alternative zu höherer Mehrwertsteuer

Nach den Worten des SPD-Finanzpolitikers Johannes Kahrs hält die große Koalition an der beschlossenen Mehrwertsteuererhöhung um drei Prozentpunkte fest. Wer einen Verzicht auf die Erhöhung verlange, müsse darlegen, woher die nötigen Einnahmen kommen sollen, sagte der Sprecher der im konservativen Seeheimer Kreis zusammengeschlossenen SPD-Politiker. "Klug reden, aber ohne eine Alternative zu haben, ist ziemlich billig", betonte er.

Moderation: Gerd Breker |
    Gerd Breker: Am Telefon begrüße ich nun den Sprecher des Seeheimer Kreises Johannes Kahrs und SPD-Mitglied im Haushaltsausschuss. Guten Tag, Herr Kahrs!

    Johannes Kahrs: Moin!

    Breker: Muss es beim großen Schluck aus der Mehrwertsteuerpulle bleiben?

    Kahrs: Wir Sozialdemokraten waren ja gegen diese Mehrwertsteuererhöhung. Die CDU hat das dann in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt, insbesondere weil die Ministerpräsidenten ja fast 50 Prozent des Geldes bekommen. Die werden fast alle von der Union gestellt. Wir haben alle anderen Überlegungen dann ad acta gelegt, und jetzt muss das auch kommen.

    Breker: Wenn Sie anfänglich dagegen waren, dass die Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte erhöht werden soll – sie sollte ja aus Sicht der Union erst mal um zwei Prozent erhöht werden -, dann kann man doch dazulernen und es wieder zurücknehmen?

    Kahrs: Natürlich kann man das.

    Breker: Warum tun Sie es nicht?

    Kahrs: Das ändert aber nichts daran, dass der Finanzbedarf da ist. Zurzeit wird ja immer gesagt, dass die Steuerquellen sprudeln. Das ist richtig. Das war aber auch eingeplant. Die gleichen Ökonomen und Herrschaften, die das verlangen, verlangen von uns aber auch, dass wir den Haushalt sanieren, dass wir die Maastricht-Kriterien einhalten und alles andere. Und wenn man sich die Haushaltsplanung anguckt, dann sind die Mehrwertsteuererhöhungen da eingearbeitet, übrigens aber auch genau wie die jetzt steigenden Steuereinnahmen. Das war ja vorhergesagt worden. Das ist alles eingearbeitet. Da gibt es keine Luft und keinen Spielraum, es sei denn, man will das Erreichen der Maastricht-Kriterien gefährde. Und das kann ja wohl niemand wollen.

    Breker: Das will wohl auch niemand, aber alle Experten lehnen eine dreiprozentige Mehrwertsteuer ab. Kann man von denen nicht lernen, oder haben die Unrecht?

    Kahrs: Na ja, alle Experten haben im Wahlkampf teilweise etwas anderes gesagt. Die ändern ihre Meinung auch täglich. Natürlich haben wir die Mehrwertsteuererhöhung für falsch gefunden. Wir haben aber andere Vorschläge gemacht, wie man an das Geld herankommt. Denn eines war klar, dass der Staat unterfinanziert ist, und deswegen braucht man das Geld. Nur jetzt hat es die Koalitionsverhandlungen gegeben. Die sind abgeschlossen. Die Planungen sind darauf ausgerichtet, und das kriegen sie jetzt auch gar nicht mehr geändert, denn jede Alternative, wie man zum Beispiel mehr Geld sonst einspielen wollte oder sollte, wird ja von den gleichen Herrschaften wieder kritisiert.

    Breker: Aber das klingt irgendwie, Herr Kahrs, wie "beschlossen ist beschlossen und unsere Lernfähigkeit ist damit beendet"?

    Kahrs: Nein. Das klingt so, dass viele Menschen kluge Vorschläge machen, aber keine Alternativen benennen. Immer wenn dann die Alternativen diskutiert werden, dann ist es auch nicht recht. Das heißt, ich habe viele kluge Menschen die mir sagen, wie man das viele Geld, was der Staat hat, ausgeben kann. Es gibt auch ganz viele, die mir sagen, warum man die Steuern irgendwo nicht erhöhen darf. Aber wie das miteinander in Deckung zu bringen ist, das sagt keiner. Die Kanzlerin sagt, eins ist sicher bei der Gesundheitsreform, es wird teurer. Das halte ich für einen sehr mutigen Spruch. Dann ist es so, dass der Staatszufluss in die Rente jedes Jahr steigt. Wir geben jedes Jahr bei einem Staatshaushalt von ungefähr 240 Milliarden einen Zufluss von 80 Milliarden in die Rentenkasse. Man muss sich doch mal die Dimensionen angucken. Dann wird immer gejammert, dass wir zu viel Schulden machen. Und in den letzten Jahren war es ja auch so, dass die Planung und die Realität auseinander lagen. Wir haben also in den letzten Jahren eher Miese gemacht. Kaum haben sie mal ein Jahr, wo sie ein bisschen mehr haben, wo sie ein bisschen Plus haben, müsste man doch eigentlich jetzt daran denken, das was man in den letzten Jahren weniger hatte auszugleichen. Stattdessen kommen Ökonomen und sagen, das geht nicht.

    Breker: Herr Kahrs, aus Sicht eines Sozialdemokraten, wie sozial ist eine Mehrwertsteuer?

    Kahrs: Wir haben ja dafür gesorgt, dass bei der Mehrwertsteuererhöhung der ermäßigte Satz auf dem ermäßigten Niveau bleibt, also Grundnahrungsmittel und Ähnliches. Wir Sozialdemokraten waren im Wahlkampf gegen diese Mehrwertsteuererhöhung. Wir haben uns dann in den Koalitionsverhandlungen in diesem Punkt nicht durchgesetzt.

    Breker: Im Gegenteil, es wurde noch ein Prozent draufgelegt.

    Kahrs: Nicht von uns, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Wenn Sie sich mal die Koalitionsverhandlungen angucken, dann waren es die Ministerpräsidenten der Länder, die teilweise sogar vier Prozent gefordert haben. Und wir Sozialdemokraten haben dann dafür gesorgt, dass es "nur" drei sind und dass es erst zum 1. 1. 2007 anfängt. Da war die Begeisterung bei uns nicht groß. Nur darf man sich da auch keinen weißen Fuß machen. Wir hatten auch Alternativen, die wären auch alle nicht schön gewesen. Das ist genau die gleiche Geschichte, dass man sich jetzt hinstellt und sagt, man muss eine Unternehmenssteuerreform machen. Klar muss man das, aber sie muss aufkommensneutral sein. Das heißt, irgendeiner muss doch auch die Interessen des Bundeshaushaltes vertreten.

    Breker:! Herr Kahrs, die Wirtschaftsexperten sagen, wir haben diesen Aufschwung und mit einer dreiprozentigen Mehrwertsteuererhöhung könnte das zarte Pflänzlein wieder zerstört werden. Ist nicht Aufschwung besser als Steuereinnahmen?

    Kahrs: Natürlich, aber ich glaube nicht, dass das so stattfinden wird. Zum anderen ist es auch so, dass die gleichen Experten sagen, dass es undenkbar ist, dass man die Maastricht-Kriterien nicht einhält. Die gleichen Experten sagen mir natürlich, dass wir die Zuschüsse an die Rentenkasse nicht absenken können und man keine Leistungskürzung bei der Rente machen kann, was ich übrigens auch finde. Das geht nicht. Die gleichen Experten geben mir aber keine Alternative. Klug reden, aber ohne eine Alternative zu haben, ist ziemlich billig.

    Breker: Reichensteuer ist auch keine Alternative. Da ist ja einfach viel zu wenig.

    Kahrs: Natürlich. Die Reichensteuer wird in dieser Legislaturperiode eine Milliarde bringen. Die ist im Haushalt mit drin. Wir reden doch jetzt darüber, wenn man die Mehrwertsteuer aussetzt, um Mindereinnahmen von 24 Milliarden Euro jedes Jahr für Bund und für Länder. 24 Milliarden, das ist ein Haufen Geld. Da muss doch einer sagen, wenn man das nicht will, wo das herkommen soll. Zurzeit haben wir aus den ganzen sprudelnden Steuerquellen real maximal im Moment 800 Millionen.

    Breker: Also gibt es diese sprudelnden Steuerquellen gar nicht?

    Kahrs: Es gibt sie nicht. Sie verhalten sich so wie vorhergesagt und sind einen Tick darüber. Diesen Tick darüber sind diese 800 Millionen. Deswegen sollen wir jetzt auf die 24 Milliarden verzichten, die schon eingeplant sind, und das von Menschen, die uns gleichzeitig erklären, dass wir die Maastricht-Kriterien erfüllen sollen. Das krieg ich nicht beieinander.

    Breker: Bei den Maastricht-Kriterien sieht es ja ganz gut aus, wie man aus Brüssel hört. Herr Kahrs ,das heißt doch, irgendwie sind Sie vom Saulus zum Paulus geworden, also vom glühenden Gegner zum glühenden Befürworter, wenn man Sie so hört, der Mehrwertsteuer.

    Kahrs: Ich persönlich glaube immer noch, dass es andere Alternativen gegeben hätte, und wir Sozialdemokraten haben ja gesagt - ich habe damit sogar Wahlkampf gemacht -, dass wir die Mehrwertsteuererhöhung nicht wollen. Aber ich bin nicht mit absoluter Mehrheit gewählt worden. Die Union ist stärker gewesen als wir. Wir haben eine Koalitionsverhandlung gemacht. Da konnten wir die Union runterhandeln. Das Ergebnis steht jetzt. Und jetzt steht in allen Punkten die Koalitionsverhandlung. Jetzt kann ich aber auch als Sozialdemokrat nicht die Punkte der Koalitionsverhandlung, die mir gerade mal nicht passen, wieder aufrollen. Sondern wir verlangen von der Union, dass sie beim Kündigungsschutz sich an den Koalitionsvertrag hält. Wir verlangen im Bereich Atomkraft, dass sie sich an den Koalitionsvertrag hält. Jetzt kann ich doch auf der anderen Seite nicht die Dinge des Koalitionsvertrages, die mir auch nicht gefallen, selber aufbröseln. So funktioniert doch Politik nicht. Das ist doch naiv.

    Breker: In den "Informationen am Mittag" war das Johannes Kahrs. Er ist der Sprecher des Seeheimer Kreises und SPD-Mitglied im Haushaltsausschuss. Herr Kahrs., danke für dieses Gespräch.

    Kahrs: Glück auf.