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Kalbitz-Rauswurf aus der AfD
"Es ging um eine rechtliche, nicht um eine politische Beurteilung"

Es sei eine juristische und keine politische Entscheidung gewesen, Andreas Kalbitz' Mitgliedschaft in der AfD für nichtig zu erklären, sagte Jörg Meuthen, Co-Sprecher der Partei, im Dlf. Kalbitz habe bei seinem Beitritt "substanzielle Tatsachen verheimlicht". In der AfD habe Kalbitz aber nie rechtsextrem agiert.

Jörg Meuthen im Gespräch mit Philipp May | 16.05.2020
Jörg Meuthen und Andreas Kalbitz sitzen sitzen hinter einem Pult und blicken in unterschiedliche Richtungen.
AfD-Bundes-Co-Sprecher Jörg Meuthen und Andreas Kalbitz, der sich gegen seinen Ausschluss vermutlich juristisch wehren wird (dpa/Ronny Hartmann)
Andreas Kalbitz hatte immer bestritten, Mitglied der rechtsextremen Heimattreuen Deutschen Jugend zu sein, doch dann tauchte sein Name auf einer Mitgliedsliste auf. Der Rechtsaußen der AfD – mit Björn Höcke gemeinsam Wortführer des zumindest formal aufgelösten völkischen Flügels – ist in Erklärungsnot. Jetzt erklärte der Parteivorstand seine Mitgliedschaft für nichtig. Dadurch ist Kalbitz raus aus der Partei, ohne das Schiedsgerichte und ein Parteiausschlussverfahren bemüht werden müssen. Ob das rechtlich Bestand haben wird, sei aber fraglich, sagte der innenpolitische Sprecher der FDP, Konstantin Kuhle, im Dlf:
"Es scheint so zu sein, als ob man sich in der AfD mit einem Kunstgriff helfen wollte, indem man erklärt hat, es ist kein Ausschluss sondern eine Erklärung der Mitgliedschaft als nichtig, ob das rechtlich Bestand hat, daran muss ein dickes Fragezeichen gemacht werden und das wird man sehen."
Es ist aber zumindest vorläufig ein Sieg für die Gemäßigten in der Partei, wenn auch ein äußerst knapper Sieg. Fünf stimmten dagegen, darunter Alice Weidel, Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion und Co-Sprecher Tino Chrupalla. Es gab eine Enthaltung und sieben stimmten dafür, unter anderem der andere AfD-Bundesprecher Jörg Meuthen, mit dem wir über den Vorgang gesprochen haben.
Philipp May: Herr Meuthen, ist die Partei gespalten?
Jörg Meuthen: Nein, das sehe ich so nicht. Wir haben in dieser Frage sicherlich zwei unterschiedliche Positionen, auch in der Parteispitze, aber wir sind eine Partei des Meinungspluralismus. Man kann in Positionen oder in Sachentscheidungen, auch Personalentscheidungen unterschiedlicher Auffassung sein. Das ist hier der Fall. Das halten wir aus. Deswegen ist die Partei nicht gespalten.
Für die Entscheidung gab es "substanzielle Gründe"
May: Weidel, Gauland, Chrupalla kritisieren den Beschluss heftig und deuten sogar an, dass sie Andreas Kalbitz weiter unterstützen, der gegen den Ausschluss gerichtlich vorgehen will. Das klingt in meinen Ohren nach Zerreißprobe.
Meuthen: Also wenn man eine solche Entscheidung trifft, dann ist es nicht unüblich, dass sie auch rechtlich angefochten wird. Wie sagt man so schön: Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Wir gehen davon aus, sonst hätten wir diese Entscheidung nicht getroffen, sonst hätte ich die auch nicht eingebracht, dass das rechtlich Bestand haben wird. Namentlich Herr Brandner hat das gestern in der Sitzung ganz anders eingeschätzt, gesagt, das wird keinen Bestand haben. Das werden wir sehen. Ich bin da sehr zuversichtlich, dass es Bestand haben wird, weil wir wirklich substanzielle Gründe hatten, diese Entscheidung zu treffen.
May: Kann man eine Partei führen, in der ein Landeschef mit dem Segen der Hälfte des Parteivorstandes gegen den Parteivorstand prozessiert?
Meuthen: Das kann man ohne Weiteres. Wir haben hier ja auch in der Parteispitze selbst unterschiedliche Positionen, wie Sie in der Anmoderation richtig festgestellt haben. Wir sind aber nicht angetreten, um uns über Personalfragen hier zu zerlegen, sondern wir treten an, um wichtige politische Sachfragen zu behandeln und eine wirklich kraftvolle Opposition in diesem Land zu sein, und da stehen wir sehr, sehr gut da, und diese Opposition braucht es dringender denn je.
Es ging um "eine rechtliche Beurteilung, nicht um eine politische"
May: Aber diese Personalfragen, die sind ja auch mit Sachfragen verknüpft. Oder anders gefragt: Eine Partei, in der die Hälfte der Führungsriege gegen den Ausschluss eines Rechtsextremen stimmt, was sagt das über die AfD aus?
Meuthen: Also zunächst einmal ist es nicht die Hälfte, sonst wäre die Entscheidung so nicht getroffen worden, …
May: Fast die Hälfte.
Meuthen: … sondern es gibt … Fast die Hälfte trage ich mit, das ist in Ordnung. Sie müssen die Gründe dahinter sehen, die diejenigen vertreten, die da Bedenken hatten. Das waren mehr rechtliche denn politische Bedenken. Es ging gestern in der ganzen Diskussion und Frage, die sehr intensiv und lange ging, um eine rechtliche Beurteilung, nicht um eine politische Beurteilung.
May: Das heißt, in der Sache sind sich alle einig: Andreas Kalbitz ist rechtsextrem?
Meuthen: Darüber haben wir überhaupt nicht gesprochen, sondern wir haben darüber gesprochen, ob Herr Kalbitz bei seiner Mitgliedsaufnahme substanzielle Tatsachen verheimlicht hat. Es ist, glaube ich, unstrittig, dass er rechtsextreme Bezüge in seiner Vergangenheit hat. Und wenn man das Puzzlespiel da zusammenlegt, und wir haben das sehr lange und sehr, sehr solide geprüft, dann spricht vieles dafür, dass diese Verheimlichung begangen wurde. Das hat uns dazu veranlasst, zu sagen: Dann müssen wir, weil wir es in anderen Fällen auch stets so gehandhabt haben, dann müssen wir die Mitgliedschaft eben nichtig stellen.
Kalbitz-Ausschluss aus der AfD - Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen
Der Parteiausschluss von Andreas Kalbitz könnte für die AfD zur Zerreißprobe werden, kommentiert Volker Finthammer. Die konservativ-bürgerlichen Kräfte haben damit einen Schritt getan, sich vom radikalen Flügel zu trennen. Doch der werde sich wehren.
May: Aber das ist ja der Elefant im Raum. Immerhin gibt es oder droht eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz, eben aufgrund rechtsextremer Bezüge. Zweifeln Sie denn noch daran, dass Andreas Kalbitz rechtsextrem ist?
Meuthen: Ich habe Andreas Kalbitz, das gebietet einfach die Fairness, das zu sagen, in der Arbeit im Bundesvorstand stets als konstruktiv wahrgenommen, und ich habe ihn in der Arbeit in der AfD auch nicht rechtsextrem agieren sehen oder hören. Er hat aber, das kann man nun nicht in Abrede stellen, rechtsextreme Bezüge in seiner Vergangenheit. Und Andreas Kalbitz hat das auch nicht in Abrede gestellt, sondern er hat gesagt: Ich kann mich nicht von meiner eigenen Vergangenheit distanzieren. Noch mal: Das ist die politische Geschichte, zu beurteilen hatten wir die rechtliche.
May: Gut, formal, sagen Sie selbst, hat Kalbitz gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss verstoßen. Inhaltlich, habe ich ja schon gesagt, geht es ja auch um eine Abgrenzung von Rechtsextremisten in der Partei. Als der Verfassungsschutz den Flügel zum Verdachtsfall erklärt hat mit der Begründung, dass Kalbitz rechtsextrem sei unter anderem, da hat die AfD sich beschwert, das sei rein politisch motiviert. Müssen Sie diese Kritik jetzt zurücknehmen?
Meuthen: Der Verfassungsschutz, ob er die Kritik zurücknehmen muss?
May: Nein, Sie, dass Sie sich beschwert haben, diese Beobachtung sei politisch motiviert.
Meuthen: Nein, daran halten wir fest, wir klagen ja auch gegen den Verfassungsschutz. Wenn man sich anschaut, was die Vorwürfe da sind, dann sind die zu nicht geringen Teilen an den Haaren herbeigezogen.
May: Aber Sie sagen doch jetzt selbst, Entschuldigung, wenn ich da kurz einhake, dass es klare rechtsextreme Bezüge bei Andreas Kalbitz gibt.
Meuthen: In seiner Vergangenheit. Das ist unstrittig.
May: Von der er sich nie distanziert hat.
Meuthen: Er hat immer gesagt, er kann sich nicht von sich selbst distanzieren, das ist eine andere Geschichte. Aber darüber müssen Sie auch mit Herrn Kalbitz sprechen. Das kann nicht Gegenstand einer angestrebten Beobachtung durch den Verfassungsschutz sein, ob einzelne Mitglieder in ihrer Vergangenheit einmal rechtsextreme Bezüge hatten, sondern der Verfassungsschutz hat zu beurteilen, ob unsere Partei rechtsextreme Bezüge hat. Und diese Frage, die können wir mit Fug und Recht verneinen. Das hat mit der gestrigen Entscheidung eigentlich überhaupt nichts zu tun. Und darum klagen wir auch gegen diese Entscheidung, und wir klagen mit Recht gegen diese Entscheidung.
Beobachtung von Höcke hat mit der Bundespartei AfD "nichts zu tun"
May: Was ist jetzt mit Björn Höcke, der ja auch als rechtsextrem eingestuft wird vom Verfassungsschutz? Gehen Sie gegen den jetzt auch vor?
Meuthen: Wir haben überhaupt keinen Anlass, gegen Herrn Höcke vorzugehen, weil Herr Höcke nicht diesen Sachverhalt hatte, wie Herr Kalbitz ihn hat. Also Herr Höcke hat bei seiner Aufnahme – ich habe das nicht geprüft, aber ich gehe felsenfest davon aus, sonst wäre es bekannt – keine Angaben unterlassen. Das ist bei Kalbitz der Fall gewesen. Darum haben wir jetzt bei Kalbitz gehandelt.
May: Glauben Sie denn, dass Björn Höcke weniger rechtsextreme Bezüge in seiner Biografie hat als Andreas Kalbitz?
Meuthen: Das ist eine Frage, die sich in dem Zusammenhang mit der gestrigen Entscheidung sicherlich nicht stellt.
May: Aber steht die irgendwann an? Weil der Verfassungsschutz beobachtet Sie ja, und zwar genau mit Bezug auf diese beiden Personen, Kalbitz und Höcke.
Meuthen: Der Verfassungsschutz stellt sehr, sehr stark auf diese beiden Personen ab, von denen ist die eine Person nicht mehr da und die andere Person, nämlich Höcke, ist Landespolitiker. Herr Höcke ist nicht im Bundesvorstand, Herr Höcke ist nicht im Bundestag, Herr Höcke ist nicht in der Bundesprogrammkommission, nicht im Konvent der Partei. Herr Höcke ist – sehr erfolgreicher übrigens – Thüringer Landespolitiker. Wenn also bei Höcke etwas moniert wird, dann wäre es Aufgabe des Landesverfassungsschutzamtes, das zu tun. Das tun die auch, ich halte das für hoch fragwürdig, was das Landesverfassungsschutzamt in Thüringen da macht. Aber das ist eine andere Geschichte. Aber mit der Bundespartei AfD hat das nichts zu tun. Also wenn Sie in einer Partei von 35.000 Leuten der Auffassung sind, die ich, ich sage das ausdrücklich, nicht teile, dass da einer gegebenenfalls rechtsextreme Positionen hat, dann ist das kein Anlass dazu, eine Partei im Ganzen zu beobachten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.