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Kammermusik
Auf der Suche nach der spanischen Identität

Zwei Klavierquintette und ein gemeinsames musikalisches Identitätsproblem: Wonach klingen? Nach Pariser Salon, deutscher Romantik oder spanischer Folklore? Wie originell die musikalischen Antworten von Enrique Granados und Joaquín Turina ausfallen, das zeigt eine neue CD mit dem Cuarteto Quiroga und dem Pianisten Javier Perianes.

Von Mascha Drost |
    Eine Frau spielt am Klavier.
    Eine Neue CD mit Kammermusik spanischer Musiker. (Imago / United Archives International)
    Enrique Granados, aus Klavierquintett g-moll op. 49, 3. Satz
    Kammermusik, die einem zu Recht spanisch vorkommen kann: Das Hauptthema eindeutig von Robert Schumann geklaut, dazwischen Anleihen bei Edvard Grieg. Und unverkennbar auch eine gewisse französische Melodieseligkeit.
    Komponist dieses farbig-virtuosen Klavierquintetts ist Enrique Granados: Im Laufe seines Lebens wurde er einer der wichtigsten Erneuerer der spanischen Musik, hier aber noch auf der Suche nach einem eigenen, originären Ton.
    Völlig losgelöst von den musikalischen Strömungen jener Zeit wirkt dieses 1894 komponierte Klavierquintett wie ein Nachhall aus der Romantik. Ein Nachhall, in den sich zumindest im zweiten Satz schon original-spanische Klänge mischen, verwunschen, wie aus fernen Zeiten und doch wegweisend für eine neue eigenständige Musiksprache.
    Enrique Granados, aus Klavierquintett g-moll op. 49, 2. Satz
    Ein Märchen aus uralten Zeiten könnte einem hier in den Sinn kommen; versunken und in sich gekehrt beschwört die Melodie längst Vergangenes hervor, ebenso atmosphärisch wie unwirklich. Und nicht nur die Musik, sondern auch ihre Interpreten, das Cuarteto Quiroga und der Pianist Javier Perianes.
    Ihre Aufnahme ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert: in ihrer Virtuosität und Spielfreude, der überaus filigranen Gestaltung, am meisten vielleicht aber aufgrund der klanglichen Eleganz. Raffiniert aber niemals manieriert arbeiten die Musiker feinste Strukturen heraus, ebenso durchsichtig wie farbig im Klang. Die Balance zwischen den Instrumenten ist mustergültig, der noble Klavierklang mischt sich wunderbar mit dem der Streicher. Bei zarten Passagen wie der eben gehörten, aber auch bei den vielen Stellen, die unverkennbar die Handschrift des großen Klaviervirtuosen Granados tragen.
    Enrique Granados, aus Klavierquintett g-moll op. 49, 1. Satz
    Trotz allem Temperament: Noch ist diese spanische Musik auf der Suche nach Eigenständigkeit. 1894, im Entstehungsjahr dieses Klavierquintetts von Enrique Granados, hat Paris auf die Musikwelt noch größeren Einfluss als Madrid - und wie schwer es ist, sich diesem Einfluss zu entziehen, der gleichzeitig Garant für Inspiration ist, zeigt auch das zweite Werk dieser neuen Platte. Ebenfalls ein Klavierquintett, ebenfalls in g-Moll, aber schon im 20. Jahrhundert komponiert, 1907.
    Der Andalusier Joaquin Turina schlug sich damals als keineswegs besonders erfolgreicher Kompositionsstudent durch, wurde aber mit der Uraufführung dieses Kammermusikwerks quasi über Nacht zu einem der meistgespielten spanischen Komponisten in Paris.
    Viel entscheidender aber war die Begegnung mit Isaac Albéniz. Der nahm dem jungen Turina das Versprechen ab, sich nach diesem Klavierquintett, seinem op. 1, nur mehr mit der Musik seiner Heimat zu beschäftigen. Denn so farbig und einfallsreich dieses Stück auch sein mag, frankonisiert ist es in jedem Fall. Wenn auch auf progressivere Art als das von Granados, weniger salonhaft, harmonisch kühner. Und so haben das Cuarteto Quiroga und Javier Perianes ihrem Klang passenderweise einiges mehr an Biss, Schärfe und Kontur verliehen.
    Joaquin Turina, Klavierquintett g-moll, op. 1, Anfang 4. Satz
    Wenn Joaquin Turina hier am Schluss auch in üppigen Klangwolken schwelgt: Für den Beginn seines Klavierquintetts hat er sich äußerste Zurückhaltung und Reduktion verordnet. Im dreifachen Pianissimo, mit Dämpfer, beginnen Bratsche, dann zweite Geige, Cello und erste Geige mit einem der Gregorianik entlehnten Thema, geheimnisvoll, tastend und in der vorliegenden Aufnahme ungeheuer spannungsvoll.
    Fahl und unwirklich im Klang gestaltet das Cuarteto Quiroga diesen in seiner Strenge und Kargheit irritierenden Anfang, schafft einen Spannungsbogen über weite Strecken und entlockt dem düsteren Farbspektrum dieses Satzes feinste Abstufungen.
    1. Satz Turina
    Das Versprechen, das der junge Joaqin Turina dem älteren Isaac Albéniz nach Uraufführung dieses Klavierquintetts gab, hat er gehalten: Er drehte Paris den Rücken, ging nach Madrid und beschäftigte sich intensiv mit den Traditionen seiner Heimat. Er wurde kein radikaler Erneuerer wie Albéniz oder de Falla, noch vergaß er die Meister seiner Lehrjahre. Sein 1942 komponierter Zyklus "Las musas de Andalucia", "Die Musen von Andalusien" beweist es: Der musikalische Einfluss der Impressionisten, allen voran Debussys, ist ebenso stark wie der der spanischen Folklore. Die Muse Kalliope erscheint hier in einem musikalisch sehr reizvollen, aber längst aus der Mode gekommenen Gewand, unwillig, die Gebote der Moderne anzuerkennen.
    Joaquin Turida, Caliope
    Joaquin Turida und Enrique Granados, zwei spanische Meister, versammelt die neue CD des Pianisten Javier Perianes und des Cuarteto Quiroga. Eine in ihrer Detail- und Spielfreude bemerkenswerte Aufnahme, soeben erschienen bei Harmonia Mundi.
    CD-Infos:
    Enrique Granados/ Joaquín Turina - Klavierquintette
    Javier Perianes, Klavier
    Cuarteto Quiroga
    Harmonia Mundi, LC 07045, Bestellnummer HMC 902226