Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Kammermusik
Brahms leidenschaftlich interpretiert

Die Kammermusik von Brahms klingt in manchen Aufnahmen kontrolliert, konservativ und etwas kühl. Vielleicht ist das ein Missverständnis. Das Belcea Quartet schlägt jedenfalls einen ganz anderen Ton an und erkundet auf ihrer neuen CD die Leidenschaft, die der Komponist hinter seiner klassischen Formstrenge verbirgt.

Von Marcus Stäbler | 13.11.2016
    Der deutsche Komponist Johannes Brahms auf einem Foto aufgenommen um 1889.
    Johannes Brahms (picture alliance / dpa)
    Musik: Brahms, Anfang c-moll-Quartett
    Die Musik bebt förmlich vor Erregung. Atemlos stürmt sie auf den Höhepunkt zu, doch dann fällt die dramatische Spannung plötzlich ab, als hätte man den Stecker gezogen. Die vier Stimmen versinken in tiefe Melancholie, angeführt vom wehmütigen Gesang der ersten Geigerin Corina Belcea.
    Schon mit dem Beginn des c-Moll-Quartetts stellt das Belcea Quartet die Weichen für seine Aufnahme aller drei Brahms-Streichquartette und des Klavierquintetts. Noch stärker als in seiner früheren Brahms-Einspielung aus dem Jahr 2004 rückt das Ensemble den Ausdruck ins Zentrum.
    Die vier Streicher - aus Rumänien, Polen und der Schweiz stammend, und in London und Basel ansässig - lesen den Notentext mit der gewohnten Transparenz. Doch ihr analytischer Blick bleibt nicht an den Buchstaben kleben, sondern ergründet den Sinnzusammenhang und die emotionalen Tiefenschichten der Partituren.
    Ringen um Substanz
    Johannes Brahms hatte 20 Anläufe genommen und wieder abgebrochen, bevor er endlich sein erstes Quartett vollendete. Wie in der Gattung der Sinfonie lastete das übermächtige Erbe Beethovens auch im Streichquartett auf seinen Schultern. Das Ringen um Substanz hat der damals 40-jährige Brahms unüberhörbar in die motivische Verzahnung und den Kontrastreichtum der beiden Quartette op. 51 hinein komponiert. Beim Belcea Quartet ist dieser Kampf mit der Materie auf packende Weise zu spüren.
    Das Belcea Quartet modelliert die musikalischen Charaktere plastisch aus. In lyrischen Passagen verbindet das Ensemble seine Linien zu einem dichten Legato und nimmt sich Zeit, einzelne Töne mit sattem Strich auszukosten; in den dramatischen Momenten sind die Staccati rasiermesserscharf artikuliert.
    Wehmut und Wärme
    Zwischen diesen Extremzuständen offenbaren die Musiker ein breites Spektrum an dynamischen und klanglichen Nuancen, mit denen sie den Farbreichtum der Werke ausleuchten. Ihre Brahms-Interpretationen sind wie aus einem Guss geformt, sie vereinen kammermusikalische Sorgfalt und berückende Sinnlichkeit – wie in der Romanze aus dem c-Moll-Quartett, mit ihrem sanglichen Strömen, voller Wehmut und Wärme.
    Musik: Brahms, Romanze aus dem c-Moll-Quartett
    Die Streicher beatmen jede Phrase gemeinsam und formen die Seufzermotive mit gestischer Prägnanz; der Schmerz und die Verletzlichkeit der Musik sind hier geradezu mit Händen zu greifen. Mit ihrer neuen Aufnahme rücken die Mitglieder des Belcea Quartet diese emotionalen Momente stärker ins Zentrum und zeichnen ein weicheres, weniger strenges Brahms-Bild als viele Konkurrenzensembles.
    Das engmaschige Motivnetz, mit dem der Komponist seine Werke durchzieht, glüht und vibriert beim Belcea Quartet mitunter vor emotionaler Hitze und Leidenschaft. Da erkundet das Ensemble eine romantische Unruhe, die in anderen Einspielungen nur selten so deutlich zu Tage tritt.
    Musik: Brahms, Finale aus dem a-moll-Quartett
    Nach der schweren Geburt seiner beiden ersten Streichquartette, die Brahms selbst scherzhaft als Zangengeburt bezeichnet hatte, ging ihm das dritte mit der Opuszahl 67 leichter von der Hand. In diesem B-Dur-Quartett rang der Komponist nicht mehr mit dem übermächtigen Vorbild Beethoven, sondern blickte gelassen auf die Tradition eines Haydn und Mozart zurück.
    Ironische Brechung
    Mit seinen Jagdhornmotiven spielt der erste Satz aus op. 67 unverkennbar auf Mozarts Jagdquartett an. Das Belcea Quartet findet auch hier einen ganz eigenen Zugang: Durch ein vergleichsweise gemächliches Tempo für das Vivace und ziemlich eckige Akzente stellt das Ensemble die vordergründige Heiterkeit der Musik infrage und deutet eine Brechung an: Als hätte Brahms seinen Mozart-Bezug in Anführungszeichen gesetzt. Eine ungewöhnliche, aber schlüssige Interpretation – schließlich ironisiert Brahms selbst den scheinbar naiven Ton, indem er den 6/8-Takt immer wieder mit gegenläufigen Rhythmen aus dem Tritt bringt.
    Musik: Brahms, Vivace aus dem B-Dur-Quartett
    Auch in seinem B-Dur-Quartett setzt Johannes Brahms kunstvolle Kontraste. Auf das beschwingte Vivace folgt einer der innigsten Sätze im gesamten Schaffen von Brahms: Das Andante, das mit einer weit gespannten Geigenkantilene auf den Spuren Mendelssohns wandelt.
    Dort demonstriert das Ensemble einmal mehr seinen Ausnahmerang. Corina Belcea, erste Geigerin und Namensgeberin des Quartetts, streichelt diese Kantilene mit süßem Klang und einem wunderbar sämigen Legato in die Saiten. Sie lässt ihr Instrument betörend singen, später aber auch flüstern und raunen, als wäre es eine menschliche Stimme.
    Musik: Brahms, Andante aus dem B-Dur-Quartett
    Zärtlicher als in dieser Pianissimo-Passage aus dem Andante des B-Dur-Quartetts kann man die Saiten kaum liebkosen. Einer von vielen besonders anrührenden Momenten in der neuen Brahms-Aufnahme des Belcea Quartet.
    Als Ergänzung zu den drei Streichquartetten präsentiert das Belcea Quartet gemeinsam mit Till Fellner das f-Moll-Klavierquintett von Johannes Brahms. Obwohl Brahms dem Pianisten dort einen hochvirtuosen Part in die Pranken gelegt hat, tritt Fellner nicht als Tastenlöwe, sondern als äußerst sensibler Kammermusiker in Erscheinung.
    Schon in den ersten Takten verschmilzt er seinen Klavierklang so homogen mit den Streichern, wie es nur wenigen Pianisten gelingt. Fellner fügt sich als gleichberechtigter Partner ins Ensemble ein und leuchtet das fein verästelte Stimmgewebe der Partitur mit seinen Kollegen aus.
    Feurige Streicher
    Im Bemühen, die Streicher nicht mit dem Klangvolumen des Flügels zu erdrücken, agiert Till Fellner mitunter fast schon eine Spur zu defensiv. Die orchestrale Fülle, die Brahms mit dem Klavierquintett bisweilen anstrebt, könnte hier und da noch etwas mehr pianistische Kraft vertragen, da reicht Fellner nicht ganz an das Energieniveau des Belcea Quartet heran. Das feurige Temperament der Musik wird in dieser Aufnahme vor allem von den Streichern entfacht.
    Musik: Brahms, Scherzo aus dem Klavierquintett
    Vorgestellte CD:
    Till Fellner/Belcea Quartet: "Brahms - String Quartets & Piano", 2016, Label: Alpha Records, Labelcode: 00516, Bestellnummer: Alpha 248