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Kammermusik von Quatuor Ebène
Schuberts einziges Streichquintett

Das einzige Streichquintett des Komponisten Franz Schubert zählt heute zu den Meisterwerken der Kammermusik. Es ist eines seiner letzten Werke. Nur wenige Wochen später verschlechterte sich die Gesundheit Schuberts rapide. Er starb 1828, mit nur 31 Jahren. Doch schwingt in seinem Streichquintett keine Todesahnung mit, sondern das Leben selbst.

Von Susann El Kassar | 26.06.2016
    Der österreichische Musiker und Komponist Franz Schubert.
    Mit 31 Jahren mitten im Leben - das hört man dem einzigen Streichquintett des Komponisten Franz Schubert auch an (picture-alliance / dpa / Votava)
    Anfang Streichquintett erster Satz
    Wir sitzen mittendrin. Wir, die Zuhörer, sind ganz nah dabei, wenn fünf Musiker das Streichquintett von Franz Schubert mit Leben füllen — sich vom eröffnenden C-Dur hinauswagen, ins Ungewisse. Dieses Unmittelbare ist ein untrügliches Kennzeichen für die Aufnahmen des französischen Streichquartetts "Quatuor Ebène". Auf ihrer neusten CD widmen sie sich Franz Schubert – seinem einzigen Streichquintett und einer Auswahl von Liedern. Gleich zwei Gäste haben sie dafür eingeladen: den Cellisten Gautier Capuçon und den Sänger Matthias Goerne.
    Gautier Capuçon übernimmt im Streichquintett von Schubert das zweite Cello. Er ist damit keineswegs das fünfte Rad am Wagen, nein, das zweite Cello ist in dieser Komposition genauso wichtig wie die anderen vier Musiker. Heute zählt man das Streichquintett zu den Meisterwerken der Kammermusik, schon der Anfang verspricht viel – Schubert wandelt zwischen Dur und Moll, und er wird in diesem Werk so einige harmonische Extreme seiner Zeit ausloten.
    Musik erster Satz
    Das Streichquintett umgibt eine besondere Aura – und das liegt nicht allein an den Noten. Es ist im September und Oktober 1828 entstanden. Hörbar in Nähe zu den späten Klaviersonaten von Schubert. Der erste Satz des Streichquintetts hat ähnlich epische Dimensionen wie der Kopfsatz der Klaviersonate B-Dur D960. Nur wenige Wochen später hat sich Schuberts Gesundheit rapide verschlechtert und am 19. November 1828 ist er gestorben, viel zu jung, mit nur 31 Jahren. Durch seinen frühen Tod wird das, was er in seinem letzten Jahr 1828 geschrieben hat, auf einen Schlag zum Spätwerk. Dabei fühlte er sich mit seinen 31 Jahren eigentlich mitten im Leben. Und so schwingt in dieser letzten Kammermusik von Schubert auch keine Todesahnung mit, sondern das Leben selbst! Mit all seinen Schattierungen und natürlich Schönheiten…
    THEMA erster Satz
    Die Verleger der Zeit hatten zwar zunehmend Interesse an Schuberts Kompositionen, aber die späten Klaviersonaten und auch dem Streichquintett wurde nicht recht getraut. Darum blieben sie zunächst in der Schublade. Erst 1850 wurde das Streichquintett zum ersten Mal aufgeführt – da war Schubert schon mehr als 20 Jahre tot! – und noch mal drei Jahre später erschien es im Druck. Was Zeitgenossen vielleicht befremdet hat oder was Verleger nicht auf einen Erfolg hat hoffen lassen, ist möglicherweise das, wofür wir diese Musik heute schätzen.
    Die Musiker vertrauen sich dem langsamen Fluss der Musik an
    Zweiter Satz
    Im zweiten Satz von Schuberts Streichquintett nimmt sich jeder der fünf Musiker zurück; sie vertrauen sich dem langsamen Fluss der Musik an. Das Schwierige ist dabei, das Gefühl fürs Ganze nicht zu verlieren. Wenn es gut geht, so wie beim Quatuor Ebène und Gautier Capuçon, dann bringt uns diese scheinbar unendliche Musik dazu, einfach mal stehen zu bleiben und innezuhalten.
    Zweiter Satz
    Es wäre nicht Schubert, wenn diese ruhige Ewigkeit nicht plötzlich abreißen würde. Mit einem Mal blicken wir in eine aufgewühlte Seele. An so einer aufbrausenden Stelle wird die Wirkung des zweiten Cellos deutlich. Schubert hat sich nämlich bewusst für ein Cello als fünftes Instrument entschieden; es hätte prinzipiell auch eine Bratsche sein können, so wie Mozart es in seinen Streichquintetten gemacht hat. Schubert aber doppelt die tiefen Töne und unterstreicht so das Dramatische.
    ZWEITER SATZ Drama
    Manchmal entscheiden sich die fünf Musiker bewusst fürs Poltern, es scheint: Sie wollen uns schütteln. Und die verschiedenen Charaktere noch deutlicher zuspitzen, z. B. im dritten Satz.
    Scherzo
    Der Wiener Schubert schreibt in seiner Musik immer wieder Anklänge an volkstümliche Wiener Musik, so auch aus dem letzten Satz des Streichquintetts. Die fünf Franzosen deuten die Wienerischen Anklänge aber fast nur an. Sie könnten sich gern noch mehr Freiheiten nehmen, noch mehr verzögern, mehr auskosten.
    VIERTER SATZ
    Das Streichquintett, die Essenz von Schuberts Kammermusik - wie das Quatuor Ebène es versteht - dieses Werk wird auf dem Album mit Liedern von Schubert kombiniert. Das Klavier, das eigentlich den Sänger begleitet, seine Worte verstärkt und deutet, wird in diesem Fall verteilt auf ein Streichquintett. Das französische Quartett holt sich hierbei wieder Verstärkung in den tiefen Registern, dieses Mal aber in Form eines Kontrabasses.
    Durch den Kontrabass wird das Todes-Thema sogar noch düsterer
    Die Noten umgeschrieben hat der Cellist des Quatuor Ebène, Rapahel Merlin, er ist selbst Komponist. Fünf Streicher klingen natürlich vollkommen anders als ein Klavier, vielseitiger, farbenreicher. Das Quatuor Ebène sieht sich damit aber in der Tradition der Schubertiaden - musikalische Feste, zu denen Schubert seinen Freunden seine Musik vorgestellt hat - und bei denen die Lieder oft auch nur in Instrumental-Versionen erklangen.
    Im Fall des Liedes "Der Tod und das Mädchen" hat Schubert das Thema des Todes für sein Streichquartett Nr.14 benutzt und darüber einen Variationensatz geschrieben. Wenn nun das Quatuor Ebene mit Laurène Durantel am Kontrabass den Bariton Matthias Goerne bei diesem Lied begleitet, dann schließt sich in gewisser Weise der Kreis. Durch den Kontrabass wird das Todes-Thema sogar noch düsterer, als es ohnehin schon ist.
    Tod und das Mädchen
    "Er singt so, wie man über das Wasser geht." Mit dieser unüblichen Beschreibung lobt das Streichquartett seinen Mitstreiter Matthias Goerne. Der Bariton hat tatsächlich eine sehr eigene Stimme, unverkennbar kernig. Er gehört zu den besten Sängern dieser Zeit, einer, der ganz genau die Untiefen einer Partitur auslotet. Er hört den anderen zu, während er singt, und kann darum zum Beispiel die sehnsüchtige Dissonanz auf dem "Wo" auskosten, wenn er fragt: "Schöne Welt, wo bist du?"
    Musik Schöne Welt wo bist du?
    Raphael Merlin, der Cellist des Quatuor Ebène, verstärkt mit seiner Bearbeitung die feinen Schattierungen in den Liedern. Und er legt musikalische Bezüge frei. Wenn die fünf Streicher die ersten Takte des Liedes "Der Jüngling und der Tod" spielen, dann tritt der sakrale Charakter der Akkorde deutlicher hervor als im Original für Klavier.
    Anfang der Tod und der Jüngling
    Tod, Sehnsucht oder unerfüllte Liebe – um diese Themen kreisen die fünf Lieder, die Raphael Merlin für diese CD umgeschrieben hat. Wenn es nach mir ginge, dann könnte er gerne noch andere Lieder für diese Besetzung setzen. Die Stücke würden davon profitieren. Es führt vor Augen, wie vielschichtig so ein Klavierpart, so eine bloße Klavierbegleitung sein kann. Die Lieder strahlen aber auch zurück auf das Streichquintett, das am Anfang der CD steht. In der Kombination sehen wir einmal mehr, dass Schubert, der Meister des Liedes, auch in seiner Kammermusik sanglich und liedhaft schreibt.
    Die Schubert-CD des französischen Streichquartetts Quatuor Ebène ist beim Label Erato erschienen, das zu Warner gehört. Damit endet die Neue Platte, einen schönen Sonntag wünscht Susann El Kassar.