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Kampf gegen die Erderwärmung
"Keiner gibt zu, dass es schon fünf nach zwölf ist"

Seit 30 Jahren ist es immer "fünf vor zwölf": Die Erdatmosphäre dürfe sich in diesem Jahrhundert nur um deutlich weniger als zwei Grad erwärmen, hatte die Staatengemeinschaft im Dezember 2015 vereinbart. Doch die Realität hat das Pariser Klimaabkommen längst überholt. Drastischere Maßnahmen wären angebracht.

Von Georg Ehring | 28.05.2018
    Ein Schild mit der Aufschrift "Befahren der Wiese verboten" steht inmitten einer überschwemmten Weide in Harkenbleck (Niedersachsen), einem Ortsteil von Hemmingen. Dauerregen hat im südlichen Niedersachsen in einigen Orten zu Überschwemmungen geführt.
    Nicht nur ein steigender Meeresspiegel, auch wiederkehrende Dürren, Stürme oder Starkregen bedrohen Länder weltweit. (dpa / Hauke-Christian Dittrich)
    Der Meeresspiegel steigt, unaufhörlich und unaufhaltsam. Zwar nur um wenige Millimeter pro Jahr, doch der Anstieg beschleunigt sich und bis zum Ende des Jahrhunderts könnte er um mehr als einen Meter höher stehen als zu Beginn der Industrialisierung. Für viele Bewohner der Fidschi-Inseln im Pazifik hat das schon heute dramatische Folgen: Sie müssen ihre Koffer packen und umziehen in höher gelegene Gebiete. Luke Daunivalu, der Chefunterhändler der Fiji-Inseln, hat bei den UN-Klimaverhandlungen auch das Schicksal vieler seiner Landsleute im Auge:
    "Viele Dörfer an unserer Küste werden überschwemmt. Sie müssen umgesiedelt werden oder sind einfach nicht mehr bewohnbar. Wir haben mehr als 1000 Gemeinden gefunden, die in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren umgesiedelt werden müssen. In unmittelbarer Zukunft sind es mindestens 45 Gemeinden, doch bisher haben wir erst drei umsiedeln können. Das heißt: Wir haben ein großes Problem, wenn wir die Emissionen nicht verringern und das 1,5-Grad-Ziel erreichen."
    "Wir müssen Veränderungen beschleunigen"
    Um deutlich weniger als zwei Grad soll sich die Erdatmosphäre in diesem Jahrhundert maximal erwärmen, so hat das die Staatengemeinschaft vor zweieinhalb Jahren im Pariser Klimaabkommen vollmundig vereinbart - unter Applaus der Weltöffentlichkeit. Wenn möglich, soll die Erwärmung sogar auf weniger als eineinhalb Grad begrenzt werden, diese Formulierung wurde auf Drängen vor allem von kleinen Inselstaaten wie den Fiji-Inseln eingefügt. Ein stärkerer Temperaturanstieg wäre nicht nur für sie katastrophal, sondern auch für arme Entwicklungsländer, die Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen und extremen Stürmen nichts entgegenzusetzen haben. Für Patricia Espinosa, Generalsekretärin des UN-Klimasekretariats und damit oberste Klimaschützerin weltweit, sind diese Ziele nach wie vor erreichbar:
    Eine Frau steht auf einer ausgetrockneten Ebene vor blauem Himmel. Im roten Sand liegen die Skelette verhungerter Tiere.
    Wetterextreme wie Dürren nehmen immer mehr zu (dpa/Anna Mayumi Kerber)
    "So ist es. Die Zeitspanne ist knapp, aber sie existiert. Und ich glaube, diese Möglichkeit sollten wir nicht verstreichen lassen und wir sollten nach wie vor die Chancen sehen. Denn wir haben noch immer einige Jahre vor uns und wir müssen die Veränderungen beschleunigen und vertiefen, und ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass wir noch Zeit haben."
    "Politik will gar nicht so genau wissen, warum"
    Aussagen wie diese seien bei Klimakonferenzen zu einer Art Mantra geworden, sagt dagegen Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Auch viele Klimaforscher würden dabei mitmachen, vielleicht auch wider besseres Wissen:
    "Es gibt bei der Wissenschaft den Glauben, dass es die Politik motiviert: Es ist noch zu schaffen, also strengen die sich jetzt an. Ich würde die These aufstellen: Die Politik hat sich daran gewöhnt, dass es irgendwie immer fünf vor zwölf ist. Die will auch gar nicht so genau wissen, warum - und dann geht es halt so weiter."
    Doch die optimistischen Aussagen seien längst von der Realität überholt. Seit Jahrzehnten werden gewaltige Mengen an Treibhausgasen wie Kohlendioxid in die Atmosphäre entlassen. Deshalb sei die Hoffnung, die Erderwärmung auf weniger als zwei Grad begrenzen zu können, vermutlich schon längst eine Illusion:
    "Eigentlich gibt ja keiner zu, dass es schon fünf nach zwölf ist. Es ist eher erstaunlich, dass es seit 30 Jahren immer fünf vor zwölf ist. Die Erzählung ist immer: Wir sind an einer Wegscheide, wir können es noch schaffen, aber wir müssen jetzt wirklich anfangen und viele in der Politik wundern sich, warum es ständig fünf vor zwölf ist."
    Schere zwischen Bekenntnis und Handeln
    Ist die Zeit, in der eine Klimakatastrophe vermieden werden konnte, also in Wirklichkeit schon abgelaufen? Zwar haben viele Staaten nationale Klimaschutz-Pläne verfasst, doch in der Summe reichen sie längst nicht aus, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Stefan Krug, der Leiter der politischen Vertretung von Greenpeace in Berlin, sieht zwar Fortschritte im Klimaschutz - vor allem seit Abschluss des Pariser Abkommens:
    "Es ist durchaus durch Paris ein Paradigmenwechsel in die Diskussion gekommen. Die Länder wissen: Die Ziele sind völkerrechtlich verpflichtend, sie müssen nachweisen, dass sie diesen Verpflichtungen nachkommen. Da ist jetzt ein ganz anderer Handlungsdruck dahinter. Gleichzeitig sehen wir immer noch viel zu hohe CO2-Emissionen weltweit. Auch in Deutschland, dem ehemaligen Klima-Vorreiter, stagnieren die CO2-Emissionen seit Jahren."
    Abgase strömen aus dem Auspuff eines Fahrzeuges mit Dieselmotor, aufgenommen bei Saarbrücken (Saarland) am 03.08.2017.
    Abgase strömen aus dem Auspuff eines Fahrzeuges mit Dieselmotor. (dpa/Daniel Karmann)
    Die Schere zwischen öffentlichen Bekenntnissen zum Klimaschutz und dem tatsächlichen Handeln klafft in fast allen Staaten weit auseinander. So weit, dass Professor Niklas Höhne, der für das New Climate Institute in Köln die Emissionen vieler Staaten weltweit verfolgt, diese Bilanz zieht:
    "Wir sind derzeit noch überhaupt nicht auf Kurs. Wenn die Länder all das umsetzen, was sie bisher im Rahmen des Pariser Abkommens vorgeschlagen haben, dann bewegen wir uns eher in Richtung drei Grad und das ist noch sehr, sehr weit weg von weit unter zwei Grad oder 1,5 Grad, wo wir eigentlich hinwollen."
    "Budget in den nächsten 10-20 Jahren aufgebraucht"
    Irgendwo zwischen 500 und 1000 Gigatonnen liegt der Ausstoß von Treibhausgasen, den sich die Menschheit in diesem Jahrhundert gerade noch erlauben kann - ohne die Pariser Klimaziele zu sprengen. Auf den ersten Blick sind das gewaltige Mengen. Eine Gigatonne entspricht einer Milliarde Tonnen und das ist mehr als der Ausstoß eines Industrielandes wie Deutschland pro Jahr. Doch Niklas Höhne warnt:
    "Das Wichtige ist, dass das sehr wenig ist. Die derzeitigen CO2-Emissionen sind 35 Gigatonnen. Also: In der ambitionierten Schätzung ist das Budget in den nächsten zehn bis 20 Jahren aufgebraucht."
    Die Emissionen müssten also schnell und durchgreifend gesenkt werden. Eine einfache Rechnung mit klarem Ergebnis:
    "Wenn wir wirklich das 1,5 Grad-Ziel einhalten wollen, dann müssen wir komplett aus CO2-Emissionen aussteigen. Wir müssen null erreichen. Und das global bis Mitte des Jahrhunderts, bis 2050. Also wir müssen von heute ungefähr 35 Gigatonnen CO2 auf null kommen in 2050. Das sind 30 oder 32 Jahre. Das ist sehr, sehr schnell."
    Unzureichendes Handeln in den vergangenen 25 Jahren
    Bei einer stärkeren Erwärmung um bis zu zwei Grad, sieht die Rechnung nur wenig anders aus.
    Umgesetzt wird der Ausstieg aus der Kohlenstoff-Wirtschaft allerdings bisher fast nirgendwo auf der Welt. In nahezu allen Staaten geht der praktische Klimaschutz viel zu langsam voran, bemängelt Höhne. Auch in Deutschland.
    Die Energiewende mit dem schnellen Ausbau von Wind- und Solarenergie hat uns zwar den Ruf eingebracht, im Klimaschutz ein Vorreiter zu sein. Doch klimaverträglicher Strom ist nur ein Teil der Lösung und unterm Strich, also unter Einschluss von Kohlekraftwerken, Straßenverkehr, Wärmeversorgung für Haushalte und Industrie sowie der Landwirtschaft, ist die Bilanz weit weniger gut.
    Schnell drehen sich Windenergieanlagen vor dunklen Gewitterwolken unweit dem brandenburgischen Jacobsdorf (Oder-Spree), aufgenommen am 01.07.2009.
    Der Ausbau von erneuerbaren Energie könnte noch schneller gehen (dpa / Patrick Pleul)
    Der ehemalige Vorreiter im Klimaschutz wird seine Zusage also verfehlen, die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 40 % unter den Stand von 1990 zu drücken. Dies hat die schwarz-rote Bundesregierung nach langem Zögern eingestanden und Bundesumweltministerin Svenja Schulze zog vor dem Bundestag ein ernüchtertes Fazit:
    "Diese Koalition hat offen eingestanden, dass es eine Lücke zur Erreichung unserer Klimaschutzziele 2020 gibt und dass wir sie trotz der Bemühungen der vergangenen Jahre nicht geschlossen haben. Der Grund dafür liegt aber weniger in den vergangenen vier Jahren, sondern vielmehr im unzureichenden Handeln der vergangenen 25 Jahre und zwar über alle Regierungskonstellationen hinweg."
    Fahrzeuganstieg macht alle Fortschritte zunichte
    Besonders im Fokus: Der Verkehrssektor, der seine Klimabilanz überhaupt nicht verbessern konnte. Die einzelnen Autos sind zwar sparsamer geworden. Aber der Anstieg der Zahl der Fahrzeuge macht alle Fortschritte zunichte. Und der Übergang zu alternativen Antrieben geht viel langsamer voran als erwartet. Eine Million Elektroautos sollten - kündigte die Bundeskanzlerin einst vollmundig an - im Jahr 2020 auf deutschen Straßen fahren, derzeit sind es nur etwas über 50.000. Ein Weiteres merkt Stefan Krug von Greenpeace an:
    "Zum anderen brauchen wir einen Kohleausstieg bis spätestens 2030. Auch der ist versorgungssicher machbar. Das ist vor allem eine Frage des Geldes. Alle wissen, dass die Kohle hier in Deutschland keine Zukunft haben kann, wenn wir die Klimaziele von Paris ernst nehmen."
    Doch die Branche drückt erfolgreich auf die Bremse - mit Rückendeckung aus der Politik. Die Stromerzeugung mit Kohle sei durch den Europäischen Emissionshandel ohnehin begrenzt, sie werde langfristig und planbar zurückgefahren, sagt Thorsten Diercks, Geschäftsführer des Deutschen Braunkohlen-Industrievereins. Einen beschleunigten Ausstieg, wie ihn Klimaschützer fordern, lehnt er ab:
    "Das ist im Prinzip nicht erforderlich und wäre auch nicht richtig, denn, wenn man es beschleunigen würde, würden für die Reviere verschiedene andere negative Folgen eintreten und vermutlich würde es auch zu höheren Strompreisen für Industrie und Bürger kommen."
    Braunkohle-Ausstieg als politisches Risiko
    Vor allem in den Regionen, in denen noch Braunkohle abgebaut wird, ist der Widerstand gegen einen schnelleren Ausstieg groß. Zum Beispiel in der Lausitz, wo bereits nach der Wende Anfang der 1990er Jahre Zehntausende von Stellen in Bergbau und Energiewirtschaft verloren gegangen waren. Hans-Rüdiger Lange, Geschäftsführer der Innovationsregion Lausitz, die sich um die Ansiedlung neuer Betriebe in der Region bemüht:
    "Das braucht Zeit: Ein neues Produkt zu entwickeln, zwischen einem und fünf Jahren, ein neues Geschäftsfeld, das kann gut zehn, fünfzehn Jahre dauern. Diese Zeit muss man organisieren und vor allem auch die Ressourcen, um auch dann mit viel Kraft und viel Intensität sich auf die Suche zu machen, das zu entwickeln."
    Blick in den Braunkohletagebau Jänschwalde der LEAG (Lausitz Energie Bergbau AG) am 07.01.2018 unweit der Ortschaft Grießen (Brandenburg).
    Braunkohletagebau in Jänschwalde (dpa / picture alliance / Patrick Pleul)
    Ein erneuter Verlust von Arbeitsplätzen könnte dazu führen, dass auch die Akzeptanz für die Energiewende insgesamt verloren gehe, so Langes Befürchtung.
    "Ich glaube, die Politik hat verstanden, dass da ein großes Risiko drin steckt. Man kann auch einfach eine Region verlieren. Wir wissen, was da auch für politische Risiken, was jetzt die anstehenden Wahlen und so was angeht, da ist schon ein großes Frustrationsniveau. Und man kann auch solche Prozesse der Energiewende oder auch der Klimapolitik dadurch zerstören, indem man einfach die Akzeptanz zerstört."
    Kein einziges Land hat Weg zum Ziel eingeschlagen
    Mehr Zeit verlangen auch andere Branchen, die ihre Emissionen eigentlich senken müssten: Die Autoindustrie beispielsweise forderte einen Aufschub. Sie soll die Emission von CO2 bis 2021 auf 95 Gramm pro gefahrenen Kilometer verringern und hält dies für schwer machbar. Wenn der Trend zu immer größeren und schwereren Fahrzeugen gestoppt würde, wäre weniger Verbrauch kein Problem, halten Umweltschützer dagegen.
    Null Emission von CO2 würde auch das Aus für Öl- und Gasheizungen bedeuten. Dazu müssten viele heute stehende Häuser nachträglich gedämmt werden. Doch es gibt kein Förderprogramm, das dies in der erforderlichen Größenordnung auf den Weg bringen würde. In anderen Staaten sieht es ähnlich aus. Der Klimaschutz-Index, den das New Climate Institute zusammen mit anderen Organisationen herausgibt, bewertet regelmäßig das Abschneiden von 56 größeren Industrie- und Schwellenländern. Kein einziges davon habe bisher einen Weg eingeschlagen, der mit den Zielen des Pariser Abkommens vereinbar wäre, heißt es in der neuesten Ausgabe des Indexes. Jan Burck von der umwelt- und entwicklungspolitischen Organisation Germanwatch:
    "Man sieht jetzt, wie leicht es ist, große Versprechungen auf internationaler Bühne zu machen, und wie mühsam es ist, das dann auch national umzusetzen. Die Implementierung hakt in vielen Ländern, auch in Deutschland noch sehr. Und deswegen glaube ich, dass Paris ein wichtiger Schritt ist, aber nur der erste Schritt."
    Bilanz des Weltklimarats IPCC im Herbst
    Wenn das Pariser Klimaabkommen aus dem Jahr 2015 also zu einer Wende geführt hat, dann fällt sie viel zu zaghaft aus. Der Weltklimarat IPCC will im Herbst einen Blick in die Zukunft werfen. In einem Sonderbericht geht es um die Frage, ob die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad überhaupt noch machbar ist. Klimaforscher Professor Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel hält dieses ehrgeizige Ziel inzwischen für unerreichbar:
    "So gut wie nicht. Das muss man einfach sagen. Denn man kann nicht erwarten, dass von heute auf morgen praktisch der CO2-Ausstoß um 80 Prozent gesenkt wird. Ohne dem Bericht jetzt groß vorgreifen zu wollen, aber alle Wissenschaftler wissen es: Das ist praktisch nicht mehr zu erreichen, obwohl es im Pariser Klimaabkommen steht, dass man alles versuchen möchte, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Aber ich halte es für so gut wie ausgeschlossen."
    In dieser Situation schlägt die Stunde der kreativen Buchführung: Die Ziele des Pariser Vertrages lassen sich nämlich interpretieren - und zwar so, dass sie vielleicht doch noch einzuhalten sind. Und dieser Interpretationsspielraum wird zunehmend genutzt. Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik:
    "Früher hat man gesagt: Wenn ich ein Temperaturziel habe, zwei oder anderthalb Grad, dann darf ich da nie drüber kommen. Heute sagt man: Ich muss bei 2100 unter dieser Schwelle sein aber zwischendurch kann ich auch drüber sein. Das nennt man overshoot, also quasi ein Überschießen dieser Temperaturlinie. Aber um die Temperatur dann irgendwann runter zu prügeln ab 2060 bräuchten Sie im großen Umfang negative Emissionen, also Sie müssen CO2 aus der Atmosphäre ziehen."
    Vorschläge, wie CO2 aus der Atmosphäre zu holen wäre
    Also eine Art Notausgang für den Klimaschutz. In der Wissenschaft ist das schon lange ein Thema. In Szenarien für die künftige Temperaturentwicklung werden negative Emissionen eingeplant, denn ohne solche Annahmen spucken die Prognosen für den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperaturen zum Ende des Jahrhunderts regelmäßig deutlich mehr als zwei Grad aus. Inzwischen kommt kaum eine solche Berechnung ohne negative Emissionen aus. Szenarien ohne negative Emissionen kommen meist zu Temperaturerhöhungen von drei Grad oder mehr.
    Pilotanlage zur CO2-Speicherung in Ketzin bei Berlin
    Pilotanlage zur CO2-Speicherung in Ketzin bei Berlin (dpa/picture alliance/Bernd Settnik)
    Es gibt eine ganze Reihe von Vorschlägen, wie CO2 aus der Atmosphäre zu holen wäre. Denkbar wäre vor allem, in großem Stil Wälder aufzuforsten, die dann Kohlenstoff binden. Möglich wäre auch, Holz und andere Biomasse zu verbrennen. Das CO2 müsste dann aus den Rauchgasen entfernt und in tiefen geologischen Formationen gespeichert werden. Auch die Europäische Union denkt inzwischen über solche Ideen nach, sagt Elina Bardram, die Chef-Unterhändlerin der Europäischen Union bei den weltweiten Klimaverhandlungen:
    "Es ist klar, dass Bioenergie mit Abscheidung und Speicherung des Kohlenstoffs ein wichtiges Element in einem Szenario für höchstens 1,5 Grad wäre. Doch das ist ein Thema, über das wir wesentlich besser reden können, wenn unsere Langzeitstrategie fertig ist."
    CO2-Entziehungskur für den Planeten begrenzt
    Technisch wäre eine Speicherung von CO2 im Boden durchaus möglich. Allerdings sind Versuche damit in Deutschland gestoppt worden. Grund war Widerstand aus der Bevölkerung an den möglichen Standorten - die Menschen fürchteten, dass das CO2 irgendwann doch wieder aus dem Boden austritt. Und es gibt einen weiteren Grund, nicht allzu große Hoffnungen auf diese Technik zu setzen, sagt Annette Freibauer, die Leiterin des Instituts für Ökologischen Landbau, Bodenkultur und Ressourcenschutz der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft in Freising:
    "Die Biologie ist einer der ganz wenigen Mechanismen der seit vielen Millionen Jahren sicher funktioniert. Also kann der Mensch sie sich auch zunutze machen. Die Biologie wird aber nicht riesige Emissionsminderungen bringen und CO2 leider nur in relativ überschaubaren Mengen wieder aus der Atmosphäre herausbringen."
    Neue Wälder, die das Klima schützen könnten, müssten auf Flächen entstehen, die sich auch für den Anbau von Nahrungsmitteln eignen. Nutzungskonflikte mit der Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung sind absehbar, die zur Verfügung stehenden Flächen also von vornherein begrenzt. Außerdem müssten immer neue Wälder angepflanzt werden, um die Temperaturen auf der Erde dauerhaft zu senken. Besonders effizient ließe sich Kohlendioxid mit einer Art Kaskadennutzung binden, meint Annette Freibauer: Erst werden Bäume angepflanzt, das Holz wird dann verarbeitet, etwa zu Möbeln. Nach möglichst langer Nutzung werden die verbrannt, das CO2 anschließend dauerhaft im Boden gespeichert. Doch selbst wenn all diese möglichen Techniken zusammen angewandt werden, sei das Potenzial für eine Art CO2-Entziehungskur für den Planeten begrenzt. Annette Freibauer:
    "Man muss im Grunde zusätzliche produktive Landflächen für die CO2-Speicherung heranziehen und schafft dann, wenn es ganz gut geht und wir Humusaufbau, Aufforstung und Kaskadennutzung zusammen nehmen, am Ende vielleicht drei bis vier Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre wieder zu entziehen. Das ist im Vergleich zu vielleicht 40 Milliarden Tonnen, die die Menschheit dann emittiert, nur ein verschwindend kleiner Teil."
    Wälder von der Fläche Bayerns pro Jahr abgeholzt
    Und es wäre ein teures Unterfangen - Schätzungen gehen von dreistelligen Eurobeträgen pro Tonne Kohlendioxid aus. Das ergäbe dreistellige Milliardenbeträge pro Jahr für die Bindung von Milliarden Tonnen CO2. Emissionen zu vermeiden, wäre um ein vielfaches billiger, im europäischen Emissionshandel liegen die Preise bei etwa zehn Euro pro Tonne.
    Dazu kommt: Derzeit ist die Welt auf einem ganz anderen Weg. Naturwälder entstehen nicht etwa neu, sie verschwinden in großem Stil - rund 6,5 Millionen Hektar werden nach Angaben der Welternährungsorganisation jedes Jahr abgeholzt, das entspricht fast der Fläche Bayerns.
    Anfang der 1990er Jahre gelangte der menschengemachte Klimawandel ins öffentliche Bewusstsein, im Jahr 1992 beschloss der Erdgipfel von Rio de Janeiro, den Kampf gegen die Erderwärmung aufzunehmen. Wenn der Erfolg dieses Kampfes an der Entwicklung des CO2-Ausstoßes gemessen wird, dann ist das Ergebnis niederschmetternd. Von einer Verringerung kann keine Rede sein, im Gegenteil: Sie liegen inzwischen um 50 Prozent höher als damals, Anfang der 1990er Jahre. Die Weltgemeinschaft plant mit drastisch niedrigeren Emissionen, doch bisher ist es noch nicht einmal gelungen, den Anstieg zu stoppen. Im Gegenteil, so Niklas Höhne vom New Climate Institute:
    "Leider sind die Emissionen weltweit gestiegen, fast jedes Jahr. Wir haben in den letzten drei Jahren quasi ein Plateau erreicht, man hatte sich schon erhofft, dass hier die Trendwende geschafft ist. Das Jahr 2017 hat leider gezeigt, dass wir noch nicht so weit sind. Die Emissionen sind wieder raufgegangen und haben ein historisches Maximum erreicht. Also: Wir haben die Trendwende noch nicht geschafft. Trotzdem würde ich da die Hoffnung noch nicht aufgeben, dass das in den nächsten paar Jahren doch noch passieren könnte."