Freitag, 29. März 2024

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Kampf gegen Rechtsextremismus
Neuanfang in den USA für deutschen Neonazi-Aussteiger

Mehr rechtsextreme Gefährder, der Mord an Walter Lübcke, der Anschlag von Halle: Die Gefahr durch rechte Gewalttäter treibt die Republik um. Ein Element im Kampf gegen Rechts sind Aussteigerprogramme. In den USA lebt ein deutscher Ex-Neonazi, der aus der rechten Szene ausgestiegen ist.

Von Sabine Adler | 04.12.2019
Hinter einer Polizeiabsperrung sichern Ermittler in weißen Overalls Spuren am Tatort des Heidelberger Mordes der Polizistin .Michèle Kiesewetter.
Der Polizisten-Mord von Heilbronn 2007: Nach der Selbstenttarnung des NSU geriet der Ex-Neonazi Achim Schmid in den Fokus des Interesses (dpa picture alliance / Bernd Weissbrod)
Montagabend in Memphis. Das kleine Publikum in dem viel zu großen Saal will die Geschichte von TM Garret hören. Sie werden sie lieben, denn sie erzählt von Einsicht und Wandel.
"TM is a very busy activist. He is currently working with World Religion Day…"
TM Garret wird er als Aktivist des Simon-Wiesenthal-Zentrums vorgestellt, der gegen Antisemitismus auftritt.
2002 hieß er noch Achim Schmid, hatte eine Karriere als Skinhead, NPD-Mitglied und Gründer des Ku Klux Klans in Deutschland hinter sich.
Die Zeiten, da er vor Rechtsextremen sang, sind lange vorbei
"Also, das war quasi nach einer Kreuz-Verbrennungszeremonie. Die Klansmänner laufen dreimal um das Kreuz herum. Der dort kniet in dieser Robe, das bin ich. Und das war der Grand Dragon der Mississippi White Knights, der mich dort zum Grand Dragon ernannt hat: Achim Schmid, Grand Dragon European White Knights, ground of Germany Ku Klux Klan."
Erst die Angst davor, spricht er ins Saalmikrofon, die Angst, dass sein nächster Schritt der letzte sein könnte, ließ den damals 27-Jährigen umdenken.
"Ich wusste, dass wenn ich jetzt in diese Richtung weitergehe, ich entweder tot sein würde oder im Gefängnis lande. Thank you for listening."
TM Garret, früher bekannt als Achim Schmid, sitzt in einem Auto
TM Garret, früher bekannt als Achim Schmid (Deutschlandradio / Sabine Adler)
Die Zeiten, da er vor Rechtsextremen sang, sind lange vorbei. Jetzt steuert der 43-Jährige in der Beale Street in Memphis, wo aus jedem Club Livemusik tönt, auf eine Galerie zu. Ausgestellt sind Arbeiten von dem persönlichen Fotografen von Martin Luther King, Ernest Withers.
Mit der Tochter des Fotografen, Rosalind Withers, ist TM Garret heute befreundet. Der blonde Ex-Neonazi und die rund 60-jährige Afroamerikanerin fallen sich um den Hals.
Rosalind Withers weiß, dass der untersetzte Deutsche schon als Kind mit Nazisprüchen provozierte, sie kämpft bis heute gegen Rassendiskriminierung, an ihrer Seite: TM Garret, der frühere Rassist.
Er hasste Migranten, Juden, Homosexuelle, Linke
"Was TM über seine Geschichte erzählte, ging an den Kern seines Lebens. Seine ganze Botschaft ist Wandel. Die afroamerikanische Kultur hat die Fähigkeit zu vergeben. Angst hat niemand vor ihm, denn man kann den Unterschied zu der Person früher sehen und fühlen."
Im Jahr 2002 ist TM Garret aus der rechten Szene ausgestiegen. 2012 verließ er Deutschland, weil dort der NSU aufgeflogen und Achim Schmid in den Fokus geraten war. Denn seiner früheren Ku-Klux-Klan-Gruppe gehörte ein Polizist an, der zugleich ein Kollege der vom NSU erschossenen Polizistin Michele Kiesewetter war. Achim Schmid war 2007, als der Mord geschah, längst ausgestiegen. Doch jetzt, 2012, stand er in den Schlagzeilen.
Aufgewachsen als Achim Schmid in Mosbach bei Stuttgart, war er seit seiner Jugend vor allem mit einem beschäftigt: Hass. Er hasste Migranten, Juden, Homosexuelle, Linke. Die alkoholkranke alleinerziehende Mutter bemerkte nicht, dass er sich mit fünf das Lesen beibrachte, in der Grundschule Comics zeichnete und Geschichten schrieb. Sie steckte ihn in Kleidung, über die die ganze Klasse lachte. Erst als er Nazi-Parolen schwang, bekam er die ungeteilte Aufmerksamkeit aller - vom Mitschüler bis zum Direktor. 15 Jahre war Achim Schmidt ein Schwergewicht in der rechten Szene.
"Das war alles, was ich hatte. Es gab keine andere Musik. Man hat keine Hollywoodfilme mehr angeschaut. Man ist nicht mehr zu McDonald's gegangen, zum Dönerladen sowieso nicht. Und dann dieser Hass. Und die Paranoia, dass die Polizei morgens kommt und dir die Türe eintritt auf gut Deutsch. Man konnte gar nicht glücklich sein."
Mit dem Ausstieg fiel eine große Last von seinen Schultern. Doch es dauere, bis man kein Rechter mehr sei. Ihm hat die Aussteigerorganisation Exit Deutschland geholfen, deswegen ist er heute ihr Botschafter.
Anlaufpunkt für Extremisten, die ihre Kreise verlassen wollen
Er hat sich zum Frühstück mit Ray verabredet. "Jeder hat Zweifel. Du hast keinen, mit dem du darüber sprechen kannst, denn wer will mit einem Neonazi, einem Klan-Mitglied sprechen? Das ist, als ob du im Treibsand steckst und deine Hand ausstreckst, damit dir jemand raushilft. Aber alles was du siehst sind Finger, die auf dich zeigen."
Weggehen funktioniert nicht, wenn nicht klar ist, wo Aussteiger ankommen können. Der Ex-Neonazi schuf zusammen mit seinem Freund Ray Johnson "Change" - einen Anlaufpunkt für Extremisten, die ihre Kreise verlassen wollen, linke oder rechte, weiße oder schwarze. Letztere wenden sich vor allem an Ray, der der brutalen Straßengang Bloods. Heute ist er Pastor in der Spirit Church. Manchmal kommt ihm sein und TMs Wandel völlig irreal vor.
"Ich frage mich, ob er wirklich so einer war. Als hätte man es mit zwei unterschiedlichen Leuten zu tun."
Am Tag vor dem Anschlag auf die Synagoge in Halle war der Ex-Neonazi in Memphis zum Jom-Kipppur-Fest eingeladen. Rabbi David Julian imponiert der Wandel des Deutschen.
"In der jüdischen Kultur hat der reuige Sünder einen höheren Platz im Himmel. TM wartet nicht darauf, dass sich die nächste Generation für ihn entschuldigt, er tut das selbst. Er hat nicht auf der dunklen Seite ausgeharrt, sondern ist ins Licht gekommen und hilft, es zu verbreiten."
Rabbi David Julian lädt den Ex-Neonazi wieder ein, dieses Mal für nächsten Freitag zum Schabbat.