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Kampf um Einfluss in Georgien

Jürgen Liminski: Es war vor 13 Jahren am 20. Dezember 1990, ein Mann trat von seinem Amt zurück und sagte in der Rücktrittsrede "Die Zukunft gehört der Freiheit und der Demokratie". Dieser Mann war der Außenminister der Sowjetunion Eduard Schewardnadse. Er ging nach Georgien, wurde dort 1992 Präsident, aber Freiheit und Demokratie hatten mit ihm offenbar keine Zukunft in Georgien. Das Land entwickelte sich zu einer Autokratie. Das Volk ging nach Wahlfälschungen auf die Straße, wollte Freiheit und Demokratie und jetzt musste Schewardnadse erneut zurücktreten. Dazu und zur Lage begrüße ich nun den Russland- und Kaukasusexperten der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin, Alexander Rahr. Herr Rahr, nach dem Rücktritt von Präsident Schewardnadse in Georgien haben rund 50.000 Menschen auf den Straßen der Hauptstadt den Sieg der Oppositionsbewegung gefeiert. Die neue Interimspräsidentin Burdschanadse erklärte, sie wolle sowohl die Bemühungen um einen Beitritt zu Nato und EU fortsetzen als auch die Beziehungen zu Russland verbessern. Warum ist Georgien für die USA und für Europa wichtig? Vermutlich laufen da einige Pipelines durch das Land?

    Alexander Rahr: Ja, sicherlich. Für Amerika und die Europäische Union ist Georgien ein ganz wichtiges Transitland von Europa nach Asien. In der sowjetischen Zeit, aber auch in der Zarenzeit hat Moskau alles versucht, um den Bau eines West-Ost-Korridors über den Kaukasus nach Asien zu verhindern. Die ganzen Kommunikationsstränge gehen von Nord nach Süd. Nach dem Fall der Sowjetunion haben sowohl die Amerikaner als auch die Europäische Union riesige Anstrengungen unternommen, dies zu verändern. Es wurden zwei riesige Projekte in Gang gesetzt. Dementsprechend wurden Pipelines und Autobahnen, Eisenbahnlinien eben über Georgien nach Osten verlegt. Eine ganz wichtige Pipeline wurde wieder in Stand gesetzt, die Öl von Baku, also Aserbeidschan, nach Georgien an den Schwarzmeerort Batumi liefert. Von dort wird dann das Öl jetzt auch Richtung Westen gepumpt. Es soll eine neue riesige Pipeline gebaut werden, auch über Georgien, die das Öl in die Türkei jetzt pumpt.

    Liminski: Welche Rolle spielt denn Russland für Georgien, oder umgekehrt, ist Georgien für Russland auch wichtig?

    Rahr: Für Russland ist Georgien fast noch wichtiger. Ich würde einmal formulieren, dass Georgien derzeit in den nächsten Tagen und Wochen natürlich vor einer großen Entscheidung steht. Amerikaner und Russen werden sich um Georgien, um die neue Regierung zanken. Beide werden versuchen, sich mit dieser Regierung zu verständigen, sie auf ihre Seite zu ziehen, weil dies von beiden Ländern so gewollt ist, um hier die geopolitischen Voraussetzungen für den jeweiligen Einfluss in dieser Region aufrecht zu erhalten oder zu stärken. Die Amerikaner wollen natürlich, dass Georgien näher mit der Nato zusammenarbeitet. Man will verhindern, dass Russland wieder ein Imperium wird. Zusammen mit Georgien und Armenien, Aserbeidschan unter russischem Einfluss könnte Russland hier in dieser Gegend wieder Fuß fassen. Das wollen auch die Russen. Für die Russen ist es wichtig, über Georgien den Transitweg nach Armenien aufrecht zu erhalten. Mit Armenien, einem sehr engen Verbündeten Russlands, hat Moskau sonst keine gemeinsame Grenze. Außerdem braucht Russland eine Art Einfluss über Georgien, weil die tschetschenische Grenze eben an Georgien grenzt und von dort immer wieder, wie es heißt, El Kaida-Kämpfer und andere Terroristen aus Georgien nach Russland, also nach Tschetschenien einströmen.

    Liminski: Geopolitische Rivalitäten also. Was für eine Bedeutung hat Georgien denn in der Region selbst? Der Kaukasus ist ja nicht nur wegen Tschetschenien ein Unruheherd. Fällt mit dem Regime Schewardnadse auch ein stabiles Element?

    Rahr: Das kann man heute so sagen. Schewardnadse, bei all der Kritik, die heute gegen ihn laut wird, hat es geschafft, die Unabhängigkeit Georgiens zu festigen und vor allen Dingen das Land gegenüber der Außenwelt zu öffnen. Mit seinem Image, mit seinen politischen Einflussmöglichkeiten als ehemaliger Parteichef von Georgien, ehemaliges Politbüro-Mitglied der Sowjetunion und auch als Außenminister einer Reform-Sowjetunion hat er sehr viele Freunde in der Außenwelt gewonnen. Georgien hat sich, viel mehr als zum Beispiel Aserbeidschan oder Armenien es gelungen ist, wirklich international achtbar gemacht. Was Schewardnadse einfach gefehlt hat, war der Mut zu wirklich durchgreifenden wirtschaftlichen Reformen. Er hat auch die Korruption im Lande aufgebaut, sein Land in eine Art Vetternwirtschaft hineingeführt. Das wird ihm jetzt zur Last gelegt. Aber die neue Regierung, die ja scheinbar, wie es jetzt aussehen wird, eher westlich orientiert ist, marktwirtschaftlich orientiert ist, liberal gerichtet ist, wird vor einer großen Aufgabe stehen, hier diese Fehler wieder auszumerzen und Georgien Richtung Marktwirtschaft zu führen. Allerdings muss natürlich das Nationalitätenproblem hier auch angegangen werden. Georgien ist fast ein zerfallener Staat. Es gibt sehr große Minderheitsprobleme zum Beispiel in Abchasien, wo eine muslimische Minderheit nicht in dem christlichen Georgien leben will.

    Liminski: Haben denn die Ereignisse in Georgien auch Auswirkungen auf die Nachbarländer?

    Rahr: Ich glaube ja. Georgien ist in einem ganz schwierigen Umfeld angesiedelt. In der Nachbarrepublik Aserbeidschan gab es vor wenigen Wochen auch einen Aufstand gegen den neu gewählten Präsidenten Alijew, dem Sohn eines ehemaligen Politbüro-Mitglieds, der abgetreten ist. Der Funke Georgiens könnte natürlich auch etwas in Aserbeidschan anrichten, was man natürlich zu verhindern sucht, weil dann die ganze Region instabil werden würde.

    Liminski: Das war Alexander Rahr, der Russlandexperten der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin, vielen Dank für das Gespräch.