Liminski: Welche Rolle spielt denn Russland für Georgien, oder umgekehrt, ist Georgien für Russland auch wichtig?
Rahr: Für Russland ist Georgien fast noch wichtiger. Ich würde einmal formulieren, dass Georgien derzeit in den nächsten Tagen und Wochen natürlich vor einer großen Entscheidung steht. Amerikaner und Russen werden sich um Georgien, um die neue Regierung zanken. Beide werden versuchen, sich mit dieser Regierung zu verständigen, sie auf ihre Seite zu ziehen, weil dies von beiden Ländern so gewollt ist, um hier die geopolitischen Voraussetzungen für den jeweiligen Einfluss in dieser Region aufrecht zu erhalten oder zu stärken. Die Amerikaner wollen natürlich, dass Georgien näher mit der Nato zusammenarbeitet. Man will verhindern, dass Russland wieder ein Imperium wird. Zusammen mit Georgien und Armenien, Aserbeidschan unter russischem Einfluss könnte Russland hier in dieser Gegend wieder Fuß fassen. Das wollen auch die Russen. Für die Russen ist es wichtig, über Georgien den Transitweg nach Armenien aufrecht zu erhalten. Mit Armenien, einem sehr engen Verbündeten Russlands, hat Moskau sonst keine gemeinsame Grenze. Außerdem braucht Russland eine Art Einfluss über Georgien, weil die tschetschenische Grenze eben an Georgien grenzt und von dort immer wieder, wie es heißt, El Kaida-Kämpfer und andere Terroristen aus Georgien nach Russland, also nach Tschetschenien einströmen.
Liminski: Geopolitische Rivalitäten also. Was für eine Bedeutung hat Georgien denn in der Region selbst? Der Kaukasus ist ja nicht nur wegen Tschetschenien ein Unruheherd. Fällt mit dem Regime Schewardnadse auch ein stabiles Element?
Rahr: Das kann man heute so sagen. Schewardnadse, bei all der Kritik, die heute gegen ihn laut wird, hat es geschafft, die Unabhängigkeit Georgiens zu festigen und vor allen Dingen das Land gegenüber der Außenwelt zu öffnen. Mit seinem Image, mit seinen politischen Einflussmöglichkeiten als ehemaliger Parteichef von Georgien, ehemaliges Politbüro-Mitglied der Sowjetunion und auch als Außenminister einer Reform-Sowjetunion hat er sehr viele Freunde in der Außenwelt gewonnen. Georgien hat sich, viel mehr als zum Beispiel Aserbeidschan oder Armenien es gelungen ist, wirklich international achtbar gemacht. Was Schewardnadse einfach gefehlt hat, war der Mut zu wirklich durchgreifenden wirtschaftlichen Reformen. Er hat auch die Korruption im Lande aufgebaut, sein Land in eine Art Vetternwirtschaft hineingeführt. Das wird ihm jetzt zur Last gelegt. Aber die neue Regierung, die ja scheinbar, wie es jetzt aussehen wird, eher westlich orientiert ist, marktwirtschaftlich orientiert ist, liberal gerichtet ist, wird vor einer großen Aufgabe stehen, hier diese Fehler wieder auszumerzen und Georgien Richtung Marktwirtschaft zu führen. Allerdings muss natürlich das Nationalitätenproblem hier auch angegangen werden. Georgien ist fast ein zerfallener Staat. Es gibt sehr große Minderheitsprobleme zum Beispiel in Abchasien, wo eine muslimische Minderheit nicht in dem christlichen Georgien leben will.
Liminski: Haben denn die Ereignisse in Georgien auch Auswirkungen auf die Nachbarländer?
Rahr: Ich glaube ja. Georgien ist in einem ganz schwierigen Umfeld angesiedelt. In der Nachbarrepublik Aserbeidschan gab es vor wenigen Wochen auch einen Aufstand gegen den neu gewählten Präsidenten Alijew, dem Sohn eines ehemaligen Politbüro-Mitglieds, der abgetreten ist. Der Funke Georgiens könnte natürlich auch etwas in Aserbeidschan anrichten, was man natürlich zu verhindern sucht, weil dann die ganze Region instabil werden würde.
Liminski: Das war Alexander Rahr, der Russlandexperten der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin, vielen Dank für das Gespräch.