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Kampf um Kobane
"Ein internationales Problem"

Die Türkei kann die Situation in Kobane nicht allein lösen: Das hat Onur Öymen im DLF gesagt. Er ist ehemaliger türkischer Botschafter in Deutschland. Er betonte, es müsse nicht nur gegen den IS gekämpft werden, sondern gegen alle terroristischen Organisationen in diesem Gebiet.

Onur Öymen im Gespräch mit Thielko Grieß | 09.10.2014
    In der Stadt Kobane im Norden Syriens kämpfen IS-Anhänger gegen kurdische Verteidiger.
    Öymen forderte die internationale Gemeinschaft zum gemeinsamen Handeln auf. (afp / Aris Messinis)
    "Alle Terroristen sind gefährlich", betonte der ehemalige Botschafter in Deutschland. Es werde ein internationaler Zusammenhalt gegen alle terroristischen Organisationen gebraucht.
    Die islamistischen Terroristen in Syrien und Irak seien für die ganze Region eine Gefahr, so Öymen. Es müsse auch eine politische Lösung gefunden werden. Für das Gebiet sei die einzige politische Lösung eine säkulare Demokratie.
    Der Vorschlag, eine Pufferzone an der Grenze einzurichten, ist für Öymen ein richtiger Vorschlag, um das Flüchtlingsproblem zu lösen. Doch könnte die Türkei das Problem nicht alleine lösen und benötige dazu internationale Partner.
    Politik und Terror in Syrien will Öymen trennen. Er widersprach dem türkischen Präsidenten Erdogan, dass Damaskus für alle Terrororganisationen verantwortlich sei.

    Das Interview mit Onur Öymen in voller Länge:
    Thielko Grieß: Den Dschihadisten des sogenannten Islamischen Staates gilt Kobane als Brückenkopf zwischen von ihnen bereits kontrollierten Territorien und als ein wertvoller Zugangspunkt zur türkischen Grenze. Den Kurden wiederum gilt Kobane als wichtige Großstadt in einer Region, in der sie in den vergangenen Jahren praktisch autonom gelebt haben. Die Kämpfe um Kobane halten weiter an.
    Am Telefon begrüße ich Onur Öymen. Er war Anfang der 90er-Jahre türkischer Botschafter in Deutschland, damals also noch in Bonn, auch Botschafter bei der NATO und außerdem ehemaliger Parlamentsabgeordneter der säkularen Partei CHP. Herr Öymen, guten Morgen.
    Onur Öymen: Guten Morgen!
    Grieß: Warum kann es sich die Türkei leisten, den Kämpfen in Kobane unbeteiligt zuzuschauen?
    Öymen: Ja, es ist nicht ein türkisches Problem, aber ein internationales Problem. Die Koalitionsmitglieder müssen einig sein. Wir müssen zusammen kämpfen, nicht gegen ISIS, sondern gegen alle terroristischen Organisationen in diesem Gebiet. Die Türkei allein kann nicht dieses Problem lösen. Wir müssen bestimmt unser Land schützen mit unserer Armee, aber wir müssen nicht eine einseitige Operation machen gegen diese Terroristen. Kein Land ist bereit, Truppen zu schicken zum Kämpfen gegen Terroristen.
    Grieß: Stehen die Islamisten denn womöglich doch in irgendeiner Form den Konservativen in der Türkei, dem Präsidenten Erdogan, der AKP näher?
    Öymen: Das ist nicht vergleichbar. Aber wir glauben, dass diese islamistischen Terroristen in Syrien und in Irak eine Gefahr für die gesamte Region sind. Deswegen müssen wir auch eine politische Lösung finden, was ist die Alternative von Terrorismus. Wir müssen erklären, dass die einzige Lösung eine säkulare Demokratie in diesem Gebiet ist, und wir müssen zusammenarbeiten dafür.
    Zusammenhalt gegen alle terroristischen Organisationen
    Grieß: Aber worin besteht denn nun das Engagement der Türkei?
    Öymen: Die Türkei ist engagiert, zusammen mit anderen Partnern, aber wir brauchen nicht Doppelstandards gegen terroristische Organisationen. Alle Terroristen sind gefährlich und man muss nicht sagen, einige sind mehr gefährlich, andere nicht so gefährlich. Deswegen brauchen wir die internationale Gemeinde, einen Zusammenhalt gegen alle terroristischen Organisationen.
    Grieß: Nach den Doppelstandards frage ich gleich noch mal, aber erst würde ich das kurz wiederholen. Ich habe noch nicht verstanden oder sehe bislang nicht, wie sich die Türkei, die in direkter Nachbarschaft sich befindet, sich beteiligt oder sich an der Konfliktlösung in irgendeiner Form beteiligt.
    Öymen: Für die Konfliktlösung müssen wir verstehen, dass es nicht eine Lösung für einige Terroristen gibt oder eine andere Lösung für andere Terroristen. Unser Präsident sagte gestern, ISIS und PKK zum Beispiel sind vergleichbar. Das sind alles terroristische Organisationen.
    Grieß: Und das unterschreiben Sie auch so? Die Terroristen verschiedener Couleur sozusagen, der einen oder anderen Seite - das haben Sie gerade gesagt -, die gehören beide für Sie zusammen, IS und PKK?
    Öymen: Das ist das Problem. Man muss nicht sagen, wir müssen gegen diese Terroristen kämpfen, weil die unsere eigenen Interessen angreifen, aber wir schlagen eine politische Lösung für andere Terroristen, für andere Länder vor, die die Interessen von anderen Ländern angreifen. Es muss keine Doppelstandards haben im Kampf gegen Terroristen.
    Öymen fordert "Einhellige Politik gegen Terrororganisation in der Welt"
    Grieß: Herr Öymen, es gibt aber in der Türkei, soweit wir das sehen können, kaum andere Ansprechpartner, die der Westen ansprechen könnte, außer die PKK und die mit ihnen verbundenen Organisationen.
    Öymen: Das ist das Problem. Ich glaube persönlich, dass wir eine einhellige Politik gegen Terrororganisation in der Welt machen müssen, und wir glauben, dass man das terroristische Problem nicht lösen kann durch Zusammensetzen und Sprechen über politische Lösungen, solange die Terroristen weiter Waffen haben und sie angreifen, wie das stattgefunden hat in der Türkei in den letzten paar Tagen in Südost-Anatolien und anderen Städten, sondern man muss nicht vorschlagen, dass die Türkei alleine eine politische Lösung findet, sondern die Türkei einladen, zu kämpfen gegen andere Terroristen, die die Interessen von anderen Ländern angreifen.
    Grieß: Halten Sie eine mögliche Pufferzone an der Grenze - dieser Vorschlag wird seit gestern ja zum Beispiel von Frankreich unterstützt - für einen sinnvollen Vorschlag?
    Öymen: Ja, das ist ein sehr wichtiger Vorschlag für humanitäre Hilfe, um das Flüchtlingsproblem zu lösen. Aber die Türkei allein kann nicht dieses Problem lösen. Es muss eine Entscheidung der Vereinten Nationen geben, eine Sicherheitsratsentscheidung, vielleicht auch zusammen mit Syrien. Auf andere Weise können wir nicht eingreifen, mit Syrien eine solche Pufferzone oder Sicherheitszone zu gründen.
    "Alle NATO-Länder müssen zusammenarbeiten"
    Grieß: An welche Länder denken Sie eigentlich, wenn Sie sagen, die Türkei braucht internationale Partner?
    Öymen: An alle Länder. Alle NATO-Länder zum Beispiel müssen zusammenarbeiten, wie wir es 9.11 nach dem terroristischen Angriff gegen New York gemacht haben. Damals waren alle NATO-Länder einig im Kampf gegen alle terroristischen Organisationen in der Welt. Bush hat gesagt, es gibt keine Grauzone, entweder sie sind für uns oder gegen uns. Das ist exakt das, was wir heute sagen.
    Grieß: Und Sie würden auch sagen, wenn es dann schon mal um das Grenzgebiet Syriens geht, dann geht es am Ende auch um Damaskus und auch um Präsident Assad?
    Öymen: Ja, das ist ein anderes Problem.
    Grieß: ..., was aber zusammengehört.
    Öymen: Man darf das nicht vermischen, das Problem in Syrien, die politische Situation in Syrien und das terroristische Problem. Ich bin uneinig mit unserem Präsident, wenn er sagt, dass der Ursprung von allen terroristischen Tätigkeiten in Syrien und im Irak liegt, Damaskus ist verantwortlich, Assad ist verantwortlich für alle Terrororganisationen. Es ist nicht richtig. Es war Terrorismus schon vor all diesen letztlichen Entwicklungen in Syrien. Ich glaube deswegen, wir müssen nicht kämpfen zusammen im selben Moment gegen die Assad-Regierung und gegen ISIS-Terroristen. Wir müssen unsere Priorität haben und ich glaube, dass es in diesem Moment das Kämpfen gegen Terroristen ist.
    Grieß: Der frühere türkische Botschafter in Deutschland, Onur Öymen, heute Morgen live aus der Türkei. Danke schön, Herr Öymen, für das Gespräch.
    Öymen: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.