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"Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit"
Widerstand und Spionage im Kalten Krieg

Die "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" galt in Ost und West lange Zeit als Inbegriff des Antikommunismus. 1948 in West-Berlin entstanden, bekämpfte sie während des Kalten Krieges ein Jahrzehnt lang die DDR - mit Aufklärung und Propaganda, mit subversiven und militanten Aktionen. Der Historiker Enrico Heitzer hat jetzt eine umfangreiche Studie zur KgU vorgelegt.

Von Otto Langels | 13.04.2015
    "Ich bekam den Auftrag, eine erneute Brandstiftung auf die Brücke vorzunehmen und empfing einen wirksameren Brandsatz." - "Und damit gingen Sie wieder los?" - "Inzwischen war, wie ich festgestellt hatte, die Brücke bewacht."
    Im August 1952 stand Joachim Müller vor dem Obersten Gericht der DDR. Die Anklage warf ihm vor, als Mitglied der "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit", kurz KgU, Brandanschläge auf eine hölzerne Autobahnbrücke verübt und die Sprengung einer Schleuse geplant zu haben. Müller war einer von Hunderten V-Leuten der Kampfgruppe, die auf DDR-Gebiet operierten. Zur Geschichte der KgU hat der Historiker Enrico Heitzer eine detaillierte Studie vorgelegt, die neue Erkenntnisse liefert und frühere Befunde zu dem Thema vertieft. Dazu hat er zahlreiche Gespräche mit Zeitzeugen geführt und umfangreiches Quellenmaterial gesichtet, darunter Berichte der KgU, der Stasi und der CIA.
    "Unbestritten gilt die Organisation heute als härtester Gegenspieler des SED-Regimes und seines Ministeriums für Staatssicherheit bis in die Mitte der 50er-Jahre. Ich vermute, dass die KgU, allein was die Kooperierenden in der DDR anging, durchaus bis '52 oder '53 sogar mit der Organisation Gehlen mithalten konnte."
    Die Organisation Gehlen war der Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes, benannt nach ihrem Leiter Reinhard Gehlen. Zu den Initiatoren der KgU im Jahr 1948 zählten die späteren CDU-Politiker Ernst Benda und Peter Lorenz sowie Rainer Hildebrandt, Gründer des Mauer-Museums am Checkpoint Charlie. Sie wurden zu einer Zeit politisch aktiv, als der Kalte Krieg in Berlin noch heiß war und auf beiden Seiten mit extremer Härte geführt wurde. Das SED-Regime verurteilte Regimegegner zu drastischen Strafen und verschleppte unliebsame Kritiker aus West-Berlin in den Osten. Radikale Antikommunisten wiederum wollten die DDR destabilisieren. Als treibende Kraft trat dabei die KgU auf. Die "kalten Krieger", wie sie sich selbst nannten, traten in Hunderten von Veranstaltungen in Westdeutschland auf, um über das Unrechtsregime in der DDR aufzuklären. Zudem pflegte die Gruppe enge Kontakte zum Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen und hatte Verbindungen bis ins Bundeskabinett hinein.
    "Es gibt eine Aufstellung von 1954 von der KgU, aus der hervorgeht, dass ins Kabinett sie zu fünf Ministern, darunter Franz-Josef Strauß und Theodor Oberländer, Kontakt hatte und zu einer ganzen Reihe vor allem von FDP-Bundestagsabgeordneten."
    Hauptfinanzier der privat organisierten KgU war der amerikanische Geheimdienst CIA. Die Kampfgruppe verfügte über einen hauptamtlichen Apparat von zeitweise 85 Mitarbeitern in West-Berlin und steuerte Hunderte von Agenten in der DDR. Diese sammelten sensible Daten, um sie an westliche Geheimdienste weiterzureichen. Darüber hinaus betrieb die KgU psychologische Kriegsführung. Helfer befestigten in der Nähe der Grenze Millionen Flugblätter an Luftballons und ließen sie vom Wind in die DDR treiben. Eine eigene professionelle Werkstatt fälschte amtliche Schreiben und Dienstanweisungen, um Verwirrung zu stiften, Wirtschaft und Handel zu sabotieren und Unmut in der Bevölkerung zu provozieren.
    "Der Leiter der CIA-Osteuropa-Division, John Bross, bezeichnete Mitte 1955 die administrativen Störungen der KgU als eines der wirkungsvollsten und erfolgreichsten Instrumente, mit welchen bis dahin die volle Konsolidierung der Autorität des DDR-Regimes verhindert worden sei. Die CIA-Berichte zeigen in all den Jahren eine sehr stabile Zufriedenheit mit der Arbeit der KgU, die als Instrument zur Destabilisierung und letztlich zur Befreiung im Sinne der "liberation policy" der DDR angesehen und genutzt wurde."
    Allerdings neigen Geheimdienste aus Eigeninteresse bekanntlich dazu, den Erfolg eigener Aktivitäten überzubewerten. Eine gewisse Skepsis gegenüber derartigen "Erfolgsmeldungen" hätte der Studie an manchen Stellen gut getan. Doch die Kampfgruppe beschränkte sich nicht auf friedliche Aktionen und administrative Störmanöver. KgU-Leute verübten Anschläge auf Zeitungskioske und Brücken, sie zerstörten Eisenbahnschienen, beschädigten Transformatoren, streuten Stahlspitzen auf Straßen, verschickten Drohbriefe und verübten mehrere Brandanschläge auf Kaufhäuser. Nur durch Zufall kam niemand ums Leben. Für ihr rigoroses Auftreten zahlten Mitglieder der Kampfgruppe wie Joachim Müller einen hohen Preis.
    "Wochenschau"-Ausschnitt: "Der Angeklagte Müller, seine Wohnung war ein Arsenal von Sabotage-Material, alles lieferte ihm die amerikanische Spionage-Zentrale. Solche Brandsätze, von Müller entzündet, sollten die Autobahnbrücke bei Finowfurt zerstören. Es glückte nicht."
    Das Gericht unter Vorsitz der berüchtigten Hilde Benjamin, der späteren DDR-Justizministerin, verurteilte Joachim Müller in einem Schauprozess zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, einen Mitangeklagten zum Tode.
    "Meinen Zählungen zufolge wurden mindestens 528 Personen von DDR-Gerichten wegen tatsächlicher oder angeblicher KgU-Verbindungen verurteilt. Zählt man die mindestens 544 aus dem gleichen Grunde von sowjetischen Militärtribunalen Verurteilten hinzu, summiert sich die Zahl der Verurteilten auf etwa 1.100 Personen, von denen mindestens 126 hingerichtet wurden."
    Enrico Heitzer hat eine faktenreiche Studie zur KgU geschrieben. Allerdings ist das Buch mit 64,90 Euro nicht gerade preisgünstig und der trockene wissenschaftliche Stil macht die Lektüre nicht immer zu einem Vergnügen. Gleichwohl ist Heitzers Arbeit über Subversion und Spionage im Kalten Krieg eine wichtige Ergänzung zu all jenen Publikationen, die in jüngster Zeit über das SED-Regime und die Stasi erschienen sind. Die Untersuchung bietet profunde Einblicke in eine Gruppe, die gegen Unmenschlichkeit zu Felde zog, sich dabei aber selber inhumaner Methoden bediente, das Leben Unschuldiger riskierte und den Tod der eigenen Leute in Kauf nahm. 1959 löste sich die "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" auf.
    Enrico Heitzer: "Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU). Widerstand und Spionage im Kalten Krieg 1948-1959", Böhlau Verlag, 550 Seiten, 64,90 Euro, ISBN: 978-3-412-22133-1.