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Kanada
Der verbale Schutzpatron der Ukraine

Mit keinem anderen NATO-Mitgliedsland hat die Ukraine einen stärkeren Fürsprecher als Kanada. Fast 1,2 Millionen ukrainische Einwanderer leben bereits in der fünften Generation in Kanada. Sie bilden eine Minderheit mit gewaltigem politischen Einfluss. Außerdem fürchtet auch Kanada den Expansionswillen Russlands.

Von Georg Schwarte | 06.09.2014
    Kanadas Ministerpräsident Stephen Harper mit Petro Poroschenko, dem Präsident der Ukraine, beim NATO-Gipfel in Wales.
    Kanadas Ministerpräsident Stephen Harper mit Petro Poroschenko, dem Präsident der Ukraine, beim NATO-Gipfel in Wales. (CHRIS RATCLIFFE / POOL / AFP)
    Seit gestern Abend herrscht im Osten der Ukraine erstmals ein Waffenstillstand - der seit ein paar Stunden schon wieder infrage gestellt wird. Die NATO beschloss auf dem Gipfel von Wales KEINE größeren permanente Basen auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Paktes, wohl aber eine schnelle, flexible Eingreiftruppe. Plus Material- und Munitionsdepots in den baltischen Staaten, sowie in Polen und Rumänien. Das NATO-Mitglied Kanada hatte schon Anfang August beschlossen, keine Waffen, wohl aber militärisches Hilfsgerät in die Ukraine zu liefern.
    Außerdem hat die Regierung in Ottawa jegliche militärische Kooperation mit Moskau abgebrochen, Wirtschaftssanktionen verhängt und einigen russischen Politikern und Diplomaten die Visa entzogen. Die Ukraine pflegt zu keinem anderen NATO-Land einen engeren Schulterschluss als zu Kanada - dem Nachbarn Russlands.
    Diese Sonderrolle Kanadas hat historische Gründe.
    "Sozial vernetzt, gut organisiert"
    Steven Harper, Kanadas konservativer Premier, steht hoch oben im Norden Kanadas an der Küste des Baffin Islands. Vor ihm kanadische Truppen, die gerade das Militär-Manöver Operation Nannok beendet hatten. Und hier oben, da wo Kanada und Russland beinahe aneinanderstoßen, warnt Harper seine Truppen vor einem Mann:
    In Europa sehe man die imperialen Ambitionen von Wladimir Putin, der entschlossen scheine, dass es für Russlands Nachbarn keinen Frieden geben soll. Russlands Nachbarn? Zu denen zählt auch Kanada, dass derzeit nicht ohne Grund einer der schärfsten Kritiker des russischen Vorgehens in der Ukraine ist Der Hauptgrund dafür lebt allerdings in Kanada. Fast 1,2 Millionen einst aus der Ukraine eingewanderte heutige Kanadier. In der fünften Generation im Land, gut organisiert und eine Minderheit mit gewaltigem politischen Einfluss:
    "Die ukrainische Gemeinde, die sozial vernetzt und gut organisiert ist, die kann bei Abstimmungen hier im Land entscheidend sein."
    sagt Professor Dominique Arel von der Universität in Ottawa. Er verfolgt seit Längerem, wie die kanadische Regierung systematisch die große Wählergruppe der Ukrainer im Land umsorgt.
    "Das erklärt zum Teil warum Kanada so ausgesprochen pro ukrainisch agiert. Harper spricht aber - wenn er über Russland redet - eigentlich nur zu den eigenen Wählern."
    Verbale Aufrüstung
    Die kanadische ukrainische Verbindung. Eine lange Tradition. Als am 21. August 1991 die Ukraine ihre Unabhängigkeit von der damaligen Sowjetunion erklärte, war es Kanada bereits einen Tag später, das als erstes Land überhaupt die Souveränität der Ukraine anerkannte. Als unlängst der neue ukrainische Präsident Poroschenko eingeführt wurde, Stephen Harper war natürlich vor Ort dabei. Der Stephen Harper, der jetzt im Norden seines Landes säbelrasselnd auf Russlands Militärpräsenz reagiert:
    "In unserem eigenen Territorium wird die Royal Air Force auf die erhöhte Aktivität der Russen in der Arktis reagieren. Die erste Aufgabe jeder Regierung ist es, ihre Grenzen zu sichern. Deshalb werden wir unsere Armee erneuern."
    Starke Worte, aber Kanadas Rolle als Schutzpatron der Ukraine, für Professor Arel eben genau das. Starke Worte:
    "Heißt konkret: Als NATO-Partner ist Kanada eher ein Schmalhans. Statt den von der NATO gewünschten 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Rüstungsausgaben liegt Kanada bei einem Prozent. Tendenz stetig fallend. Die Rüstungsausgaben sollen 2015 um 2,7 Milliarden Dollar sinken. Stephen Harper verkündet indes öffentlich anderes. Mit Blick auf die Ukraine-Krise rüstet er - zumindest wenn er vor Soldaten redet - verbal auf:
    "Wir bauen neue Schiffe, habe neue Panzer, Helikopter und anderes Militärgerät gekauft. Wir können jetzt sofort auf Krisen hier und in aller Welt reagieren."
    Auch in Kanada wächst der sanfte Druck der ukrainischen Minderheit, ihrem Heimatland zu helfen. Der ukrainische Botschafter in Kanada, Vadym Prystaiko will deshalb nicht mehr nur verbale Hilfe, er will Waffen:
    "Wir sind jetzt an dem Punkt, wo wir von Kanada zwar Ausrüstung bekommen haben, jetzt aber brauchen wir militärisches Gerät, Ausbildungshilfe und Satellitenunterstützung."
    Konkurrenz um Vormacht in der Arktis
    Derweil hält Kanada den öffentlichen Druck Richtung Moskau aufrecht. Gerade erst twitterte Kanadas Delegation für den NATO-Gipfel in Wales eine bitterironische Botschaft Richtung Moskau: Tenor: Geografie ist eine schwierige Sache. Für alle russischen Soldaten, die sich versehentlich in die Ukraine verirrt haben, hier eine Karte: Zu sehen waren zwei Länder: Russland und dick markiert "Nicht-Russland", gemeint die Ukraine.
    Geography can be tough. Here’s a guide for Russian soldiers who keep getting lost & ‘accidentally’ entering #Ukraine pic.twitter.com/RF3H4IXGSp— Canada at NATO (@CanadaNATO) 27. August 2014
    Böser Spott, der übrigens der amerikanischen UN-Botschafterin Power so gut gefiel, dass sie ihn gleich auch ihrer Twittergemeinde vorstellte. Für Kanada ist das territoriale Streben Russlands Richtung Ukraine jedenfalls eine Warnung: Beide Länder konkurrieren um die Vormacht in der Arktis. Es geht um Macht und vor allem um Bodenschätze. Auch deshalb warnt Kanadas Premier Harper mit Blick auf die Ukraine wieder und wieder:
    "Weil Russland auch Kanadas Nachbar ist, sollten wir uns hier nicht zu sicher fühlen."
    Die ukrainische Minderheit in Kanada wird das sicher gern gehört haben.