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Ukraine-Konflikt
"Es wird keine militärische Lösung geben"

Die vereinbarte Waffenruhe in der Ukraine kann aus Sicht des SPD-Politikers Rolf Mützenich nur ein erster Schritt zur Lösung des Ukraine-Konflikts sein. Im Deutschlandfunk forderte der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion internationale Gespräche unter Leitung der OSZE, um die Lage in dem Land dauerhaft zu beruhigen.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Peter Kapern | 06.09.2014
    SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich.
    SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich. (dpa/Michael Kappeler)
    Eine militärische Lösung des Konflikts wird es nach Mützenichs Einschätzung nicht geben. Die geschwächte ukrainische Führung brauche nun Unterstützung von der internationalen Gemeinschaft, um an einer friedlichen Lösung des Konflikts zu arbeiten. Denn in Kiew gebe es noch Akteure, die am Militäreinsatz im Osten des Landes festhalten wollten. Gleichzeitig forderte der SPD-Politiker, dass Russland - sollte es militärisch in der Ukraine aktiv sein - seine Kräfte abzieht und an einer politischen Lösung mitarbeitet. Russland Präsidenten Putin bezeichnete Mützenich als "undurchschaubar". Er habe mehrfach Versprechungen gemacht, die später nicht eingehalten worden seien.
    Weitere Vermittlungen nach der vereinbarten Waffenruhe sollte nun die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa leiten, so Mützenich. Sie genieße das Vertrauen der verschiedenen beteiligten Parteien. Der Druck auf Russland dürfe jetzt aber nicht sinken - die vereinbarten Sanktionen der EU müssten wie geplant in Kraft treten.

    Das vollständige Interview zum Nachlesen:
    Peter Kapern: Herr Mützenich, es gibt also einen Waffenstillstand in der Ukraine, aber bei Weitem keine Lösung dieses Konflikts. Was müssen die nächsten Schritte sein?
    Rolf Mützenich: Auf jeden Fall, dass die Waffenruhe hält und dass sie auch zumindest durch die OSZE nachprüfbar überwacht werden kann. Es geht letztlich darum, dass wir wahrscheinlich nur in einem internationalen Kontext mit vielen verschiedenen Staaten aus Europa, aber letztlich eben der Gesamtorganisation hier zu belastbaren Ergebnissen kommen, weil leider ja die Vereinten Nationen ausfallen.
    Kapern: Aber wir haben eben auch gehört, dass beispielsweise russisches Militärpersonal in den besetzten Gebieten im Osten der Ukraine unterwegs ist und russische Pässe verteilt, die Stromversorgung an russische Kraftwerke ankoppelt, in den Schulen russische Lehrbücher ausgeteilt werden. Sieht das für Sie irgendwie so aus, als wäre Wladimir Putin entschlossen, diese besetzten Gebiete wieder zu räumen?
    Mützenich: Wenn das stimmt, dann natürlich nicht, weil das wäre ein perfides Spiel, und wir haben davon ja auch in den letzten Tagen immer wieder in unterschiedlichen Facetten gehört, dass Russland offensichtlich bereit ist, auch seine Fußabtritte hier in diesem Gebiet letztlich zu haben und auch langfristig letztlich möglicherweise zu bleiben. Das ist schon ein schwieriges Feld. Deswegen noch mal: Diese Waffenruhe kann letztlich nur der Anfang für eine politische Bearbeitung des Konfliktes sein. Das heißt dann aber auch auf der anderen Seite: Wir müssen diejenigen in Kiew stärken, die auch zu politischen Vereinbarungen bereit sind, und das scheint mir zum jetzigen Zeitpunkt insbesondere der ukrainische Präsident Poroschenko zu sein.
    Kapern: ... der aus einer Position der Schwäche bereit dazu ist.
    Mützenich: In der Tat. Er ist nicht nur aus einer Schwäche aufgrund der gewaltsamen, der militärischen Logik letztlich auch geschwächt, sondern weil es scheinbar auch in der Regierung letztlich andere Akteure gibt, die an einer anderen Lösung glauben, arbeiten zu können. Aber ich glaube, dass diese Waffenruhe auch aus der Sicht Kiews mittlerweile deutlich macht: Es wird keine militärische Lösung geben, sondern wir werden wahrscheinlich nur – und da muss auch die Europäische Union gemeinsam agieren – zu einer politischen Lösung kommen.
    Kapern: Sie haben eben von einem internationalen Kontext gesprochen, in dem dieses Problem gelöst werden muss, ausschließlich gelöst werden kann. Was genau schwebt Ihnen da vor? Wie muss so ein internationaler Kontext aussehen?
    Mützenich: Nun, ich glaube, dass, wenn diese Waffenruhe tatsächlich in den nächsten Stunden und Tagen hält, dann muss gerade die OSZE – und ich finde schon, gerade der Vorsitzende, der Schweizer Bundespräsident Burkhalter hat eine Menge hier an dieser Stelle in den letzten Tagen auch geschafft –, muss sozusagen auch die Regie übernehmen. Ich finde, dass das sehr wichtig wäre, wenn wir das gerade in diesem Rahmen herstellen könnten, weil zumindest vielleicht gegenüber diesen Akteuren, auch gegenüber dem Vorsitzenden ein gemeinsames Vertrauen existiert, und auf diesen nächsten Schritt muss dann aufgebaut werden, und letztlich muss sich, wenn Russland hier aktiv in diesen Gebieten ist, auch zurückziehen und gerade auch die Grenze muss vonseiten der OSZE überwacht werden.
    Kapern: Also noch mal zusammengefasst: Sie schlagen eine Friedenskonferenz der OSZE vor?
    Mützenich: Ich will gar nicht so weit gehen, das sind ja immer große Worte, Friedenskonferenz et cetera, sondern wir müssen weiter, auf der einen Seite beharrlich, aber auch behutsam arbeiten. Und vieles findet ja auch außerhalb der öffentlichen Beobachtung statt. Da muss Vertrauen aufgebaut werden. Und noch mal: Gerade diejenigen in Kiew, die an eine politische Lösung glauben, müssen auch gestärkt werden. Auch das ist eine Aufgabe vonseiten der Europäischen Union und insbesondere Deutschlands.
    Kapern: Herr Mützenich, was würde es bedeuten, wenn es Russland gelingen würde, einen weiteren dieser sogenannten Frozen Conflicts – und diesmal mitten in Europa – zu platzieren, wenn also die Situation, so wie sie sich derzeit darstellt, auf nicht absehbare Zeit zementieren würde?
    Mützenich: Weitere Unsicherheiten, dass Regeln und Normen nicht nur aus der Vergangenheit verletzt worden sind, sondern dass eben infrage gestellt wurde, dass Regeln und Normenverträge belastbar sind, gerade in solchen Krisensituationen. Und ich befürchte, unabhängig davon, wie die nächsten Stunden und nächsten Tage ausgehen werden: Wir werden ein belastetes Verhältnis zu Russland letztlich haben und es wird wahrscheinlich nur über Jahre oder Jahrzehnte auch wieder zu Verbesserungen kommen können. Es ist einfach Misstrauen eingekehrt, und Misstrauen ist eben keine Basis für letztlich auch Verabredungen, die dann länger tragen.
    Kapern: Muss Europa also auf das Nach-Wladimir-Putin-Russland warten?
    Mützenich: Wir werden auf jeden Fall davon ausgehen müssen, dass Putin zum jetzigen Zeitpunkt – auch durch diesen Konflikt vielleicht – im Kalkül gestärkt worden ist, zumindest im Inneren. Aber auf der anderen Seite: Es wird kritische Diskussionen geben. Die Ökonomie ist nicht belastbar über einen längeren Zeitraum, wir haben eine große Staatsquote, ob die Rentenökonomie funktioniert, das war ja sozusagen auch das Angebot der Modernisierungspartnerschaft gewesen, was jetzt vom Tisch ist. Von daher glaube ich: Langfristig wird das System Putin in Mitleidenschaft geraten. Was denn aber nach Putin kommt, das möchte ich mir nicht ausmalen. Es kann positivere Entwicklungen geben, aber es kann natürlich auch noch andere Leute sozusagen hochschwemmen in den Kreml hinein.
    Kapern: Bleiben wir noch eben beim russischen Staatspräsidenten, Herr Mützenich: Wir haben ja gewissermaßen in dieser Woche zwei Versionen dieses Spitzenpolitikers erlebt. Zum einen hat er gesagt in einem Telefonat mit José Manuel Barroso, dem EU-Kommissionspräsidenten, wenn er es denn wolle, dann hätten seine Truppen Kiew in zwei Wochen eingenommen, andererseits hat er dann diesen Waffenstillstand in die Wege geleitet. Werden Sie eigentlich schlau aus diesem Mann? Wissen Sie, was Putin will?
    Mützenich: Nein, ich persönlich nicht, ich finde ihn mittlerweile undurchschaubar und ich finde auch es nicht haltbar, dass er auch in bilateralen Kontakten zum Beispiel mit der Bundeskanzlerin in den ganzen Wochen und Monaten Versprechungen gemacht hat, die dann am Ende nicht eingehalten wurden. Ich finde gerade die Vorschläge, die vonseiten der Bundesregierung, auch vom deutschen Außenminister kamen, über den OSZE-Prozess die Überwachung der Grenze, den Versuch, alle Partner mit an den Tisch zu bringen, es wert. Und leider ist manches zerstört worden, aber noch mal: Es ist nicht alleine leider nur in Moskau, sondern auch in Kiew gibt es weiterhin Bestrebungen, letztlich nur über eine gewaltsame Lösung diesen Konflikt auch wieder in den Griff zu bekommen. Und das wird nicht gelingen. Also wir brauchen alle sozusagen und die große Bereitschaft, und wir müssen noch mal diejenigen stärken, die dazu bereit sind.
    Kapern: Nun hat die Europäische Union gestern am späten Abend Sanktionen gegen Russland verabschiedet, allerdings Sanktionen gewissermaßen mit einer Reißleine, die können bei Bedarf auch wieder suspendiert werden, ausgesetzt werden. Sehen Sie die Möglichkeit tatsächlich, dass kurzfristig diese Sanktionen doch nicht in Kraft treten?
    Mützenich: Heute sehe ich das nicht so. Ich glaube, dass die Sanktionen in Kraft treten müssen, weil es ja auch viele innerhalb der Europäischen Union gibt, die schon lange darauf gedrungen haben. Es ist ein Konsens erzielt worden. Und diese Waffenruhe ist noch nicht so tragfähig nach meinem Dafürhalten, dass der Konflikt dadurch gelöst ist und unmittelbar auf diese Schritte verzichtet werden kann. Ich gehe davon aus, dass am Montag, Dienstag das im Amtsblatt auch der Europäischen Union veröffentlicht wird.
    Kapern: Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Mützenich, danke für den Abstecher in unser Studio heute.
    Mützenich: Ganz herzlichen Dank für die Einladung!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.