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Kann das Verbotsverfahren gegen die NPD gerettet werden?

    Engels: Rüge ja, personelle Konsequenzen nein. So reagierte Bundesinnenminister Otto Schily gestern auf den Informationsstau in seinem Ministerium. Doch diese Panne sorgte dafür, dass sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch offenbar der Minister selbst erst mit Verspätung erfuhren, dass ein wichtiger Akteur im Verbotsverfahren gegen die NPD, nämlich der NPD-Funktionär Frenz, jahrzehntelang ein V-Mann des nordrhein-westfälischen Verfasschungsschutzamtes. Die Karlsruher Richter reagierten darauf bekanntlich mit dem vorläufigen Stopp des Verfahrens. Ob nun das gesamte Verbotsverfahren bedroht ist, steht dahin. Am Telefon begrüße ich den stellvertretenden Fraktionschef und innenpolitischen Experten der SPD Ludwig Stiegler. Guten Morgen.

    Stiegler: Einen schönen guten Morgen Frau Engels.

    Engels: Herr Stiegler, es ist nach wie vor nicht sicher, dass das Verbotsverfahren gegen die NPD trotz der Panne gerettet werden kann. Müssten in einem solchen Fall von Verfehlungen nicht härtere personelle Konsequenzen gezogen werden?

    Stiegler: Ich halte es wirklich für eine blanke Spekulation, das ganze Verfahren gefährdet zu sehen. Es handelt sich um einen Zeugen von 14 in einem Teilkomplex, nämlich dem Antisemitismus-Teilkomplex. Es sind also noch viele andere Zeugen da, und ich gehöre zu denen, die gesamten Materialien zum NPD-Verfahren im Vorfeld studiert haben. Wir waren immer zusammen mit den Sachverständigen der Ansicht, dass selbst das offen daliegende Material ausreicht, um die Klage auf Verbot zu begründen. Deshalb halte ich das für eine blanke Spekulation von Leuten, die das Verfahren aus irgendwelchen Gründen von vornherein nicht wollten, wie die FDP, die also jetzt sich genüsslich freuen, dass da mal was schiefgegangen ist.

    Engels: Wie weit schätzen Sie denn den zeitlichen Verlust ein, den man jetzt riskiert?

    Stiegler: Das wird jetzt davon abhängen, wie schnell die amtlichen Schriftsätze das Gericht erreichen. Das Gericht hat ja die Verfahrensbevollmächtigten der drei Verfahrensbeteiligten, also Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung, aufgefordert, schriftlich zu dieser Frage Stellung zu nehmen, und ich denke, die werden das unverzüglich tun. Dann wird sich herausstellen, dass Herr Frenz abgeschaltet war, weil Nordrhein-Westfalen sich von ihm 1995 schon getrennt hat. Und dann wird die Lage völlig anders ausschauen wie zu der Zeit, als der Berichterstatter des Berichtes annehmen musste, dass es sich um einen aktuellen Agenten handelt. Und deshalb sehe ich das Ding relativ gelassen.

    Engels: Die Gewichtung des Zeugen Frenz das eine ? der Umgang mit dem Bundesverfassungsgericht durch das Bundesinnenministerium ist ja das andere. Dort auch über Nachfrage keine schriftliche Auskunft über die Tätigkeiten des V-Mannes zu erhalten, wurde ja gestern auch kritisiert. Sind die Konsequenzen ? nochmal die Nachfrage ? wirklich hart genug, was diese Schlamperei angeht?

    Stiegler: Also, das erste war typisch ein Fehler, der dann passiert, wenn mit dem Gericht nicht die Anwälte verkehren, sondern auch Dritte. Das war der eigentliche Fehler . . .

    Engels: . . . also man hätte es dem Verfassungsgericht gar nicht sagen sollen? . . .

    Stiegler: . . . man hätte es den Anwälten sagen sollen, und die müssen dann zur jeweiligen Situation bestimmen, was richtig ist. Die Anwälte haben ja wohl auch im Nachhinein darüber beraten und sind mehrheitlich wohl zu der Erkenntnis gekommen, dass es genügt, das im allgemeinen Einleitungsstatement zu machen. Nur ist es immer misslich, wenn man nicht genau weiß, was alles vorgefallen ist. Dann kann man auch nicht gut beraten. Da ist der eigentliche Fehler passiert, und ?wer ohne Fehler ist, der werfe den ersten Stein?. Also, ich meine, wenn einer wie der Herr Stoiber in kritischen Situationen nicht einmal die Frau Christiansen von Frau Merkel unterscheiden kann, dann sollte er sehr ruhig sein, wenn es um das Urteil über andere geht, die auch mal einen Fehler machen.

    Engels: Wenn wir bei solchen Vergleichen sind: Nun sagen Kritiker, Ex-Landwirtschaftsminister Funke oder Gesundheitsministerin Fischer hätten auch wegen Informationspannen in ihren Ministerien ihren Hut nehmen müssen. Trifft das dann nicht auch hier auf Herrn Schily zu?

    Stiegler: Da sage ich nun, dem Schily ist überhaupt nichts vorzuwerfen, nicht einmal ein Organisationsverschulden vorzuwerfen. Und ich finde es großartig, dass er sagt: ?Ich habe hier gute Mitarbeiter, und die dürfen auch einmal, ohne dass die gleich fliegen, einen Mist bauen?. Ich finde, das ist ein vorbildliches Führungsverhalten. Dieses Geschrei nach Opfern ? die See tobt und will ihr Opfer haben ?, dieses Geschrei nach Opfern wird den Mitarbeitern nicht gerecht. Man muss auch mal sehen, was im letzten halben Jahr diese Mitarbeiter alles bewältigt haben. Wenn da mal ein Schnitzer passiert ? übrigens ein Schnitzer dadurch, dass man dem Gericht zuarbeiten wollte. Da sollte eine Information quasi privatdienstlich vorweg gebracht werden. Das war also nicht etwa, um dem Gericht etwas vorzuenthalten, sondern um es ihm rechtzeitig zu geben. Da ist ein Fehler passiert, und hinterher war das Fehlermanagement auch nicht gut. Aber ich denke, es zeichnet die Personalführung aus, dass Mitarbeiter auch einmal einen Fehler machen dürfen, ohne dass es ihnen gleich den Kopf kostet. Und da bin ich richtig stolz auf den Innenminister, dass er so gehandelt. Und diejenigen, die ihm ans Zeug flicken wollen ? mein Gott, der Union ist der Schily ein Dorn im Auge, weil er ihr eben den ersten Rang in der inneren Sicherheit abgenommen hat. Und da versuchen sie jetzt, ihm etwas anzuhängen. Das werden wir gut überleben.

    Engels: Sehen Sie denn auf der anderen Seite, dass das Bundes-verfassungsgericht möglicherweise überreagiert habe? Verstehe ich Sie so recht?

    Stiegler: Nein, ich bin wirklich stolz auf das Gericht. Die hatten eine Teilinformation, sie mussten davon ausgehen, dass es sich um einen noch aktiven V-Mann handelt. Sie mussten befürchten, dass manche Materialien eben mit Diskont zu verwerten sind und sie mussten deshalb handeln. Für mich zeigt die Reaktion des Gerichts, dass sie absolut hyperkritisch und genau das Verfahren einhalten. Da bin ich geradezu stolz, denn darauf gründet nämlich unser aller Sicherheit, dass dieses Gericht sorgfältig arbeitet. Der Fehler lag in der nicht kompletten Informationserteilung. Und es wird sich jetzt sehr schnell herausstellen, dass die Besorgnisse des Gerichts eben nicht begründet sind ? erstens, weil der Mann nicht mehr für den Verfassungsschutz tätig ist, und zum Zweiten durch das Nachverhalten dieses Mannes, der ja erklärt, dass er sich nicht etwa als ein Vertreter des Verfassungsschutzes gefühlt hat, sondern eher unter dem Deckmantel, dass er hier auch angebunden ist, seine eigentliche NPD-Tätigkeit gemacht hat, das heißt, er steht zu seiner Haltung und zu dem, was er dort gemacht hat. Und es zeigt sich eben, dass das Landesamt für Verfassungsschutz ihn nicht als Provokateur verwendet hat, sondern dass er aus dem Ruder gelaufen ist und dass sie ihn deshalb abgeschaltet haben, so dass er also hier bei der Würdigung der Glaubwürdigkeit des Zeugen, die hier ansteht, das Gericht sehr schnell zu der Erkenntnis kommen wird, dass eben dessen Aussagen wiedergeben, was in der NPD gedacht wird.

    Engels: Ich denke, der Punkt ist klar geworden. Vielen Dank Herr Stiegler. Mitgehört hat auf der anderen Leitung Wolfgang Bosbach. Er ist der stellvertretende Fraktionschef der Unionsfraktion. Herr Bosbach, reichen Ihnen die Konsequenzen, die Innenminister Schily gezogen hat?

    Bosbach: Ich habe schon vor einigen Tagen gesagt, dass es mir sehr darauf ankommt, was Herr Schily selber gewusst hat, wie er selber sich persönlich in dieser Angelegenheit verhalten hat und ob er sich persönlich etwas hat zuschulden kommen lassen. Wenn Herr Schily sagt, er hätte davon erst vor wenigen Tagen erfahren, dann glaube ich ihm das, zumal ich es ihm auch nicht widerlegen kann. Von der politischen Verantwortung für diese Reihe von skandalösen Vorgängen kann er sich ja nicht freimachen. Allerdings glaube ich, dass es Strafe genug ist, noch acht Monate als Innenminister für diese rot-grüne Bundesregierung arbeiten zu müssen. Aber erlauben Sie mir bitte den Hinweis: Der Kollege Stiegler hat gerade einen Versprecher von Herrn Stoiber in einer Talkshow verglichen mit einer Serie von Pannen, beginnend im Landesamt für Verfassungsschutz oder dem Innenministerium in Nordrhein-Westfalen bis hin von einer Serie von Pannen alleine im Bundesinnenministerium. Für eine derartige Verniedlichung habe ich unter keinem Gesichtspunkt auch nur annäherndes Verständnis.

    Engels: Können wir da direkt nochmal auf der sachlichen Ebene einhaken ? mit dem Blick darauf, ob die personellen Konsequenzen, wenn sie nicht Herrn Schily betreffen, vielleicht aber in seinem Ministerium sein müssen, und warum rudern Sie jetzt zurück im Vergleich zu der Position, die ihre Fraktion gestern vertreten hat?

    Bosbach: Ich habe ausgesprochenes Verständnis dafür, dass Herr Marschewski, der innenpolitische Sprecher, der auch im Gegensatz zu mir an der Sitzung des Innenausschusses teilgenommen hat, den Rücktritt des Ministers fordert, denn die politische Verantwortung trägt er so oder so, unabhängig davon, ob er sich nun persönlich hat etwas zuschulden kommen lassen oder nicht. Ich bin der Auffassung, dass personelle Konsequenzen gezogen werden müssten. Wenn dies nicht geschieht, ist das ausschließlich dem Verantwortungsbereich des Ministers zuzuordnen.

    Engels: Ihr Kanzlerkandidat Stoiber hat auch gestern sich nicht diesen Rücktrittsforderungen angeschlossen. Haben Sie denn für die grundsätzliche Entwicklung, dass es hier ein Missverständnis zwischen Behörden gab, durchaus Verständnis, bzw. haben möglicherweise auch CDU-Innenministerkollegen davon gewusst?

    Bosbach: Ja, das fehlt jetzt noch, dass Rot-Grün versucht, Schuld oder Mitschuld abzuwälzen auf Innenminister oder Innensenatoren, die der CDU oder der CSU angehören. Also, darauf warten wir jetzt noch. Was heißt denn hier Missverständnis? Das ist bekannt gewesen im Bundesinnenministerium seit August des Jahres 2001, also seit gut fünf Monaten. Die Information ist dort abgelegt und vergessen worden. Die nächste Information stammt dann von Anfang Januar, denn dort hat ja wohl der zuständige Staatssekretär, Herr Schapper, Kenntnis erlangt von dem Vorgang ? ohne, so sagt er wenigstens, seinem Innenminister Otto Schily davon informiert zu haben. Dann wurde doch eine schriftliche Stellungnahme angefordert seitens des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Da hat es wohl drei ? in Worten DREI ? Telefonate gegeben, ohne dass diese schriftliche Stellungnahme erfolgt ist. Man hat auch versäumt, die Prozessbevollmächtigten zu unterrichten. Wie man dann noch so dreist sein kann, dass man dann noch versucht, sozusagen die Opposition mit ins Boot zu holen und ihr Verantwortung zuzuschieben, macht mich fassungslos. Und glauben Sie mir bitte, wenn das, was Herrn Schily passiert ist, einem christdemokra-tischen Innenminister passiert wäre, wäre Rot-Grün auf der Palme und würde von morgens bis abends den Rücktritt fordern ? und an der Spitze der Bewegung wären die Herren Schily und Stiegler.

    Engels: Herr Bosbach, blicken wir noch kurz auf die möglichen Konsequenzen. Fürchten Sie nun, dass der NPD-Verbotsantrag in Gänze gefährdet ist?

    Bosbach: Nein, das hoffe ich nun wirklich nicht. Ich bin der festen Überzeugung, dass die NPD verfassungswidrig ist, dass sie gewalttätig den Staat bekämpft und dass sie verboten werden muss. Allerdings habe ich Verständnis dafür, dass sich das Verfassungsgericht brüskiert sieht und getäuscht fühlt und jetzt wieder in das Vorprüfungsstadium zurückgeht. Allerdings bin ich der festen Überzeugung, dass auch die Erkenntnisse im übrigen ausreichen, um das Verbotsverfahren zu einem Erfolg zu bringen. Allerdings haben wir jetzt einen herben juristischen aber auch politischen Rückschlag erlitten, und ich fürchte, dass in diesem Jahr das Verbotsverfahren nicht abgeschlossen werden kann.

    Engels: Kann man denn davon ausgehen, dass jetzt nicht mehr die Gefahr von weiteren V-Männern besteht, die möglicherweise noch nicht ? in Anführungszeichen ? ?enttarnt? sind?

    Bosbach: Frau Engels, das ist im Moment die Frage aller Fragen. Es sind 15 Personen als Auskunftspersonen dem Gericht genannt worden. Wir sprechen hier über eine einzige. Ich bitte Sie um Verständnis dafür, dass wir insgesamt als Mitglieder des Deutschen Bundestages weder wissen noch wissen können, ob sich unter den anderen 14 ebenfalls noch V-Leute oder ehemalige V-Leute befinden. Wir wollen es gemeinsam nicht hoffen. Jedenfalls muss dem Bundesverfassungsgericht jetzt alles mitgeteilt werden, was in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt. Wer jetzt noch glaubt, in dieser Situation mit verdeckten Karten spielen zu können, der ist also wirklich unentschuldbar unterwegs, und der muss wissen, dass er das gesamte Verfahren in Gefahr bringt. Und die NPD, das muss man auch sagen, hat ja nun wirklich einen politischen Propagandaerfolg zu verzeichnen, den wir ihr nun wirklich nicht gönnen.

    Engels: Vielen Dank. Das war Wolfgang Bosbach. Er ist der stellvertretende Fraktionschef der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag in Berlin.

    Link: Interview als RealAudio