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Kann doch noch ein Konsens beim Zuwanderungsgesetz erreicht werden?

    Gerner: Am Telefon begrüße ich jetzt Rita Süssmuth von der CDU, jüngst noch Vorsitzende der Zuwanderungskommission der Bundesregierung. Schönen guten Morgen!

    Süssmuth: Guten Morgen!

    Gerner: Frau Süssmuth, Sie sind sozusagen die Verkörperung der Konsenssuche. Ich habe es erwähnt, angesichts des Amtes, das Sie bis vor kurzem hatten. Sind Sie enttäuscht?

    Süssmuth: Wenn Sie mit Enttäuschung in der Politik arbeiten, kommen Sie nicht weiter. Menschlich gesprochen bin ich natürlich enttäuscht, dass wir bei so viel Gemeinsamkeiten keinen gemeinsamen Nenner finden können, aber es kommt jetzt darauf an, die fast zugeschlagene Tür nicht noch weiter zuzuschlagen, sondern das in die Hand zu nehmen und zu sagen, worauf können wir uns einigen - das ist nämlich inzwischen auch verloren gegangen - und was ist noch im Streit, so dass ich bis zum Verfahren selbst im Bundesrat sagen muss, es gibt noch viele Instanzen, wo Einigung möglich ist. Auch Friedrich Merz, unser Fraktionsvorsitzender, hat ja gestern die Konsenstür nicht zugeschlagen.

    Gerner: Noch mal ganz kurz zurück zu Ihrer Tätigkeit als Vorsitzende der Zuwanderungskommission. Da haben Sie ja ein enormes Werk erarbeitet, das von allen damals parteiübergreifend gelobt worden ist. Da müssen Sie sich doch ein Stück weit missbraucht vorkommen, denn die Vertreter, die in diesem Gremium saßen, unterstützen jetzt die CDU in keiner Weise in ihrem Kurs?

    Süssmuth: Ich spreche nicht von missbraucht, aber von der Arbeit der Experten hier, die ja auch höchst unterschiedlich waren, haben wir dort in dem Prozess so viel Einigung wie möglich herbeigeführt. Das sieht man ja auch Text, und er hat nicht nur in Deutschland, sondern weltweit hohe Beachtung gefunden. Im Augenblick geht es mir eigentlich darum, dass wir noch mal deutlich machen, dieses Expertengremium wie die Parlamentarier, sie alle sprechen von Begrenzung. Vielleicht setzt man sich mal hin und rechnet im Gesetzentwurf durch. Wenn wir alles miteinander verrechnen, dann ist das Gesetz ein Begrenzungsgesetz und zugleich ein Gesetz, in dem gezeigt wird, wo wir als Zuwanderungsland endlich Konsequenzen ziehen müssen.

    Gerner: Frau Süssmuth, Cem Özdemir von den Grünen hat gesagt, dass 80 Prozent der Vorstellungen von Peter Müller, der für die CDU die Federführung bei diesem Thema hatte, inzwischen in dem Entwurf von Otto Schily drin gestanden haben. Hat die CDU, hat die Union zu hoch gepokert, denn eins war Ihnen ja klar: die Grünen müssen auch mit ins Boot.

    Süssmuth: Ich denke das muss jedem klar sein. Zu hoch gepokert? Die Punkte aus dem Bundesrat und die vier Punkte - ich spreche jetzt nicht von 16 oder 91 -, um die es geht, die sind allerdings nicht endgültig im Text verhandelt. Das kann jetzt in den Ausschüssen geschehen, aber ich muss noch einmal sagen, diese vier Punkte müssen zu einem Text kommen. Sonst werden wir keine Einigung erreichen oder keinen Dissens klären können.

    Gerner: Der allgemeine Tenor vieler Kommentare ist, die Wahltaktik hat sich durchgesetzt. Hat Edmund Stoiber diese Entscheidung, gestern die Gespräche abzubrechen, beeinflusst? Ist das "seine Entscheidung"?

    Süssmuth: Ich denke wenn zwei miteinander verhandeln und es geht in der Sache nicht und es geht vom Klima her nicht, weil Änderungen erfolgen müssen auf zwei Ebenen, dann sitzt jeder setzt erst mal in seiner Burg, in seiner Festung. Es bedarf jetzt der Menschen, die Verhandlungen wieder möglich machen. Das kennen Sie bis tief hinein in die privaten Sphären.

    Gerner: Sie haben jüngst geäußert, dass die Zuwanderungs- und Migrationsdebatte derzeit in Deutschland Ihrer Meinung nach schlimmer als in den 70er Jahren ist. Was vermissen Sie?

    Süssmuth: Was ich vermisse ist, dass wir wie in den 70er Jahren mehr darüber sprechen, was jetzt zu tun ist: im Bereich der Integration, der Fortbildung von Lehrern, ich sage auch mal beim Familiennachzug. Wenn über 70 Prozent der Kinder hier geboren sind, aufwachsen und beim Eintritt in die Schule kein Deutsch können, dann ist das nicht eine Frage, dass sie nicht in Deutschland leben, sondern dass es an Maßnahmen fehlt, sie zu integrieren: Verpflichtungen bei den Eltern, Verpflichtungen in der Schule. In den 70er Jahren haben wir mehr inhaltlich diskutiert, als wir das zur Zeit tun.

    Gerner: Frau Süssmuth, hat es aber bei der aktuellen Diskussion um Konsenssuche nicht auch objektive Schwierigkeiten gegeben, die so nicht voraussehbar waren, auch nach der Vorlage Ihres Berichtes? Ich denke an das Klima nach dem 11. September, das nicht unbedingt ausländeroffener war als zuvor, und die wachsende Arbeitslosenzahl. Bei mehr als vier Millionen Arbeitslosen ist es natürlich schwieriger als vorher, Einwanderung zu vermitteln.

    Süssmuth: Wenn man die Vorstellung vermittelt, man wolle nun grenzenlos ins Land holen, dann muss ich sagen, ob vor dem 11. oder nach dem 11. September, die Vorstellung besteht bei niemandem. Ich muss auch noch mal mit aller Härte sagen, wir sind im Bericht von vier Millionen Arbeitslosen ausgegangen und haben gesagt, es geht im Augenblick massiv darum, die Arbeitslosen zu integrieren, aber sich zugleich vorzubereiten auf die Bereiche, wo wir Zuwanderung brauchen, um tätig zu werden. Zweitens hat uns der 11. September gezeigt, dass es nun wirklich notwendig ist, die Frage der Integration des friedlichen Miteinander noch viel stärker in den Mittelpunkt unserer Erörterungen und unserer Maßnahmen zu stellen. Denn eine Festung wird Europa nicht sein können. Also muss ich die Zuwanderung gestalten, begrenzen und öffnen. Beides muss ich tun und auch der Bevölkerung vermitteln, wo Zuwanderung Arbeitsplätze erhält und schafft und wo vor allen Dingen unsere Bevölkerung sieht, dass heutige Arbeitslose, jüngere und ältere, in die Arbeitswelt wieder integriert werden.

    Gerner: Wenn aber jetzt die Union die Absage der Gespräche heute mit den Äußerungen des SPD-Fraktionsvizes Stiegler begründet, wird da nicht ein willkommener Anlas genommen auszusteigen, statt wie Sie es eben angedeutet haben Farbe zu bekennen?

    Süssmuth: Es gibt Punkte, wo der Partner, der Beteiligte nicht mehr mitmacht. Vorwand kann sich in dieser Geschichte niemand leisten. Es ist traurig genug, dass wir so weit schon im Wahlkampf sind. Aber ich sage noch einmal: noch ist die Tür nicht zugeschlagen. Wenn alle Beteiligten wirklich Einigung wollen, dann ist sie auch jetzt noch möglich. Es gibt keine zugeschlagenen Türen, wenn Menschen sie nicht definitiv zuschlagen. Sonst muss man das sagen.

    Gerner: Aber wenn die SPD im Bundesrat Abtrünnige auf Seiten der CDU finden würde, dann könnte Edmund Stoiber einpacken?

    Süssmuth: Ich widerspreche Ihrer These, dass Edmund Stoiber keinen Konsens will.

    Gerner: Worauf begründen Sie das?

    Süssmuth: Es wäre jetzt zu lange, um Ihnen das zu erklären. Man muss immer vorsichtig sein, ob einer schon genau weiß, dass er es nicht will. Da mag es politische Kräfte geben, aber zunächst ist diese These eine höchst umstrittene.

    Gerner: Rita Süssmuth war das von der CDU, ehemalige Vorsitzende der Zuwanderungskommission der Bundesregierung. - Ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio