Zagatta: Kein Ende der Gewalt im nahen Osten. Sie haben es vielleicht in den Nachrichten gehört: mindestens drei Israelis sind bei einem Bombenanschlag heute Morgen im Gaza-Streifen getötet worden, das alles wenige Stunden vor dem Eintreffen des US-Sondergesandten Antony Zinni. Dem Besuch ist eine ungewöhnlich scharfe Kritik der USA an Israel vorausgegangen. Die USA, so heißt es, wollen Israel sogar neue zusätzliche Finanzhilfen verweigern. Für uns war das Anlas, heute Morgen mit Jürgen Möllemann zu sprechen. Der FDP-Politiker ist Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. An ihn also die Frage, wie sich die EU und vor allem die Bundesregierung in ihrer Nahostpolitik verhalten sollten und ob es in dieser verfahrenen Situation überhaupt Hoffnung gibt, dass es zu einer Vermittlung zwischen Palästinensern und Israelis kommen kann?
Möllemann: Es ist schon mal erfreulich, dass der UN-Sicherheitsrat ein so deutliches Signal gesetzt hat. Das war überfällig, aber es ist eben auch gekommen. Die Staatengemeinde spricht jetzt also geschlossen mit eindringlicher Mahnung von zwei Staaten, die das Ziel der künftigen Politik werden müssen, Israel und Palästina, und zwar gleichberechtigt nebeneinander und in Frieden miteinander. Das ist ein wichtiges Signal. Was jetzt aber hinzukommen muss sind Anstrengungen der Europäer, die ja in wenigen Tagen ihren Gipfel in Barcelona haben. Dort sollten die Staats- und Regierungschefs beschließen, dass sie nunmehr, um das Ziel, das der Sicherheitsrat formuliert hat, zu erreichen, beide Seiten auffordern, ohne jede Vorbedingung und unmittelbar, also sofort sich an den Verhandlungstisch zu setzen, Premierminister Sharon und Präsident Arafat, und dass man beiden auch sagt, dass man sowohl Israel wie Palästina dann jede politische, wirtschaftliche, finanzielle und militärische Hilfe vollständig sperren wird, wenn das nicht geschieht. Wer von den beiden sich also verweigert muss wissen: dann bleibt es nicht bei einfach schwachen Willensbekundungen; dann werden harte Konsequenzen drohen. Das ist die einzige Chance, um die verfahrene Situation wieder in Gang zu kriegen. Der amerikanische Emissär Zinni sollte, was immer er dort anstrengen wird, durch seinen Präsidenten dadurch unterstützt werden, dass dieser eine solche Erklärung der Europäer für die Vereinigten Staaten genauso rückhaltlos unterstützt. Die Ablehnung von nur irgendwelchen weiteren angeforderten Hilfen bewegt in Israel niemanden.
Zagatta: Ist das überhaupt realistisch, was Sie jetzt fordern? Das würde doch die Bundesregierung beispielsweise nie mitmachen und die US-Amerikaner wahrscheinlich auch nicht.
Möllemann: Warum? Die Alternative ist Krieg. Wenn man nicht will, dass das Morden weitergeht und ausufert in einen wirklichen größeren Krieg, wenn man nicht will, dass in den gemäßigten arabischen Staaten, nennen wir einmal Ägypten, Jordanien, die Golf-Staaten wie Saudi Arabien, die Bevölkerung in immer krasserer Weise sich allmählich gegen die eigenen Regierungen stellt nach dem Motto, helft unseren palästinensischen Brüdern - das ist ja der Ausdruck des saudischen Friedensplanes, auch das Motiv dafür -, wenn man vor allem aber nicht will, dass die Gefahr eines Aufeinanderprallens von israelischen Atomwaffen und arabischen vielleicht biologischen und chemischen Waffen eine veritable Aussicht wird mit hundert Tausenden von Toten und Millionen Flüchtlingen, die dann nach Europa kommen, wenn man das alles nicht will, dann kann man nicht mehr nur mit diesen hilflosen kleinen Erklärungen kommen; dann muss man jetzt entschieden vorgehen.
Zagatta: Welche Rolle könnte Deutschland dabei spielen? Deutschland muss ja aus historischen Gründen gewissermaßen Rücksicht nehmen auf Israel.
Möllemann: Ja. Vor allen Dingen muss es sich dafür einsetzen, dass die Israelis in Frieden leben können. Das können sie im Moment ja nicht. Es ist ja einfach unredlich so zu tun, als würden wir mit der Unterstützung der Politik von Premier Sharon den Israelis helfen. Das Gegenteil ist ja der Fall. Also muss Deutschland seine Gesprächskontakte natürlich bilateral nutzen. Bewegen tut Deutschland aber nur etwas als integraler Bestandteil der Europäischen Union. Deswegen muss es ein solches Votum Europas geben. Es gibt übrigens eine ganze Reihe europäischer Staaten, die auf diesem Wege sind, und Deutschland sollte die nicht bremsen, weil es hilft ja niemandem mit der Fortsetzung der Unterstützung für die falsche Politik Sharons.
Zagatta: Die EU hat bisher gesagt, sie will gar keine neue Initiative starten, weil das in dieser Situation fast aussichtslos sei. Ist da nicht auch irgend etwas dran? Kann man in dieser verfahrenen Situation in Israel, in den Palästinensergebieten im Moment überhaupt etwas bewegen mit solchen Forderungen, mit solchen Resolutionen?
Möllemann: In den letzten drei Monaten hat die Europäische Union nichts getan, außer eben irgendwelchen lapidaren Bekundungen, man wünsche sich Frieden. Die Lage hat sich dramatisch entwickelt und die Frage ist, ob Zuwarten eine seriöse, ernst zu nehmende Antwort sein kann. Die Antwort - das ist ja eine rhetorische Frage - kann ja nur nein lauten. Deswegen wer den Frieden wieder herstellen will und ihn dauerhaft sichern will, muss jetzt eine Perspektive bieten. Die hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen formuliert. Die deckt sich ja auch mit der saudischen Friedensinitiative. Aber sie zur Wirklichkeit zu bringen, da braucht es mehr als einen Emissär zu schicken. Da braucht es tatsächlich nachhaltigen Druck. Das klingt nicht schön, aber die Alternative ist nicht nur nicht schön; sie ist furchtbar. Deswegen ist jetzt kühler Kopf und entschlossenes Handeln, aber auch eiserner Wille zu entschlossenem Handeln, der sichtbar wird, notwendig.
Zagatta: Ist es nicht eine Überschätzung, wenn die EU quasi in eine Vermittlerrolle treten sollte? Sind es nicht die Amerikaner, die als einzige vielleicht dort noch den Ton angeben können?
Möllemann: Vor unserer Haustür, vor der Europas spielt sich das alles ab. Vor unserer Haustür droht ein Krieg mit Massenvernichtungswaffen und vor unserer Haustür kommen möglicherweise Millionen Flüchtlinge in Bewegung und die kommen dann durch unsere Haustür. Amerika ist weit! Natürlich muss man Amerika versuchen zu gewinnen. Auch Amerika kann nach meinem Dafürhalten kein Interesse daran haben, dass seine engsten Partner im nahen Osten - und das ist ja nicht nur Israel; das sind eben auch Ägypten, Jordanien, die Golf-Staaten - destabilisiert werden. Ich habe das Gefühl, dass man sich in Deutschland keinerlei Vorstellung, jedenfalls keine hinreichende davon macht, wie fragil, wie zerbrechlich mittlerweile die innenpolitische Situation in diesen gemäßigten Ländern ist. Dort wird die Bevölkerung nicht mehr lange dulden, wenn ihre Regierenden nicht tatkräftig ihren Brüdern zur Hilfe eilen. Wenn eines Tages dort eine Art arabischer Khomeini kommt, der die Unzufriedenheit mit der innenpolitischen Lage - die gibt es ja auch in Ägypten, Jordanien und vor allen Dingen an den Golf-Staaten - verbindet mit einer Art Verteidigungswillen für die Palästinenser und sagt, jetzt nehmen wir unsere Dinge selbst in die Hand, dann können dort moderate Regierungen schnell weggefegt werden.
Zagatta: Jürgen Möllemann, der Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, heute Morgen im Deutschlandfunk.
Link: Interview als RealAudio
Möllemann: Es ist schon mal erfreulich, dass der UN-Sicherheitsrat ein so deutliches Signal gesetzt hat. Das war überfällig, aber es ist eben auch gekommen. Die Staatengemeinde spricht jetzt also geschlossen mit eindringlicher Mahnung von zwei Staaten, die das Ziel der künftigen Politik werden müssen, Israel und Palästina, und zwar gleichberechtigt nebeneinander und in Frieden miteinander. Das ist ein wichtiges Signal. Was jetzt aber hinzukommen muss sind Anstrengungen der Europäer, die ja in wenigen Tagen ihren Gipfel in Barcelona haben. Dort sollten die Staats- und Regierungschefs beschließen, dass sie nunmehr, um das Ziel, das der Sicherheitsrat formuliert hat, zu erreichen, beide Seiten auffordern, ohne jede Vorbedingung und unmittelbar, also sofort sich an den Verhandlungstisch zu setzen, Premierminister Sharon und Präsident Arafat, und dass man beiden auch sagt, dass man sowohl Israel wie Palästina dann jede politische, wirtschaftliche, finanzielle und militärische Hilfe vollständig sperren wird, wenn das nicht geschieht. Wer von den beiden sich also verweigert muss wissen: dann bleibt es nicht bei einfach schwachen Willensbekundungen; dann werden harte Konsequenzen drohen. Das ist die einzige Chance, um die verfahrene Situation wieder in Gang zu kriegen. Der amerikanische Emissär Zinni sollte, was immer er dort anstrengen wird, durch seinen Präsidenten dadurch unterstützt werden, dass dieser eine solche Erklärung der Europäer für die Vereinigten Staaten genauso rückhaltlos unterstützt. Die Ablehnung von nur irgendwelchen weiteren angeforderten Hilfen bewegt in Israel niemanden.
Zagatta: Ist das überhaupt realistisch, was Sie jetzt fordern? Das würde doch die Bundesregierung beispielsweise nie mitmachen und die US-Amerikaner wahrscheinlich auch nicht.
Möllemann: Warum? Die Alternative ist Krieg. Wenn man nicht will, dass das Morden weitergeht und ausufert in einen wirklichen größeren Krieg, wenn man nicht will, dass in den gemäßigten arabischen Staaten, nennen wir einmal Ägypten, Jordanien, die Golf-Staaten wie Saudi Arabien, die Bevölkerung in immer krasserer Weise sich allmählich gegen die eigenen Regierungen stellt nach dem Motto, helft unseren palästinensischen Brüdern - das ist ja der Ausdruck des saudischen Friedensplanes, auch das Motiv dafür -, wenn man vor allem aber nicht will, dass die Gefahr eines Aufeinanderprallens von israelischen Atomwaffen und arabischen vielleicht biologischen und chemischen Waffen eine veritable Aussicht wird mit hundert Tausenden von Toten und Millionen Flüchtlingen, die dann nach Europa kommen, wenn man das alles nicht will, dann kann man nicht mehr nur mit diesen hilflosen kleinen Erklärungen kommen; dann muss man jetzt entschieden vorgehen.
Zagatta: Welche Rolle könnte Deutschland dabei spielen? Deutschland muss ja aus historischen Gründen gewissermaßen Rücksicht nehmen auf Israel.
Möllemann: Ja. Vor allen Dingen muss es sich dafür einsetzen, dass die Israelis in Frieden leben können. Das können sie im Moment ja nicht. Es ist ja einfach unredlich so zu tun, als würden wir mit der Unterstützung der Politik von Premier Sharon den Israelis helfen. Das Gegenteil ist ja der Fall. Also muss Deutschland seine Gesprächskontakte natürlich bilateral nutzen. Bewegen tut Deutschland aber nur etwas als integraler Bestandteil der Europäischen Union. Deswegen muss es ein solches Votum Europas geben. Es gibt übrigens eine ganze Reihe europäischer Staaten, die auf diesem Wege sind, und Deutschland sollte die nicht bremsen, weil es hilft ja niemandem mit der Fortsetzung der Unterstützung für die falsche Politik Sharons.
Zagatta: Die EU hat bisher gesagt, sie will gar keine neue Initiative starten, weil das in dieser Situation fast aussichtslos sei. Ist da nicht auch irgend etwas dran? Kann man in dieser verfahrenen Situation in Israel, in den Palästinensergebieten im Moment überhaupt etwas bewegen mit solchen Forderungen, mit solchen Resolutionen?
Möllemann: In den letzten drei Monaten hat die Europäische Union nichts getan, außer eben irgendwelchen lapidaren Bekundungen, man wünsche sich Frieden. Die Lage hat sich dramatisch entwickelt und die Frage ist, ob Zuwarten eine seriöse, ernst zu nehmende Antwort sein kann. Die Antwort - das ist ja eine rhetorische Frage - kann ja nur nein lauten. Deswegen wer den Frieden wieder herstellen will und ihn dauerhaft sichern will, muss jetzt eine Perspektive bieten. Die hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen formuliert. Die deckt sich ja auch mit der saudischen Friedensinitiative. Aber sie zur Wirklichkeit zu bringen, da braucht es mehr als einen Emissär zu schicken. Da braucht es tatsächlich nachhaltigen Druck. Das klingt nicht schön, aber die Alternative ist nicht nur nicht schön; sie ist furchtbar. Deswegen ist jetzt kühler Kopf und entschlossenes Handeln, aber auch eiserner Wille zu entschlossenem Handeln, der sichtbar wird, notwendig.
Zagatta: Ist es nicht eine Überschätzung, wenn die EU quasi in eine Vermittlerrolle treten sollte? Sind es nicht die Amerikaner, die als einzige vielleicht dort noch den Ton angeben können?
Möllemann: Vor unserer Haustür, vor der Europas spielt sich das alles ab. Vor unserer Haustür droht ein Krieg mit Massenvernichtungswaffen und vor unserer Haustür kommen möglicherweise Millionen Flüchtlinge in Bewegung und die kommen dann durch unsere Haustür. Amerika ist weit! Natürlich muss man Amerika versuchen zu gewinnen. Auch Amerika kann nach meinem Dafürhalten kein Interesse daran haben, dass seine engsten Partner im nahen Osten - und das ist ja nicht nur Israel; das sind eben auch Ägypten, Jordanien, die Golf-Staaten - destabilisiert werden. Ich habe das Gefühl, dass man sich in Deutschland keinerlei Vorstellung, jedenfalls keine hinreichende davon macht, wie fragil, wie zerbrechlich mittlerweile die innenpolitische Situation in diesen gemäßigten Ländern ist. Dort wird die Bevölkerung nicht mehr lange dulden, wenn ihre Regierenden nicht tatkräftig ihren Brüdern zur Hilfe eilen. Wenn eines Tages dort eine Art arabischer Khomeini kommt, der die Unzufriedenheit mit der innenpolitischen Lage - die gibt es ja auch in Ägypten, Jordanien und vor allen Dingen an den Golf-Staaten - verbindet mit einer Art Verteidigungswillen für die Palästinenser und sagt, jetzt nehmen wir unsere Dinge selbst in die Hand, dann können dort moderate Regierungen schnell weggefegt werden.
Zagatta: Jürgen Möllemann, der Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, heute Morgen im Deutschlandfunk.
Link: Interview als RealAudio