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Kann Finanzminister Eichel seine Zusage an Brüssel wirklich halten?

    Kapérn: Nicht gerade schmeichelhaft war das, was Bundesfinanzminister Hans Eichel gestern von seinen Länderfinanzministerkollegen zu hören bekam. Gerhard Stratthaus, sein Amtskollege aus Baden-Württemberg, bescheinigte Eichel Traumtänzerei. Heinrich Aller, Kassenwart in Niedersachsen und immerhin in derselben Partei wie Eichel, sprach von Wunschdenken. Hintergrund: die Zusage Eichels in Brüssel, bis 2004 den gesamten deutschen Staatshaushalt nahezu ausgeglichen zu gestalten. Mit dieser Zusage hat Eichel die Frankierung des bereits geschriebenen "blauen Briefes" in Brüssel verhindern können. Bei uns am Telefon Joachim Poß, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

    Poß: Guten Morgen.

    Kapérn: Herr Poß, also was denn nun: machbar oder Traumtänzerei, ein ausgeglichener Staatshaushalt bis 2004?

    Poß: Hans Eichel hat das in der Situation einzig richtige getan. Wir haben den europäischen Stabilitätspakt, von dessen Nutzen ja alle überzeugt sind, im Prinzip auch alle Finanzminister. Den können wir nicht außer Kraft setzen. Es ist klar, dass der Bund und die Bundesregierung der falsche Adressat für einen solchen "Blauen Brief" gewesen wäre, weil es ja nur dank Hans Eichel gelingt, innerhalb des Maastricht-Kriteriums von drei Prozent zu bleiben. Auf der anderen Seite musste deutlich werden: jawohl, wir halten an unserer Stabilitätspolitik fest. Es rächt sich jetzt, dass es dem Kollegen Weigel damals als zuständigen Finanzminister nicht gelungen ist, mit den Ländern einen nationalen Stabilitätspakt zu vereinbaren, der dann auch Regelungen vorsieht für solche Situationen.

    Kapérn: Aber noch einmal nachgefragt, Herr

    Poß: Ist es denn nun tatsächlich machbar, bis 2004 einen ausgeglichenen Staatshaushalt vorzulegen?

    Poß: Es kommt darauf an, Ziele zu verfolgen. Das ist ganz wichtig, gerade in der Finanzpolitik, sozusagen eine lange Linie zu verfolgen, langfristige und auch mittelfristige Ziele zu haben. 2004 ist ein mittelfristiges Ziel und wenn wir solche Ziele in Europa nicht gehabt hätten, wären wir doch im Ergebnis nicht zu der Stabilitätsgemeinschaft geworden, die wir dann doch geworden sind, wenn Sie sich mal die Zahlen seit 1985 im europäischen Vergleich ansehen. Also glaube ich war es richtig, deutlich zu machen, dass wir erstens alle Verpflichtungen des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes einhalten wollen, und dass eben alle, das gilt für Länder, Kommunen, Sozialversicherung ebenso wie für den Bund, ihren Beitrag zur Erreichung des Defizitzieles 2004 leisten wollen. Schließlich haben wir ja gesagt, wir werden zusätzliche Anstrengungen unternehmen, allerdings im Zusammenhang einer anstrengenden Konjunktur. Ob diese Voraussetzung so eintritt und wie sie eintritt, in welchem Umfang sie dann eintritt, das wird abzuwarten sein. Das kann ja mit Sicherheit weder ein Bundes- noch ein Landesfinanzminister oder wer auch immer sagen. Aber wir alle rechnen ja damit, auch die Institute, dass es im Laufe dieses Jahres doch zu einem stärkeren Anziehen der Konjunktur kommt.

    Kapérn: Also abwarten, hinsetzen, die Hände in den Schoß legen, auf Wirtschaftswachstum hoffen und dann mal schauen, ob das, was Hans Eichel versprochen hat, auch eingehalten wird?

    Poß: Das hat ja mit Abwarten nichts zu tun, sondern wir sind von einem starken konjunkturellen Abfallen betroffen gewesen. Ohne die vorher von Hans Eichel und der Koalition geleistete Konsolidierungspolitik hätte es tatsächlich diesen "blauen Brief" nach den Regeln des Stabilitätspaktes geben müssen. Das konnte jetzt verhindert werden. Aber dass das nur ging, um den Preis deutlich zu machen, dass wir mittel- und langfristig den Pfad nicht verlassen, das müsste doch allen Beteiligten klar sein. Ich bin da überhaupt nicht für Schuldzuschreibungen, weder zur einen noch zur anderen Seite. Aber wenn diese Schuldzuschreibungen vorgenommen werden, zum Beispiel von der Opposition, dann muss man doch sagen, dass CDU/CSU bis vor 14 Tagen oder heute noch nicht genau wissen, ob sie denn die Steuern noch schneller senken wollen und wie schnell oder ob sie Ausgaben erhöhen wollen bei der Bundeswehr oder an anderer Stelle. Leute, die überhaupt keine Linie haben und keine finanz-, wirtschafts- und steuerpolitische Kompetenz, die sollten sich mit ihrer Kritik zurückhalten. Ansonsten bin ich auch nicht dafür, das Schwarze-Peter-Spiel mit den Ländern zu treiben. Man wird sich vernünftig zusammensetzen müssen. Das wird ja auch in den nächsten Tagen und Wochen geschehen. Dann muss man sehen, wie man gemeinsam dieses Ziel erreichen kann. Aber es ist ganz klar: es waren ja auch vor allen Dingen unionsgeführte Länder, die diese Situation mit herbeigeführt haben.

    Kapérn: Aber ganz an der Spitze stand Ihr Heimatland Nordrhein-Westfalen, das die Neuverschuldung im vergangenen Jahr locker mal verdreifacht hat?

    Poß: Ich bin nicht dafür, dass wir diese Dinge parteipolitisch ausmünzen. Ich habe mich bisher auch in dem Sinne nicht eingelassen. Aber wenn andere dieses Spiel parteipolitisch machen, jenseits aller Fakten und hier die Bundesregierung und die Koalition vorführen wollen, dann muss man darauf hinweisen, dass jedenfalls die Bundesregierung nicht verantwortlich war und ist mit ihrer Politik für eine solche Diskussion.

    Kapérn: Sie haben eben Theo Weigel vorgeworfen, dass er keinen nationalen Stabilitätspakt zu Stande gebracht habe. Bekommt den jetzt Hans Eichel hin?

    Poß: Wir haben ja einen ersten Ansatz in dem, was man das Solidarpakt-Fortführungsgesetz nennt, dass man anstrebt, ab 2005 im Finanzplanungsrat zu solchen Vereinbarungen zu kommen. Wie gesagt es wird ja schon in der nächsten Woche Gespräche auch zwischen Bundesfinanzminister und den Länderfinanzministern geben. Jedenfalls auf SPD-Ebene wird es die geben. Da werden wir in aller Ruhe diese Dinge erörtern.

    Kapérn: Aber halten Sie denn einen nationalen Stabilitätspakt für sinnvoll?

    Poß: Sinnvoll ist er auf jeden Fall. Der Bund ist ja immer Adressat irgendwelcher Mitteilungen aus Brüssel. Ob er nun verantwortlich dafür ist, wenn es um Vertragsverletzungsverfahren geht und so weiter, das ist eine ganz andere Frage. Der Bund muss aber nach außen hin gegenüber Brüssel für alles gerade stehen. Das ist die Rechtslage. Das kann ja nicht richtig sein. Das heißt für irgend ein Fehlverhalten eines Landes muss immer der Bund gerade stehen. Deswegen bedarf es, wenn man einen europäischen Stabilitätspakt hat, auch sozusagen der Verlängerung nach innen hinein. Dort wo der Mechanismus wirken soll, das Zusammenwirken von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherung, muss dies dann auch intern geklärt sein und die Spielregeln müssen auch intern geklärt sein.

    Kapérn: Joachim Poß war das, der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, heute Morgen im Deutschlandfunk. - Herr Poß, danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio