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Kann sich Rudolf Scharping halten?

Remme: Ein Verteidigungsminister, der vor dem zuständigen Ausschuss ums Überleben kämpft, der Koalitionskrach beim Thema Zuwanderung, der den Fraktionsvorsitzenden Rezzo Schlauch schon zu weitreichenden Drohungen veranlasst, und ein Finanzminister, der in dieser Woche den Haushalt für das kommende Jahr ins Parlament einbringt, mit Blick auf die traditionelle Generaldebatte kein günstiges Umfeld für rot/grün. Die Konjunktur lahmt, die Zahl der Arbeitslosen will nicht sinken, doch was soll Hans Eichel tun? - Sparen soll er, Schulden abbauen soll er und die Konjunktur stützen, das soll er jetzt auch noch. - Frage an Christine Scheel von den Grünen, die auch Vorsitzende im Finanzausschuss ist: Geht das alles gleichzeitig?

10.09.2001
    Scheel: Es muss gehen, denn wir müssen natürlich sehen, dass wir einen soliden Haushalt vorlegen, der auch Bestand hat, der auch in der Finanzplanung bis zum Jahr 2005 umgesetzt werden kann. Da muss man natürlich sehen, was ist machbar und was ist nicht machbar. Die Spielräume, die wir haben, haben wir genutzt. Es gibt Mehrausgaben in verschiedenen Bereichen, im Bildungs-, im Forschungsbereich, auch im Bereich Arbeit und Soziales, und wir haben es endlich geschafft, den Subventionsabbau weiter voranzutreiben.

    Remme: Aber bisher nutzt es nichts, denn die Konjunkturdaten zeigen nach unten?

    Scheel: Es ist natürlich richtig, dass die Situation in diesem Jahr bislang nicht sehr schön war. Wir müssen allerdings auch sehen, dass die Inflationsrate zurückgegangen ist. Dies bedeutet, dass die Kaufkraft auch steigt und dass wir, was die Binnenkonjunktur betrifft, hier einen Anzug haben, also eine positive Entwicklung, die sich jetzt im dritten Quartal langsam zeigt und im vierten Quartal mit Sicherheit weiter anziehen wird.

    Remme: Sie zeigt sich, sagen Sie. Da werden sicherlich viele interessiert aufmerken. Machen Sie das noch an konkreten Daten fest?

    Scheel: Es ist natürlich so, dass wir uns an der Inflationsrate orientieren und dass wir feststellen, auf Grund von Untersuchungen, die gemacht werden von Wirtschaftsinstituten, aber auch von den zuständigen Ministerien, Finanzen und Wirtschaft, dass die Leute doch nicht so viel Geld zurücklegen, so viel sparen, wie man das vor einigen Wochen noch dachte, sondern dass wieder mehr ausgegeben wird. Das ist natürlich gut für die Nachfrage.

    Remme: Frau Scheel, es ist ja der Haushalt für das Wahljahr. Mit wie vielen Arbeitslosen rechnet die Bundesregierung denn inzwischen für 2002?

    Scheel: Es ist natürlich eine unschöne Situation, dass wir das Ziel, das der Bundeskanzler ja vorgegeben hat, die Arbeitslosigkeit auf 3,5 Millionen zu senken - das sind ja eigentlich immer noch 3,5 Millionen zu viel -, noch nicht umgesetzt werden konnte. Wir haben immer noch eine Arbeitslosenquote von 9,2 Prozent. Wir haben 3,7 Millionen Menschen, die arbeitslos sind. Wir meinen von grüner Seite ausgehend, dass wir die Instrumente zu einer Modernisierung auf dem Arbeitsmarkt verbessern müssen.

    Remme: Frau Scheel, die Frage war aber nach der Annahme der Arbeitslosenzahl für das kommende Jahr.

    Scheel: Die Annahme der Arbeitslosenzahl für das kommende Jahr ist natürlich sehr positiv gedacht. Die liegt bei rund 3,5 Millionen Arbeitslosen. Das ist das Ziel, was wir haben, was der Bundeskanzler sich auch vorgenommen hat. Wir müssen alles tun, um das auch umzusetzen.

    Remme: Aber diese Annahme schreit doch inzwischen nach einer Korrektur?

    Scheel: Wir müssen natürlich auch sehen, dass es verschiedene Veränderungen gegeben hat, die erst im nächsten Jahr richtig zu Buche schlagen können. Die Steuerentlastung in diesem Jahr mit rund 45 Milliarden Nettoentlastung greift erst, wenn die Einkommenssteuererklärungen zum Jahresende gelaufen sind.

    Remme: Der Wahlkampf kommt auch in anderem Zusammenhang vielleicht früher als erwünscht. Das Zuwanderungsgesetz - ich habe es eingangs kurz erwähnt - soll bis dahin längst unter Dach und Fach sein und eine Einigung zwischen den Koalitionspartnern ist nicht in Sicht. Für Rezzo Schlauch, Ihren Fraktionschef, stellt sich die Koalitionsfrage und für den SPD-Generalsekretär Franz Müntefering ist es ein Dissens ums Kleingedruckte. Was denn nun Frau Scheel?

    Scheel: Wir haben den Anspruch, den Otto Schily formuliert hat, das modernste Einwanderungsgesetz Europas vorzulegen, aufgegriffen. Wir nehmen ihn sehr ernst. Es geht nicht, dass wir wie jetzt von Schily vorgelegt so extreme Regelungen bei dem Familiennachzug haben, dass die Altersgrenze so rapide abgesenkt wird. Das ist nach familienpolitischen Vorstellungen ein unwürdiger Vorschlag. Er ist sehr engherzig und es ist auch nicht in Ordnung, dass man je nachdem um wen es geht beim Familiennachzug dann einmal 18 Jahre, einmal 16 Jahre oder sogar 12 Jahre diskutiert. Das zweite ist, dass wir einen Affront gegen die Vorschläge der europäischen Kommission sehen. Es gibt hier durchaus auch in der europäischen Kommission den Hinweis an alle europäischen Staaten, die Genfer Flüchtlingskonvention einzuhalten. Wir sehen ja, dass Deutschland bei den Asylzahlen im unteren Mittelfeld liegt. Es gibt hier also überhaupt keine Befürchtungen, sondern man muss auch das tun, was von der europäischen Seite für alle europäischen Staaten vorgeschlagen wird.

    Remme: Aber ist das nicht voreilig, zu diesen Zeiten bereits mit einem Ende der Koalition zu drohen?

    Scheel: Es ist natürlich für uns als Bündnisgrüne eine sehr schwierige Situation. Das kann man ganz offen sagen. Herr Schily hat sehr viele Zugeständnisse an den deutsch-nationalen Flügel der Union gemacht und es ist natürlich ein sehr weiter Bogen von den Vorstellungen der Grünen bis zu den Vorstellungen von Herrn Stoiber, der ja das deutsch-nationale sehr stark betont. Beide in einem Bereich zusammenzubringen, das ist sehr, sehr schwierig. Wir verhandeln dennoch weiter. Wir führen Gespräche mit den Fachpolitikern und Fachpolitikerinnen der SPD. Wir führen auch weitere Gespräche zwischen den Fraktionsspitzen, auch mit Otto Schily, und es wäre sehr, sehr wünschenswert, wenn wir einen Ausweg nach vorne bekommen würde, so dass wir den Grunddissens, der hier in diesem Gesetz liegt, beenden können und dass wir ein Gesetz vorlegen, was sich wirklich als das modernste Einwanderungsgesetz Europas gestaltet.

    Remme: Frau Scheel, die Haushaltsberatungen beginnen morgen. Heute steht zunächst der Bundesverteidigungsminister im Mittelpunkt. Wie bewerten Sie den Streit rund um Rudolf Scharping?

    Scheel: Er hat sich hier natürlich in eine Situation manövriert, die man im Prinzip niemandem wünscht. Man muss über Geschmack streiten, aber klar ist - und das hat er ja auch zugegeben -, dass der Zeitpunkt des Erscheinens dieser Bilder natürlich vollkommen daneben gewesen ist. Das hat er auch gesagt. Jetzt wird es darum gehen, dass die Nutzung der Flugbereitschaft eindeutig und vollständig aufgeklärt wird. Das Problem ist, das wir natürlich als Regierungspartner auch sehen, dass das Ansehen Scharpings sehr gelitten hat. Das Problem ist mittlerweile die Gesamterscheinung und ich muss sagen, persönlich bedauere ich das auch sehr, denn er ist ein sehr, sehr guter Verteidigungsminister. Er hat sehr gute Arbeit geleistet. Man hört aber aus der Bevölkerung heraus, dass viele ihn derzeit nicht mehr so ernst nehmen, und man muss sich in solch einem Amt natürlich so verhalten, dass man in der Bevölkerung wahrgenommen wird und hier letztendlich nicht dusseliges Benehmen gesehen wird. Es ist aber nicht Aufgabe der Grünen, hier Vorschläge zu machen, sondern das muss er selbst wissen und letztendlich natürlich der Bundeskanzler eine Entscheidung treffen.

    Remme: Zum Schluss Ihre Prognose, Frau Scheel. Wird er sich im Amt halten können?

    Scheel: Das ist sehr schwer zu sagen. Das ist so spekulativ. Es kommt jetzt darauf an, ob es heute gelingt, dass alle Flüge eindeutig aufgeklärt werden. Wenn hier nur ein Funken stecken bleibt, dass etwas nicht ordnungsgemäß gelaufen ist, dann wird es sehr schwer sein, dass er im Amt bleibt.

    Remme: Christine Scheel von den Grünen war das. - Der deutsche Bundeswehrverband vertritt als überparteiliche Institution die Interessen von rund 240000 Mitgliedern, von Wehrpflichtigen, von aktiven und ehemaligen Soldaten aller Dienstgrade. Frage an den Verbandsvorsitzenden, Oberst

    Gertz: Sollte sich der Bundeskanzler einen neuen Verteidigungsminister suchen?

    Gertz: Der Bundeskanzler wäre gut beraten, ernsthaft zu bedenken, welche Wirkung das Verhalten dieses Ministers auf die von ihm geführten Soldaten hat.

    Remme: Welchen denn?

    Gertz: Einen vernichtenden Eindruck. Wenn Sie ein Soldat sind, der während eines sechsmonatigen Kontingents im Kosovo die Familie allenfalls einmal sieht, vom Kosovo nach Mazedonien verlegt werden und dann mitbekommen, dass der Minister eine Stippvisite im Einsatzland mit vorheriger und nachheriger Übernachtung in Mallorca durchführt, dann erzielen Sie einen Eindruck, der wirklich vernichtend ist.

    Remme: Und wenn ein Verteidigungsminister diese vernichtende Wirkung Ihrer Ansicht nach erzielt, dann ist dieser nicht mehr tragbar?

    Gertz: Dann hat er nach meinem Eindruck den Rest seiner Autorität verspielt und er genießt nicht den Respekt, den seine Stellung als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt erfordert.

    Remme: Sollte er zurücktreten?

    Gertz: Ich denke, Herr Scharping sollte langsam erkennen, was die Glocke geschlagen hat. Es kommt dabei nicht so darauf an, ob es ihm gelingt, der Opposition im Verteidigungsausschuss nachzuweisen, dass alle seine Flüge irgendwo einen halbwegs dienstlichen Zweck gehabt haben, sondern es kommt darauf an, ob man das, was man den Soldaten gegenüber verkündet, auch wirklich wahr macht. Herr Scharping hat im Oktober 1998 deutlich gesagt, was die Nutzung der Flugbereitschaft angeht sei Sparsamkeit das oberste Gebot.

    Remme: Ist das Vertrauen in Scharping erst durch die jüngsten Ereignisse beschädigt?

    Gertz: Nein, das ist eigentlich nur das Tüpfelchen auf dem I. Das Vertrauen ist vor allem deshalb beschädigt, weil er ja erkennbar mit seinem Reformversuch gescheitert ist, weil er nicht in der Lage ist, die von ihm entschiedene Struktur seriös zu finanzieren, und weil die Soldaten das natürlich im täglichen Dienst erkennen.

    Remme: Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, hat Sie scharf angegriffen. Sie könnten mit Ihrer Meinung auf keinen Fall für die Soldaten der deutschen Streitkräfte, ja nicht einmal für die Mitglieder Ihres Verbandes sprechen. Was sagen Sie dazu?

    Gertz: Ich betrachte das gar nicht so als Angriff. Das ist natürlich auch ein rituelles Verhalten, dass der Generalinspekteur seinen Minister gefälligst in Schutz zu nehmen hat. Auf der anderen Seite muss man wissen, dass auch der Generalinspekteur nicht für die Soldaten spricht. Im Gegensatz zum Generalinspekteur bin ich gewählt von den Mitgliedern des Bundesverbandes, und das sind immerhin 240000.

    Remme: Und für diese sprechen Sie?

    Gertz: Für die spreche ich mit Sicherheit!

    Remme: Hat es denn in Sachen Scharping innerhalb des Bundeswehrverbandes in der Verbandsführung eine Abstimmung - ich meine jetzt keine zahlenmäßige Abstimmung, sondern eine Gesprächsabstimmung - gegeben?

    Gertz: Ja selbstverständlich reden wir darüber, was zu diesem Thema zu sagen ist, und der Bundesvorsitzende ist kein Einzelkämpfer.

    Remme: Das heißt es ist Konsens in der Verbandsführung?

    Gertz: Wir haben uns in der Vergangenheit mit Äußerungen zu Scharpings Privatleben absolut zurückgehalten. Sie werden keine finden, weder von mir noch von anderen, die sich dazu geäußert haben. Aber da wo das umschlägt auf die Soldaten, auf den Dienst, da ist es Pflicht des Bundeswehrverbandes, dann auch zu sprechen, und darüber besteht Konsens.

    Remme: Die Photos und die Flüge, das sind ja eigentlich Randaspekte einer Amtsführung, Herr Gertz. Immer wieder wurde in der vergangenen Woche betont, dass es an der inhaltlichen Arbeit des Ministers nichts zu mäkeln gebe. Er mache seine Sache als Verteidigungsminister gut. Sie haben eben schon die Bundeswehrreform angesprochen, aber kommen wir mal auf den Mazedonien-Einsatz. Sehen Sie dort Mängel in der Vorbereitung und in der bisherigen Durchführung?

    Gertz: Ich denke zunächst, wer die Meinung vertritt, dass dieser Minister seine Sache gut gemacht hat, der übersieht eine ganze Menge. Er übersieht nämlich die ziemlich große Kluft zwischen Ankündigung und Realisierung. Herr Scharping hat in den drei Jahren seiner Amtszeit sehr viel angekündigt und so gut wie nichts umgesetzt, übrigens auch nichts im sozialen Bereich. Das wird vielleicht demnächst passieren. Was Mazedonien angeht denke ich muss man der Regierung insgesamt vorhalten, nicht dem Verteidigungsminister allein, dass die Debatte, die hier über den 30tägigen Einsatz geführt worden ist, erkennbar zu kurz gegriffen hat und dass man vorher bereits hätte erkennen müssen und sollen, dass sich nach dem 30tägigen Einsatz zum Waffen einsammeln eine so genannte Sicherheitslücke auftun wird. Das haben eigentlich alle kundigen Beobachter der Szene gesagt. Die Bundesregierung hat das ignoriert, der Verteidigungsminister auch, und deswegen ist es natürlich nicht ein besonders gelungenes Beispiel von politischer Führung.

    Remme: Oberst Gertz, wäre es nicht dennoch fairer gewesen, die heutige Sitzung des Verteidigungsausschusses abzuwarten, bevor man mit derartiger Kritik in die Öffentlichkeit geht?

    Gertz: Ich denke wenn der Minister öffentlich erklärt - und das hat er mehrfach getan -, dass die Soldaten gut finden was er tut, dann muss man ihm widersprechen. Ich habe mich mit zahlreichen Soldaten, deren Urteile absolut vernichtend sind. Das geht in die höchsten Ränge hinein, aber es wird eben auch von den Soldaten vertreten, die ich zu vertreten habe.

    Remme: Das war Oberst Bernhard Gertz, der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes. Wir haben beide Gespräche, das Interview mit Christine Scheel und mit Oberst Gertz, vor der Sendung aufgezeichnet.

    Link: Interview als RealAudio