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Kannegiesser

Becker: Zu Beginn der vergangenen Woche, da klopfte die IG Metall ihre Tarifforderung auf einheitlich 6,5 Prozent fest, tags darauf, am vergangenen Dienstag, da zeigte sich dann die gemeinhin noch moderat genannte IG Bergbau, Chemie, Energie gar nicht so moderat mit einer Forderungsempfehlung von 5,5 Prozent. Da steht also die gewerkschaftliche Linie, Herr Kannegiesser, ziemlich einheitlich fest. Wenn die Arbeitgeber die Gewerkschaften nun von diesem Kurs des Primats des Portemonnaies abbringen wollen, dann müssten sich doch die Arbeitgeber mit einer umwälzenden tarifpolitischen Idee zu Wort melden. Gibt es solch eine Idee, haben Sie eine?

Birgid Becker |
    Kannegiesser: Die Forderung der IG Metall wird begründet mit einem aufgestauten Nachholbedarf, einem Frust, der sich auch gebildet habe in den Betrieben, dass man sich zu kurz gekommen fühle und die Gewerkschaft letztlich als Interessenvertreter und Sprachrohr der Arbeitnehmer dieser Erwartung und diesem Druck nachgeben müsse. Das ist die Begründung, und wir müssen uns damit auseinandersetzen, und zwar intensiv auseinandersetzen. Es geht darum, Lösungen für die besondere Situation zu finden, in der wir sind. Die besondere Situation ist erstens, dass wir uns in einer Rezession befinden. Das ist gar keine Frage, manche haben Angst vor dem Wort, aber wir befinden uns in einer Rezession. Und in einer Rezession kann man nicht die höchsten Einkommensentwicklungserwartungen haben, die es seit vielen Jahren gegeben hat. Wir sagen: Gerade in einer solchen Situation kommt es für uns darauf an, den Betrieben die Möglichkeit weiterhin zu geben, Beschäftigung, wie immer auch möglich, durchzuhalten - als Lehre auch aus der letzten Rezession, wo die Betriebe - von einer sehr schwachen finanziellen Basis ausgehend - relativ früh damit beginnen mussten, Kosten einzusparen, das heißt auch, Personalkosten abzubauen. Wir sind in dieser Phase, in dieser Rezession darum bemüht, alles nur Erdenkliche zu tun, damit die Betriebe weiterhin Beschäftigung durchhalten und dazu ermutigt werden. Das tun sie auch, die Betriebe. Und dazu muss aber die Tarifpolitik versuchen, einen Beitrag zu leisten.

    Becker: Aber es gibt von Arbeitgeberseite gegenwärtig nichts, mit dem man diese Erwartungshaltung aufbrechen könnte, mit dem man das Thema dieser anlaufenden Tarifrunde verändern könnte.

    Kannegiesser: Das zweite Element, was wir einbringen ist, dass wir sagen: Wir haben generell, besonders in unserer Industrie, eine enorme Spannbreite der wirtschaftlichen Leistungskraft der Betriebe - von der Schraubenfabrik im Sauerland bis zum Automobilwerk in München oder Stuttgart, eine enorme Spannbreite. Und diese große Spannbreite zwischen Branchen, Betrieben und auch Regionen, diese große Spannbreite wird natürlich in einer Phase der Rezession - in einer wirtschaftlichen Schwäche - besonders deutlich. Und dafür müssen wir Lösungen finden. Das geht nur, wenn wir den Flächentarif mit mehr Differenzierungsmöglich-keiten ausstatten.

    Becker: Nun gab es ja durchaus Signale des IG-Metall-Vorsitzenden Zwickel in Richtung eines Stücks mehr Differenzierung in den Tarifverträgen; es gab ein kurzes Signal, das ist dann wieder erloschen. Sie werben jetzt erneut dafür, aber sehen Sie in dieser tarifpolitischen Ausgangssituation, in der es eben vorrangig um Lohnprozente geht, sehen Sie da die Chance, jetzt zu einem Einstieg in Sachen Flexibilisierung, Differenzierung in den Tarifverträgen zu kommen?

    Kannegiesser: Das Thema 'Differenzierung' wird uns nicht mehr loslassen, ob wir das nun wollen oder nicht. Und das ist für beide Seiten nicht einfach, dafür praktikable Formeln zu finden. Aber das Thema wird uns nicht loslassen, es muss weiter von uns auch angegangen werden . . .

    Becker: . . . aber anpacken will es doch im Moment offensichtlich niemand . . .

    Kannegiesser: . . . doch, eigentlich schon, denn wenn Sie sehen, hat ja die Forderung der IG Metall zwei Komponenten. Sie hat die Komponente der Entgelterhöhung, und sie hat die Komponente - wie sie es formuliert - unumkehrbarer Einstieg in einen gemeinsamen Entgelttarif für Arbeiter und Angestellte. Wir halten das Projekt eines solchen neuen Tarifsystems für richtig und für erstrebenswert und reden ja auch über die Grundzüge schon seit einiger Zeit mit der IG Metall. Und ein solches neues Tarifwerk muss, im Gegensatz zu den bisherigen Tarifwerken, eben neue Möglichkeiten auch der Differenzierung eröffnen - stärkere Differenzierungsmöglichkeit in der Gestaltung des Grundentgeltes, stärkere Differenzierungsmöglichkeiten zwischen Grundentgelt und Leistungsentgelt, aber auch in Komponenten, die am betrieblichen Erfolg festgemacht werden. Insoweit sind durchaus auch neue Elemente enthalten, auch strukturelle Elemente enthalten in dieser Forderung der IG Metall. Also, in diesem Zusammenhang wird uns die Frage der Differenzierung auch zu beschäftigen haben.

    Becker: Nun ist die Erwartungshaltung an dieses Projekt ERA - im Fachjargon genannt, also an die Angleichung von Arbeitern und Angestellten in den Entgelttarif-verträgen - ja ein Projekt, an dem Sie seit zwei Dekaden, eher noch länger, laborieren. Es gibt von Ihrer Seite aber auch die Einschätzung, dass dieses Projekt nicht einmal zu einem befriedigenden Anfang gebracht werden könne noch in den Tarifverträgen, die ja jetzt bald geschlossen werden.

    Kannegiesser: Man muss unterscheiden zwischen der Wünschbarkeit eines solchen neuen Entgeltsystems, das ist die eine Seite. Und das andere ist: Ist es sinnvoll und überhaupt möglich, es mit der jetzt anlaufenden Entgeltrunde zu verknüpfen? Das sind zwei Sachverhalte. Wir halten dieses Projekt also für wünschenswert, aber haben gleichzeitig auch gesagt, wir können uns nicht vorstellen, wie in einer Entgeltrunde, die jetzt ansteht - oder können uns schwer vorstellen, sage ich mal - wie eine Verknüpfung konkret aussehen soll, weil der ERA, also der gemeinsame Entgeltrahmen, sehr stark regional bestimmt sein wird und bestimmt sein muss. Und deshalb wird man keine Einheitsregelung für ganz Deutschland schaffen können, sonst würde das wahrscheinlich nie werden, das Projekt würde uns sozusagen unter den Händen wegsterben - während die Entgelterhöhung, die muss bundesweit zum gleichen Zeitpunkt wirken.

    Becker: Damit ist aber doch der Gedanke, dieses Projekt ERA zu nehmen, um aus der reinen Pokerei um Lohnprozente herauszukommen, schon gestorben.

    Kannegiesser: Ja. Ja und nein. Nach unserer Meinung sehen wir nicht, wie wir also konkret mit dieser Entgeltrunde irgendwo, in welchem Bezirk auch immer, sozusagen als Modell einen kompletten Entgeltrahmen hinkriegen sollen. Wir sehen auch nicht, wie man einzelne Bestandteile herausbrechen soll. Aber wir sehen, wenn es der IG Metall ernst ist mit dem Einstieg in ERA, dass man sehr wohl darüber sprechen kann, ob es Elemente gibt, die in einer Verbindung zu den Entgelterhöhungen stehen. Wir sehen sie zwar noch nicht, aber darüber werden wir sprechen. Die Frage, die Sie zu recht stellen, ist ja, wie ist es mit der Differenzierung? Die Differenzierung bleibt weiter auf der Tagesordnung. Es gibt verschiedene Formen der Differenzierung, einmal die von uns seit Jahren erhobene, die Einmalzahlung an den betrieblichen Erfolg zu knüpfen nach dem Prinzip 'Chance - Risiko', wie es jetzt auch die Chemie offenbar möchte. Und es gibt andere Möglichkeiten, um das zu tun. Wir werden dieses Thema und das Thema, ob man eine Chance sieht, dieses Element der Differenzierung auch in ERA einzuführen - wir werden sehen, wie ernst es der IG Metall damit ist, also so gesehen wird uns dieses Thema auch in dieser Runde beschäftigen.

    Becker: Lassen Sie mich dieses Differenzierungsargument doch einfach auf der Zeitebene einmal rumdrehen. Es lässt sich ja ganz sicher nicht leugnen, dass es Mitgliedsunternehmen in Ihrem Bereich gibt, die mit einer 6,5-Prozent-Forderung nicht überfordert sind, mehr noch, für die es eine Berechtigung gäbe, auch eine höhere Forderungszahl zu formulieren. Wäre dann der IG Metall nicht einiger Wind aus den Segeln zu nehmen, wenn diese Unternehmen sich entschlössen - und zwar jetzt schon -, einen Nachschlag zu zahlen für das vergangene Jahr?

    Kannegiesser: Also, erstens muss man in der Tat sagen, dass wir hier über einen Flächentarifvertrag reden und nicht über eine Summe von Haustarifen. Und ein Flächentarif muss sich nun einmal an dem Durchschnitt und in einer konjunkturell schwierigen Lage sogar ein Stück unter dem Durchschnitt orientieren, weil uns sonst einfach zu viele Betriebe - und damit Arbeitsplätze - drohen wegzubrechen.

    Becker: Bleibt doch aber dabei, dass es Unternehmen gab in Ihrem Bereich, wo es im Jahr 2001 so schlecht nicht lief. Wäre es denn nicht möglich - auch als solidarische Geste an andere Arbeitgeber, für die 2001 eben nicht so glücklich war - Ihr sauerländischer Schraubenfabrikant -, wenn die Besserverdiener Ihrer Branche jetzt daran gingen und sagten: 'Na gut, ich erfülle eben Erwartungen, die aufgelaufen sind' - so sie es können?

    Kannegiesser: Das passiert ja. Das ist in der letzten Runde passiert. Wenn Sie einige unserer sehr erfolgreichen Unternehmen sich ansehen, die haben ja solche Regelungen mit ihren Belegschaften getroffen. Das gibt es ja und das wird's immer geben. Man muss ja immer nun mal der Realität ins Auge sehen, dass die Welt der Einkommen aus dem tariflichen und aus dem außertariflichen Bereich besteht. Und jetzt, diese Forderungen in dieser Größenordnung von der IG Metall, ist offensichtlich der Versuch, Unternehmen, die besonders gut verdient haben, zum Maßstab zu machen, die als Maßstab aber für einen Flächentarif nicht taugen. Ich lege somit eine Lunte an den Flächentarifvertrag. Der Flächentarifvertrag muss sich am Durchschnitt orientieren, und man gibt dann zwangsläufig den Spielraum, damit die Betriebe, die in einer besseren Lage sind, im außertariflichen Bereich etwas machen können. Je mehr man versucht, den vorhandenen Verteilungsspielraum nicht nur ganz auszufüllen mit Tarifen, sondern sogar noch die Flasche bis über den Korken hinaus zu füllen, um so mehr werden viele gar nicht mehr mitkommen können. Und wenn Unternehmen etwas machen können, machen sollen über diesen Rahmen hinaus, dann kann dies im Flächentarif in der derzeitigen Form nicht geregelt werden.

    Becker: Was Sie sicher nicht gerne tun, ist Tarifverhandlungen vorwegzunehmen. Aber ohne große Phantasie könnte man sich ja vorstellen, dass ein Verhandlungsergebnis sich bei etwa drei Prozent einpendelt. Von solchen drei Prozent, sagt etwa das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung oder sagt Jürgen Kromphardt, Mitglied im Sachverständigenrat, das sei durchaus noch verkraftbar. Wie wäre Ihre Einschätzung zu einer Verhandlungszahl am Ende, die bei drei, bei drei plus x Prozent liegt?

    Kannegiesser: Wir gehen im Grundsatz nach wie vor davon aus, Frau Becker, dass die Orientierung für uns die Entwicklung der Produktivität - der gesamtwirtschaftlichen Produktivität - sein muss, und zwar die, die wir auf einem mittleren Pfad sehen. Wir wollen da also gar nicht mal jetzt hier ständig gucken auf Inflationsrate, also nicht ständig gucken, was der Salat kostet, also jede Woche mit neuen Prognosen kommen. Das wollen wir auch bei der Produktivität nicht, nun ständig gucken - die Prognosen schwanken zur Zeit so stark. Wir werden versuchen - wenn wir ganz dicht dran kommen -, uns an einem mittleren Pfad zu orientieren. Denn das ist das, was die Betriebe wirklich dann im Durchschnitt leisten können und trotzdem ihr Kostenniveau stabil halten. Langfristig können wir nur das verteilen, was an Mehr erwirtschaftet worden ist. Und für unsere wirtschaftliche Leistungskraft ist nun mal der Indikator die Entwicklung der Produktivität. Und auch dafür werben wir, dieses Prinzip langfristig anzuerkennen. Und wenn Betriebe kurzfristig Konjunkturen haben, dann sollen sie aus diesen Konjunkturen ihre Leute mit Prämien bedienen. Das ist unser Votum.

    Becker: Das wäre dann gegebenenfalls auch verpflichtend zu machen, oder wäre das nur ein Votum?

    Kannegiesser: Das ist ein Teil der Differenzierungsdebatte, die wir haben. Und wenn sich auch die Gewerkschaften dieser Differenzierungsdebatte stellen, dann wäre es nach unserer Auffassung schon immer möglich gewesen - das haben wir immer gesagt -, beispielsweise die Einmalzahlung an den betrieblichen Erfolg zu binden - als Chance und Risiko. Wir werden sehen, ob in diesem Gesamttableau, was uns die IG Metall jetzt vorlegt - also Lohnerhöhung und Einstieg in ERA -, ob solche Konzepte da Platz haben werden.

    Becker: Nun fangen die Verhandlungen voraussichtlich am 7. Februar, am kommenden Donnerstag also, in Bayern - ja, fangen die dann an wie immer mit dem Austausch der bekannten unterschiedlichen Positionen zu dem, was wirtschaftlich vertretbar und verkraftbar ist?

    Kannegiesser: Wir sollten uns nicht unter Druck setzen lassen durch das ständige Spotten über die Rituale - meinen auch manche meiner Kollegen, meiner Unternehmerkollegen. Das macht man so, als wenn man eine Maschine verkauft. Da ist also eine Verhandlung, da sind vernünftige Leute und dann findet man eine Regelung. Hier sind komplizierte Prozesse zu berücksichtigen. Wir haben hier Organisationen, die mitgliederorientiert sich rechtfertigen müssen, und die widerspiegeln auch zu einem Teil Stimmungen und Erwartungen, die sich über Monate aufgebaut haben.

    Becker: Aber das ist auch das Argument für die IG Metall, um zu ihrer Forderung zu kommen.

    Kannegiesser: Natürlich, das ist immer das Argument, um zu der Forderung zu kommen, und man muss sehen, diese Stimmungslage mit der Realität in Übereinstimmung zu bringen. Das wird die Aufgabe auch der nächsten Woche sein. Niemand von uns hat damit gerechnet, dass wir in 2001 einen solchen Absturz bekommen würden, dass die Betriebe in 2001 in der Breite - von einigen Stars, die immer wieder in den Mittelpunkt gestellt werden, sehen wir mal ab, die wird's immer geben, Gott sei dank -, aber in der Breite hat keiner damit gerechnet, dass ab Frühjahr 2001 die Auftragseingänge und zuletzt dann auch die Produktion und auch die Erträge so schnell - dass also dieses nur ein so kurzes Vergnügen war, der Aufschwung. Damit hat keiner gerechnet, so dass die Leute in ihren Erwartungen noch in dieser Aufschwungphase waren. In dieser Aufschwungphase haben sich auch ihre Meinungen und Erwartungen eigentlich gebildet, und auf denen sitzen sie nun noch. Herr Zwickel hat dies die so genannten 'nachlaufenden Erwartungen' genannt. Nun kann man so lange nachlaufen, bis man zusammenbricht. Irgendwo muss man mit dem Nachlaufen mal aufhören. Also, inzwischen müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die wirtschaftliche Landschaft, in der wir uns zu bewegen haben, von Ende 2001/Anfang 2002 eine völlig andere ist, als die wir vor einem Jahr hatten, zum Jahreswechsel hatten. Das ist noch nicht verinnerlicht worden, und da müssen wir aufklären, dass das eine andere Landschaft geworden ist.

    Becker: Nun, dass es so ganz nicht verinnerlicht worden ist - denke ich -, ist nicht zutreffend, sonst hätte es diesen Vorschlag, den allerdings zurückgezogenen Vorschlag des IG Metall-Vorsitzenden ja nicht gegeben, zu einem Tarifvertrag mit einer sehr, sehr kurzen Laufzeit zu kommen. Dies haben Sie nicht gewollt, dies hat auch die IG Metall nicht weiterverfolgt. Aber bei all dem, was Sie eben gesagt haben über die Tücke der nachlaufenden Erwartungen - war das nicht zugleich ein Plädoyer gegen lang laufende Tarifverträge? Im Gegenteil ist es aber so, dass die Arbeitgeber erneut für lang laufende und planungssichere Tarifverträge votieren.

    Kannegiesser: Die Absicht des Vorschlages von Herrn Zwickel, die ist ja nachvollziehbar, nämlich zu sagen: Wir sind in einer besonders schwierigen Situation, lasst uns jetzt - Herr Schmoldt hat einen ähnlichen Vorschlag gemacht - lasst uns eine kurze Zeit machen, möglicherweise eine Verlängerung mit einer Einmalzahlung, und dann reden wir, wenn die Situation klarer ist, gehen wir in die eigentliche Tarifverhandlung. Das ist ja nachvollziehbar. Nur - einer der größten Feinde für den wirtschaftlichen Wiederaufschwung ist die Unsicherheit. Alle, die über Investitionen zu entscheiden haben, mauern seit Monaten, trauen sich nicht, Entscheidungen zu treffen, weil sie nicht wissen, wie es weitergeht. Und deshalb haben wir gesagt, wir müssen die beiden Gesichtspunkte miteinander verbinden - mehr Sicherheit zu geben für die Entscheidungsträger bezüglich der Kostenentwicklung, andererseits den Arbeitnehmern die Sicherheit zu geben, dass sie nicht bei einer veränderten Aufstiegsentwicklung zu kurz kommen. Die beiden Dinge müssen wir zusammenbringen. Und wir haben gesagt, das erreichen wir nicht, wenn wir sozusagen innerhalb von wenigen Monaten zwei komplette Tarifrunden fahren. Das bringt eine solche Unsicherheit darüber, denn selbst, wenn ich eine erste fahre und nicht weiß, was dann auf mich zukommt, dann fahre ich weiter mit angezogener Handbremse, dann passiert nichts. Und da haben wir gesagt: So geht das nicht. Deshalb war unser Vorschlag: Lasst uns über einen mittleren Zeitraum reden, beispielsweise zwei Jahre. Dann haben wir ein Stück Sicherheit gegeben, die wir in dieser Phase dringend brauchen, und lasst uns über eine Revisionsklausel reden, damit die Arbeitnehmer die Sicherheit haben, wenn sich die wirtschaftliche Situation verbessert, dass sie dann auch partizipieren.

    Becker: Aber noch mal nachgefragt: Welche Werbebotschaft haben Sie an die Gegenseite? Die Verhandlungen beginnen in Bayern, beginnen am kommenden Donnerstag. Bayern ist eine durchaus streikerprobte Metallregion. Also, welches werbende Argument gibt es, dass Sie in dieser Phase des Lohnpokers da entgegenwirken können?

    Kannegiesser: Ich glaube, dieses mal ist der wichtigste Ansatzpunkt, die Durststrecke, in der ein großer Teil unserer Betriebe sich noch befindet, ohne weiteren massiven Beschäftigungsabbau überbrücken zu können, wenn wir bei den Kostenbelastungen der Betriebe im Rahmen der wirtschaftlichen Leistungskraft bleiben. Das ist im Augenblick das Hauptanliegen, das die Betriebe haben. Sie möchten alle Beschäftigung durchhalten, sie alle wissen, dass sie Riesenprobleme irgendwann im Aufschwung mal wieder bekommen, wenn sie das nicht machen. Es ist auch das größte Anliegen der Masse der Arbeitnehmer, wie alle Umfragen eigentlich zeigen. Die Sicherheit der Arbeitsplätze in dieser Phase ist das aller-wichtigste Argument.

    Becker: Sie sprechen selber davon, dass es einen Überhang von 140.000 Arbeitsplätzen geben könnte, dass also 140.000 Menschen in Ihrer Branche zu viel an Bord sind. Kann man da unterstellen, dass Ihre Mitgliedsunternehmen wirklich bemüht sind, diese Leute zu halten?

    Kannegiesser: Das kann man unterstellen, sonst hätten wir schon einen stärkeren Abbau gehabt bisher. Wir sehen, wie sehr sich die Betriebe bemühen - bis hin zum Zulassen negativer Arbeitszeitkonten, das heißt ja, die Betriebe geben einen Vorschuss, einen Kredit praktisch schon auf die Zukunft. Wenn ich ein negatives Arbeitszeitkonto in größerem Umfang zulasse, dann gebe ich damit ja zu erkennen, dass ich wirklich voll darum bemüht bin - mit ganzer Kraft darum bemüht bin -, Beschäftigung durchzuhalten. Natürlich gibt es immer einzelne Unternehmen, die strukturell einfach Überkapazitäten haben, die also nicht konjunkturell bedingt unterausgelastet sind und erwarten können, dass sich ihr Markt wieder nach oben entwickelt, wenn die Konjunktur sich wieder vernünftig auch nach oben entwickelt. Aber die Masse, die von konjunkturellen Problemen derzeit betroffen ist, die sind alle darum bemüht, das kann man einheitlich unterstellen, Beschäftigung durchzuhalten.

    Becker: Wie kommt es, Herr Kannegiesser, dass Klaus Zwickel ebenso wie Jürgen Peters schlicht sagen: Es gab zwar in der Vergangenheit den Beschäftigungsaufbau in der Automobilindustrie, für den Rest der Branche ist die Jobbilanz aber negativ?

    Kannegiesser: Das ist falsch, das ist objektiv falsch und kann nur interessen-geleitet sein. Wenn Sie auch die kleinen Broschüren sehen, wo also die Argumente dargestellt werden, da steht auch immer gleich eine Mitgliedsbeitrittserklärung drauf. Die werben. Also, solche Phasen sind für Gewerkschaft immer, was für die Ärzte die Grippe ist. Dann ist Hochkonjunktur. Also, solche Phasen der Mobilisierung werden natürlich auch für andere Dinge genutzt. Für unsere Branche - muss man sagen - ist das objektiv falsch. Es sind diese zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen worden zwischen März 2000 und Herbst 2001, und sie sind nicht nur in der Automobilindustrie entstanden. Die Automobilindustrie macht in der Metall- und Elektroindustrie etwa ein Drittel insgesamt der Arbeitsplätze aus. Die anderen Bereiche - der Maschinenbau, die Elektrotechnik -, die sind ungefähr gleich. In denen sind auch zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen worden. Wir haben regionale Unterschiede, das ist richtig. Nordrhein-Westfalen hat sogar leicht Arbeitsplätze verloren in unserer Industrie, aber in allen anderen Regionen und Branchen sind zusätzliche Arbeitsplätze entstanden. Das ist also nicht nur ein Phänomen in der Autoindustrie, auf die die Gewerkschaften - aus welchen Gründen auch immer - in dieser Phase in so ganz besonderer Weise ihr ganzes Augenmerk und ihre ganze Sorgfalt natürlich richten - auf die Branche, die in der Tat für unser Land eine große Bedeutung hat. Aber sie ist in der Metall- und Elektroindustrie eben nur ein Drittel.

    Becker: Es ist nicht untypisch für Tarifrunden, dass man sie als 'hart' etikettiert, und das sagt man auch von jeder anlaufenden Tarifrunde aufs Neue. Aber ist diese anlaufende Runde tatsächlich eine, die besonders streikbedroht ist?

    Kannegiesser: In dieser Phase schon über Streik und Arbeitskampf und Aussperrung, alle diese Dinge, zu spekulieren und zu phantasieren, das ist viel zu früh. Wir sind ganz am Anfang, wir haben noch nicht einmal begonnen, uns auszutauschen. Wir haben neben der schwierigen Frage der Entgelterhöhung in dieser Phase das schwierige Problem von der IG Metall zusätzlich auf den Tisch gelegt bekommen den gemeinsamen Entgeltrahmen. Und damit haben wir eine auch komplizierte Ausgangslage. Wenn ich jetzt zusätzlich zu der Unsicherheit auch noch ankomme und von der Wahrscheinlichkeit und der Möglichkeit spreche - also, alles ist möglich, niemand kann von Anfang an Arbeitskämpfe ausschließen. Aber es wäre in dieser Phase in besonderer Weise unverantwortlich, und die Beteiligten müssen zunächst alle Möglichkeiten ausschöpfen, um das zu vermeiden.

    Becker: Noch einmal gefragt nach dem, was real am 7. Februar anläuft und was, so wie die Positionen jetzt aussehen, ja nach einer durchaus harten Tarifrunde aussehen könnte: Will man dieses durchbrechen, will man da einen neuen Akzent setzen, kann das ja nicht anders gehen als seinerzeit etwas auf die Waagschale zu legen. Ist das, was Sie auf die Waagschale legen, vor allem die Warnung vor neuen zusätzlichem Arbeitsplatzverlust, ist das also dieses Negative, oder gibt es da auch irgend einen reizvollen, reizenden Impuls?

    Kannegiesser: Der wichtigste Impuls, den wir geben müssen - und das war der Versuch ja auch des Bündnisses -, der wichtigste, den wir geben können: In unserer Industrie die Beschäftigung durchzuhalten. Das ist das wichtigste, da muss man nicht mit irgendwelchen Dingen kommen, das ist unsere wichtigste Aufgabe im Augenblick. Und da spielen die Arbeitskosten eine ganz entscheidende Rolle, und wir werden immer wieder für diesen Zusammenhang zu werben haben. Wir haben also genügend Beispiele und Fakten, zu belegen, dass man das bei einem Überziehen, dass man das dann nicht erreichen kann. Das wird unsere wichtigste Aufgabe sein, das immer wieder klarzumachen.

    Becker: Das Bündnis für Arbeit - weil Sie das Stichwort erwähnt haben - krankte ja nach Darstellung des DGB-Chefs Dieter Schulte ganz stark daran, dass Leistung und Gegenleistung nicht in Übereinklang standen. Und es ist ja auch gegenwärtig so, dass eben die IG Metall in Abrede stellt, dass Lohnverzicht der Beschäftigung hilft oder Lohnzurückhaltung der Beschäftigung hilft. Deshalb nochmal gefragt: Gibt es eine neue Qualität dessen, was Sie einbringen können um zu sagen: In diesem Falle aber gelingt es uns. Etwas mehr Lohnzurückhaltung vorausgesetzt, werden wir stabile Beschäftigungsverhältnisse haben, werden wir unsere Beschäftigungszahlen stabil halten können? Kannegiesser: Das ist in unserer Industrie bewiesen worden, dass dieser Zusammenhang da ist. Es wäre sonst keine zusätzliche Beschäftigung aufgebaut worden. Und wir sagen: Wir sind bereit, das weiterzumachen und auf diesem Wege weiterzugehen. Und das muss man immer wieder sagen. Wenn wir etwas tun, was nicht wettbewerbsfähig ist, also unsere Lohnstückkosten wieder in die Höhe treiben - sie sind schon wieder gestiegen im letzten Jahr -, deshalb ja auch diese Forderung 'Null-Runde', weil die Lohnstückkosten schon wieder gestiegen sind. Und wir sagen: Das geht nicht. Null-Runde halten wir auch nicht für angemessen, dann müssen wir eben eine Zeitlang an die Substanz. Also, wofür wir werben ist, unserer Industrie gerecht zu werden durch eine Lohn- und Einkommenspolitik, die unserer von den Auslandsmärkten voll abhängigen Branche die Chance gibt, ihren Standard zu halten. Dafür werben wir, und das ist das stärkste Argument. Alles andere ist modischer Kleinkram.