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Kannegiesser hält Ausbildungsabgabe für falsches Instrument

Zagatta: Von einem heißen Herbst war gestern Abend nicht mehr die Rede, nachdem sich die Spitzen der deutschen Gewerkschaften mit Bundeskanzler Schröder getroffen haben. In einem Punkt hat Gerhard Schröder aber dem Drängen des DGB doch nachgegeben: Wenn zum Ende des Jahres immer noch Lehrstellen fehlen, so der Kanzler, dann werde er gesetzgeberisch handeln, sprich also eine Lehrstellen-, eine Ausbildungsabgabe auf den Weg bringen.

    Wir haben ja deutlich gemacht, dass wir uns wünschen, dass die Versorgung der jungen Leute, die doch für jeden vernünftigen Menschen im Vordergrund stehen muss, gewährleistet werden muss, und zwar in diesem Ausbildungsjahr. Sie wissen, dass der Stichtag der 30.9. ist. Ich habe darauf hingewiesen, dass das Ausbildungsgeschehen wirklich eingeschätzt werden kann erst gegen Ende des Jahres, weil es auch nach dem 30.9. natürlich weiter läuft. Ich bin nicht dazu da, Ultimaten zu setzen, aber die andere Seite muss wissen, die Agenda 2010 gilt in allen ihren Punkten und nicht nur in denen, die man sich aussucht, also auch dann in dem, wo es heißt, dass wir gesetzgeberisch zu handeln haben, wenn, was ich hoffe, das Ergebnis, dass wir eine Versorgung garantieren können, nicht eintritt.

    Die andere Seite, das ist die Arbeitgeberseite, und Martin Kannegiesser, der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall ist jetzt am Telefon. Herr Kannegiesser, die Unternehmen sind ja gegen eine solche Ausbildungsabgabe, aber angesichts von Zehntausenden Jugendlichen, die keine Lehrstelle finden, können Sie dem Kanzler da überhaupt noch verübeln, dass er den Arbeitgebern jetzt dieses Ultimatum gesetzt hat?

    Kannegiesser: Eine Ausbildungsabgabe löst das Problem nicht. Sie würde nach unserer Meinung das Gegenteil bewirken. Deshalb sehen wir auch diese Drohung als solche, und sie bringt uns eigentlich nicht weiter. Im Gegenteil: Dass nun ständig von dieser Ausbildungsabgabe gesprochen wird, hält eher die Betriebe in der Warteschleife, die vielleicht sonst noch dazu in der Lage wären, solche Plätze zu schaffen. Unsicherheiten aufzubauen, ist immer verkehrt. Man sollte Maßnahmen, die man für richtig hält, entweder tun, oder man sollte sie lassen, aber nicht ständig hier ein Damokles-Schwert über der Wirtschaft lassen. Wir alle haben überhaupt keine unterschiedliche Auffassung, was die Bedeutung der Ausbildung anbelangt. In meiner eigenen Industrie, der Metallelektroindustrie, wird es auch einigermaßen glimpflich gehen. Wir haben nur noch ein Problem in den sogenannten IT-Berufen, eine Branche, die besonders gerupft worden ist in den letzten Jahren. In unserer Branche haben wir jetzt etwa 67.000 Ausbildungsverträge abgeschlossen, dann fehlen uns noch 5.000 für den Spitzenwert, den wir überhaupt je erreicht hatten im Jahre 2001. Man muss sehen, dass natürlich auch das Ausbildungsverhalten der Betriebe die wirtschaftliche Situation, die Einschätzung der wirtschaftlichen Situation wiederspiegelt. Beispielsweise in der Bauwirtschaft werden Ausbildungsabgaben, -umlagen erhoben, und trotzdem ist die Zahl der Auszubildenden zwischen 1995 und 2001 proportional zum Beschäftigungsrückgang gesunken.

    Zagatta: Aber wenn man davon ausgeht, dass mehr als 100.000 Jugendliche noch immer keine Lehrstelle haben, dann ist doch die Situation dramatisch.

    Kannegiesser: Sie ist äußerst schwierig. Ob man da schon das Wort dramatisch verwenden kann, lasse ich mal dahingestellt. Es hat sich bisher immer gezeigt, dass am Ende eine Menge noch Doppelbesetzungen da waren, dass am Ende zugelegt wurde. Die großen Teile der Wirtschaft in regionalen Teilen haben inzwischen Ausbildungsverbünde geschaffen. Jeder weiß, wie wichtig es ist. Wir kennen auch die demografische Problematik. Man kann hier wirklich nur mit den vorhandenen Möglichkeiten der Wirtschaft, die sie jetzt hat, der Bedeutung, die sie hat, das Problem lösen. Jetzt mit einer Ausbildungsabgabe zu kommen, das ist einfach nicht das Instrument. Das ist nicht die Lösung.

    Zagatta: Aber kann man das nicht positiv sehen? Diejenigen Betriebe, die ausbilden, werden belohnt. Warum soll man einen solchen Anreiz nicht schaffen?

    Kannegiesser: Weil Betriebe auch einmal in ganz unterschiedlichen Situationen sein können. Das würde ein bürokratisches Ungeheuer werden. Betriebe, die sehr viele Jahre sehr gut ausgebildet haben, können einmal in eine Situation kommen, wo sie aus sachlichen Gegebenheiten nicht so viele Auszubildende aufnehmen können. Das kann dann in ein, zwei Jahren wieder besser sein. Das Ganze lebt ja, das ist ja kein fester Zustand. Ich finde, wir müssen in der nächsten Zeit uns noch intensiver darüber unterhalten, wo liegt eigentlich der Qualifizierungsbedarf in den nächsten Jahren. Wir haben noch wenige Jahre ein quantitatives Problem. Dann schlägt das ja genau ins Gegenteil um - das wissen wir. Deshalb müssen wir jetzt unbedingt versuchen, mit diesem Berg fertig zu werden, trotzdem uns einige der qualitativen Elemente mal genau ansehen, nämlich wie ist der Bedarf an Facharbeitern und Fachkräften und in welchen Bereichen wird er hauptsächlich beispielsweise entstehen. Wir brauchen mehr Qualifizierte, aber sie werden möglicherweise anders verteilt sein in den nächsten Jahren als wir das gewohnt sind.

    Zagatta: Dieses Thema Ausbildungsabgabe, das ist ja die einzige Kröte, die Sie schlucken mussten nach diesem Gespräch gestern beim Kanzler der Gewerkschaften, also es ist das Einzige, was de Kanzler an das Arbeitgeberlager herangetragen hat. Ansonsten ist er den Forderungen der Gewerkschaften nicht nachgekommen. Es bleibt bei den Plänen, die Arbeitszeit zu verlängern, die Hilfe für Arbeitslose einzuschränken. Wissen Sie das zu würdigen, dass die SPD da eine ziemlich arbeitgeberfreundliche Politik betreibt?

    Kannegiesser: Man kann hier, glaube ich, nicht von Arbeitgeberfreundlichkeit reden, sondern es ist einfach sinnvoll, an einer Linie, die sich aus einem monatelangen Diskussionsprozess ergeben hat, nach einer langen Phase erheblicher Verunsicherung, die zum Teil die konjunkturellen Probleme verschuldet hat, nun auch mal Maßnahmen, die man für richtig hält, auch durchzuhalten und nicht ständig wieder zu modifizieren, denn nichts ist psychologisch ein größeres Gift für eine Wirtschaft, die Entscheidungen treffen muss - Investitionsentscheidungen, Produktentwicklungsentscheidungen, Personalentscheidungen -, als Verunsicherung, Zick-Zack-Kurs, ständiges Abweichen von Dingen und als diese Art Springprozessionen, wie wir sie ja nun leider in den letzten Jahren immer wieder erleben mussten. Deshalb glaube ich, dass es, wenn es wirklich darum geht, nun konjunkturell aus dem Tal herauszukommen, Wirtschaftsdynamik zu entfalten, sehr stark darauf ankommt, einen verlässlichen und festen Kurs zu fahren, wo man sich auf das, was beschlossen worden ist, was in die Welt gesetzt worden ist, auch einigermaßen verlassen kann.

    Zagatta: In diesem Zusammenhang, dass die Gewerkschaften wieder mit der Regierung reden, also das Gespräch auch nicht mehr verweigern, dass jetzt auch nicht mehr die Rede ist von einem Heißen Herbst, zahlt der DGB da jetzt den Preis für den fehlgeschlagenen Metallerstreik oder auf was führen Sie das zurück?

    Kannegiesser: Ich glaube, die Macht des Faktischen ist einfach größer. Sicherlich hat auch der fehlgeschlagene Streik - er betrifft ja im Wesentlichen die Metall- und Elektroindustrie - den einen oder anderen veranlasst, über seine grundsätzliche Position und die Proportionen nachzudenken, die er in der Gesellschaft wahrzunehmen hat, und die Verantwortung, die er wahrzunehmen hat. Aber ich glaube, die Tatsache, dass wir nach wie vor ein gewaltiges Problem mit der Dynamik unserer Wirtschaft haben - sie ist in der wirtschaftlichen Entwicklung nach wie vor Schlusslicht, wir haben in den nächsten Jahren, wie festgestellt wurde, ein äußerst niedriges, homöopathisches, kann man fast sagen, Wachstum von nur 1,5 Prozent, das liegt am unteren Rand -, reicht kaum aus, die Arbeitslosigkeit auch nur nennenswert abzubauen, die öffentlichen Finanzen, überhaupt unsere Finanzen, unsere Möglichkeiten, unsere Sozialsysteme überhaupt noch zu tragen, schränken sich immer mehr ein.

    Zagatta: Darf ich da man einhaken? Mit welchen Gefühlen sehen Sie es denn da, wenn Hans Eichel heute einen Haushalt einbringt, den ja auch eigentlich niemand mehr für bare Münze nimmt, also wenn er die Verschuldung schon wieder schön rechnet? Ist der Finanzminister, ist die Bundesregierung, was den Finanzminister da angeht, schon eine Belastung für die deutsche Wirtschaft, oder gehört das noch zum Tolerierbaren für Sie?

    Kannegiesser: Natürlich sind auch da die Springprozessionen, die ständigen Veränderungen, das alles gehört zu einem Bereich erheblicher Verunsicherung. Man weiß nicht mehr, woran man sich halten soll und muss nun trennen zwischen dem, was konjunkturell bedingt ist - noch nie waren Prognosen so unzuverlässig und wenig tragfähig wie in der letzten Zeit. Also das ist in einer solchen Phase, wo also kaum noch eine Hand breit Wasser unter dem Boot ist, ungeheuer schwierig. Praktisch manövriert man ja dicht an der Manövrierunfähigkeit dieses Haushaltes. Man würde sich wünschen, dass in einer solchen Phase klare Schnitte getroffen werden, um eben das Schiff einigermaßen sicher durch diesen engen Kanal zu bringen, anstatt Angst zu haben, dass also ständig die Gefahr besteht, dass es auf Grund geht, dass es aufsetzt. Ein Unternehmen könnte man natürlich gar nicht so führen. Ob man einen öffentlichen Haushalt so führen kann, ist auch mit einem großen Fragezeichen zu versehen. Ein Unternehmen, was also so geführt würde, so knapp laufen würde, dass es ständig der Gefahr des Strandens unterliegt, wäre schon gestrandet. Das ginge überhaupt nicht in einem Unternehmen. Deshalb muss man schon sagen, so wie wir in den letzten Jahren Finanzpolitik erlebt haben, Ankündigungen steuerpolitischer Maßnahmen, Rücknahmen, Wiederankündigungen, das ist schon eine zusätzliche erhebliche Belastung gewesen, ganz abgesehen von der Größenordnung der Belastung unserer Wirtschaft.

    Zagatta: Das war Martin Kannegiesser der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio