Liminski: Herr Kannegiesser, hat Ihnen die Liebeserklärung des Präsidenten gefallen oder würden Sie mit Heinemann, einem seiner Vorgänger eher sagen, lieben tu ich nur meine Frau?
Kannegiesser: Nein, ich glaube schon, dass es in unserer Zeit wichtig ist, dass deutlich wird, in welcher Beziehung, auch emotionellen Beziehung man zu seinem Land und zu seinen Wurzeln steht. Und gerade dass dieser angehende Bundespräsident das sagt, der für Weltoffenheit, nicht nur intellektuell bekannt ist, sondern sie gelebt hat, das macht diese Aussage besonders glaubwürdig, denn das eine schließt das andere nicht aus.
Liminski: Wie weit trägt denn diese Rangordnung der Liebe einen Unternehmer? Bis an die Grenze Deutschlands? Es ist ja klar, dass die Vaterlandsliebe nicht in die Pleite führen soll. Aber wo beginnt die Abwägung, wo hört sie auf?
Kannegiesser: Zunächst mal hat jeder Unternehmer die Aufgabe, für den Fortbestand seines Unternehmens, für die Kontinuität seines Unternehmens, für die Stabilität zu sorgen. Und das heißt, dass ein Unternehmen sich mit seinen Sortimenten, mit seinen Produkten und Leistungen auf seinen Märkten behaupten muss. Das ist die unternehmerische Pflicht, die professionelle Pflicht, die jeder Unternehmer hat. Wenn dazu eben auch gehört, Standorte abzuwägen, neue Standorte auszuwägen, dann ist das eine sehr rationale Entscheidung, dann ist das ein sehr rationeller Prozess. Nur, auch solche rationellen Prozesse haben natürlich auch immer ein Bauchgefühl, sind immer auch von Emotionen begleitet und natürlich ist es so, wenn erkennbar ist, dass die Wurzeln, von denen man ausgeht und auch die Mitarbeiter, mit denen man sich verbunden fühlt, dann gehört dazu, auch abzuwägen, denen kein Schaden zuzufügen. Das ist ein Spagat, auf der einen Seite, wer zu stark solchen Emotionen nachgibt, könnte das Unternehmen in seinem Fortbestand gefährden, wer es völlig außer acht lässt, muss sich auch nicht wundern, dass auch keine Motivation für die Weiterführung der starken Basis, die die meisten Unternehmen ja in Deutschland haben, dass er dort keine Motivation auch bei seinen Mitarbeitern produzieren kann. Also beides schließt sich auch nicht aus.
Liminski: Was kann denn ein Unternehmer nun bewegen, in Deutschland zu bleiben? Soll er überhaupt emotionale Argumente in die ökonomische Betrachtung einbeziehen? Das ist ja auch eine Frage des Standorts Deutschland und in dieser Standortfrage fließen doch ökonomische und emotionale Elemente zusammen.
Kannegiesser: Ja, selbstverständlich und es geht ja für die meisten nicht darum, die Koffer zu packen und zu verschwinden und wie eine Würstchenbude auf die andere Straßenseite zu ziehen, weil da mehr Passanten vorbeikommen. Es ist doch immer eine Frage, wie man sich in dem neuformierenden Wirtschaftsraum und ich meine hier nicht nur die EU-Osterweiterung, sondern die Position Deutschlands auf den Weltmärkten ist eine andere geworden und ist dabei, sich immer weiter zu verändern und dabei müssen gerade deutsche Unternehmen, die ja von ihrem engen Heimatmarkt gar nicht leben können und das ist beispielsweise in der Metall-Elektro-Industrie ganz ausgeprägt der Fall, die müssen sich weltweit aufstellen und die müssen heute einmal wegen der Präsenz in der ganzen Welt da sein. Aber sehr stark, auch in zunehmendem Maße und das macht unser Problem ja heute aus, spielen heute auch Kostengesichtspunkte eine Rolle und dies als Profitgier zu verdammen, würde das Problem verkleistern. Heute, es haben sich in den letzten zehn, zwanzig Jahren hunderte Millionen Produzenten weltweit eingeklinkt, unsere Vorsprünge bei Produkten sind kleiner geworden und wenn die Produkte und Leistungen immer vergleichbarer, austauschbarer werden, dann ist der Preis und sind damit die Kosten ein immer wichtigeres Element. Auch vor diesem Hintergrund müssen wir uns fragen, wie können wir hier in Deutschland unsere Vorsprünge halten. Die wichtigste Aufgabe, die die Unternehmen haben, die aber auch Arbeitnehmer und alle Kräfte in der Gesellschaft haben, ist, wie können wir Vorsprünge durch Leistung erhalten?
Liminski: Wie kann man das denn machen, ich will Ihre Frage direkt einmal aufgreifen?
Kannegiesser: Zunächst mal muss dazu jedes Unternehmen seine eigene Strategie entwickeln, also: Wir müssen uns als Unternehmen fragen, wie entwickeln sich unsere Märkte, wie entwickeln sich unsere Kunden, wie entwickeln sich unsere Wettbewerber, wo stehen wir in diesem Koordinatensystem? Und dann sagen, wie begegne ich dem jetzt? Muss ich meine Sortimente verändern? Wie kann ich meine Kostensituation deutlich in einem solchen Umfeld verbessern? Da ist noch eine Menge Spielraum für viele, technisch und betriebswirtschaftlich, vorhanden und die Netzwerke in Deutschland sind immer noch stark. Kein anderes größeres Industrieland hat ein so breites Netzwerk an verschiedensten Anbietern in verschiedensten Segmenten, keiner hat ein so breites Sortiment, was auch etwas mit der breiten mittelständischen Struktur unserer Wirtschaft zusammenhängt.
Liminski: Das wäre Ihrer Meinung nach ein Standortvorteil?
Kannegiesser: Das ist ohne Frage ein Standortvorteil und es ist ja auch so, dass die Unternehmen, viele Unternehmen gar nicht die kritische Masse haben, um so ohne weiteres mal zu verlagern. Das braucht auch eine bestimmte Mindestgrößenordnung. Die volle Verlagerung ist sowieso nicht das Thema, es geht darum, sich die eigenen Produkte und die Wertschöpfung anzusehen und zu sagen, bei welchen Teilen ist es besser, dass ich die woanders erbringe. Das Problem ist, dass Wachstum, auch wenn einer die kritische Masse hat, dass das Wachstum woanders stattfindet und nicht mehr bei uns, die Dynamik rausgeht. Also, jedes Unternehmen muss seine eigene Strategie entwickeln, innerhalb dieser Strategie können auch Tarifparteien eine wichtige Rolle spielen, es ist unbestritten, dass wir im internationalen Wettbewerb ein Kostenproblem haben, das kann man auch nicht zukleistern mit dem ständigen Spruch vom Exportweltmeister, denn dieser Exportweltmeister, das ist ja nicht unbedingt nur Zeichen von Stärke, das ist in erster Linie ein Zeichen für die Struktur unserer Wirtschaft. Wir können eben nur leben, wenn wir den Weltmarkt haben, vom deutschen Markt kann beispielsweise die Metallindustrie, die gäbe es nicht mehr, wenn sie nur auf den Inlandsmarkt angewiesen wäre. Das würde uns auch Innovationen und Entwicklungen gar nicht erlauben, weil dieser Markt viel zu eng und viel zu klein ist. Also, mit anderen Worten: Die Exportstärke ist ein Strukturmerkmal, das kann eine Stärke sein und wenn das heute in der Presse teilweise hieß, das wäre eine strukturelle Schwäche die Exportabhängigkeit, dann ist das meiner Ansicht nach völlig falsch, es ist eine potentielle Stärke, aber diese Stärke bröckelt und wir müssen sie bewusst pflegen, das heißt wir müssen weltoffen sein, wir in unserem Innovationstempo stärker werden. Und hier kommen die Tarifparteien, die haben auch einen Beitrag zu leisten, nämlich wir müssen einfach für das selbe Geld in einigen Bereichen, ohne Kosten zu erhöhen mehr leisten, sonst werden wir unsere Vorsprünge nicht halten.
Liminski: Darf ich dieses Wort der Tarifparteien einmal aufgreifen? Die Rahmenbedingungen müssen stimmen, sagen Sie, mit anderen Worten die Tarife. Der Unterschied ist aber, dass die Arbeitnehmer eben keine Alternative haben, die Arbeitgeber eben oft doch die Alternative Ausland, Stichwort Siemens. Wo ist denn die patriotische Kompromisslinie?
Kannegiesser: Ob man das als patriotische Kompromisslinie bezeichnen wolle…, es ist eine Linie, die gemeinsam von beiden gefunden sein muss und ich würde hier sagen, das muss fair und angemessen sein. Dazu gehört für mich, dass erstens gemeinsam mit Belegschaften eine hohe und in hoher Transparenz, Situation, Analysen und Perspektiven dargestellt werden müssen und wenn diese erfordern, dass für einen Zeitraum X oder auch für längere Zeit man feststellt, es geht nicht beispielsweise ohne auch ein Stück mehr Leistung einzubringen, das ist das, was man erwarten kann von jedem einzelnen Arbeitnehmer. Vom Arbeitgeber, von Investoren muss man erwarten, dass sie im Gegenstück dazu auch die Standorte hier pflegen und die Kapitalmittel zu Verfügung stellen, die Kapitalmärkte davon überzeugen, dass es sich lohnt, hier Mittel zur Verfügung zu stellen. Beide müssen hier aufeinander zugehen und dabei dürfen wir Unternehmer nicht übersehen, dass der Aufbau von Auslandsstandorten und Strukturen auch mit hohen Investitionen und oft nicht ohne Risiken stattfindet.
Liminski: Wie stehen Sie denn zu der Siemensdrohung, ins Ausland zu gehen, wenn die Tarife nicht flexibler gestaltet werden? Das ist ja nun doch sozusagen weniger Konsens sondern tatsächlich fast schon ein Machtkampf.
Kannegiesser: Ich halte es für falsch, wenn dies jetzt interpretiert wird und sozusagen als machtpolitisches Schlagzeug benutzt wird, denn Siemens ist, nicht in allen Unternehmensbereichen, aber in vielen Unternehmensbereichen und bei einzelnen Sortimenten genauso unter dem Druck wie andere Unternehmen auch. Unter dem Druck des Wettbewerbs und dem Zwang, auch Perspektiven zu sehen, wo stehen wir bei dem Tempo, was wir bei der Entwicklung von ausländischen, nicht deutschen Wettbewerbern sehen und wenn Siemens sagt, in dem und dem Bereich haben wir Probleme und offen legt mit Konzepten, was man tun muss, um hier Standorte zu erhalten, dann muss man das ernst nehmen und dann müssen wir einfach erwarten, dass auch ein Unternehmen wie Siemens hier fair behandelt wird.
Liminski: Wie patriotisch soll ein Unternehmer sein? Das war Martin Kannegiesser, Präsident von Gesamtmetall und selber Unternehmer eines global agierenden Unternehmens. Besten Dank für das Gespräch, Herr Kannegiesser.
Kannegiesser: Bitte schön.