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Kannegiesser warnt vor Arbeitsplatzverlusten in der Autoindustrie

Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser hat vor den Folgen eines Auslaufens der Kurzarbeit gewarnt. Man habe zwar über den Tarifvertrag die Möglichkeit, die Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden zu reduzieren, das sei aber nicht ausreichend.

Martin Kannegießer im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Seit zwei Tagen können sich Pressevertreter schon ein Bild von der Internationalen Automobilausstellung machen, aber erst heute wird die Messe in Frankfurt offiziell von Bundeskanzlerin Merkel eröffnet. Die Automobilindustrie präsentiert sich also mitten in der Wirtschaftskrise mit Ideen und Projekten. Doch wo steht die Branche in Deutschland im Moment, angesichts zweistelliger Umsatzeinbrüche? Welche Aussichten bestehen für die Mitarbeiter in den Autokonzernen und deren Zulieferfirmen? Die meisten dieser Firmen sind in Tariffragen im Arbeitgeberverband Gesamtmetall organisiert. Der Verband vertritt die gesamte Metall- und Elektroindustrie. Präsident ist Martin Kannegiesser, er ist uns nun zugeschaltet. Guten Morgen, Herr Kannegiesser.

    Martin Kannegiesser: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Die Autokonzerne auf der IAA beschwören ja mit Elektroautos und neuen Modellen die Zukunft, aber wie sieht denn die Gegenwart für die Autokonzerne samt Zulieferern und deren Personalbestand aus?

    Kannegiesser: Die Automobilindustrie ist in dieser Krise als Erste ganz tief abgestürzt, und zwar schon seit letztem Jahr. Wir haben gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 30 Prozent verloren an Auftragseingängen und an Produktion, ein noch nie da gewesener Absturz, der im Nutzfahrzeugbereich noch tiefer war und sich natürlich voll übertragen hat auf die Automobilzulieferer, wo wir ja entsprechend auch schon eine ziemliche Zahl von Insolvenzen hatten. Also die Situation ist außerordentlich schwierig. Es sind erste Silberstreifen am Horizont in den letzten Wochen zu erkennen. Es sieht so aus, dass der Absturz beendet sein dürfte, aber wir sitzen auf einem sehr tiefen Niveau jetzt, sind sozusagen unten in einem Tal angekommen, aber können zumindest jetzt hoffen und haben Anzeichen dafür, dass es zumindest nicht noch weiter heruntergeht.

    Engels: Massenentlassungen wurden bislang meistens vermieden. Das Mittel war die Kurzarbeit, wo ja der Staat einen Teil des Gehalts zahlt. Wie lang lässt sich denn der Personalbestand in der Autobranche wie in der gesamten Metall- und Elektroindustrie noch halten, wenn die Krise nicht endet?

    Kannegiesser: Das wird außerordentlich schwierig. Die Kurzarbeit wurde deshalb als ein Instrument auch ja verlängert auf insgesamt 24 Monate jetzt und einzelne Firmen kommen spätestens zum Jahreswechsel an diese Grenzen, nämlich überall dort, wo die Krise schon im vergangenen Jahr begonnen hat, und werden dann nicht mehr auf dieses Instrument zurückgreifen können, zumal es trotz der Entlastungen, die es durch die Bundesagentur gegeben hat, noch ein teures Instrument, relativ teures Instrument ist. Es ist das Bemühen aller Betriebe, die Beschäftigten zu halten. Das ist bisher auch zu einem großen Prozentsatz gelungen. Noch nie in dieser Form hat unsere Industrie und auch die Autoindustrie bei einem solchen Rückgang der Beschäftigung und bei einer solchen geringen Auslastung eine so hohe Zahl von Mitarbeitern durchgehalten.

    Engels: Sie haben es angesprochen: Ende des Jahres könnten die ersten Regelungen, was Kurzarbeitergeld angeht, auslaufen. Welche Regelungen bieten sich denn darüber hinaus an, um in Zeiten des Fachkräftemangels auch weitere Durststrecken ohne Massenentlassungen zu überbrücken?

    Kannegiesser: Wir haben tariflich die Möglichkeit, den Tarifvertrag Beschäftigungssicherung anzuwenden, der es ermöglicht, auf 30 Wochenstunden runterzugehen. Das ist natürlich nicht ausreichend, denn die Kurzarbeit sind im Durchschnitt 30 Prozent, die zurückgefahren werden. Wir können also über dieses Instrument nur etwa 15 Prozent zurückfahren. Es wird also nur in Teilbereichen dieses Instrument möglich sein.

    Engels: Wagen Sie denn eine Schätzung, wie viele Menschen in Ihrer Branche, der Gesamtmetall- und Elektroindustrie noch entlassen werden?

    Kannegiesser: Das ist nicht nur schwer zu prognostizieren; wir wollen auch durch solche Spekulationen natürlich nicht noch zusätzlich Unsicherheit erzeugen. Zurzeit verliert unsere Industrie insgesamt in jedem Monat zwischen 20.000 und 30.000 Arbeitsplätze und wir denken, dass dies in den nächsten Monaten sich auch so fortsetzen wird. Wir glauben allerdings nicht, dass es zu den großen Wellen von Massenentlassungen kommen wird, die noch vor einigen Wochen vorhergesagt worden waren. Aber einen Abbau von Beschäftigung in dem geschilderten Umfang wird es nach unserer Einschätzung schon weiter geben.

    Engels: Wenn die Konjunktur wieder anziehen sollte, dann brauchen die Firmen auch wieder Kredite. Das ist bekanntlich im Moment schwierig auch von Banken zu bekommen. Dazu hat die IG Metall nun einen neuen Vorschlag vorgelegt. Es geht um Mitarbeiterbeteiligungen nach dem Motto, Arbeitnehmer sind gute Aktionäre, um dem Konzern langfristig neues Kapital zu geben. Das ist ja ein alter Hut eigentlich. Aber jetzt ist daran gedacht, in Form von Beteiligungsgesellschaften da auch tatsächlich Mitsprache zu haben und das Kapital fest im Unternehmen zu binden. Ist das eine Antwort?

    Kannegiesser: Solche Antworten mögen in einzelnen Fällen auch greifen, sie sind keine generelle Lösung. Es hat Mitarbeiterbeteiligungen ja schon seit Jahrzehnten gegeben. Sie wird von einigen Tausend Unternehmen in Deutschland auch seit vielen Jahren angewandt, aber hat sich nicht durchgesetzt, weil eben die grundsätzlichen, teilweise theoretischen Vorteile vorhanden sind, ohne Frage, und wenn beide Seiten, die Eigentümer und die Belegschaften, zu solchen Instrumenten greifen wollen, sind sie dazu frei, das ist sogar noch steuerlich begünstigt worden, aber es wird keinesfalls das Instrument sein, was uns generell hilft und auch nicht in einer solchen Krise. Wir hatten bisher tarifliche Möglichkeiten, für so etwas spezielle, auf die jeweilige Firma zugeschnittene Tarife zu machen, und die Sicherheit, die gegeben wurde, wenn es denn Verzichte gab, war die Sicherung des Arbeitsplatzes, für die dann das Unternehmen beziehungsweise die Eigentümer hafteten. Das, glaube ich, wird immer noch der typische Weg sein und nicht die Mitarbeiterbeteiligung, die andere grundsätzliche Probleme aufwirft, sich für viele mittlere und kleinere Betriebe auch nur sehr schlecht eignet.

    Engels: Das heißt, das Beispiel Opel, wo ja künftig die Belegschaft zehn Prozent der Anteile in Form einer festen Beteiligungsgesellschaft halten soll, finden Sie nicht gut?

    Kannegiesser: Das ist zumindest nicht übertragbar, und ob das für Opel selbst gut ist, das werden die Erfahrungen der nächsten Jahre zeigen. Opel ist ja nun tatsächlich nicht typisch für die deutsche Metall- und Elektroindustrie, überhaupt nicht für die deutsche Industrie, ein ausgesprochener Sonderfall, und ob sich das dort bewährt, wie gesagt, wird man sehen. Die Argumentation, Arbeitnehmer sind die besseren Eigentümer und dementsprechend auch Gewerkschaftsfunktionäre die besseren Manager, führt uns in eine Debatte hinein, die kann am Schluss nur zu mageren Ergebnissen führen beziehungsweise das Gegenteil erreichen.

    Engels: Martin Kannegiesser, der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Ich bedanke mich für das Gespräch.