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Volksaufstand in der DDR
Kanzler würdigt "Kämpfer für Freiheit und Demokratie"

Bundeskanzler Scholz hat die Opfer des Volksaufstandes des 17. Juni 1953 in der DDR als Kämpfer für Freiheit und Demokratie gewürdigt. Der Volksaufstand vor 70 Jahren sei eines der wichtigsten Ereignisse der Freiheitsgeschichte Deutschlands, sagte Scholz bei einer Gedenkstunde der Bundesregierung auf dem Berliner Friedhof Seestraße.

    Von links nach rechts: Der Präsident des Bundesrates, Peter Tschentscher, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, legen bei der zentralen Gedenkfeier für die Opfer des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 auf dem Friedhof Seestraße Kränze nieder.
    Die gesamte deutsche Staats-Spitze nahm am zentralen Gedenken an den Volksaufstand in der DDR 1953 teil. (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    Mit Blick auf die mindestens 55 Toten und zahlreichen Verhafteten sagte Scholz, die Opfer seien nicht vergeblich gewesen. Es führe eine direkte Linie vom 17. Juni 1953 zum Herbst 1989 mit der friedlichen Revolution und dem Fall der Berliner Mauer.
    An der Gedenkstunde mit Kranzniederlegungen nahmen neben Zeitzeugen, Opfern und Hinterbliebenen des Volksaufstandes unter anderem Bundespräsident Steinmeier, Bundestagspräsidentin Bas, Bundesratspräsident Tschentscher und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Harbarth, teil.

    Ostbeauftragter: "Eines der wichtigsten Ereignisse unserer Demokratiegeschichte"

    Auch an anderen Orten gibt es feierliche Gedenkstunden. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Wegner, legte einen Kranz am Platz des Volksaufstandes von 1953 nieder. Dort befindet sich vor dem heutigen Bundesfinanzministerium ein Bodendenkmal.
    In Sachsen-Anhalt hielten Landesregierung und die Landeshauptstadt Magdeburg zusammen eine Gedenkstunde ab. Landtagspräsident Schellenberger sagte, der 17. Juni gehöre zweifellos zu den Schlüsseldaten der jüngeren deutschen Geschichte, auch wenn er in der gesamtdeutschen und europäischen Bedeutung noch immer nicht angemessen wahrgenommen werde.
    Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Schneider, bezeichnete das Datum auf Twitter als eines der wichtigsten Ereignisse unserer Demokratiegeschichte. Der SPD-Politiker betonte auch: "Demokratie und Freiheit sind nicht selbstverständlich und müssen auch vor Ort bei uns und überall in Europa immer wieder aufs Neue verteidigt werden." Der 17. Juni solle deshalb künftig ein Tag der Freiheit und Demokratie in ganz Europa sein.
    Brandenburgs Ministerpräsident Woidke nannte den Aufstand bei einer Veranstaltung am Stahlwerk in Hennigsdorf ein "Symbol für den Willen der Menschen nach Freiheit" und appellierte an alle, wachsam zu sein, wenn Demokratie unter Druck gerade.

    Auswirkungen auf Demokratie

    Der Soziologe René Sternberg vom Netzwerk Dritte Generation Ost sagte im Deutschlandfunk, er begrüße, dass in vielen Gedenkveranstaltungen zum 17. Juni der Freiheitswille der damaligen Demonstranten betont werde. Zugleich sollten die Errungenschaften der Demokratie herausgestellt werden, zu denen die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung gehöre.
    Wenn heute viele Bundesbürger an der Staatsform Demokratie zweifelten, liege das auch daran, dass es in Ostdeutschland lange keine Demokratieerfahrung gegeben habe, so Sternberg. Die deutsche Gesellschaft habe die Aufgabe, die Frustrationen der Bürger wahrzunehmen und das Gefühl echter Teilhabe zu vermitteln. Wenn das geschehe, würden antidemokratische Haltungen wieder abnehmen.

    Mehr Gedenken an Schulen nötig

    Sternberg forderte auch, das Gedenken an den Volksaufstand in der DDR solle verstärkt in Schulen oder öffentlichen Diskursen wachgehalten werden.
    Ähnlich hatte sich Altbundespräsident Gauck geäußert. Er sagte - ebenfalls im Deutschlandfunk - er wünsche sich, dass sich der Tag fest in das kollektive Gedächtnis der deutschen Nation einprägen möge. Zwar sei den meisten Deutschen derzeit Sicherheit wichtiger als Freiheit. In der jetzigen Zeit aber, in der Freiheit bedroht werde durch Krieg und autoritäre Regime, benötigten die Bundesbürger ein neues Bewusstsein, dass sie freiheitswillig und auch freiheitsfähig seien.
    Das Interview mit Joachim Gauck können Sie hier nachlesen.

    Mindestens 55 Tote

    Vor 70 Jahren hatten zunächst in Ost-Berlin Bauarbeiter gestreikt. Am 17. Juni 1953 erfasste die gesamte damalige DDR ein Aufstand, sowohl gegen hohe Arbeitsnormen als auch gegen die SED-Führung. Insgesamt gingen rund eine Million Menschen auf die Straße. Sie verlangten unter anderem freie Wahlen und ein Ende der Teilung Deutschlands. Die Sowjetische Besatzungsmacht schlug die Proteste gemeinsam mit den DDR-Behörden nieder. Mindestens 55 Menschen wurden getötet, Tausende wurden verhaftet.
    In der DDR-Presse war von faschistischen Provokateuren die Rede. In der Erfurter Gedenk- und Bildungsstätte Andreastraße ist derzeit zu sehen, wie Medien in Ost und West über den Volkaufstand berichteten.
    Hören Sie hier, wie ein Schuljunge den DDR-Volksaufstand erlebte.
    Diese Nachricht wurde am 17.06.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.