Dienstag, 16. April 2024

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Kanzleramt gegen Außenministerium

Horst Teltschik hält den Koalitionsstreit um die Unionsforderung nach Aufbau eines nationalen Sicherheitsrates für einen "Sturm im Wasserglas". Bereits heute gebe es den ressortübergreifenden Bundessicherheitsrat, insofern wäre eine Umbenennung "ja letztlich nur eine verbale Geschichte", sagte Teltschik, der Kanzler Helmut Kohl (CDU) in sicherheitspolitischen Fragen beraten hat.

Moderation: Dirk Müller | 06.05.2008
    Dirk Müller: Heftiger Gegenwind kommt auf einmal ganz plötzlich auf die Unionsparteien zu: die Steuervorschläge der CSU, die Rentenpläne der CDU. Hinzu kommt die Forderung, einen nationalen Sicherheitsrat im Kanzleramt zu installieren, also so oder so ähnlich, wie dies in Washington eine lange Tradition hat, viele sagen eine bewährte Tradition. Der nationale Sicherheitsberater des Präsidenten ist häufig der wahre Chefkoordinator der Außenpolitik, nicht etwa der zuständige Minister. Colin Powell beispielsweise wird davon ein Lied singen können. Auf Berlin bezogen heißt: das die Kanzlerin gegen den Außenminister, Angela Merkel gegen Frank-Walter Steinmeier. ( MP3-Audio , Beitrag von Michael Groth)

    Bei uns am Telefon begrüße ich nun Horst Teltschik, früher Kanzlerberater von Helmut Kohl und jetzt Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz. Guten Morgen!

    Horst Teltschik: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Teltschik, reden wir über eine Revolution?

    Teltschik: Nein! Das ist doch ein Sturm im Wasserglas, denn es gibt ja bereits einen Bundessicherheitsrat unter Leitung des Bundeskanzlers, und dort sind alle wichtigen Ressorts vertreten. Man spricht nur nicht über den Bundessicherheitsrat, weil er grundsätzlich geheim tagt. Und selbst die Tatsache, dass er tagt, ist geheim, und das ist ja über Jahrzehnte so auch durchgehalten worden. Dort werden Fragen, die der äußeren Sicherheit, Terrorismuskontrolle, des Rüstungsexportes, diskutiert, und zwar ressortübergreifend. Und ob man ein solches Gremium jetzt umbenennt in einen nationalen Sicherheitsrat, wäre ja letztlich nur eine verbale Geschichte. Neu wäre nur, dass jetzt auch Fragen von inneren Katastrophen hinzugefügt werden sollen.

    Müller: Herr Teltschik, oft wird ja auch darüber diskutiert, inwieweit Politik heutzutage noch Sexappeal hat, wenn wir das so formulieren wollen. Wenn wir jetzt amerikanische Spielfilme anschauen, dann ist das immer recht spannend, wenn dort nationale Sicherheitsberater dabei sind, die den Präsidenten beraten und die anderen austricksen. Brauchen wir das jetzt auch?

    Teltschik: Wissen Sie, die Erfahrung zeigt ja seit der Einführung der modernen Kommunikationsmittel, dass die Regierungschefs im Prinzip die wichtigsten Entscheidungen in Fragen der Außenpolitik treffen und damit die Rolle der Außenminister doch deutlich zurückgeht. Das ist natürlich das Problem der Außenminister weltweit. Der Bundeskanzler in Deutschland beziehungsweise die jetzige Bundeskanzlerin hat wie alle ihre Vorgänger ja eine außen- und sicherheitspolitische Abteilung. Dort sind ja Vertreter des Auswärtigen Amtes tätig und Offiziere der Bundeswehr und Mitarbeiter aus dem Entwicklungshilfeministerium. Das ist ja, wenn Sie so wollen, eine Art kleiner Sicherheitsrat. Als ich die Abteilung geleitet habe, bin ich oft auch von den Medien, vor allem von den Amerikanern, immer als der deutsche Sicherheitsberater, der deutsche nationale Sicherheitsberater, genannt worden.

    Wir haben diese Institution nicht. Wir haben aber diese Abteilung längst im Kanzleramt. Wir haben auch die Abteilung im Kanzleramt für die Sicherheitsdienste. Wir haben auch eine innenpolitische Abteilung, wenn es zu Krisen kommt. Erinnern Sie sich an Bundeskanzler Helmut Schmidt: Als die Entführung von Schleyer stattfand, hat er natürlich ein Krisenzentrum eingerichtet, und das war im Kanzleramt. Das Kanzleramt hat die Schlüsselrolle. Ob man das jetzt stärker formalisiert, neu umbenennt, das ist relativ zweitrangig.

    Müller: Losgelöst von persönlichen Eitelkeiten, Herr Teltschik, ich möchte Ihnen trotzdem die Frage jetzt einfach mal so unter uns beiden quasi stellen: Waren Sie damals als Berater wichtiger als der Außenminister?

    Teltschik: Nein, das natürlich nicht.

    Müller: Waren Sie einflussreicher als der Außenminister?

    Teltschik: Das hängt zum Teil ab, wie eng das Vertrauensverhältnis zum Bundeskanzler ist.

    Müller: Wie war es denn?

    Teltschik: Bitte?

    Müller: Wie war es denn?

    Teltschik: Ich meine, es war ja bekannt. Ich hatte ja als Gegenspieler den bekannten und starken Außenminister Genscher, und dass es hier Rivalitäten gab, lag natürlich in der Natur der Sache, denn der Außenminister gehört in der Regel immer der Koalitionspartei an. Natürlich muss der Koalitionspartner ein eigenes Profil gewinnen, und das steht natürlich in Konkurrenz zum Kanzleramt. Das war auch ein beliebtes Spiel von Journalisten, Herr Müller, immer die Rivalität besonders zu unterstreichen und nach Widersprüchen zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Bundeskanzleramt zu suchen. Das ist amüsant gewesen, aber der Bundeskanzler, der der Chef der großen Partei ist, hat natürlich gelegentlich andere außenpolitische Zielsetzungen als der Außenminister, und die müssen dann harmonisiert werden. Dafür zuständig ist die zuständige Abteilung im Bundeskanzleramt.

    Müller: Sie haben aber jetzt selbst, Herr Teltschik, wenn ich das richtig verstanden habe, von Gegenspieler geredet mit Blick auf Hans-Dietrich Genscher.

    Teltschik: Ja natürlich ist man ein Stück Gegenspieler, weil man dem Bundeskanzler zuarbeitet und nicht dem Außenminister, und der Außenminister muss dem Bundeskanzler zuarbeiten. Die Vorlagen für den Bundeskanzler in wichtigen außenpolitischen Fragen und für die Vorbereitung wichtiger außenpolitischer Erklärungen kommen aus dem Auswärtigen Amt. Aber diese Zuarbeit wird ja nicht von dem jeweiligen Abteilungsleiter Außenpolitik im Kanzleramt einfach nur weitergereicht oder durchgereicht, sondern wird ja dort noch mal, wenn Sie so wollen, überarbeitet, wenn es erforderlich ist, und im Interesse des Bundeskanzlers aufbereitet.

    Müller: Überarbeitet, Herr Teltschik, könnte man auch etwas umgangssprachlicher übersetzen mit austricksen?

    Teltschik: Nein. Das hat mit Austricksen überhaupt nichts zu tun, sondern wir haben uns immer im Kanzleramt verstanden als die Interessenwahrer Deutschlands und des deutschen Volkes. Wir haben nicht für eine Partei gearbeitet, wir haben nicht für eine Person gearbeitet. Uns ging es darum, was ist für Deutschland am besten? Da gab es durchaus gelegentlich Akzentunterschiede zwischen dem Bundeskanzler und dem Außenminister, und das liegt in der Natur der Sache, weil sie unterschiedlichen Parteien angehören.

    Müller: Wenn ich das richtig verstanden habe, dass die Rolle der Außenminister in den vergangenen Jahren, von mir aus auch Jahrzehnten zunehmend abgenommen hat aufgrund einer stärkeren Kompetenz, Gewichtung auch des Kanzleramtes, gerade jetzt bei uns auch auf das deutsche Beispiel übertragen, dann könnte man doch sagen, wir brauchen gar keinen nationalen Sicherheitsrat.

    Teltschik: Doch. Den brauchen wir deshalb, wir brauchen eine Institution, die die unterschiedlichen Ressortverantwortlichkeiten koordiniert. Nehmen Sie ein Thema, das im Augenblick leider nicht so aktuell ist: Abrüstung, Rüstungskontrolle. Das ist ein Thema, das natürlich im Außenministerium behandelt wird, aber auch im Verteidigungsministerium. Der Bundeskanzler muss natürlich in so wichtigen Fragen die Entscheidungen treffen. Das heißt, sie brauchen eine Institution, die diese unterschiedlichen Interessen zusammenführt, koordiniert, harmonisiert und entscheidungsfähig macht. Deshalb: Viele interministerielle Gespräche gibt es im Bundeskanzleramt. Der Bundeskanzler führt ja ständig Ministergespräche durch, wo er die verschiedenen Ressorts zusammenholt - nicht nur im Rahmen des Kabinetts. Der Chef des Bundeskanzleramtes holt die Staatssekretäre zur Staatssekretärsrunde zusammen. Es gibt eine Sicherheitslage, wo die gesamten Sicherheitsdienste mit dem Chef des Bundeskanzleramtes zusammenkommen plus dem außenpolitischen Abteilungsleiter. Der außenpolitische Abteilungsleiter führt auf seiner Ebene Kollegen zusammen, um Politik zu koordinieren. Von daher gibt es schon Koordinierungsbedarf.

    Müller: Vielen Dank! Heute morgen live im Deutschlandfunk Horst Teltschik, früher Kanzlerberater von Helmut Kohl. Auf Wiederhören.

    Teltschik: Auf Wiederhören, Herr Müller.