Donnerstag, 25. April 2024

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Kanzlerin in China
"Angela Merkel hat einen relativ klugen Ton gewählt"

Kanzlerin Angela Merkel habe bei ihrem Besuch in China klar geäußert, dass die Bundesregierung ein massives Interesse an einer friedlichen Lösung der Proteste in Hongkong habe, sagte Jan Weidenfeld vom Mercator Institute for China Studies im Dlf. Denn auch deutsche Unternehmen seien dort betroffen.

Jan Weidenfeld im Gespräch mit Silvia Engels | 06.09.2019
Chinas Premier Li Keqiang (re.) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (li.) schreiten gemeinsam auf dem roten Teppich vor der Großen Halle in Peking.
Kanzlerin Merkels Umgang mit der chinesischen Seite sei deutlich offener als der von vielen anderen europäischen Staats- und Regierungschefs, so Politologe Weidenfeld im Dlf (POOL/Roman PILIPEY)
Silvia Engels: Es ist Bundeskanzlerin Merkels zwölfte Reise als Kanzlerin nach China, möglicherweise ihr schwerster Besuch. So schreiben es einige Kommentatoren. Zugeschaltet aus Berlin ist Jan Weidenfeld. Er arbeitet bei dem von der Mercator-Stiftung finanzierten Institut für China-Studien in Berlin. Seine Expertise liegt besonders bei europäisch-chinesischen Beziehungen. Guten Tag, Herr Weidenfeld!
Jan Weidenfeld: Ich grüße Sie.
Engels: Bislang hatte sich die chinesische Führung ja nie direkt zur Entwicklung in Hongkong geäußert. Wie bewerten Sie, dass sich die Bundeskanzlerin und der chinesische Ministerpräsident Li nun auf dieser Pressekonferenz überhaupt dazu eingelassen haben?
Weidenfeld: Ja, das ist auf jeden Fall in gewisser Weise ein Erfolg. Denn wie Sie richtigerweise gesagt haben: Bis jetzt haben wir ja von höchster Regierungsebene noch nichts zu den Protesten in Hongkong gehört, auch wenn das, was Li letztlich gesagt hat, nicht wahnsinnig überraschend war. Die Sprache ist bekannt.
Aber ich glaube auch, dass Angela Merkel hier einen relativ klugen Ton gewählt hat, denn man läuft da schnell die Gefahr zu überdrehen, und das wird dann wieder von der chinesischen Regierung für ganz eigene Propagandazwecke benutzt. Wir haben das zum Beispiel gesehen: Es gab ja recht harsche Interventionen von US-amerikanischer Seite und da wurde dann sofort suggeriert, dass die Proteste in Hongkong letztlich von Amerika aus gesteuert würden, was natürlich so nicht richtig ist.
Engels: Derzeit bewegt sich ja die Hongkonger Führung ein wenig auf die Forderungen der Demonstranten zu, indem das Gesetz zurückgezogen werden soll. Das ist ja wahrscheinlich auch eng mit Peking abgestimmt. Ist hierhinter eine echte Bewegung auf die Demonstranten zu zu vermuten?
Weidenfeld: Na ja, nicht wirklich. Aber das war ja auch eigentlich gar nicht möglich, denn wir haben hier letztlich ja einen Systemkonflikt. Wir haben Hongkonger Bürger, die für freie Wahlen und Demokratie eintreten, und gleichzeitig natürlich die Eingliederung letztlich Hongkongs in China, wo ein komplett anderes politisches System herrscht. Diese Spannung, diese Grundspannung wird uns über die nächsten Jahre begleiten. Sie wird nicht weggehen.
Was jetzt passiert allerdings – und das ist in gewisser Weise eine positive Entwicklung – ist, dass Peking zumindest signalisiert, wir wollen auf euch zugehen, um irgendwie diese Spannungen erst mal rauszukriegen. Denn natürlich, das Ziel ist das große Jubiläum, Staatsjubiläum am 1. Oktober, dass man bis dahin einigermaßen Ruhe in Hongkong hat. Das hätte man natürlich aber auch auf ganz anderem Wege schon lösen können, nämlich tatsächlich mit dem Einsatz der Militärpolizei, was ja viele befürchtet haben.
Pekings habe kein Interesse an Eskalation in Hongkong
Engels: Ist denn mit diesem Einsatz der Militärpolizei nach dem 1. Oktober, wenn die Feierlichkeiten vorbei sind, zu rechnen?
Weidenfeld: Ich glaube, wir müssen jetzt mal tatsächlich sehen, wie sich die Protestierenden verhalten werden, wie sie auf diese Angebote jetzt mittelfristig eingehen werden. Zunächst einmal sehen wir Ablenkung. Wir sehen auch tatsächlich, dass es schwierig ist für die Protestierenden, jetzt sich überhaupt zu organisieren für einen Dialog, weil ja vieles ganz anders, als das noch 2014 bei den großen Protesten war, sehr dezentral läuft. Man muss jetzt auch mal gucken, wie sich das entwickelt. Ich glaube nach wie vor, dass China, dass Peking absolut kein Interesse daran hat, dass es zu einer solchen Eskalation kommt mit Militärpolizei. Dafür ist der Wirtschaftsstandort Hongkong auch für die chinesische Regierung einfach zu wichtig. Und wenn einmal das Vertrauen in diesen Marktplatz erschüttert ist, dann ist das im Prinzip nicht wiederherzustellen. Und wir sehen ja schon Erosionserscheinungen. Wir sehen viele ausländische Unternehmen, die sagen, wir sind uns nicht mehr sicher, ob wir in Hongkong dieselben Freiheiten genießen werden in Zukunft, die wir derzeit genießen. Das hat schon massive Auswirkungen. Insofern: Eine Eskalation ist überhaupt nicht im Interesse Pekings.
Aber natürlich kann Peking auch nur bis zu einem gewissen Grad zuschauen. Denn man hat ja letztlich immer Angst davor, dass es dann auch Effekte gibt, die sich vielleicht auf andere Teile des Landes ausbreiten könnten, auch wenn das für den Moment nicht besonders wahrscheinlich ist. Aber das Risiko besteht.
Engels: Eigentlich sollen ja bei dem Besuch von Angela Merkel, die mit großer Wirtschaftsdelegation unterwegs ist, Wirtschaftsthemen eine Rolle spielen. Inwieweit wird denn Hongkong das Thema trotzdem sein? Inwieweit kann Merkel hier noch eine größere Rolle spielen als nur diese eine Äußerung, die es jetzt von ihr gibt?
Weidenfeld: Na ja. Die Äußerung ist ja durchaus schon mal relativ prägnant gewesen. Sie hat ganz klar daran erinnert, dass es ein Abkommen mit Großbritannien gibt, wo es die Grundsätze dieses Abkommens einzuhalten gilt. Sie hat tatsächlich natürlich auch gesagt, dass die Bundesregierung ein massives Interesse an einer friedlichen Lösung der Proteste hat und keine Gewalt auch von Staatsseite aus. Das sind ja schon mal relativ klare Aussagen. Ich glaube nicht, dass sie darüber hinausgehen wird – öffentlich. Natürlich hinter verschlossenen Türen werden diese Punkte noch etwas dezidierter angesprochen werden und natürlich wird die Kanzlerin auch dort noch hinzufügen, dass tatsächlich ja auch deutsche Unternehmen in Hongkong betroffen sind, dass sich deutsche Unternehmen dort große Sorgen machen. Insofern ist auch die deutsche Wirtschaft an der Stelle betroffen.
Wenn man ein vertrauensvolles Wirtschaftsverhältnis haben will, auch was den Rest des Landes anbelangt und Investitionen deutscher Unternehmen da, dann wird man ganz genau auf Hongkong gucken und das wird die chinesische Seite schon sehr klar auch registrieren. Die Kanzlerin ist ja dafür bekannt, eigentlich immer sehr, sehr offen mit der chinesischen Seite zu sprechen, deutlich offener als viele andere europäische Staats- und Regierungschefs.
Sozialkreditsystem für deutsche Unternehmen - besorgniserregend
Engels: Sie haben es angesprochen: Deutsche Unternehmen in China sind generell in Sorge. Es geht jetzt nicht nur um Hongkong, sondern es geht auch um die Fragen Wirtschaftsspionage, Investitionsschutz, all das altbekannte Themen. Seit neuestem sorgt man sich aber auch um das Sozialkreditsystem in China. Das beschreibt ja, dass Bürger in China je nach parteitreuem Verhalten oder nicht über Apps mit Anreizen belohnt werden oder benachteiligt werden. Droht eine solche genaue Kontrolle und eine starke Politisierung auch den deutschen Firmen?
Weidenfeld: Ja, in der Tat. Das ist eine ganz wichtige und auch eine besorgniserregende Entwicklung. Denn in der Vergangenheit haben wir immer davon gesprochen, wie schwierig es ist für manche Unternehmen, auf dem chinesischen Markt überhaupt sich zu etablieren und dann dort auch erfolgreich zu agieren, weil das ein sehr restriktives Wirtschaftssystem ist. Jetzt kriegen wir eine ganz neue Komponente dazu, die sehr prominent auch von deutschen Unternehmen im Moment verfolgt wird, nämlich dieses soziale Kreditsystem. Da werden tatsächlich Unternehmen gescort und ihr Verhalten in der Wirtschaft, und das kann durchaus dann auch sehr arbiträr sein. Das ist die Sorge, sehr willkürlich in der Anwendung. Aber es hat auch noch eine andere Ebene, nämlich dass auch die Spitzenmanager aus den Unternehmen natürlich in diesem sozialen Kreditsystem gescort werden und dann auch individuelles Fehlverhalten als Druckmasse benutzt werden kann, um Einfluss auf Unternehmen zu nehmen und deren Entscheidungen. Das ist tatsächlich eine Angelegenheit, die die deutschen Unternehmen mit großer Sorge sehen. Ebenso im Übrigen die Etablierung von Parteizellen in ausländischen Unternehmen, wo besonders parteilinientreue Mitarbeiter im Prinzip in wesentliche Entscheidungen eingebunden werden in ausländischen Unternehmen. Das lässt sich sehr schwer nur mit unseren liberalen Ideen von einer Marktwirtschaft verbinden und dem freien Unternehmertum.
Engels: Das heißt: Wer in China künftig Geschäfte machen will, der muss als deutscher Manager politisch konform laufen? Sonst geht es nicht mehr?
Weidenfeld: Das wird die Zeit zeigen, wie intensiv diese Art der Überwachung und dann die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sich auswirken werden. Aber man muss befürchten, dass das passieren kann – ja, tatsächlich -, und es gibt Unternehmen, die genau sich auf eine solche Situation vorbereiten und überlegen, wie gehen wir damit um. Das ist ganz klar.
China perspektivisch in der Lage, Deutschland und USA abzuhängen
Engels: Als Bundeskanzlerin Merkel zu Beginn ihrer Amtszeit nach China reiste, da war für die chinesische Seite das Deutschland-Geschäft noch außerordentlich wichtig, um überhaupt Zugang zu Hochtechnologie erhalten zu können. Merkel nutzte das regelmäßig, um bei ihren Besuchen auch für politische Reformen zu werben. Ist diese Einflussmöglichkeit vorbei, weil der wachsende chinesische Gigant Deutschland nicht mehr braucht?
Weidenfeld: Nein, das würde ich nicht sagen. Die Abhängigkeit besteht immer noch. Es gibt viele Technologiefelder, in denen Deutschland immer noch Weltmarktführer ist, wo China immer noch lernen kann und will, und das ja auch ganz offen sagt. Insofern, glaube ich, ist dieses Momentum noch nicht vorüber. Aber das wird sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren sukzessive ändern, denn was wir ganz klar sehen ist, dass China sehr intensiv in Forschung und in Zukunftstechnologien investiert, neue Materialien, Künstliche Intelligenz, Biotechnologie, um nur mal ein paar Felder zu nennen, und da auch durchaus in der Lage ist, perspektivisch, Deutschland und auch Amerika abzuhängen. Und das ist auch letztlich erklärtes Ziel. Wenn es eine Lektion aus dem derzeitigen Wirtschaftskrieg mit den USA gibt, dann ist es die, dass man autarker werden will, unabhängiger von Partnern auf der Welt, dass man letztlich eigenständig Lieferketten, Handelsketten und so weiter unterhalten will und nicht mehr auf andere angewiesen ist. Und das wird sich dann auch perspektivisch auf das Verhältnis zu Deutschland auswirken.
Engels: Sie haben den Handelskrieg zwischen China und den USA angesprochen, der natürlich auch das chinesisch-deutsche Geschäft beeinträchtigt. Welche Rolle kann Deutschland hier überhaupt einnehmen?
Weidenfeld: Na ja. Deutschland kann da tatsächlich nur mahnen und an beide Seiten appellieren, die Sache nicht weiter zu eskalieren. Aber man muss ja sagen: Wir haben ja in gewisser Weise da noch eine ganz andere Betroffenheit. Wenn man sich die Tweets der vergangenen Tage und Wochen von Donald Trump anguckt mit Blick auf Europa und sogenannte unfaire Handelspraktiken Europas, gegen die er nun rabiat vorgehen will, dann haben wir da ja auch in gewisser Weise eine ganz andere Baustelle.
Gleichzeitig – das dürfen wir nicht vergessen in diesem Spiel zwischen den Kräften – haben wir dieselben Probleme, die wir mit China immer hatten, dass es letztlich eine illiberale Volkswirtschaft ist, die auch sehr häufig unfair spielt. Das ist ja nicht plötzlich weggegangen. Insofern: Die Leute, die dann zum Teil jetzt dafür plädieren, dass man sich China stärker annähert, die sollten nicht übersehen, dass sich in diesem Verhältnis, was ja durchaus konfliktgeladen ist und problematisch ist, gerade im wirtschaftlichen Bereich, nichts geändert hat im Kern. Insofern stehen wir da wirklich vor einer großen und schwierigen Herausforderung in den nächsten Jahren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.