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"Kapitalmarkt braucht eine klare Information"

Der Wirtschaftswissenschaftler Manuel Theisen rät dem Siemens-Aufsichtsrat zu einer schnellen Entscheidung über die Zukunft von Vorstandschef Klaus Kleinfeld. Möglicherweise gelte es, auch gegen die bessere Einsicht einen fähigen Manager zu opfern, wenn damit mehr Ruhe in das Unternehmen kommt, sagte Theisen, Professor an der Universität München.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Noch sind es nur Gerüchte, doch die Spekulationen stehen offenbar auf einem soliden Fundament. Das Stühlerücken bei Siemens könnte heute weitergehen. Die noch ungeklärte Schmiergeldaffäre lastet schwer auf Europas größtem Elektrokonzern. Nachdem Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer mehr oder weniger freiwillig seinen Stuhl räumte, steht nun offenbar auch die Zukunft des Vorstandsvorsitzenden Klaus Kleinfeld in den Sternen. Trotz glänzender Bilanzen gibt es Stimmen, die ein Großreinemachen in der Chefetage fordern. Schon werden Namen für einen Nachfolger genannt. Entscheiden wird heute der Aufsichtsrat.

    Am Telefon begrüße ich jetzt Professor Manuel Theisen. Er ist Wirtschaftswissenschaftler an der Uni München. Guten Tag, Herr Theisen!

    Manuel Theisen: Guten Tag!

    Heinlein: Wagen Sie eine Prognose? Wird das Großreinemachen heute bei Siemens weitergehen?

    Theisen: Es ist schwer, nicht zu spekulieren dabei, aber ich teile die Meinung, dass auf jeden Fall eine Entscheidung getroffen wird. Die Variante Vertagen halte ich für ausgeschlossen, denn der Kapitalmarkt braucht eine klare Information, wie auch immer sie ausfällt.

    Heinlein: Und eine Vertagung würde ja auch bedeuten, dass Kleinfeld sein Gesicht verliert, quasi als lame duck dann an der Konzernspitze agiert?

    Theisen: Das sehe ich genauso, denn Sie müssen ja überlegen: Egal wie viel daran wahr ist, aber wenn schon seit Tagen auch nur überlegt oder spekuliert wird, ob es einen Nachfolger oder einen Kandidaten dafür gibt, man muss sich überlegen er hat einen Konzern mit Hunderttausenden von Mitarbeitern zu führen. Er muss ein starker Mann sein, ein glaubwürdiger Mann, nach außen wie nach innen und das kann man nicht, indem man sozusagen schon halb auf einer Abschussliste steht.

    Heinlein: Können Sie uns noch einmal erklären? Offiziell ist Kleinfeld ja nicht in diese Schmiergeldaffäre verwickelt. Warum muss er dennoch trotz guter Zahlen, trotz guter Bilanzen möglicherweise seinen Hut nehmen?

    Theisen: Die Frage, ob er und möglicherweise inwieweit er einbezogen ist, das werden die Gerichte klären. Dazu will ich überhaupt nicht spekulieren. Das muss man sehen. dass die Frage noch nicht endgültig beantwortet und vor allen Dingen nicht verneint ist, davon kann man deswegen ja nicht sprechen.

    Aber ich denke, es spielt ein anderer Punkt eine ganz große Rolle: Siemens ist in New York an der Börse gelistet. Die Amerikaner und die Börsenbehörde haben ein ganz scharfes Auge auf Deutschland und hier auf Siemens und die Vorfälle. Die Amerikaner sind gewohnt und werden darauf auch im Fall Siemens drängen, dass schnelle Entscheidungen getroffen werden. Das heißt bei den Amerikanern vielleicht manchmal zu oft, dass Köpfe rollen.

    Heinlein: Sind das auch die Argumente von Deutsche-Bank-Chef Ackermann, der ja, so heißt es, im Aufsichtsrat die treibende Kraft ist, die nun Kleinfeld nicht verlängern will?

    Theisen: Ich vermag nicht, in die Köpfe der einzelnen Aufsichtsräte mich hineinzuversetzen. Aber ich weiß, dass der Aufsichtsrat insgesamt verpflichtet ist, jetzt im Interesse und nur im Interesse von Siemens zu handeln. Das heißt möglicherweise auch gegen die bessere Einsicht, einen fähigen Manager opfern zu müssen, wenn denn damit an den Fronten des Kapitalmarktes und vor allen Dingen auch im Hinblick auf die laufenden staatsanwaltschaftlichen Verfahren mehr Ruhe in das Unternehmen kommt. Das ist meines Erachtens die vorderste Zielsetzung des Aufsichtsrates. Deswegen ist die Sitzung heute spannend, aber auch sehr, sehr schwierig.

    Heinlein: Können Sie sich, Herr Theisen, denn hineinversetzen in den Kopf des designierten neuen Aufsichtsratschefs Cromme? Ist es günstig für ihn, einen kompletten Neuanfang dann zu wagen?

    Theisen: Wie gesagt, noch einmal, es ist die Frage, wie weit man in so einem Fall Getriebener ist oder selber Treibender ist. Das trifft vor allen Dingen für Herrn Cromme zu, der der erste Siemens-Aufsichtsratsvorsitzende ist, der nicht aus dem Hause Siemens ist und kommt. Das heißt, seine Überlegungen werden vor allen Dingen von eben den Auswirkungen für das Unternehmen getragen werden und deswegen kann ich mir vorstellen, dass er auf der Seite derer steht, die einen weitgehenden Neustart für eine gute Option halten. Dafür hatte ich mich persönlich auch schon am Freitag ausgesprochen.

    Heinlein: Sie haben gesagt, Herr Theisen, Ruhe sei die erste Pflicht für Siemens, sei eine wichtige Aufgabe. Wie riskant wäre denn ein Wechsel an der Konzernspitze für Siemens, denn ein neuer Mann an der Spitze müsste sich ja zunächst einmal Wochen und Monate einarbeiten?

    Theisen: Das ist natürlich die Argumentation auch der Kleinaktionärsschützer und anderer. Ich muss das vielleicht etwas relativieren. Ich meine, ein Vorstandsvorsitzender und überhaupt der ganze Siemens-Vorstand muss ja nicht selber eine Gasturbine zusammenschrauben oder wissen, wie ein Atomkraftwerk zusammengebaut wird. Er muss eine Repräsentanz sein. Er muss eine glaubwürdige Position nach innen wie nach außen vertreten. Dazu bedarf es natürlich eines herausragenden Namens, aber vor allen Dingen eben einer Person, die diese Message, diese Nachricht nach außen wie nach innen glaubwürdig vertreten kann. Da tritt sozusagen die operative Kenntnis oder die Vertrautheit mit dem Unternehmen, denke ich, in einer solchen Situation durchaus in den Hintergrund.

    Heinlein: Aber Kleinfeld kann wuchern mit dem Argument guter Geschäfts- und Bilanzzahlen?

    Theisen: Gar keine Frage, und ich meine, man muss, wenn das erlaubt ist, ja wirklich fast sagen, er hat eine unglückliche Situation: beste Zahlen zum zweiten Mal. Das erste Mal sind der Rücktritt von Herrn von Pierer und die Hauptversammlung diejenigen, die die Zahlen kaum zur Kenntnis nehmen. Heute diskutiert niemand über die vorgelegten und wohl auch sehr zufriedenstellenden Zahlen, sondern alles spekuliert über seine Person. Aber das ist das Risiko von führenden Leuten. Einen Teil ihres Gehalts, wie ich immer sage, bekommen sie auch als Zitter- und als Haftprämie, vielleicht auch ein bisschen als Schadenersatz für solche Situationen.

    Heinlein: Zur Siemens-Aufsichtsratssitzung heute in München war das aus München Professor Manuel Theisen. Er ist Wirtschaftswissenschaftler an der Uni München. Herr Theisen, ganz herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Theisen: Bitteschön.