Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Karabach-Krieg
Machtspiele im Kaukasus

Sechs Wochen kämpften Aserbaidschan und Armenien um die Region Berg-Karabach. Tausende Soldaten und Zivilisten kamen dabei ums Leben. Ein Waffenstillstand hat den Krieg vorerst beendet. Aber die geopolitischen Machtverhältnisse im Hintergrund verschieben sich.

Von Gesine Dornblüth und Thomas Franke | 06.12.2020
Mann in einer zerstörten Gegend von Stepanakert
Mann in einer zerstörten Gegend von Stepanakert (imago images / ITAR-TASS)
Churwaleti, ein Dorf etwa eine Dreiviertelstunde Fahrt von Georgiens Hauptstadt Tiflis entfernt. Es ist still in Churwaleti. Nicht mal Hunde laufen auf der Straße. Der Asphalt weicht am Dorfrand einer huckeligen Schotterpiste. Hinter Churwaleti erheben sich die Berge des großen Kaukasus. Weiter Richtung Norden liegt Russland, und dazwischen Südossetien. Das Gebiet Südossetien hat sich mit russischer Hilfe von Georgien in den 90er-Jahren abgespalten.
Proteste gegen das Waffenstillstansabkommen zwischen Armenien und Aserbaidschan in der armenischen Haupstadt Eriwan: Demonstranten im Sitz des Premierministers Nikol Paschinjan
Politologe: "Das Hauptproblem ist der Hass in der Region" Der Politologe Meister sieht das Waffenstillstands-Abkommen zwischen Armenien und Aserbaidschan kritisch. Es komme letztlich einer Kapitulation Armeniens gleich. Zudem habe sich das Hauptproblem, der Hass zwischen den Volksgruppen, sogar noch verstärkt.
Tausende russische Soldaten sind dort stationiert. Churwaleti ist das letzte Dorf auf georgisch kontrollierter Seite. In einem Obstgarten erntet Avtandil Churoschwili Granatäpfel. Er zeigt die Straße hinauf in Richtung der Berge. Erst vor wenigen Wochen hätten die Russen dort einfach so einen Zaun gezogen.
"Sie haben uns wieder mal ein Stück Land weggenommen. Land, das wir bewirtschaftet haben. Jetzt können wir dort nicht mehr hin. Ich baue Weizen an, auf anderthalb Hektar. Mein Feld liegt nur 50 Meter von der Grenze entfernt. Wenn wir in der Nähe des Zauns arbeiten, dann bestellen wir vorher Polizeischutz. Anders wäre es zu gefährlich", sagt Churoschwili.
Entführt und gegen Lösegeld freigelassen
Immer wieder werden Bauern aus den georgischen Dörfern nach Südossetien entführt und nur gegen Lösegeld wieder freigelassen. Die georgische Polizei patrouilliert deshalb ständig in Churwaleti und am Zaun. Auch jetzt sind Beamte vor Ort. Hinter dem letzten Haus im Dorf wurde ein weiterer Maschendrahtzaun von Russland angebracht: Etwa 1,50 Meter hoch, dazu eine Stacheldrahtrolle. Einer der Polizisten zeigt auf die Büsche. Etwa 100 Meter weiter ist eine Baracke zu sehen. Dort säßen russische Soldaten, erzählen die Polizisten. Dann zeigen sie auf einen weißen Funkturm und eine Ansiedlung breiter, flacher Häuser. Ein russischer Militärstützpunkt.

Südossetien ist eines von zwei Gebieten, die sich von Georgien losgesagt haben. Das zweite heißt Abchasien, ist um einiges größer als Südossetien und grenzt gleichfalls an Russland. Auch dort hat Russland Soldaten stationiert. Insgesamt zwischen sieben- und zehntausend. Etwa ein Fünftel des georgischen Territoriums seien damit de facto von Russland besetzt, betont der Konfliktforscher Paata Zakareishvili aus Tiflis. Er war einige Jahre als Minister für die Wiedereingliederung der beiden Gebiete zuständig.
"Das sind Besatzungstruppen. Diese Stützpunkte haben großes militärisches Potenzial. Von dort kann man Kampfhandlungen ausführen. Es gibt Raketen und Panzer, in Abchasien sogar russische Militärflugzeuge."
In Georgien ist man überzeugt: Russland unterhält diese Truppen auch deshalb, weil Georgien Mitglied in der NATO und der EU werden möchte.
Seit diesem Herbst hat sich das Unbehagen in Georgien angesichts der russischen Militärpräsenz noch einmal verstärkt. Denn seit neuestem stehen weitere knapp 2.000 bewaffnete russische Soldaten südlich von Georgien. Der Grund sind die Ereignisse in und um Berg-Karabach.
Warnschild aus Südossetien: die Markierung einer völkerrechtswidrigen Grenze
Warnschild aus Südossetien: die Markierung einer völkerrechtswidrigen Grenze (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth / Thomas Franke)
Der Sitz des Präsidenten der nicht anerkannten "Republik Berg-Karabach" in der Hauptstadt
Streit um Bergkarabach - Ein stark historisch aufgeladener Konflikt
Der Konflikt um Bergkarabach ist ein seit vielen Jahrzehnten schwelender Konflikt. Auf die Region erheben sowohl Armenien als auch Aserbaidschan Anspruch.
Es ist der 27. September 2020. Zwischen Aserbaidschan und Armenien – beides sind Nachbarländer Georgiens und wie Georgien ehemalige Sowjetrepubliken – eskaliert ein alter Konflikt. Die Region Berg-Karabach, in etwa so groß wie die Mittelmeerinsel Mallorca, liegt auf dem Staatsgebiet Aserbaidschans, wurde aber lange überwiegend von Armeniern bewohnt. Nach dem Ende der Sowjetunion Anfang der 90er-Jahre erklärte sich Berg-Karabach für unabhängig. Es kam zum Krieg, den die Armenier 1994 mit russischer Hilfe gewannen. Neben Karabach besetzten sie auch eine sogenannte Pufferzone um die Enklave herum. Hunderttausende Aserbaidschaner wurden von dort vertrieben – wie zuvor auch Armenier aus Aserbaidschan.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa setzte damals eine Vermittlergruppe ein, geführt von Frankreich, Russland und den USA. Über all die Jahre erreichte sie nicht mehr als eine fragile Ruhe. Immer wieder gab es Schießereien und Tote. In Armenien und Aserbaidschan wuchs der Hass auf die jeweils andere Seite. Und Aserbaidschans Führung – seit Jahrzehnten in der Hand der Familie Alijew – kündigte immer wieder an, die besetzten Gebiete notfalls mit Gewalt zurückzuholen. Was in diesem Herbst zu einem großen Teil gelang.
Tausende Soldaten starben
Ausgestattet mit Drohnen und anderem neuesten Militärgerät aus der Türkei und Israel und offen unterstützt von der türkischen Armee rückten die aserbaidschanischen Truppen schnell Richtung Karabach vor. Tausende Soldaten starben, auf beiden Seiten. Russland hielt sich dieses Mal aus den Kämpfen heraus – zum Unmut vieler Armenier. Dabei sind seit Jahren russische Grenzsoldaten in Armenien stationiert.
Mitte November unterzeichneten Armenien und Aserbaidschan einen Waffenstillstand, vermittelt von Russlands Präsident Wladimir Putin.
Der verkündete in Moskau: "Die Republik Aserbaidschan und die Republik Armenien bleiben auf den von ihnen eingenommenen Positionen. Entlang der Waffenstillstandslinie in Berg-Karabach und am Korridor, der Berg-Karabach und die Republik Armenien verbindet, wird eine Friedenstruppe der Russischen Föderation stationiert. Alle Verkehrswege werden wieder freigegeben. Deren Kontrolle obliegt unter anderem den Grenzsoldaten Russlands."
Bereits am nächsten Morgen begann Russland mit der Entsendung der Einheiten. In Georgien beobachtet man die Entwicklungen um Karabach mit Sorge. Nikoloz Samkharadze ist Mitglied der Regierungspartei und zuständig für Verteidigungspolitik und Kontakte zur NATO. Er spricht von einem "strategischen Sieg Russlands".
"Russlands Position im Südkaukasus wird gestärkt. Vielleicht ist das ein Anreiz für Russland, auch die Spannungen in den abtrünnigen georgischen Gebieten zu schüren. Aber das müssen wir sehen."
"Russland ist militärisch immer noch unser Feind"
Georgien hat sich im Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien stets um Neutralität bemüht. Nach Unterzeichnung des Waffenstillstands hat Georgien allerdings seinen Luftraum für russisches Militär geöffnet, damit die sogenannten russischen Friedenstruppen mit ihrem schweren Gerät möglichst schnell in das Kriegsgebiet gelangen konnten. Das sei auf Bitten der Aserbaidschaner und der Armenier geschehen, heißt es in Tiflis.
Eine Ausnahme, aber dennoch ein Fehler, meint der Sicherheitsexperte Wachtang Maisaia von der Caucasus International University in Tiflis. "Russland ist militärisch immer noch unser Feind. In nächster Zukunft darf es keine solchen Genehmigungen mehr geben."
Das Foto des armenischen Verteidigungsministeriums zeigt armenisch-stämmige Einheiten in Berg-Karabach, die Artillerie in Richtung aserbaidschanischer Truppen feuern.
Die Rolle Russlands im Konflikt am Kaukasus
In dem seit Jahrzehnten währenden Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach haben sich auch die Türkei und Russland eingeschaltet.
Im Fahrwasser des Karabach-Krieges hat Russland seinen Einfluss im Südkaukasus also ausgebaut. Durchkreuzt wird das von einem weiteren Akteur, der Türkei – die tritt in der Region neuerdings aggressiv auf und verfolgt eigene Interessen.
Der Tifliser Konfliktforscher Paata Zakareishvili spricht von einem historischen Wendepunkt: "Vor bald 100 Jahren, im Februar 1921, hat Russland Tiflis besetzt und damit die geopolitischen Realitäten im Kaukasus verändert. Russland hat damals die Türkei aus dem Kaukasus verdrängt. Das ändert sich jetzt wieder. Es ist neu, dass die Türkei es wagt, mit ihrer Flagge und ihren staatlichen Interessen in den Südkaukasus zu kommen und Aserbaidschan zu unterstützen."
Die Türkei steht Aserbaidschan seit dessen Unabhängigkeit politisch bei. Die Aserbaidschaner sind ein Turkvolk. Mit Armenien dagegen verbindet die Türkei eine tiefe historische Feindschaft. Anfang des letzten Jahrhunderts wurden im Osmanischen Reich zwischen 300.000 und 1,5 Millionen Armenier systematisch ermordet und vertrieben.
Die Türkei spielte militärisch keine Rolle
Die Aserbaidschanerin Leila Alijewa forscht an der Universität Oxford zu Osteuropa und internationalen Beziehungen. Die Erwartungen Aserbaidschans an die Türkei hätten sich stark verändert, sagt sie. Die Türkei spielte militärisch keine Rolle.
"Inzwischen wird die Türkei als ein wichtiger sicherheitspolitischer Akteur gesehen, der die Dominanz Russlands ausgleichen kann. Teile der Gesellschaft wollen nun einen türkischen Militärstützpunkt ins Land holen, als Gegengewicht zu den russischen Friedenstruppen. Das ist in Aserbaidschan äußerst populär."
Bereits im Zuge des Waffenstillstands hat die Türkei darauf gedrängt, auch türkische Friedenstruppen in die Region zu entsenden. Das scheiterte am Widerstand Russlands und der Armenier. Türken sollen bisher lediglich an einem gemeinsamen türkisch-russischen Monitoring-Zentrum beteiligt werden, das eventuelle Verstöße gegen den Waffenstillstand registrieren soll. Russische Truppen auf dem eroberten aserbaidschanischen Territorium seien eine bittere Pille für das Land, erläutert Alijewa. "Aserbaidschan war die erste von allen 15 Sowjetrepubliken, die die russischen Militärstützpunkte losgeworden ist."
Ölfelder außerhalb von Aserbaidschans Hauptstadt Baku am Kaspischen Meer im März 2019
Konflikt um Bergkarabach - Türkei zielt auf Korridor bis zum Kaspischen Meer
Es gehe der Türkei im Konflikt um Bergkarabach auch um Zugang zu den Gas- und Ölvorkommen im Kaukasus, meint der Politikwissenschaftler Hakan Günes.
Russland werde künftig versuchen, den gewachsenen Einfluss der Türkei weiter einzudämmen, vermuten Experten. Verlierer seien sowohl Aserbaidschan als auch Armenien, sagt Boris Navasardyan vom Yerevan Press Club. Die NGO analysiert Debatten und politische Tendenzen in der armenischen Gesellschaft und in der Region.
"Dieser Krieg hat gezeigt, dass weder Armenien noch Aserbaidschan ihre volle Souveränität bewahren konnten. Hier geht es um eine neue Aufteilung von Einflusssphären in der Region zwischen Russland und der Türkei."
Und dann ist da noch der Iran. Das Land, das an Armenien und Aserbaidschan grenzt, hält sich bisher aber eher zurück, erläutert der Tifliser Konfliktforscher Paata Zakareishvili:"Der Iran mischt sich deshalb nicht in das ein, was die Türkei und Russland im Kaukasus tun, weil er darauf setzt, dass die ihn dann in Syrien und im Irak gewähren lassen."
Die Frage ist auch, ob der Iran überhaupt politischen Spielraum hat, um seinen Einfluss auszubauen. Leila Alijewa von der Universität Oxford ist skeptisch. "Der Iran hat immer versucht, eine eher ausbalancierte Politik zu machen. Denn er hat eine bedeutende aserbaidschanische Minderheit, rund 20 Millionen Menschen. Daher ist der Iran nicht an einem starken Aserbaidschan an seinen Grenzen interessiert."
Denn ein starkes Aserbaidschan, so die Befürchtung, könnte versuchen, Einfluss auf seine Landsleute im Iran zu nehmen. Auch könnten diese Anschluss an das Mutterland fordern.
"Dauerhafte und stärkere Instabilität für den Südkaukasus"
In jedem Fall dominierten nun autoritär regierte Länder das Geschehen im Südkaukasus, erläutert Stefan Meister vom Südkaukasusbüro der Heinrich-Böll-Stiftung. Er warnt vor negativen Folgen für die Region: "Diese Länder haben gar kein Interesse an der Lösung von Konflikten, sondern sie wollen Konflikte erhalten, um sie in ihrem Sinne auch zu nutzen. So, und das bringt natürlich Instabilität, dauerhafte und stärkere Instabilität für den Südkaukasus."
Und genau das gefährdet dann zum Beispiel auch die weitere demokratische Entwicklung Georgiens. Deswegen hoffen in Georgien viele auf ein stärkeres Engagement eines weiteren Players: der USA.
Georgiens Hauptstadt Tiflis am 18. November. An den Laternenmasten im Stadtzentrum wehen georgische und US-amerikanische Flaggen. US-Außenminister Mike Pompeo hat sich angekündigt. Kurzfristig hat er seine Reise nach Frankreich, die Türkei, Israel, Saudi-Arabien und Katar um einen Zwischenstopp in Georgien erweitert. Ein wichtiges Symbol, glaubt Nikoloz Samkharadze, der NATO-Experte der Regierungspartei Georgiens.
"Ich denke, auch unter der neuen Administration werden sich die USA in Georgien engagieren. Dass Georgien auf der Besuchsliste Pompeos steht, zeigt, dass wir für die USA ein wichtiger Verbündeter in der Region sind."
Doch viele Georgier erhoffen sich mehr von den USA als nur symbolische Unterstützung. Georgische Sicherheitsexperten haben ihre Erwartungen im Vorfeld von Pompeos Besuch in einem offenen Brief formuliert. Zu den Unterzeichnern gehört der georgische Sicherheitsexperte Wachtang Maisaia.
"Wir haben darum gebeten, die Militärpräsenz der Vereinigten Staaten in Georgien zu erhöhen, damit das geopolitische und geostrategische Gleichgewicht zugunsten Georgiens verschoben wird. Wenn sich die Amerikaner in Georgien militärisch engagieren, mit einem Militärstützpunkt oder mit Ausbildungsmissionen, dann würde das eine Balance zu russische Truppen herstellen. Und es würde der regionalen Stabilität dienen."

US-Außenminister Pompeo traf in Tiflis mit hohen Regierungsvertretern und Experten zusammen. "Wir sind seit fast 30 Jahren große Freunde Ihrer Demokratie. Wir haben die ganze Zeit zusammengearbeitet. Wir sind uns des Schmerzes und der Schwierigkeiten bewusst, die mit der Besetzung Ihres Landes verbunden sind, und wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um Ihren demokratischen Prozess und den Aufbau der Institutionen zu unterstützen."
Von militärischen Zusagen der Amerikaner ist bisher nichts bekannt. Solange die USA ausfallen, setzt die Regierungspartei Georgiens darauf, dass das NATO-Land Türkei stabilisierend in der Region wirkt, betont der Politiker Samkharadze: "Wir haben eine strategische Kooperation mit der Türkei. Das Land ist ein sehr wichtiger Handelspartner für uns. Und die Türkei ist ein großer Fürsprecher eines NATO-Beitritts Georgiens."
Der amerikanische Außenminister Mike Pompeo vor blauem Hintergrund. 
US-Außenminister Mike Pompeo (AP Pool/Jacquelyn Martin)
Südkaukasus wird Unruheherd bleiben
Doch die Türkei hat in den vergangenen Jahren vor allem ihre eigenen Interessen verfolgt und sich in vielen Bereichen Russland angenähert, auch sicherheitspolitisch. Der armenische Politik-Experte Boris Navasardyan sieht die Rolle der Türkei für Georgien dementsprechend ein wenig anders.
"Viele Jahre galt das NATO-Mitglied Türkei als ein Akteur, der die Stellung der EU und der USA in Georgien stärkt. Aber das entspricht heute, gelinde gesagt, nicht mehr ganz der Realität. Die Türkei setzt auf einen Dialog mit Russland, auch wenn es dabei immer wieder zu Konfrontationen kommt. Aber klar ist auch, dass das derzeitige geopolitische Auftreten der Türkei entscheidend vom aktuellen Präsidenten abhängt, und dass sich das nach einem Machtwechsel ändern kann."
Welchen Weg Georgien dabei nehme, sei entscheidend für die Zukunft der gesamten Region, meint Navasardyan. "Es ist klar, dass Ankara und Moskau sich nicht mit diesen beiden Staaten des Südkaukasus begnügen werden, sondern sie werden ihre Konflikte auch rund um Georgien ausfechten. Deshalb müssen die übrigen geopolitischen Zentren entscheiden, wie aktiv sie sein wollen und mit welchen Ressourcen sie bereit sind, zu verhindern, dass Russland und die Türkei den Südkaukasus unter sich aufteilen. Und wir wissen ja, wie die Lage in der EU ist."
Sicherheitspolitisch spielt die EU in der Region bisher so gut wie keine Rolle. Immerhin versucht die EU, im Rahmen ihrer Nachbarschaftspolitik Rechtstaatlichkeit und Institutionen in den Ländern des Südkaukasus zu stärken. Doch außer in Georgien ist sie mit dem Programm "östliche Partnerschaft" kaum vorangekommen, sagt Boris Nawarsadian und nennt sein Heimatland Armenien als Beispiel:
"Was die östliche Partnerschaft betrifft, gehe ich davon aus, dass ein großer Teil der armenischen Gesellschaft und sogar der politischen Elite vergessen hat, dass wir Mitglied in diesem EU-Projekt sind." Boris Nawarsadian warnt vor einem weiteren Bedeutungsverlust der EU.
Wenn sich die EU jetzt um Fragen wie Menschenrechte, die humanitäre Katastrophe in Karabach, die Anwendung verbotener Waffen im Krieg kümmert, dann kann sie natürlich Einfluss ausüben. Wenn sie sich aber auf den Standpunkt stellt, dass der Krieg entschieden und gestoppt wurde und dass man sich um Einzelheiten des Kriegsgeschehens nicht mehr kümmern muss, dann wird die EU hier bald überhaupt keine Rolle mehr spielen."
Und das bedeutet eine weitere Schwächung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Region. Der Südkaukasus wird damit auf absehbare Zeit ein Unruheherd in Europa bleiben.