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Karen Grol: "Mackintoshs Atem"
Der Versuch, Kunst und Leben in Einklang zu bringen

Die Begeisterung für Schottland brachte die Verlegerin und Autorin Karen Grol auf ihr Thema: den Jugendstilarchitekten und -künstler Charles Rennie Mackintosh. Zu seinem 150. Geburtstag hat Grol eine umfangreiche "Bio-Novel" vorgelegt, die Mackintoshs entbehrungsreichen Kampf um Anerkennung nachzeichnet.

Von Enno Stahl | 05.03.2019
Ein Geschäft in Edinburgh, das sich auf den Verkauf von Bilderrahmen und Schmuck im Stil von Charles Rennie Mackintosh spezialisiert hat.
Ein Geschäft in Edinburgh, das sich auf den Verkauf von Bilderrahmen und Schmuck im Stil von Charles Rennie Mackintosh spezialisiert hat (imago / ANE Edition)
1997 reiste Karen Grol zum ersten Mal nach Schottland, es war wohl Liebe auf den ersten Blick. Denn seitdem kehrt sie immer wieder dorthin zurück. Ein besonderes Faible hat sie für den schottischen Architekten, Künstler und Designer Charles Rennie Mackintosh, den man gewissermaßen als Vertreter eines schottischen Jugendstils bezeichnen könnte. Ihn charakterisierte ein spartenübergreifender Werkansatz. So plante und gestaltete er auch die Inneneinrichtung seiner Gebäude bis ins Kleinste selbst – inklusive Möbeln, Stoffmustern, Wand- und Deckendesigns. Auch als Maler war er tätig. Eine intensive künstlerisch-symbiotische Arbeitsbeziehung verband ihn mit seiner Frau Margaret Macdonald, die sich bereits vor ihrer Ehe einen Namen als extravagante Gestalterin von Bildern und Stoffen gemacht hatte. Beide hatten kein einfaches Leben. Man schätzte die Mackintoshs in Deutschland und Österreich sehr, doch im eigenen Land blieben sie umstritten. Und das obwohl Mackintosh insbesondere als Architekt bahnbrechende Werke schuf – allen voran die "Glasgow School of Art". Dass dieser Prachtbau 2014 und – nach seiner Wiederherstellung – jetzt 2018 erneut vollständig ausbrannte, erscheint beinahe wie ein göttliches Menetekel über den Künstler Mackintosh: als wolle das Schicksal ihm, schon wie zu Lebzeiten, eine bleibende Anerkennung versagen. Daran möchte Karen Grol etwas ändern, deshalb hat sie zum 150. Geburtstag Mackintoshs ihren Debüt-Roman über dessen Leben geschrieben.
In einer ich-besessenen Zeit wie der unseren, in der folglich autobiografische Erzählungen im Trend liegen, führt das früher stark verbreitete Genre des biografischen Romans eher ein Mauerblümchen-Dasein. Der Verfasser oder die Verfasserin des Letzteren stellt den eigenen Ausdrucksdrang zurück und orientiert sich mehr oder weniger, je nachdem wie frei gestaltet die Erzählung sein soll, an Biografie und Chronologie der porträtierten Person. Auf die Frage nach Vorbildern für ihr Projekt erklärte die Autorin Grol:
"Ein konkretes Vorbild für "Mackintoshs Atem" gibt es nicht, doch die Romanform ist wunderbar geeignet, um Interesse für einen Künstler und sein Werk zu wecken."
Penibel recherchiert
Dieses Ziel erreicht sie auf jeden Fall. Schon durch die überaus ansprechende Gestaltung des Buches, das im Verlag Stories & Friends erschienen ist, den Grol als studierte Druckereitechnikerin selbst betreibt. Das Cover schmückt Mackintoshs Originalentwurf der Glasgow School of Art. Die hier verwendete Typografie basiert auf einer Schrift, die Mackintosh selbst entworfen hatte. Der Innenteil ist teilweise in einer Type gehalten, welche die traditionelle Scotch Roman aus dem 19. Jahrhundert neu interpretiert.
Schon äußerlich also verwandelt sich das Buch seinem Sujet an.
In gewisser Weise ist "Mackintoshs Atem" eine klassische Bio-Novel, wie man sie heute eher aus dem Bereich des Films kennt. Normalerweise speist sich das Leserinteresse eher aus der Prominenz des oder der Behandelten. Wie also verfiel Grol ausgerechnet auf Charles Rennie Mackintosh, der sicher nicht allzu vielen Menschen in Deutschland ein Begriff sein dürfte.
"Mackintosh ist meine erste Wahl. Ich reise seit über 20 Jahren nach Schottland. Beim ersten Besuch erfuhr ich, dass mein Lieblingsmöbel kein modernes Design ist, sondern um die Jahrhundertwende in Glasgow entstand. Die, die Mackintosh kennen, lieben ihn. Denen, die ihn nicht kennen, muss ich nur ein Bild des Willow Chairs zeigen."
Karen Grol hat die Biografie Mackintoshs penibel recherchiert und dazu nicht nur Sekundärliteratur, sondern auch Archivmaterialien hinzugezogen. In ihrer Erzählung bedient sie sich gewissermaßen einer Patchwork-Form, bestehend aus vielen kleinen Erzählschnipseln oder Fundstücken wie zeitgenössischen Zeitungsartikeln, Originalbriefen usw. Was hat sie bewogen, den Roman in dieser Form abzufassen?
"Trotz der gründlichsten Recherche wird man nie alles über das Leben eines Künstlers wissen. Ich habe mich auf konkrete Szenen und entscheidende Ereignisse konzentriert, um ein lebendiges und authentisches Bild zeichnen zu können. Nicht erfinden, was ich nicht weiß, sondern ausschmücken, was belegt ist."
Auf Introspektion weitgehend verzichtet
Es geht Grol also um einen weitgehend dokumentarischen Ansatz. Die – nie besonders langen – frei imaginierten Erzählpassagen, in denen nicht nur Mackintosh, sondern auch viele seiner Bekannten auftauchen, werden immer wieder von Materialeinsprengseln, historischen Fundsachen unterbrochen:
"Ausschreibung des Royal Institute of British Architects zur Verleihung der Soane-Medaille
Aufgabe: Kopfbahnhof
Vorgeschriebener Stil: nicht bekannt
Veröffentlichung: März 1892
Einsendeschluss: 23.12.1892
Mackintoshs Pseudonym: Green Device"
Auf diese Ausschreibung folgt die Rede zur Preisverleihung dieser Medaille, die Mackintoshs Entwurf scharf kritisiert, und daraufhin ein Zeitungsartikel, der wiederum für ihn in die Bresche springt. Der Leser kann sich so selbst einen Eindruck von den damaligen Diskursen machen, ohne dass die Autorin diese Quellen noch subjektiv bewertet. Zu dieser beinahe lakonisch wirkenden Form passt der auktoriale Stil, der auf Introspektion weitgehend verzichtet.
"Schweigend schauten sie sich an. Tosh studierte Jessies Gesicht. Sie sah hübsch aus, wenn sie errötete.
"Glaubst du, dass es generell eine gute Idee ist, wenn ein Künstler eine Künstlerin heiratet?", fragte Tosh.
Bertie tauchte aus dem Nichts auf. Er hatte so ein Talent und erschien zu den ungünstigsten Zeitpunkten. Der Freund warf sich ins Gras und breitete die Arme aus. "Gibt Tosh schon wieder mit seiner Italienreise an?"
Jessie schwieg. Berties Frage blieb unbeantwortet. Toshs auch. Letztere wuchs zu einer Angelegenheit, die bohrte und kniff. Sie plagte ihn wie ein Schmerz zwischen Hunger und Magendrücken. Sie ärgerte ihn. Warum hatte er sie gestellt? War es anständig gewesen, Jessie zu ermutigen? Brauchte er nicht selbst Ermutigung?
Tosh kannte sich in Gefühlsdingen nicht aus. Aber wenigstens seine eignen Absichten sollte man kennen."
Entlang am belegten Material
Weiter als hier wagt sich die Autorin bei der Darstellung zwischenmenschlicher Beziehungen nicht, und das ist auch gut so. Verdrießlicher ist es nämlich, wenn Biographen, seien es Sachautoren oder Belletristen, so tun, als wüssten sie nahezu alles über die Person, über ihr Denken, Fühlen und Leiden. Grol dagegen operiert entlang am belegten Material, erzählt sachlich und handwerklich sauber, wodurch sich dem Leser ein interessanter Kunstkosmos erschließt.
Bisweilen allerdings haftet dieser unpsychologischen Erzählweise eine gewisse Sterilität an, wohl auch deshalb, weil das Recherchewissen mitunter etwas ungelenk integriert wird. Man kann sich dann des Eindrucks nicht erwehren, dass bestimmte Szenen oder Gegenstände sich weniger der Erzähllogik verdanken als dem Wunsch, auch diese Forschungsfrüchte noch unterzubringen.
Den Wert des Buches schmälert das kaum. "Mackintoshs Atem" ist eher kein exemplarischer Künstlerroman, der den Konflikt des Genies mit der unverständigen Umwelt im Allgemeinen thematisiert. Vielmehr zieht hier gerade die Darstellung des Einzelschicksals Charles Rennie Mackintoshs und des speziellen künstlerischen Kommunikationsraums Art Nouveau/Jugendstil Interesse auf sich. Nicht zuletzt handelt es sich hier um eine Kunst des Übergangs, ein Präludium. Zwar sind bei Mackintosh und seiner Frau schon gesamtkünstlerische Aspekte am Werk. Der Versuch, Kunst und Leben miteinander in Einklang zu bringen, ist deutlich zu spüren. Aber die eigentliche, die durchgreifende Revolution, die das Gesicht der Kunst ein für alle Male geprägt hat, fand eben erst etwas später statt, im Zuge der historischen Avantgardebewegungen. Es entbehrt nicht der Tragik, dass die symbolistische Kunst des Ehepaars Mackintosh trotz aller Innovationen, die zu ihrer Zeit nicht gebührend gewürdigt wurden, durch die neuen Entwicklungen des Kubismus, Futurismus, Dadaismus und Surrealismus in Teilen überholt wurde. Immerhin hat Karen Grol dem schottischen Architekten und seiner Frau nun ein literarisches Denkmal gesetzt.
Karen Grol: "Mackintoshs Atem"
Stories & Friends, Lehrensteinfeld bei Heilbronn. 462 Seiten, 22 Euro