Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Karlheinz Schreiber ist immer für Überraschungen gut"

Der Prozess gegen den früheren Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber könne spannend werden, weil dieser möglicherweise "neue Tatsachen auf den Tisch" lege, glaubt der frühere Vorsitzende des Bundestagsuntersuchungsausschusses, Volker Neumann. Er forderte mehr Transparenz bei Zuwendungen an Parteien, sonst werde es irgendwann zu einer ähnlichen Affäre kommen.

Volker Neumann im Gespräch mit Dirk Müller | 18.01.2010
    Dirk Müller: Vor genau zehn Jahren flog der CDU die Spendenaffäre um die Ohren. Partei- und Fraktionschef Wolfgang Schäuble musste seine Ämter aufgeben, Altkanzler Helmut Kohl warf den CDU-Ehrenvorsitz hin und Angela Merkel rückte an die Spitze. Die hessische CDU geriet in schweres Fahrwasser. Einer der größten politischen Skandale in der Bundesrepublik. "Eine irre Bilanz", sagte Karlheinz Schreiber damals, der das alles ausgelöst hatte. Ab heute steht der einstige Teppichhändler, Waffenlobbyist und Airbuslobbyist wegen Steuerhinterziehung in Augsburg vor Gericht. Der Fiskus will noch Millionen von ihm und vielleicht auch noch mehr Aufklärung über die Hintergründe der Affäre.

    Am Telefon ist nun der SPD-Politiker Volker Neumann. Er arbeitet heute als Anwalt, damals, ab Dezember 199, Vorsitzender des Parteispenden-Untersuchungsausschusses im Bundestag. Guten Morgen.

    Volker Neumann: Guten Morgen.

    Müller: Herr Neumann, Karlheinz Schreiber ab heute vor Gericht. Ist das für Sie eine späte Genugtuung?

    Neumann: Nein. Die strafrechtliche Verfolgung war ja nicht unser Interesse. Unser Interesse war die Aufklärung und die historische Wahrheit über diese Parteispendenaffäre, die ja wie damals die Flick-Affäre in den 70er-Jahren und 80er-Jahren die Republik erschüttert hat.

    Müller: Deswegen ist es trotzdem wichtig, ihn jetzt vor den Kadi zu ziehen?

    Neumann: Ja, weil ich erwarte doch noch einige Neuigkeiten. Karlheinz Schreiber, den wir ja in Toronto im Mai 2002 vernommen haben, ist immer für Überraschungen gut. Eine der Überraschungen ist ja schon in dem Beitrag angeklungen. Damals hatte er sehr konkret Aussagen über Zuwendungen an die CSU genannt. Dies spielt wahrscheinlich in dem Strafprozess keine Rolle, aber wenn Schreiber anfängt zu reden, dann ist er nicht zu bremsen und einem Angeklagten kann man nicht so einfach das Wort entziehen. Also er könnte durchaus auch noch neue Tatsachen auf den Tisch legen.

    Müller: Er hat das, Herr Neumann, immer wieder angekündigt, Karlheinz Schreiber, dass er noch mehr in Petto hat, dass er noch mehr weiß und noch mehr bekanntgeben will. Aber ist er glaubwürdig?

    Neumann: Das ist eine andere Frage. Als Angeklagter muss er ja nicht unbedingt die Wahrheit sagen. Aber wenn er, was am Ende eines solchen Verfahrens ja oft steht, einen Deal mit dem Gericht und dem Staatsanwalt über die Strafe treffen will, dann muss er geständig sein – das ist Voraussetzung -, oder er muss einen Beitrag liefern zur Wahrheitsfindung. Sonst kann eine Absprache im Strafprozess nicht erfolgen. Das setzt voraus, dass er mehr sagt als das, was er bisher gesagt hat, und seine Andeutungen werden sicher hinterfragt, auch von der Staatsanwaltschaft.

    Müller: Reden wir, Herr Neumann, über 1999 und die Zeit danach. Irgendwann hat der Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufgenommen, davor hat es ja auch schon viele Recherchen gegeben. Haben Sie damals geglaubt, dass das alles so komplex ist?

    Neumann: Nein! Vor allen Dingen den Umfang dieses Verfahrens habe ich nicht geglaubt. Wir sind ja auch bei Untersuchungsausschüssen zeitlich beschränkt, weil ja das Ende der Legislaturperiode bedeutet, dass der Ausschuss seinen Bericht vorlegen muss. Aber diesen Umfang habe ich nicht geglaubt und vor allen Dingen habe ich auch nicht geglaubt, dass nach der Flick-Affäre, die so viel Wirbel in Deutschland aufgebracht hat, nahezu das gleiche noch einmal passiert, dass während noch Aufklärung in der Flick-Affäre vor den Strafrichtern war, die CDU seinerzeit wieder Geld annahm über Leisler-Kiep, die berühmte Million von Schreiber, die dort an der Grenze zur Schweiz übergeben worden ist. Das habe ich nicht geglaubt und ich habe auch nicht geglaubt, dass ein Bundeskanzler, der ein Gesetz unterschreibt, dieses Gesetz gnadenlos bricht, nämlich das Parteiengesetz und die Veröffentlichungspflicht von Spenden.

    Müller: Würden Sie auch heute noch sagen mit dem Blick zurück, wir haben in dieser Analyse und der Untersuchungsausschuss hat versucht herauszufinden, ob wir über ein politisch geschmiertes System berichtet haben?

    Neumann: Politisch geschmiertes System würde ich nicht sagen. Tatsache ist aber, dass dieser Deal, der dann zu den 220 Millionen D-Mark Provision führte, nur durch Schmiergelder möglich war, und in dem Zentrum des Schmiergeldes standen Leute aus der Regierung, nämlich zum Beispiel Herr Pfahls, der ja inzwischen schon wegen Bestechlichkeit verurteilt worden ist. Und Herr Schreiber? Das ist jetzt die Frage, ob das Gericht eine Verjährung annimmt, oder den Sachverhalt aufklärt und dann ihn wegen Bestechung verurteilt. Letztlich, vermute ich, wird das erst beim Bundesgerichtshof geklärt werden, ob diese Frage verjährt ist oder nicht. Der Bundesgerichtshof hat in der bisherigen Rechtsprechung immer gesagt, die Frage der Bestechung, wenn man das auf den Fall Schreiber überlegt, ist nicht verjährt.

    Müller: Wir reden ja über Rüstungslobbyismus, um da mal ein Stichwort einzubringen, ein Kennwort einzubringen. War das damals Usus im Rüstungslobbyismus, dass Geld fließt?

    Neumann: Ich glaube, das ist heute noch Usus. In diesem Bereich – das spielt sich alles im Dunkeln ab – wird immer Geld fließen, um Geschäfte zu machen. Nur ob das herauskommt, das ist eine andere Frage. Ich sehe ja insbesondere in diesem Fall auch das Problem, dass ja extra in einem Vertrag mit Saudi-Arabien seinerzeit ausgeschlossen ist, dass Bestechungsgelder geflossen sind, aber Millionenbeträge auch in die saudi-arabische Region geflossen sind. Wir wissen ja auch heute noch gar nicht, wo alles Geld geblieben ist. Es gibt hier dort auch Verbindungen zu dem Möllemann, weil die Firmen, mit denen er zu tun hatte, sind ja auch Empfänger dieser Spenden gewesen, und Möllemann war seinerzeit Wirtschaftsminister. Also es sind noch viele Fragen offen und ich bin auch sicher, dass es sehr lange dauern wird, bis wir diese Fragen geklärt haben.

    Müller: Wenn Sie sagen, Herr Neumann, das ist auch heute noch Usus, diese Provisionszahlungen im Dunkeln, dann könnte das auch auf die rot-grüne Koalition, auch auf die Große Koalition treffen?

    Neumann: Ja, aber die Rüstungsexporte setzen ja voraus, dass eine Genehmigung durch den Bundessicherheitsrat erfolgt, und ich kann mich an keinen Fall erinnern, wo dieses jedenfalls bekannt geworden ist. Ich gehörte nicht dem Bundessicherheitsrat an und ich weiß das nicht. Aber ich kann mich an keinen Fall erinnern, dass so etwas in der rot-grünen Koalition passiert ist.

    Müller: Also Sie denken, seitdem ist das System sauber?

    Neumann: Was diesen Punkt anbelangt, ist es jedenfalls, was das System anbelangt, sauber. Nicht verhindern kann man natürlich Einzelfälle von krimineller Energie, die dann doch hinter dem Rücken und ohne Wissen der Regierung solche Dinge vorantreiben. Aber ich glaube, vom System her sind jetzt doch die Grenzen eingezogen, dass eine Regierung darauf achtet, dass so etwas nicht noch einmal passiert.

    Müller: Sind die Parteien auch vorsichtiger geworden?

    Neumann: Das glaube ich nicht, wenn ich heute in der Zeitung lese, dass die FDP da so erhebliches Geld bekommen hat aus dem Hotelbereich und die Mehrwertsteuer heruntergesetzt worden ist mit der Folge, dass die Hotelpreise keinen Pfennig billiger geworden sind. Also ich glaube, das System gibt es immer noch. Die Grenze ist einfach nur schwer zu finden: Wo ist es normale Lobbyarbeit, wo gibt man Spenden, um Parteien in bestimmte Richtungen zu bringen, und wo ist es im Einzelfall wirklich ein Bestechungsfall, und das wird immer schwer sein festzustellen.

    Müller: So weit wir das verstanden haben, Herr Neumann, eben auch auf die Zeitungen, auf den "Spiegel" angewiesen, der über diese FDP-Spende berichtet hat – das haben Sie gerade angesprochen -, ist es eine legale Spende.

    Neumann: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich die Stückelungen im einzelnen nicht kenne. Ich kenne auch nicht den Hintergrund der ganzen Geschichte und da muss man sehr vorsichtig sein. Nur es fällt auf, dass eben jetzt eine Steuersenkung verfolgt in einem Teilbereich, von einer Partei gefördert oder von zwei Parteien gefördert, die doch auch Zuwendungsempfänger von erheblichen Spendenbeträgen aus diesem Unternehmensbereich sind.

    Müller: Sollten Obergrenzen eingezogen werden?

    Neumann: Das ist sehr schwer, weil Parteien sind auch darauf angewiesen, auf Spenden, wie jede andere Organisation auch. Aber die Transparenz müsste vielleicht noch verbessert werden. Sie ist ja schon gut. Ich wundere mich nur immer, dass die Leute sehr wenig in die Veröffentlichungen der Bundestagsverwaltung sehen, die vierteljährlich im Internet sind, welche Spenden von wem an welche Partei gegeben werden. So manche Überraschung wäre da für Journalisten auch noch erkennbar. Ich beobachte das immer so aus der Entfernung und denke immer, irgendwann wird es doch wieder zu einer solchen Affäre kommen wie in dem Jahr 1999 bis 2002.

    Müller: Letzte Frage. Solange Parteien darauf angewiesen sind, auf das Geld, bleiben sie auch anfällig?

    Neumann: Ja, so ist es, und sie werden immer darauf angewiesen bleiben.

    Müller: Der SPD-Politiker und Anwalt Volker Neumann bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Neumann: Auf Wiederhören.
    Karlheinz Schreiber bei der Überstellung in die JVA Augsburg am 3. August 2009
    Karlheinz Schreiber bei der Überstellung in die JVA Augsburg am 3. August 2009 (AP)