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Karnickel-Vergleich des Papstes
"Das wäre eine törichte Aussage"

Bischof Heiner Koch hat die Aussagen von Papst Franziskus zur Fortpflanzung relativiert. Er sagte im Deutschlandfunk, der Papst setze sich Missverständnissen aus, wenn er sagen würde: Begrenzt die Zahl der Kinder. So habe Franziskus das nicht gemeint. Den Karnickel-Vergleich schrieb Koch einem "argentinischen Mentalitätsbild" zu.

Heiner Koch im Gespräch mit Thielko Grieß | 24.01.2015
    Bischof Heiner Koch, des Bistums Dresden-Meissen, spricht am 16. Oktober 2013 in Leipzig (Sachsen) in der Propsteikirche St. Trinitatis.
    Der Dresdner Bischof Heiner Koch beklagt, die Kirche könne nicht mehr klar machen, was ihr in Sachen Liebe und Sexualität wichtig sei. (picture alliance / dpa / Peter Endig)
    Der Bischof von Dresden-Meißen, Heiner Koch, hat Papst Franziskus im Deutschlandfunk-Interview verteidigt. Der Papst hatte nach seiner Philippinen-Reise zu einer verantwortungsvollen Familienplanung aufgerufen und gesagt, gute Katholiken müssten sich nicht "wie Karnickel" vermehren. Danach entspann sich eine Debatte, ob er eine Öffnung der Kirche in Bezug auf Verhütungsmittel andeuten wollte oder nicht.
    Koch sagte im Deutschlandfunk, der Papst habe sich durch seine Wortwahl Missverständnissen ausgesetzt. Diese sei "sehr ungewöhnlich". Koch wies darauf hin, dass die Kirche immer gesagt habe, "zu einer bewussten Familienentfaltung gehört auch die bewusste Familienplanung". Im Deutschlandfunk sagte er selbstkritisch, die Kirche habe zu wenig klar gemacht, warum Sexualität und Liebe zusammengehöre, "warum wir für dieses ganzheitliche Wachstum von Liebe sind".

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Das war ein erstaunlicher Satz für einen Papst: "Manche glauben, um gute Katholiken zu sein, müssten wir sein wie Karnickel." Das hatte der Papst Anfang der Woche gesagt. Er kam gerade aus den Philippinen, ein katholisch geprägtes Land mit starkem Bevölkerungswachstum. Um wenig später ergänzend hinzuzufügen: Kinderreiche Familien seien ein Segen. Und nicht Kinderreichtum sei stets ein Grund zur Armut.
    Bischof Heiner Koch, Bischof von Dresden-Meißen und unter den deutschen Bischöfen Vorsitzender einer Kommission - für Ehe und Familie. In Ihrem Bistum: Was soll denn eine kinderreiche Familie nun denken, die bislang davon ausging, es gelte erstes Buch Mose, Vers 22: "Seid fruchtbar und mehret euch"?
    Heiner Koch: Dieser Satz stimmt auch zweifelsohne. Aber zweifelsohne hat die Kirche auch immer gesagt, zu einer bewussten Familienentfaltung gehört auch die bewusste Familienplanung, das heißt auch die bewussten Möglichkeiten, Kindern das Leben zu schenken. Wann und in welchem Alter, wie viele, das ist in der Verantwortung der Eltern, aus der sich die Kirche natürlich raushalten kann. Für uns sind Kinder ein Segen, ein Geschenk, zweifelsohne. Die Gefahr, dass es zu viele Kinder gibt und gerade kinderreiche Familien eigentlich eine Herausforderung sind, sehe ich bei uns gerade in Deutschland nun überhaupt nicht.
    Grieß: Nun wird natürlich das weltweit rezipiert, was der Papst da sagt, aber ist so eine Wortwahl, in der auch das Bild des Karnickels – ohne dem Karnickel zu nahe treten zu wollen – doch ungewöhnlich oder vielleicht auch unglücklich?
    Koch: Sehr ungewöhnlich ist es schon, zweifelsohne. Sie ist natürlich im Gesamtzusammenhang gelaufen, einige provozierende Fragen nach dem Motto: Kinderreichtum, viele Kinder = katholisch, keine Kinder, wenige Kinder = unkatholisch. So war der Zusammenhang, und dann ist ihm das rausgerutscht. Er hat das ja auch am nächsten Tag schon in ernsteren Zusammenhang gestellt. Das ist sicherlich ein argentinisches Mentalitätsbild.
    Grieß: Macht er sich damit unbeliebt?
    Koch: Er setzt sich zumindest Missverständnissen aus, denn das wäre natürlich jetzt ein völliges Missverständnis seiner Aussagen, wenn man sagen würde: Kinder sind nicht ein Segen, und begrenzt die Zahl der Kinder. Wie gesagt, angesichts der Situation gerade in Deutschland wäre das ja eine verheerende und törichte Aussage, denn bei uns herrscht ja eher Kindermangel, und kinderreiche Familien sind ja schon die Ausnahme.
    "Eigentlich ist Kinderreichtum schon gar nicht mehr vorgesehen"
    Grieß: Allerdings sind ja auch in Deutschland kinderreiche Familien diejenigen, die von Armut am ehesten bedroht sind, das sagen ja fast alle Statistiken.
    Koch: Das ist eine ganz große Gefahr nämlich bei uns, eigentlich ist Kinderreichtum schon gar nicht mehr vorgesehen. Gerade die Gefahr der zunehmenden ökonomischen Betrachtung der Familie, wo es darum geht, dass möglichst schnell und möglichst beide Elternteile möglichst intensiv und umfangreich wieder arbeiten gehen, verhindert ja fast, dass Eltern mehreren Kindern das Leben schenken. Hinzu kommt natürlich tatsächlich, dass gerade kinderreiche Familien oftmals durch die starken Belastungen wirklich zu den einkommensschwachen Familien zählen. Da müssen wir uns als Kirche und als Gesellschaft, finde ich, massiv einsetzen, um die strukturelle und finanzielle Benachteiligung gerade von kinderreichen Familien abzubauen.
    Grieß: Aber steht nun unter dem Strich doch, dass Kinderreichtum, und zwar sozusagen schrankenloser und grenzenloser Kinderreichtum, nicht unbedingt das ist, was der Vatikan verkündet?
    Koch: Wie vielen Kindern wir das Leben schenken und aus welchen Gründen wir Kindern das Leben nicht schenken, ist eine Entscheidung, die die Eltern zu treffen haben. Das kann nicht der Vatikan entscheiden, das kann nicht ein Bischof entscheiden, das müssen die Eltern in eigener Verantwortung entscheiden, aber sie müssen es bewusst tun. Hinter manchmal in den Kleinstfamilien, die wir haben, steckt ja auch Egoismus, nach dem Motto: Ich möchte möglichst mich nicht einschränken, möchte möglichst alle materiellen Vorteile haben. Manchmal steckt aber auch eine sehr bewusste Entscheidung dahinter, die klug ist und die richtig ist. Aber das ist doch eine Sache der Eltern und nicht irgendeiner übergeordneten Instanz. Hier gilt das Subsidiaritätsprinzip, wir trauen den Familien und vor allen Dingen Eltern sehr viel zu in Eigenverantwortung.
    Koch: Für den Papst geht es um ein ganzheitliches sexuelles Bild
    Grieß: Aber Sie trauen den Eltern und den Familien nach wie vor nicht zu, alle Verhütungsmittel, die sozusagen am Markt erhältlich sind, zu verwenden, vor allem nicht die künstlichen: Pille, Kondom et cetera.
    Koch: Dazu hat der Papst ja noch mal Stellung genommen, für ihn geht es ja um ein ganzheitliches sexuelles Bild. Das heißt also: Lebensweitergabe, Sexualität, Liebe, Anerkennung, Partnerschaft, körperliche und geistige Liebe sind eine Einheit, und das wollte die Kirche nicht auseinanderdividieren lassen. In dieser Richtung hat der Papst sich ja auch noch mal geäußert.
    Grieß: Braucht es da eine Veränderung? Ich frage auch vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der Studie, die in der katholischen Kirche weltweit ja, oder der Umfrage, die ja weltweit auch durchgeführt worden ist, wo insbesondere ja in Deutschland auch zutage kam, dass der Graben zwischen der Lehre und dem gelebten Leben sehr, sehr groß ist.
    Koch: Na ja, das wissen wir, das ist ja nun wirklich nicht neu. Der Stachel, der dahinter aber steckt, wenn der Papst auch so etwas sagt – trennt nicht Fruchtbarkeit von eurer Liebe, trennt nicht die körperliche Liebe von der geistigen Liebe, trennt nicht Liebe von Verbindlichkeit, von Wachstum, ein ganzes Leben lang gemeinsam leben lernen – diese Einheit zu sehen, das ist, glaube ich, das prophetische Zeichen, damit sind wir eigentlich konträr. Wissen Sie, dann ist dann die Frage nach den Verhütungsmitteln nicht die primäre Frage, sondern wie verstehe ich Sexualität, wie verstehe ich Bindung, wie verstehe ich Liebe, wie verstehe ich Elternschaft und Familie.
    Grieß: Und wenn ich Sie jetzt richtig verstehe, dann hat der Papst bislang in dieser Einheit von Liebe und Leben noch gar keine neuen Akzente gesetzt.
    Koch: Das kann ich so nicht erkennen. Wohl würde ich sagen, dass er sehr stark die Eltern ermutigt, doch wieder zu der Ganzheitlichkeit zurückzukehren, inhaltlich neue Akzente sehe ich bisher noch nicht. Mal sehen, ob es da im Verlauf der zweiten Synode noch Akzente geben wird, aber an dieser Ganzheitlichkeit des christlichen Sexualitätsverständnisses und Ehe- und Familienverständnisses wird sicherlich die Synode nichts ändern.
    Grieß: ...des katholischen Familienverständnisses.
    Koch: Ja, ja.
    Grieß: ...müssen wir etwas spezifizieren, glaube ich, an der Stelle.
    Koch: Ja, ist richtig. Aber auch die evangelische Kirche sieht sicherlich das ganzheitliche Menschenverständnis, der Körper, Geist und Seele sind, die zusammenwachsen wollen. Da ist sicherlich keine ökumenische...
    Grieß: Aber Sie wollen doch jetzt nicht für die Evangelen sprechen.
    Koch: Nein, auf keinen Fall.
    Grieß: Das ist ja seit einigen hundert Jahren vorbei.
    Koch: Aber es gibt Punkte, wo der evangelische Bischof für mich sprechen kann und ich für den Bischof. Wir haben gerade in Sachsen da ein gutes Miteinander. Es gibt noch mehr Gemeinsamkeiten, als es Trennungen gibt, wir können auch gemeinsam als Christen sprechen.
    "Sexualität war lange Zeit an Ehe gebunden"
    Grieß: Noch mal die Frage: Was für Folgen, was für Konsequenzen wollen denn vielleicht auch die deutschen katholischen Bischöfe ziehen aus dieser Differenz zwischen dem, was die Gläubigen in ihrem Leben leben – und dazu gehören in vielen Fällen nun mal künstliche Verhütungsmittel – und dem, was gepredigt wird?
    Koch: Noch einmal: Man wird nicht die Wahrheit nach Umfragen abstufen können. Wenn man erkennt und sagt, das ist ein prophetisches Wort, ein prophetisches Zeichen, wenn man zu dieser Überzeugung weiterhin steht, dann muss man dies auch prophetisch verkünden, auch wenn es von vielen abgelehnt wird. Aber dann muss man es auch begründen und darlegen. Und wenn man dann sich reduzieren lässt auf eine Frage der Empfängnisverhütung und der Technik, da sieht man ja schon, welcher Widerspruch das zu einer ganzheitlichen Liebe ist. Wenn es zu einer technischen Frage wird, dann sind wir sowieso schon auf dem falschen Gleis.
    Grieß: Dann handelt es sich um ein Vermittlungs- und Erklärungsproblem?
    Koch: Also das mit Sicherheit auch. Ich bin sehr viel in Schulen. Wenn ich angefragt werde, dritte Frage Thema Sexualität, staune ich immer, wie wenig Schüler und Schülerinnen davon wissen, warum das so ist. Wir können überhaupt nicht mehr klarlegen oder haben es zu wenig klargelegt, warum wir für dieses ganzheitliche Wachsen von Liebe sind, warum wir sagen, Menschen sollen miteinander lernen, geistig, geistlich, körperlich eins zu werden. Und wenn sie ganz eins sind, dann ist der Punkt der Ehe gekommen. ...sehr, sehr dagegen sind, dass es auseinandergerissen wird. Sexualität war ja lange Zeit erst an Ehe gebunden, jetzt ist ja inzwischen Sexualität nicht mehr an Liebe gebunden. Warum das dem Menschen nicht guttut, das ist, glaube ich, das, was wir erklären und den Menschen neu darlegen müssen. Ich glaube, dass wir da die Sehnsucht der Menschen treffen, dass es nicht ein von außen auferlegtes Zwangsjoch ist.
    Grieß: Warum tut den Menschen Ihrer Auffassung nach das eigentlich nicht gut, das, was Sie als Auseinanderreißen beschreiben?
    Koch: Weil der Mensch eine Wirklichkeit ist. Ich bin eine Wirklichkeit, die sich hineingibt in einen anderen Menschen, mit Vertrauen, das hat etwas mit Lieben, mit Lernen zu tun. Ich will mich ganz hineingeben und will ich ganz geliebt sein, nicht nur ein bisschen. Alles, was den Menschen zerreißt, in ein Teilwesen, in ein arbeitendes Wesen, in ein Familienwesen, in ein liebendes Wesen, in ein funktionierendes Wesen, ist, glaube ich, dem Menschen feindlich. Letztlich ist der Mensch nämlich eine Einheit, und das ist das Letzte.
    Grieß: Bischof Heiner Koch, Bischof von Dresden-Meißen. Ich bedanke mich für das Gespräch im Deutschlandfunk!
    Koch: Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.